Protokoll der Sitzung vom 28.06.2001

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Und wenn Sie uns dann Herrn Lehmann-Brauns hierherstellen und erklären, weil Herr Lehmann-Brauns oder Herr Mierendorff Probleme haben in Zehlendorf,

[Niedergesäß (CDU): Was denn nun? In Mierendorf oder in Zehlendorf?]

dann kann das wirklich nicht allen Ernstes ein Grund sein, den Termin von Neuwahlen zu bestimmen. Es wäre einfach nur peinlich.

Interessant ist auch, dass auf der einen Seite diese Regierung als Putsch empfunden wird, andererseits Sie aber offensichtlich kein Interesse haben, diese Putschisten so schnell wie möglich wieder abzuwählen; wobei das übrigens selten ist, dass Putschisten selber so schnell wie möglich abgewählt werden wollen. Von da her kann ich Sie nur auffordern: Lassen Sie uns doch so schnell wie möglich neu wählen!

[Zuruf von der CDU: Sind Sie jetzt fertig?]

Denken Sie daran, wer in den letzten Jahren genau diese Situation im Land Berlin verursacht hat. Geben Sie der Bevölkerung von Berlin die Chance, eine neue Regierung zu wählen, meinetwegen auch die alte, die Möglichkeit, zu entscheiden, wer hier im Land Berlin die zukünftige Regierung stellen wird. Das Volk ist der Souverän, in dessen Namen und für den wir hier als Abgeordnete stehen. Deshalb gibt es nur eine Möglichkeit, und wir sollten sehen, dass wir heute oder so schnell wie möglich den Weg freimachen, den Souverän entscheiden zu lassen.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Vielen Dank, Frau Oesterheld! – Für die Fraktion der PDS hat das Wort Frau Freundl – bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 75 % aller Berlinerinnen und Berliner wollen schnelle Neuwahlen. Die Initiative Volksbegehren hat in wenigen Tagen über 70 000 Unterschriften für schnelle Neuwahlen gesammelt, und drei der vier im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien plädieren für den 23. September als Wahltermin. Es gibt eine Reihe guter Gründe für diesen Termin. Er trägt dem Wählerwillen Rechnung, daran müssten auch Sie ein Interesse haben. Er ermöglicht einen kurzen und prägnanten Wahlkampf, der es dennoch zulässt, dass die Berlinerinnen und Berliner hinreichend Zeit haben, sich mit den Konzepten und Köpfen der Parteien vertraut zu machen und eine Entscheidung zu treffen. Es ist ein Termin, der es aber auch der dann gewählten Regierung möglich macht, die Probleme der Stadt zügig anzugehen. Alle politische Vernunft spricht für den 23. September.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Die Vernunft spricht dafür, und die CDU spricht dagegen.

[Zuruf von der CDU: Hamburg!]

Nun ist dieser Gegensatz nach den Erfahrungen, die wir in den vergangenen Monaten mit der Berliner CDU gemacht haben, so überraschend nicht. Ginge es nach Vernunft, hätte Herr Landowsky sofort zurücktreten müssen.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen und der PDS – Beifall des Abg. Adler (CDU)]

Ginge es nach Vernunft, hätte er nie im Leben zum stellvertretenden CDU-Parteivorsitzenden gewählt werden dürfen. Ginge es nach Vernunft, hätte der frühere Regierende Bürgermeister Diepgen die Lage nicht ewig lange schöngeredet, sondern den Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein eingeschenkt.

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

Überraschend ist die Polemik der CDU gegen den Neuwahltermin also nicht, aber sie trägt bemerkenswert kuriose Züge. Zuerst konnte es ihr gar nicht schnell genug gehen: Der neue Fraktionsvorsitzende Steffel plädierte zunächst für den 9. September, dann für den 16., vielleicht war es auch umgekehrt. Er tat das ohne Argumente, aber dafür lautstark. Wenig später erschien Herr Steffel der Termin Anfang November besonders einleuchtend. Warum, hat er uns bis heute nicht verraten. Zwischendurch durfte dann Herr Kaczmarek mal ran: Neuwahlen – na klar, sagte er. Aber erst müsse der Senat einen Haushaltsentwurf für 2002 vorlegen.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Alles andere wäre Betrug am Wähler. Eine vorherige Selbstauflösung des Parlamentes käme natürlich nicht in Betracht. – Also, Herr Kaczmarek, im Planwahljahr 1999, gab es da im September einen Haushaltsplanentwurf für das kommende Jahr? Da waren Sie allerdings Mitglied einer Regierungskoalition und haben das an dieser Stelle nicht so eng gesehen.

Ein zweites Argument, das mich als Vorschlag, der von Ihnen kommt, sehr verwundert, so genau mit der Gewaltenteilung nehmen Sie es ja dann auch nicht, dass Sie die Möglichkeit und die Fähigkeit der Selbstauflösung des Parlaments an die Bedingung knüpfen, was der Senat, also die Exekutive, tut und in welchen Zeiträumen er das tut. Immerhin aber hat Herr Kaczmarek versucht, seine Abneigung gegen den 23. September mit einer, wenn auch falschen, Begründung zu versehen. Ein echter Power-Politiker wie der Herr Steffel, der sich offensichtlich schon im Wahlkampf befindet, ohne dass ein Wahltermin feststeht, der hat solche Umständlichkeiten nicht nötig.

Frau Freundl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wruck?

Nein, danke schön! Sie hatten schon die Gelegenheit. – Der zaubert mal ganz unmissverständlich jetzt den 21. Oktober aus dem Hut als die angeblich sauberste Lösung. Schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken sprächen gegen den Septembertermin. Welche das sein sollen, hat er uns bis heute nicht mitgeteilt. Dafür gibt es aber inzwischen zwei Gutachten, eines der Innenbehörde und eines des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes, die beide eindeutig zu dem Ergebnis kommen, dass es die verfassungsrechtlichen Einwände, die Herr Steffel uns verschweigt, gar nicht gibt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mierendorff?

Bitte schön!

Herr Mierendorff, bitte schön! – Er hat noch keinen Saft!

[Dr. Wruck (fraktionslos): Sie haben aus Versehen bei mir gedrückt! Da müssen Sie drücken!]

(A) (C)

(B) (D)

Ich glaube, Herr Mierendorff, Sie hatten Ihre Zeit. Ich rede dann weiter.

[Beifall bei der PDS]

Inzwischen hat Herr Steffel für sich und seine Fraktion den Minderheitenschutz entdeckt. Es könne gar nicht sein, sagt er, dass SPD, PDS und Grüne einfach ihre parlamentarische Mehrheit nutzen, um schnelle Neuwahlen durchzusetzen. Umgekehrt allerdings finden Sie überhaupt nichts dabei, Ihre parlamentarische Minderheit als Sperrminorität dafür zu nutzen, den Wahltermin, der Ihnen genehm erscheint, allen anderen abzupressen. Das nenne ich wirklich Demokratie.

[Beifall bei der PDS]

Die Verfassung koppelt die Selbstauflösung des Parlaments zu Recht an eine hohe Hürde, die Zweidrittelmehrheit. Die Verfassung schreibt der CDU aber nicht vor, mit ebenso falschen wie fadenscheinigen Begründungen das Begehren der überwiegenden Zahl der Berlinerinnen und Berliner nach schnellen Neuwahlen zu torpedieren. Wer so unsachlich und derart beliebig seine Einwände gegen einen vernünftigen Wahltermin vorbringt, wie Sie von der CDU es tun, der bringt nur eines zum Ausdruck: die schreckliche Angst vor den Wählerinnen und Wählern.

[Beifall bei der PDS – Zuruf aus der CDU: Haha, lächerlich!]

Das ist hier schon von Herrn Gaebler gesagt worden, an diesem Punkt kann ich Sie wirklich verstehen, an Ihrer Stelle hätte ich diese Angst auch. Aber Ihr Interesse an einem verzögertem Wahltermin, Ihr Glauben, wenn Sie schnell nicht mehr über Bankenkrise und Haushaltsloch reden, dass es dann die Berlinerinnen und Berliner auch tun, dieser Schein trügt, und da haben Sie sich ganz deutlich verrechnet.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall beiden Grünen]

Ein letzter Satz, sagen Sie das Ihrem Fraktionsvorsitzenden Steffel, der sich in diesem Parlament offensichtlich nicht sehr wohl fühlt und häufig abwesend ist: Der echte Kennedy ist deshalb Präsident geworden, weil er sich der Wahl gestellt hat und nicht weil er sie gescheut hat.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den Grünen]

Vielen Dank, Frau Freundl! – Wir haben nun einen Redebeitrag des Abgeordneten Dr. Wruck.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Oesterheld, Sie haben mich angesprochen, und deshalb habe ich mich auch noch einmal zu Wort gemeldet.

Sie haben zu Recht den Artikel 20 Grundgesetz zitiert: Alle Gewalt geht vom Volke aus – Souverän Volk. Ich will versuchen, Ihnen den Streit zu vermitteln, den wir in dem Punkt haben: Auf der einen Seite hat 1999 der Souverän, das Volk, dieses Parlament gewählt, ordnungsgemäß gewählt, und zwar für eine Legislaturperiode

[Frau Michels (PDS): Aber mit einem Wählerauftrag!]

Entschuldigung, hören Sie doch erst einmal zu. –, für eine Legislaturperiode, die fünf Jahre dauert. Wenn Sie von diesem Regelfall abgehen wollen, dann bedarf es dazu erheblicher verfassungsrechtlicher Voraussetzungen. Das Grundgesetz kennt eine Selbstauflösung des Bundestages nicht. Das heißt, der Gesetzgeber, die Väter und Mütter des Grundgesetzes, haben gesagt: Den Bundestag könnt ihr, selbst wenn 99 % der Bundestagsabgeordneten dafür sind, nicht durch einen Beschluss auflösen. Ihr seid vom Souverän für die Legislaturperiode von fünf oder vier Jahren, wie es in der Verfassung oder im Grundgesetz steht, gewählt worden. Dabei hat es zu bleiben.

Jetzt ist die Frage: Kann eine Landesverfassung entgegen der Regelung des Grundgesetzes etwas anderes festsetzen? Das ist das Problem. Es muss grundsätzlich eine gewisse Deckungsgleichheit zwischen den Verfassungen der Länder und des Bun

des gegeben sein. Gerade wenn, zum Beispiel hier in Berlin, ein Volksbegehren oder ein Volksentscheid ausdrücklich dies vorsieht, so haben sicher das Volksbegehren und der Volksentscheid Vorrang gegenüber allem anderen. Das heißt, man muss das Volk dann wirklich abstimmen lassen und nicht nur bei 70 000 Bürgern verbleiben, sondern man muss dann das, was vorgesehen ist, auch durchführen. Das heißt, 480 000 Unterschriften die zweite Stufe und dann die wirkliche Entscheidung des Souveräns, des Volkes.

Das heißt, das Parlament darf sich nicht an die Stelle des Volkes setzen, und das tun Sie gerade, wenn Sie das Volksbegehren, den Volksentscheid vorher abkappen und sagen, wir wollen euch eigentlich gar nicht hören, uns reichen eigentlich Meinungsumfragen aus. Dann können Sie auch sagen: Wir wollen keine Wahlen. Dann fragen wir doch Meinungsforscher, und die sagen dann, was jeder einzelne an Stimmen bekommt. Nein, es ist wirklich zu wählen, zu entscheiden durch das Volk. Deswegen ist Ihre Position, auch gerade gegenüber Herrn Dr. LehmannBrauns, einfach unzutreffend. Er sagt zu Recht, das hat etwas Blitzkriegartiges, und zwar im übertragenem Sinne selbstverständlich.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Oesterheld?

Bitte sehr!

[Zuruf aus der CDU: Die muss aber gut sein!]

Herr Wruck, können Sie mir sagen: Wenn das Volk doch gar nicht weiß, dass diese Regierung das Land so in die finanzielle Katastrophe führt, und auch gar nicht wissen kann, was da alles bei der Bankgesellschaft passiert, hat es dann nicht das Recht, noch einmal zu wählen?