Protokoll der Sitzung vom 28.06.2001

[Beifall bei der PDS]

Zweitens haben wir wirklich Probleme mit der Auffassung der Scholz-Kommission – ich spitze etwas zu –, dass die Hauptverwaltung gewissermaßen das Steuerungsorgan und die Bezirke das Vollzugsorgan sind und dass dort eingespart, dass dort gestrichen werden kann, dass dieses Aufgaben reduziert werden können. Ich denke, dazu zeichnet unsere Verfassung ein anderes Bild. Sie legt die staatlichen Hoheitsaufgaben fest und gibt dem Senat eine globale Steuerungsfunktion in gesamtstädtischen Aufgaben. Aber dann macht die Berliner Verfassung etwas, was vorbildlich ist – ich persönlich vertrete es immer in der Diskussion auch in anderen Landtagen, auch bei Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fraktionen –: die bezirkliche oder kommunale Zuständigkeitsvermutung. Aber die Realität in der Verteilung des Personals und der Personalkosten ist völlig dieser Verfassungslage entgegengesetzt. Zwei Drittel des Personals auf der Ebene der Hauptverwaltung, auf der Ebene der Bezirksverwaltung eine Fülle von Aufgaben. Bei der Aufgabenverlagerung aber sind völlig unzureichend personelle und finanzielle Ressourcen mitgegangen. Hier ist ein kritisches Überprüfen notwendig. Ganz wichtig ist es nicht nur, mit der Aufgabenverlagerung Personal und Finanzressourcen mitzugeben in die Bezirke; wir denken natürlich auch, dass es zunächst wichtig ist, mit der Verantwortung die Entscheidung mit zu liefern – in diesem Fall in die Bezirke.

Drittens glauben wir, dass die von der Scholz-Kommission geforderte politische und gesellschaftliche Debatte darüber in Gang kommen muss, was öffentliche Aufgaben sind und wer sie realisieren soll. Wir denken, dass dieses Debatte vom Kopf auf die Füße gestellt werden muss. Wir denken schon, dass bei der Bestimmung öffentlicher Aufgaben vom öffentlichem Bedarf und den gesellschaftlichen Bedürfnissen ausgegangen werden muss. Der Deutsche Städtetag fordert, und wir sollten dem folgen, dass öffentliche Aufgaben nicht schlechthin als Nachteilsausgleich betrachtet werden, sondern als Lebensqualität für alle und zugänglich für alle – so hat er es definiert, gerade kürzlich Anfang Mai auf der 31. Hauptversammlung des Deutschen Städtetages.

Und aus dieser Sicht sollte deutlich formuliert werden – und das haben wir auch am Anfang dieser Großen Anfrage als ein Manko festgestellt, was in der Senatsstellungnahme überhaupt nicht versucht wird –, was unter diesen Bedingungen unbedingt durch den Staat bzw. die Kommune realisiert werden muss, wo es unbedingt diese öffentliche Aufgabe in staatlicher oder in kommunaler Trägerschaft geben muss.

Wir meinen auch, dass die Kostenfrage eine wichtige Frage ist, wir haben uns auch damit beschäftigt, haben Wissenschaftler eingeladen, die seit langen Jahren zu diesen Fragen arbeiten. Die weisen darauf hin, ein reiner Kostenvergleich – das Projekt kostet in staatlicher Trägerschaft soundsoviel und in privater oder gesellschaftlicher soundsoviel – reicht nicht. Bei den Kosten gibt es eine zweite Gruppe von Kosten, die sich Transferkosten nennen in der wissenschaftlichen Debatte, die Auftragsvergabe, die Schaffung von Bedingungen, die Kontrolle, die Normensetzung, die Standards zu erarbeiten usw. Daraus entsteht bei glühenden Befürwortern der Privatisierung unter der Verwaltungswissenschaft zumindest die Vermutung, dass die Annahme „privat ist billig“ nicht in jedem Falle zutrifft, sondern dass eine staatliche bzw. kommunale Trägerschaft durchaus preiswerter sein könnte. Auch hier meinen wir, eine solche Diskussion um Entstaatlichung brauchen wir, aber sie sollte realistisch und solide geführt werden.

[Beifall bei der PDS]

Würden Sie zum Schluss kommen, Herr Kollege, bitte!

Ich würde gerne, Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis, noch einen Gedanken und einen Satz und eine Minute – darf ich?

[Heiterkeit bei der PDS und den Grünen – Wolf (PDS): Das macht er in der Fraktion auch immer so!]

Das schauen wir aber nach, das wird gestoppt.

Danke! – Weil Herr Senator Körting zu der ressortübergreifenden Folgenabschätzung und der Streichung der Vorschriftenflut sagt, seit seinem Studium wisse er das, und niemand mache konkrete Vorschläge: Die Senatsstellungnahme sagt ja grundsätzlich, klar, wir wollen es tun, die Senatskanzlei sei zuständig, sie solle das koordinieren. – Wir glauben, genau dieses Modell ist gescheitert, aber es wird immer wieder versucht. Die Verwaltung, ich sage einmal: die Ordnungsverwaltung, soll die Grundlagen ihres Handelns, die Verordnungen, die Gesetze usw. selbst einschränken und soll sie selbst evaluieren. Genau das ist in Berlin schon einmal gescheitert. Sie kennen diese Geschichte, die 2 500 Vorschriften, die über ein Jahr lang in den Senatsverwaltungen zur Disposition stand, und sieben wurden dann – ich glaube, es war Ende 1998 – zur Streichung vorgeschlagen. Genau das ist gescheitert. Es geht schon um das, was in der Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU, also des abgewählten Senats stand,

[Niedergesäß (CDU): Sie stützen den Senat?]

eine unabhängige Expertenkommisson zur Überprüfung dieser Gesetze und Vorschriften einzusetzen, die sich nicht die eigenen Beine wegzieht. Das wollte der alte Senat unmittelbar einsetzen nach der Wahl. Bis Ende des Jahres 2000 spätestens sollten die Ergebnisse vorliegen. Wir haben jetzt bald Ende 2001, und die Ergebnisse sind nicht da. Hier wäre sogar nach unserer Auffassung ein Anknüpfungspunkt der Kontinuität von der einen Koalition in die andere Koalition, das nun endlich zu tun. – Schönen Dank! [Beifall bei der PDS]

Danke schön, Herr Kollege Zotl! – Das Wort hat nun für die Fraktion der SPD Frau Flesch – bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die grundsätzlich positive Haltung der PDSFraktion zu dem ersten Zwischenbericht der Scholz-Kommission

[Zuruf des Abg. Hoff (PDS)]

kann ich nicht teilen.

[Niedergesäß (CDU): Jetzt schon dissonant!]

Die Erwartungen an die Kommission waren, als sie vom ehemaligen Senat eingerichtet wurde, sehr hoch. Aber sie wurden nach unserer Auffassung in diesem ersten Zwischenbericht nicht erfüllt. Vielmehr wurden dort in sehr allgemein gehaltener Form Thesen formuliert, die seit mindestens 25 Jahren in der gesamten Bundesrepublik und in noch ein paar anderen Ländern, die auch Verwaltungsreform betreiben, diskutiert werden. Nun ist es nicht schlecht, so etwas aufzuschreiben, aber dazu brauche ich keine mit solchen Koryphäen besetzte Kommission, um mir das einmal zusammenzusuchen, was überall schon diskutiert wurde. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich der Meinung, dass die wirklich interessante und wichtige Fragestellung die Definition eines Leitbildes einer öffentlichen Verwaltung ist. Ich will gar keine Vision Berlins, mir würde es ja in diesem Kontext schon reichen, wenn wir ein Leitbild für eine öffentliche Verwaltung entwickeln könnten. Zu Art, Maß und Umfang der Gewährleistung und Definition staatlicher Kernaufgaben im heutigen Gesellschaftsverständnis wurden keine Antworten gegeben. Das zu tun wurde der Senat aufgefordert. Da frage ich mich natürlich: Warum haben wir diese Kommission ernannt? Warum wurde sie eingesetzt? – Doch nur, um das zu tun, was der Senat meinte, von außen gemacht bekommen zu müssen, um das ganz vorsichtig auszudrücken.

Die Kommission hat in meinen Augen weder Aufgaben genannt, deren Wahrnehmung oder Durchführung verzichtbar wäre, noch hat sie einen Kriterienkatalog entwickelt, was eher ihre Aufgabe wäre, anhand dessen Senat und Verwaltung selber abarbeiten könnten, welches ihre Aufgaben sind. Herr Zotl hat auf die verschiedenen Kommissionen in der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und SPD hingewiesen. Ich glaube, dass die Kommission Staatsaufgabenkritik mit der Aufgabenkritik im engeren Sinne einfach überfordert ist. Was ich von ihr erwartet hätte, wären Kriterien, anhand deren andere sich abarbeiten können und schauen können: Will ich diese Aufgabe, weshalb nehme ich sie wahr, in welcher Form nehme ich sie wahr, kann ich sie durch andere wahrnehmen lassen, oder behalte ich es mir politisch vor, sie weiterhin selber auszuüben? – Ich bitte einfach die Mitglieder der Kommission um Nachsicht: Von dem ersten Zwischenbericht hatte ich persönlich mehr erwartet.

[Dr. Zotl (PDS): Wir auch!]

Auch anders als Sie finde ich, dass dieser erste Zwischenbericht von einem nicht ganz durchdachten Geist der Privatisierung voll durchzogen ist. Da kann ich nur sagen, den Einspareffekt dabei sehe ich so einfach nicht. Was nützt es mir, wenn ich völlig unreflektiert einzelne Aufgaben an Dritte vergebe und sie weiter bezahlen muss? Eine nachhaltige Einsparung, das sagten Sie auch, kann dadurch nicht erzielt werden.

Die SPD macht sich seit langem stark dafür, die öffentliche Verwaltung zu ertüchtigen und die tatsächlichen Kosten von Verwaltungsleistungen zu erfassen, die Verwaltung fit für den Wettbewerb zu machen und dann erst die Frage zu stellen, ob eine Aufgabenwahrnehmung durch Dritte nicht etwa ökonomischer oder sachgerechter wäre. Nebenbei, das sagten Sie auch, fehlen natürlich dazu, wenn ich solche Privatisierungen von noch öffentlichen Aufgaben mache, die äußeren Randbedingungen, das, was im nichtöffentlichen Bereich, in der Betriebswirtschaft vorhanden ist: Qualitätssicherungshandbücher, Zertifizierungen nach ISO 9 000 und anderes, also Handwerkszeug, um überhaupt mit solchen Aufgaben umgehen zu können. Meine Schlussfolgerung ist: Reine Privatisierungsideologie – „die anderen können es besser und preiswerter“ – löst unsere Haushaltskrise in keiner Weise.

[Beifall bei der PDS – Beifall der Frau Abg. Hämmerling (Grüne) – Sen Strieder: Das stimmt!]

(A) (C)

(B) (D)

Mich hat natürlich auch der Gedanke der Kommission entsetzt, dass durch massenhafte Verbeamtung von Angestellten nachhaltig Kosten gespart werden können. Das, meine Herren,

[Radebold (SPD): Und die Frauen?]

ist für mich ein Wechsel auf die Zukunft. Gerade um diese kurzsichtige Denkungsweise zu verändern, wollen wir ja einen Neuanfang in Berlin. Zukünftigen Generationen muss wieder ein Gestaltungsspielraum gegeben und nicht genommen werden, indem man ihnen Pensionslasten auferlegt.

Trotzdem gibt es in diesem Bericht auch bedenkenswerte Ansätze, das wurde uns ja vorgemacht in anderen Ländern, in Rheinland-Pfalz, Hamburg oder sonstwo: Facility Management, Neuordnung der Bauverwaltung.

[Zuruf des Abg. Molter (CDU)]

Das sind Beispiele, die zu strukturellen Kostensenkung, aber auch ganz wichtig und noch kaum vorhanden: zu Kostenbewusstsein führen. Wenn ich eine Verwaltung in einem landeseigenen Gebäude Miete und Bewirtschaftungskosten aus dem eigenen Budget zahlen lasse, könnte ich mir gut vorstellen, dass die Ideen über Raumbedarf und Lage der Gebäude sich flugs ändern könnten. Das, Herr Senator Körting, wäre etwas, das relativ kurzfristig umgesetzt werden könnte. Das Parlament, der Hauptausschuss haben darüber schon intensiv diskutiert. Ich glaube, da würde der Senat sehr offene Ohren finden, hier schnellstmöglich eine Lösung zu finden.

Trotzdem mir ist völlig klar, warum auch der alte Senat diese 50 Millionen DM, die er selber dummerweise eingestellt hatte für Personalkosteneinsparung, nicht aus diesem ersten Zwischenbericht heraus greifen konnte. Der Konkretisierungsgrad dessen war relativ gering.

Ganz anders sind die bislang bekannt gewordenen Teile des zu erwartenden zweiten Zwischenberichts. Dort sind Konkretisierungen da. Dort sind Handlungsempfehlungen da, nicht im Sinne einer Staatsaufgabenkritik, sondern im Sinne einer Verbesserung der Steuerung, einer Aufgabenkritik, also durchaus auf der Ebene, die umsetzbar ist und nicht jahrelange theoretische Diskussionen erfassen lässt. Hier kann man es dem Senat nur anraten, nicht große Prüfaufträge zu erteilen, sondern Zeitund Maßnahmepläne zu überlegen. Einzelne Positionen sind sehr strittig. Dazu nenne ich z. B. die Privatisierungen des Gewaltmonopols, wie es irgendeine Interessenvertretung von sich gegeben hat, was absoluter Blödsinn ist. Das steht nicht in dem Bericht und wäre auch von einem Professor Scholz nicht zu erwarten. Aber es sind bedenkenswerte Sachen drin, die man auch in einem Übergangssenat, der sich so versteht, schon anschieben könnte. Hier sollten wir darauf achten, dass das geschieht. Dieses Haus wird in seiner Mehrheit – wahrscheinlich sogar in einer großen Mehrheit – offen sein für Maßnahmen, die die Verwaltung verschlanken, Kostenbewusstsein heben, Kommunikations- und Steuerungsfähigkeit verbessern und dann auch noch nachhaltig Kosten sparen.

Zu dem Thema Aufgabenkritik/Verwaltungsvorschriften: Ich glaube nicht, dass eine Enquetekommission, dass eine Expertenkommission diese Aufgabe leisten kann. Es muss wie in der alten Abschichtungsarbeitsgemeinschaft anhand einzelner Aufgaben gleich mit ein Gesetzentwurf konkret erarbeitet werden, sonst diskutieren wir das Thema noch in 30 Jahren.

[Beifall bei der SPD]

Ein kurzes Wort noch zu dem Thema Beteiligungscontrolling: Es ist eine gute Idee, ein Beteiligungscontrolling bei der Wirtschaftsverwaltung anzusetzen. Ich sehe bloß noch kein Beteiligungscontrolling bei der Finanzverwaltung. Ich sehe im Moment ein reines Finanzcontrolling. Beteiligungscontrolling muss nach meiner Auffassung wesentlich mehr erfassen.

[Beifall der Abgn. Gaebler (SPD), Frau Matuschek (PDS) und Frau Werner (Grüne)]

Ich scheine jetzt die Einzige zu sein – Herr Zotl, es wundert mich doch –, die zu den Anträgen der PDS, die mit diesem Tagesordnungspunkt verbunden sind, zwei Worte sagen will –

auch nicht viel Neues, wissen wir, aber noch einmal die Bekräftigung dessen, was dieses Haus schon beschlossen hat. Ich kann dem Senat nur anraten, beim Beispiel der unteren Straßenverkehrsbehörde diesen Teil des Antrags durch tätiges Handeln entbehrlich zu machen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Eine weitere Dezentralisierung von Durchführungsaufgaben wird von uns weiterhin und immer gerne begrüßt.

Differenzierter sehen wir Besoldungsanhebungen. Ich vertrete die Philosophie: Wenn Leitungskräfte wirklich Führungskräfte im Sinne der Reform sind, wenn sie Fach- und Ressourcenverantwortung haben, wenn die Hierarchien verschlankt sind, dann muss wegen der neuen Aufgaben auch über die Besoldungsstruktur nachgedacht werden – dann erst! Solange es insbesondere in der Hauptverwaltung nur Türschildlösungen gibt, ist daran überhaupt nicht zu denken.

Auf die weiteren Anträge kann ich aus Zeitgründen leider nicht mehr eingehen.

[Krüger (PDS): Schade!]

Wir werden wahrscheinlich in dieser Wahlperiode wenig Gelegenheit haben, sie intensiv zu diskutieren, aber sie werden sie mit Sicherheit überdauern. – Ich danke für Ihre Geduld!

[Beifall bei der SPD und der PDS – Beifall der Frau Abg. Schmidt (Grüne)]

Danke schön, Frau Flesch! – Für die CDU-Fraktion hat nunmehr der Abgeordnete Brauner das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Expertenkommission Staatsaufgabenkritik hat und wird, wie ich das verstanden habe, auch in Zukunft die Aufgabe haben, nach Möglichkeiten zu suchen, wie die Verwaltung bürgerfreundlicher und insgesamt besser organisiert werden kann. Dabei liegt aus meiner Sicht und auch aus Sicht meiner Fraktion ein besonderer Schwerpunkt in der Optimierung der Verwaltung im Sinne eines Dienstleisters für den Bürger, denn der Bürger ist der eigentliche Kunde der Verwaltung.