Protokoll der Sitzung vom 09.03.2000

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 6. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste, unsere Zuhörer sehr herzlich zu unserer Sitzung.

Wie häufig, haben wir an diesem Tag ein Geburtstagskind. Heute möchten wir sehr herzlich H e r r n Wo l f g a n g W i e l a n d g r a t u l i e r e n und ihm alles Gute und einen erfolgreichen Geburtstag wünschen.

[Beifall]

Dennoch fahren wir in unserer Arbeit fort. Zunächst einige geschäftliche Anmerkungen:

Gleich zu Beginn unserer Sitzung teile ich Ihnen mit, dass am Dienstag der Ältestenrat endgültig darüber befunden hat, dass die I I. L e s u n g d e s H a u s h a l t s p l a n e n t w u r f s f ü r d a s H a u s h a l t s j a h r 2 0 0 0 nunmehr an einem Tage durchgeführt werden soll, und zwar am 1 3 A p r i l. Die Sitzung beginnt dafür bereits um 9.00 Uhr. Ich bitte, dies in Ihren Planungen zu berücksichtigen. Wir haben dafür nur einen Tag. – Und wir freuen uns, dass Herr Wieland einen Kaktus zum Geburtstag bekommen hat.

Am Montag sind zum gleichen Zeitpunkt drei A n t r ä g e a u f D u r c h f ü h r u n g e i n e r A k t u e l l e n S t u n d e eingegangen, und zwar:

1. Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der SPD zum Thema: „Erfolgreiche Berlinale im neuen Zentrum – Berlins Rolle als Kulturhauptstadt Deutschlands“,

2. Antrag der Fraktion der PDS zum Thema: „Soziale Wohnungspolitik als Opfer verfehlter Haushaltspolitik des Senats“,

3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „Die Berliner Schule in der Krise“.

Im Ältestenrat ist deutlich geworden, dass man sich wohl mehrheitlich auf das Thema der Fraktion der PDS verständigen kann. Dennoch hat die Fraktion der Grünen darum gebeten, mündlich die Aktualität ihres Themas begründen zu wollen. Hierzu rufe ich Herrn Mutlu auf. – Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehöre diesem Hause nicht so lange an wie die meisten hier im Saal. Umso mehr bin ich erstaunt und irritiert über die Art und Weise des Umgangs mit manchen Themen. Unsere Fraktion hat unter der Überschrift: „Die Berliner Schule in der Krise“ eine Aktuelle Stunde beantragt. Allerdings war die Mehrheit in diesem Haus leider der Meinung, dass dieses Thema zweitrangig sei. Scheinbar ist den Damen und Herren in diesem Hause nicht bekannt, dass am Samstag, den 11. März Tausende Eltern, Schülerinnen und Schüler, Kinder und Jugendliche auf den Straßen sein werden, um ihrem Unmut über die bildungspolitische Misere, in der diese Stadt seit Jahren steckt, Ausdruck zu verleihen. Scheinbar ist nicht bekannt, in welcher Situation sich die Berliner Schule insgesamt befindet. Anders ist der Umgang mit diesem Thema aus meiner Sicht nicht zu erklären.

Warum dieses Thema so aktuell ist, erklärt sich ganz einfach: Wir befinden uns inmitten der Haushaltsberatungen und wissen, welche Vorschläge die Senatsschulverwaltung für den Schuletat vorgelegt hat.

Zum einen ist da die Erhöhung der Wochenarbeitszeit der Lehrerinnen und Lehrer um eine Stunde, um das Fehlen der Stellen von etwa 1 600 Stellen auszugleichen. Der Senat hat ohne vorhergehende Absprache mit den Lehrerverbänden diese extrem kontraproduktive Maßnahme beschlossen und aus unserer Sicht damit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: erstens die Erhöhung der Belastung der Berliner Lehrerschaft, die nicht gerade die Jüngsten sind,

[Niedergesäß (CDU): Na, na!]

zweitens die Verjüngung der Berliner Lehrerschaft verhindert und damit nicht nur die Qualitätsverbesserung unterbunden.

Zum anderen ist da die Reduzierung der Lehrmittel im Berufsschulbereich. Wir sehen dies als einen Einstieg in den Ausstieg in Sachen Lehrmittelfreiheit.

Vom baulichen Zustand der Schulen möchte ich gar nicht anfangen. Jeder im Saal weiß, dass wir mit jährlich 100 Millionen DM in dieser Frage nicht weiterkommen.

Aus diesen Gründen ist das Thema aktueller denn je. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, mit welchen Schlagworten die Parteien der großen Koalition vor dem Wahlkampf ins Rennen gegangen sind. Am besten war der Spruch der SPD: „Mehr Mäuse für Schulen“. Heute heißt es: „Was juckt mich mein Geschwätz von gestern?“ – Aber warum so weit in die Vergangenheit gehen? Herr Wowereit, der gerade telefoniert, hat am 15. Dezember in der „Berliner Zeitung“ etwas von sich gegeben, was ich zitieren möchte:

Ausgeschlossen ist kein Ressort außer dem Schulressort. 30 456 Lehrerstellen sind mit der CDU fest vereinbart, um die Unterrichtsversorgung abzudecken. Da kann man keinen Sparbeitrag leisten.

Herr Böger als zuständiger Schulsenator hat dies am 5. Januar im „Tagesspiegel“ nochmals bestätigt. Natürlich können Sie sich als Haushaltsexperte auch zurücklehnen und erzählen, in welcher Finanzsituation diese Stadt steckt, die ganz überraschend und völlig unerwartet über die Stadt kam. Allerdings dürfen Sie nicht vergessen, welchen Schaden Sie damit verursachen. Sie schaden mit derartigem Verhalten nicht nur Ihrer eigenen Partei – schließlich hat der Wahlausgang am 10. Oktober 1999 einen Grund –, Sie schaden damit auch der Demokratie. Können Sie sich vorstellen, welchen verheerenden Eindruck Kinder und Jugendliche von einer Demokratie bekommen, die an ihren Zukunftschancen spart? Können Sie sich vorstellen, welchen Eindruck junge Menschen von Politikern und von Politik insgesamt bekommen, wenn Parteienvertreterinnen und -vertreter sich nach den Wahlen stets anders verhalten, als sie im Wahlkampf versprechen? – Dieses Thema ist aktueller denn je.

In dieser Stadt wurden – um ein paar Zahlen zu nennen – seit 1996 etwa 4 000 Lehrerstellen eingespart. Die Ausfallrate an den Schulen beträgt 8 %, das entspricht ungefähr 2 500 Stellen. Diese Stellen stehen für den Unterricht nicht zur Verfügung. Die Krankheitsrate hat sich im vergangenen Jahr von 2 auf 3 % erhöht. Der Unterrichtsausfall nimmt dramatische Zustände an, und an manchen Schulen fehlen bis zu 10 % der Lehrerinnen und Lehrer.

Ich könnte diese Liste fortsetzen. Wir sind allerdings an einem Punkt angekommen, wo der Bundeskanzler höchstpersönlich bei der Eröffnung der CeBIT um Intelligenz aus dem Ausland geworben hat. Ich kann nur feststellen: Dieses Land hat einst Zeiten erlebt, in denen Intelligenz in das Ausland exportiert wurde. Dass diese Zeiten sich verändert haben, ist das Resultat der Bildungspolitik der vergangenen 20 Jahre – und Sie möchten hier nicht über den Zustand der Berliner Schule sprechen. Und Sie möchten nicht darüber sprechen, wie eine vernünftige, zukunftsorientierte Prioritätensetzung in der Finanzpolitik vorgenommen werden soll. Als Bildungspolitiker bedauere ich, wie mit diesem Thema hier umgegangen wird. Ich kann nur an die Berlinerinnen und Berliner und an Sie alle hier im Saal appellieren, am 11. März mit den Eltern und mit den Schülern auf die Straße gehen, um ihnen Ihre Solidarität zu zeigen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Vielen Dank, Herr Mutlu! – Möchten die anderen Fraktionen zu ihrem Antrag zur Aktuellen Stunde sprechen? – Das sehe ich nicht. Ich lasse dann über die Aktuelle Stunde abstimmen. Wer dem Antrag der PDS seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Stimmenthaltungen? – Gegenstimmen? – Das Erste war die Wahrheit.

[Heiterkeit bei den Grünen]

(A) (C)

(B) (D)

Vizepräsident Dr. Luther

Das Erste war die Mehrheit – natürlich. Das ist dann so beschlossen, und die anderen Anträge haben damit ihre Erledigung gefunden.

Vorsorglich hat man sich im Ältestenrat darauf verständigt, dass diese Aktuelle Stunde auf Antrag der PDS gemeinsam mit

der Großen Anfrage der PDS und der laufenden Nr. 14 verbunden wird. Die Regularien werde ich Ihnen dann bei Aufrufen dieses Tagesordnungspunktes mitteilen.

Schließlich weise ich Sie wieder auf die Ihnen vorliegende K o n s e n s l i s t e :

Der Ältestenrat empfiehlt, nachstehende Tagesordnungspunkte ohne Aussprache wie folgt zu behandeln:

TOP 3 14/200 Sechsundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für Berlin bereits vorab an JugFamSchulSport

TOP 4 14/201 Neuntes Gesetz zur Änderung des Lehrerbildungsgesetzes bereits vorab an JugFamSchulSport (f) u. WissForsch

TOP 8 14/34 Wahl von fünf Personen zu Mitgliedern des Stiftungsrates der Jugendund Familienstiftung des Landes Berlin vertagt

TOP 18 14/207 Gläserne Parteikassen in Berlin abgelehnt

TOP 19 14/210 Berliner Naturschutz im neuen Jahrzehnt (2): Europäische Erwartungen an unsere Stadt abgelehnt

TOP 21 14/212 Gesicherte Zukunft für Schulstationen angenommen

TOP 23 a) 14/208 Erlass einer Verordnung zur Einführung eines „Hundeführerscheins“ an GesSozMi (f), InnSichO u. Haupt

b) 14/209 Bundesratsinitiative zum Erlass einer bundesweiten Verordnung zur Einführung eines „Hundeführerscheins“ an GesSozMi (f), InnSichO u. Haupt

TOP 24 14/220 Europaweiter autofeier Tag am 22. September 2000 an StadtUm (f), BauWohnV u. Haupt

TOP 25 14/208 Planfeststellungsverfahren für die Straßenbahnstrecke zwischen S-Bahnhof Schöneweide und U-Bahnhof Zwickauer Damm an BauWohnV

TOP 27 14/223 Verlängerung des Schutzstatus von Kleingartenflächen im Flächennutzungsplan an StadtUm u. Haupt

TOP 28 14/224 Einbeziehung des Landesarbeitsamtes, der Sozialpartner, des Rates der Bürgermeister und Trägerverbünde in die Novellierung des Arbeitsmarktpolitischen Rahmenprogramms

an ArbBFrau

TOP 23 a) 14/227 Bürgerforum Spreeinsel gestalten (1): Info-Box als Ort der demokratischen Debatte auf dem Schlossplatz aufstellen an StadtUm

b) 14/228 Bürgerforum Spreeinsel gestalten (2): Gewölbe unter dem ehemaligen Nationaldenkmal am Spreekanal für die Öffentlichkeit zugänglich machen

an StadtUm

TOP 30 14/229 Resozialisierung nichtdeutscher Strafgefangener ohne Arbeitsgenehmigung auch durch Zulassung zum Freigang zum Zwecke der Aufnahme einer unselbständigen Tätigkeit

an Recht