Protokoll der Sitzung vom 28.06.2001

[Doering (PDS): Schöne Grüße an Herrn Kohl!]

Das Bild als Verräter, der nur wegen seiner Pension an seinem Stuhl klebt, muss Sie doch bedrücken.

[Beifall bei der CDU]

Wären Sie ein Politiker von Format, hätten Sie aus persönlichen, inhaltlichen, aber auch politischen Gründen zurücktreten müssen.

[Beifall bei der CDU]

Und Sie, Herr Strieder, Ihre 85 Stimmen sagen eigentlich alles. Beinahe wäre es Ihren Parteigenossen gelungen, Sie abzuwählen. Was für ein makabres Ergebnis für einen SPD- Landesvorsitzenden. Offenbar gilt für Sie: Wer Sie kennt, wählt Sie nicht mehr.

[Beifall bei der CDU]

Und Herr Körting, bei allem Respekt für Ihre Reaktivierung: Das war ein Fehler. Bei der Ausrüstung der Polizei wollen Sie kürzen, für Fixerstuben aber haben Sie Geld. – Und nun zu Herrn Wieland: Bei Ihrem langen Marsch durch die Institutionen sind Sie am Ende schon etwas fußkrank geworden. Aber trotzdem ist es Ihnen noch gelungen, doch zu welchem Preis? – Ich zitiere Konrad Weiß, der aus Ihrer Partei ausgetreten ist. Er spricht vom Verrat an den Idealen der friedlichen Revolution und der Menschenund Bürgerrechtsbewegung. Er meint, dass Ihre Zusammenarbeit mit der PDS mit dem politischen Programm der Grünen unvereinbar und ein Bruch des Vertrages zwischen Bündnis 90 und den Grünen sei. Herr Wieland, Sie sollten sich schämen.

[Beifall bei der CDU]

Und immer wieder warnt uns die vereinigte Linke vor einer Rote-Socken-Kampagne. Keine Sorge! Damit Sie es endlich auch verstehen: Wir brauchen keine solche Kampagne.

[Cramer (Grüne): Haben wir gerade gemerkt!]

Aber ich sage Ihnen auch ganz klar und deutlich: Wenn Sie sich noch so bemühen, Sie werden einer Auseinandersetzung über Ihren historischen Sündenfall vom 16. Juni dieses Jahres nicht entgehen.

[Beifall bei der CDU]

Sie können der Frage nicht ausweichen, warum Sie lieber mit Kommunisten regieren als mit einer demokratischen Volkspartei. Und übrigens, Herr Wowereit, wenn Sie mir das Recht absprechen, mich zum 17. Juni 1953 und zum 13. August 1961 zu äußern, weil ich diese Tage nicht selbst erlebt habe, dann nehmen Sie meiner Generation auch das Recht, den furchtbaren Naziterror zu verurteilen.

[Beifall bei der CDU]

Und dass Sie vor Kurzem in einer Fernsehsendung nicht einmal eine ungefähre Zahl der Mauertoten kannten, zeigt doch, wie wenig Sie sich mit diesem Unrecht auseinander gesetzt haben.

[Beifall bei der CDU – Gram (CDU): Eine Schande!]

Aber bei aller Bedeutung der Vergangenheit, wir wollen und werden uns nicht lange mit der Vergangenheit aufhalten. Reden wir doch über die Zukunft. – Zurzeit bereitet die PDS gerade ein neues Programm vor. Die PDS-Parteivorsitzende hat den Deutschen angedroht, dass dieses Programm um vieles sozialistischer und marxistischer sein werde als das bisherige. Und der Chefideologe Professor Klein spricht aus, was das heißt. Er kündigt tiefe Einbrüche in den Eigentumsverhältnissen an. Die PDS wolle zu Marx zurückfinden und ziele auf eine andere Gesellschaft in Deutschland. – Ist Ihnen eigentlich bewusst, was dies im Klartext bedeutet? Die PDS will gar nicht in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland ankommen, nein! Sie will vielmehr, dass wir in ihrer sozialistischen Gesellschaft ankommen.

[Beifall bei der CDU]

Sie will Deutschland zum Teil ihres marxistischen Experiments machen, das gerade vor der Geschichte in ganz Europa kläglich gescheitert ist. Ich will keinen Neuanfang, meine Damen und Herren von der rot-grünen Regierung, in dem Berlin nach Peking und Havanna die dritte Hauptstadt unter kommunistischem Einfluss wird.

[Beifall bei der CDU – Heiterkeit links]

Und je lauter Sie rufen, je lauter sage ich das auch: Ich bin und bleibe ein überzeugter Gegner des Sozialismus, weil ich ein glühender Anhänger und Verfechter unserer sozialen Marktwirtschaft bin.

[Beifall bei der CDU]

Und die PDS – das kann kein Showtalent überdecken – bedeutet über kurz oder lang das, was der Politikwissenschaftler Patrick Moreau kürzlich als eine schleichende und wachsende Staatskontrolle über die Gesellschaft bezeichnet hat. Und genau dort, das sage ich in aller Ernsthaftigkeit, verläuft die scharfe und unüberwindbare Trennlinie zwischen unseren unterschiedlichen Gesellschaftsentwürfen.

[Beifall bei der CDU]

Und es geht in den nächsten Wochen um die Zukunft Berlins. Der Spiegel hat vor einigen Tagen eine Emnid-Umfrage veröffentlicht, wonach weit über 50 % der Deutschen überzeugt sind, dass eine Regierungsbeteiligung der PDS der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes schwer schaden würde. Dem „Spiegel“ werden Sie sicherlich nicht vorwerfen, dass er eine Rote-Socken-Kampagne unterstützt. Die Menschen haben Recht. Das zeigt ein Blick auf die Länder, in denen die PDS bereits Macht ausübt.

[Cramer (Grüne): Deshalb wollen Sie auch Neuwahlen!]

Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt: Beide Länder haben in den wesentlichen wirtschaftlichen Indikatoren, bei der Arbeitslosenquote, die niedrigsten Investitionsquoten, die wenigsten Selbstständigen und als einzige

[Zuruf von der PDS]

mehr Gewerbeabmeldungen als -anmeldungen. Mit anderen Worten: Sie sind in des Wortes doppelter Bedeutung die roten Laternen der Bundesrepublik Deutschland. Und so wie die PDSBeteiligung in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt ein Konjunkturprogramm für Thüringen und Sachsen ist, so wird die PDS-Beteiligung in Berlin ein Konjunkturprogramm für München, Köln und Hamburg sein.

[Unruhe]

Deshalb machen sich viele Berlinerinnen und Berliner, deshalb machen wir uns große Sorgen um die Zukunft unserer Heimatstadt Berlin. Denn Ihr Programm heißt nicht „Zukunft für Berlin“, sondern „Macht für Wowereit“.

[Beifall bei der CDU]

Es ist eine zu Papier gebrachte Ratlosigkeit, und Sie sollten sich der Verantwortung bewußt sein: Berlin ist nicht Ihre rot-grüne Spielwiese, denn Berlin ist der Schicksalsplatz von 3,4 Millionen

Menschen, die deutsche Hauptstadt, einer der großen Wirtschaftsstandorte unseres Landes. Auf Berlin schaut die Welt, wenn sie erfahren will, wie es in Deutschland steht, und wohin es mit Deutschland geht.

In seiner berühmt gewordenen Berliner Rede sagte Roman Herzog:

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Diese Rede wird nicht berühmt!]

„Wir brauchen wieder Visionen, denn Visionen sind nichts anderes als Strategien des Handelns. Das unterscheidet sie auch von Utopien.“ Und er mahnte uns, „zuerst müssen wir uns klar werden, in welcher Gesellschaft wir im 21. Jahrhundert leben wollen“. Ich sage Ihnen, weder die älteren Berlinerinnen und Berliner noch meine Generation wollen in einer Gesellschaft leben, in der nach dem Scheitern des Kommunismus erneut marxistische Utopien erprobt werden, egal welcher Spielart und egal unter welchem Deckmantel.

[Beifall bei der CDU]

Wir wollen eine von Zwangskorsett befreite, bewegliche und freie Gesellschaft. Was wir brauchen, das ist die Vision einer mitmenschlichen Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die sich ihrer Pflicht zur Nächstenliebe nicht durch einen gigantischen staatlichen Enteignungsapparat und durch ständig steigende Lohnnebenkosten abkaufen lässt. Am Ende werden wir erkennen, dass Eigenverantwortung und freiwillige Solidarität

[Liebich (PDS): Worthülsen!]

nicht nur wesentlich kostengünstiger sind, sondern vor allem zu einer weltoffenen und toleranten Gesellschaft führen, und zwar durch das Verantwortungsbewusstsein einer auf geistigen Werten aufbauenden bürgerlichen Gemeinschaft. Das ist unser Gegenmodell zu jenem linken Kollektivismus. Das ist die Vision einer menschlichen Stadt freier Bürger, die frei atmen möchten.

[Beifall bei der CDU – Heiterkeit bei der SPD, den Grünen und der PDS]

Dieses Modell unterscheidet uns von der PDS und vielleicht nicht ganz so deutlich, aber doch sehr grundsätzlich auch von den Sozialdemokraten und den alternativen Grünen.

Ich will Ihnen dies an einigen Beispielen verdeutlichen: Wir wollen junge Menschen in Berlin, die die besten Schulen und Hochschulen bekommen. Unser Vorschlag, die Freie Universität zu einer Stiftungsuniversität umzuwandeln, gewährt der Universität große Freiheit und Beweglichkeit und ermunter privates Engagement.

[Beifall bei der CDU]

Die Stiftungskultur ist in Berlin ohnehin viel zu gering ausgeprägt. Das ist eine Vision, mit der wir die Qualität von Forschung, Lehre, Wissenschaft und Technologie erheblich verbessern können.

Wir wollen mehr Chancen für die unterschiedlichen Begabungen und Lerntempi unserer Kinder. Auch hier hat die linke Seite immer noch ideologische Schwierigkeiten mit dem Elitenbegriff. Aber es sind nun einmal die Leistungsträger, die unser soziales Netz knüpfen.

[Cramer (Grüne): So wie Landowsky!]