Protokoll der Sitzung vom 29.03.2000

Es ist das Problem des Koalitionspartners CDU, einen geeigneten Nachfolger zu präsentieren. Wir hoffen, dass jemand ausgewählt wird, der in der Lage ist, die großen Probleme zu bewältigen. Dass es schwierige Probleme in der Stadt gibt und dass es keine Senatorenämter gibt, mit denen man sich einen schönen Tag machen kann, etwas eröffnet und nur Gutes tut, ist seit langem bekannt. Es gibt kein Ressort, das einfach zu führen ist, wo man nicht strukturell arbeiten muss und wo man keine Schwierigkeiten hat. Das ist die Anforderung an jedes Senatsmitglied, aber auch an das Parlament. Auch wir haben es nicht mehr so leicht in den Bürgerversammlungen, den Menschen in dieser Stadt zu sagen, dass bei den finanziellen Verhältnissen nicht mehr alles so weiter geht, sondern dass wir strukturell etwas ändern müssen. Wir müssen auch mal sagen, ein Projekt kann nicht mehr weitergeführt werden. Das macht keinen Spaß und ist keine Frage von Opposition oder Koalition, sondern eine Frage von Notwendigkeit der Zukunftsgestaltung in dieser Stadt.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Wer glaubt, dass er 2 Milliarden DM, wie wir alle beschlossen haben, in dieser Legislaturperiode absenken kann, ohne dass es jemand in dieser Stadt merkt? Wer glaubt denn, dass in einem Senatsressort, egal wie es heißt, keine Strukturmaßnahmen durchgeführt werden müssen? Das, was Herr Böger gemacht hat, hat er nicht getan, um jemanden zu ärgern. Es ist kein Vergnügen, 40 000 Menschen in dieser Stadt auf der Straße zu haben, die gegen den Senat und einen einzelnen Senator demonstrieren. Trotzdem war es notwendig, und Strukturreformen müssen im Interesse der Sache durchgeführt werden, auch wenn es unangenehm ist.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Auf der anderen Seite macht die Diskussion im Unterausschuss Theater und über den unterfinanzierten – oder vielleicht auch nicht unterfinanzierten – Kulturbereich deutlich, dass das Aussitzen von Problemen nichts hilft.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Sich nur dadurch zu retten – das sage ich auch an meinen hochgeschätzten Kollegen Radunski –, einfach Bemühenszusagen zu geben, hilft auch nicht. Dabei muss ich sagen, dass diese Bemühenszusagen durch den Senat gegangen sind,

[Frau Künast (Grüne): Wer sitzt denn da?]

denn es waren immer Briefe, die an dem Intendantenvertrag hingen. Dieses System hilft nicht weiter, sondern führt zur Enttäuschung von Intendanten. Ich habe großes Verständnis, wenn der Selbstdarsteller Peymann auch gestern wieder im Fernsehen sagt, ich habe die Zusage für 26,5 Millionen DM bekommen, und es ist für mich kein Problem, ich komme damit aus. Aber er sagt natürlich, er will sie auch haben. Leider hat das Parlament aber nur 21 Millionen DM bewilligt, und zwar über 4 Jahre. Den Rest hat ihm der ehemalige Senator Radunski versprochen, und das fordert Peymann jetzt ein. Das fordert er nicht mehr von Radunski, sondern von uns, dem Parlament ein, weil weder der neue Senator oder die neue Senatorin es geben können, sondern wir müssen es geben, und dann müssen wir auch sagen, woher es kommt.

[Frau Künast (Grüne): Das ist doch eine Rede über das SPD-Versagen!]

Kultur in der Krise oder nicht in der Krise? – Wir lesen Gott sei Dank, dass die Häuser im Theaterbereich steigende Besucherzahlen haben. Das ist auch gut so. Es ist neu, was am Berliner Ensemble passiert. Da war in den letzten Jahren eine Agonie. Wir freuen uns darüber, dass dort neuer Wind hinein gekommen ist und die Menschen mittlerweile Schlange stehen, um Karten zu bekommen. Das, was Ostermeier und seine Truppe an der Schaubühne machen, ist innovatives Theater. Man kann zu der einzelnen Aufführung stehen, wie man will, aber die Leute gehen hin, und es ist gut so, dass dieses Kulturangebot in der Stadt angenommen wird.

Berlin muss einen Schwerpunkt seiner Politik in den Kulturbereich legen. Das ist selbstverständlich. Wir sind eine Metropole, wir haben die blühendste Kulturlandschaft in dieser Republik, und diese muss gehegt und gepflegt werden. Dazu gibt es keine Alternative.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Kultur darf und muss auch Geld kosten, das ist selbstverständlich. Ich will, das sich Menschen in dieser Stadt ein Eintrittsbillett leisten können. Es muss nicht so wie in Paris sein, dass ich 250 DM für eine schlechte Karte bezahlen muss. Ich möchte auch, dass ein Student und jemand, der ein geringes Einkommen hat, sich erlauben kann, wenn er Opernfreund ist, in die Oper zu gehen. Deshalb sind da auch Grenzen gesetzt, und das bedeutet eine staatliche Finanzierung.

Einerseits stellen wir fest, dass einige Häuser kein Geld haben, andererseits sehen wir, dass doch viel Geld da ist. Wir müssen nur auf den Martin-Gropius-Bau sehen. Da wird demnächst eine Ausstellung eröffnet, die „Über den sieben Hügeln“ heißt. Sie kostet 29 Millionen DM an Zuschuss, die die Lotto-Stiftung gibt – 29 Millionen DM für eine Ausstellung!

[Frau Ströver (Grüne): Ja, für vier Monate!]

Ich denke, das ist fast unglaublich. Als ich es neulich wieder gelesen habe, dachte ich, es kann nicht wahr sein – 29 Millionen DM für eine Ausstellung. So ganz arm kann diese Kulturlandschaft in Berlin nicht sein, wenn wir uns das leisten können. Da müssen wir auch mal sehen, dass dort Mittel aufgewendet werden, die im normalen Kulturetat nicht auftauchen.

[Cramer (Grüne): Setzen Sie sich doch mal mit Landowsky darüber auseinander!]

Das werden Sie schon sehen, wie wir uns auseinandersetzen, aber im konstruktiven Sinne, nicht so, wie Sie das gern hätten!

[Beifall bei der SPD und der CDU – Zuruf des Abg. Cramer (Grüne)]

Lieber Herr Cramer, ich habe ja manchmal Schwierigkeiten mit den Reden von Herrn Landowsky in diesem Hause gehabt. Heute konnte ich bei jeder Passage klatschen.

[Beifall bei der CDU – Ah! bei der PDS und den Grünen]

Das tut uns Leid, dass Sie es gern immer im Streit hätten, aber das werden Sie so schnell bei uns jetzt nicht erleben.

[Wieland (Grüne): Dafür können Sie Barenboim wegbeißen!]

Ach ja, mein lieber Herr Wieland, Sie müssen offensichtlich ein Barenboim-Syndrom haben. Dann darf ich Ihnen mal etwas dazu sagen, wie das zu interpretieren ist. Auf die Frage, ob man der Staatsoper 10 Millionen DM mehr geben kann, habe ich gesagt, das sehe ich bei der Haushaltslage nicht, und selbst, wenn wir 10 Millionen DM hätten, würde ich es eher für dezentrale Kulturarbeit, für neue Projekte, für Initiativen ausgeben, als es in die Staatsoper zu stecken.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Das war bislang auch die Position der Grünen.

[Wieland (Grüne): Darum geht es nicht!]

Dann fragte mich jemand: Dann riskieren Sie, dass Herr Barenboim weggeht? – Da habe ich gesagt: Dann muss ich das riskieren.

[Wieland (Grüne): Nein: Dann soll er gehen!]

Dazu stehe ich auch. Das hat nichts damit zu tun, lieber Herr Wieland, dass ich als Fraktionsvorsitzender noch etwas lernen muss, sondern es ist meine tiefste Überzeugung. Ich möchte, dass Herr Barenboim in der Stadt bleibt und die Staatsoper weiterhin zum Erfolg führt. Aber ich sage eines, und das ist eine Grundbedingung: Peymann hat es gestern anders gesehen und gesagt, 90 Millionen DM, was ist das? Ich mache Kultur. Da gibt es so ein paar Heinis im Abgeordnetenhaus, die machen Politik. Kultur bestimmt selbst, was es kosten darf und wieviel sie ausgeben darf. – Dieses System kann in einer Demokratie nicht klappen.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Wir mischen uns nicht in die künstlerische Freiheit der Häuser ein. Was sie inhaltlich auf die Bühne bringen, ist Sache der Künstler, da hat Politik nichts zu sagen. Wie die Häuser sich selbst verwalten, da will ich auch nicht mitreden. Ob Herr Castorf 15 DM als durchschnittlichen Eintrittspreis nimmt oder am Deutschen Theater 50 DM genommen werden, das sollen die Häuser selbst entscheiden. Ob ich einem Dirigenten 1 Million DM bezahle wie in Berlin oder wie in München 2 Millionen DM, das ist für mich keine Diskussion, dass soll kulturpolitisch oder kulturell in den Häusern entschieden werden. Aber eines können wir alle miteinander uns nicht gefallen lassen: dass außerhalb des Parlaments, des Gesetzgebers, des Haushalts einzelne Institutionen selbst bestimmen, wie sie ihre Etats überziehen dürfen.

[Beifall bei der SPD, der CDU und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Das kann nicht hingenommen werden. Das gilt für soziale wie für kulturelle Einrichtungen. Das wird zunehmend im Fall der Budgetierung und der Kosten-Leistungsrechnung für alle Bereiche ein ganz großes Problem für dieses Haus werden. Wir werden Haushaltsberatungen anders machen müssen. Wir müssen den Häusern den Freiraum geben, auch durch Rechtsformänderungen. Ich habe nichts dagegen, wenn wir sagen, eine Rechtsformänderung hilft etwas. Ich glaube noch nicht mal, dass es etwas helfen wird, aber da bin ich ganz offen. Aber das bedeutet auch, dass wir Kontrollmechanismen brauchen, wo wir nicht über

jedes Detail reden, aber über die Gesamtheit der Ausgaben. Dieses Kontrollrecht kann nur das Parlament ausüben. Deshalb sollten wir bei allen Widerständen und Gegensätzen, die wir hier haben, vorsichtig sein, dass wir das nicht in Frage stellen. Wir haben die Gesamtverantwortung für diese Stadt, und das muss, so bitter es auch für den einzelnen Künstler sein mag, auch für die Kultur gelten. Das sage ich als jemand, der in meiner Fraktion eher dafür verschrieen ist, den Kulturetat abzuschotten.

[Beifall des Abg. Wieland (SPD)]

Wir haben nicht darüber diskutiert, etwas zu streichen. Wir diskutieren mit den Häusern darüber, dass sie nach 20 Millionen DM mehr, die in diesem Jahr hineingegeben wurden, mit den Ansätzen auskommen müssen. Es ist eine ganz andere Diskussion, die wir in allen anderen Bereichen antreffen; da diskutieren wir über 100 000 DM Schülereintrittskarten, die gestrichen werden sollen, weil wir das Geld nicht haben. Auf der anderen Seite sollen wir dann akzeptieren, dass ein großes Haus, das mit den eigenen Einnahmen 100 Millionen DM zur Verfügung hat, einfach sagt, wir geben 8 oder 9 Millionen DM mehr aus. Da stimmt die Relation nicht mehr. Darum geht es mir und nicht darum, einen Künstler in seiner Freiheit zu beeinträchtigen.

Zur Hauptstadtkulturförderung: Der Kollege Landowsky hat es jetzt leicht, weil es eine SPD-Grüne-geführte Bundesregierung ist, auf den Bund zu schimpfen. Aber ich sage auch als Sozialdemokrat – und das haben wir auch bei einer CDUBundesregierung gesagt –, die 100 Millionen DM Hauptstadtkulturfördermittel sind für Berlin nicht genug. Bonn hat 130 Millionen DM bekommen, und es wäre angemessen, wenn Berlin 150 Millionen DM für die großen Aufgaben bekäme, die diese Stadt zu leisten hat.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Ich habe mich auch geärgert, auch in einer Diskussion beim Deutschen Theater mit Herrn Nevermann, dass der Bund so tut, als ob er bei den 100 Millionen DM auch einmal sagen kann, er bestimmt über alles mit in dieser Stadt. Das ist nicht akzeptabel. Auf der anderen Seite ist der Streit auch nicht akzeptabel. Es ist doch ein Leichtes, die wenigen Millionen dort zu verteilen. Da gibt es keinen Ideologiestreit. Selbstverständlich ist das Jüdische Museum eine Einrichtung nationaler Bedeutung. Die soll der Bund übernehmen. Da geben wir auch gar nichts ab. Da tun wir uns auch im Sinne der Kulturhoheit der Länder überhaupt gar nichts an. Selbstverständlich sind die Vorschläge, die Herr Wolf gemacht hat, dort vernünftig – aus meiner Sicht – und zu überprüfen, die Gedenkstätten beispielsweise dort mit hineinzugeben. Das Schlimmste ist, wenn wir in der Stadt eine Situation haben, wo uns die Institutionen ausspielen können, auf der einen Seite Bund, auf der anderen Seite Berlin, und immer ein Dauerstreit entsteht.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Hier müssen klare Verhältnisse her, und das kann man auch nachweisen. Dann wäre das auch vernünftig.

Wir haben zur Lösung der Probleme Vorschläge gemacht. Deshalb sind Ihre Vorschläge, Frau Ströver, die Sie hier gebracht haben, gar nichts Neues. Der Unterausschuss Theater hat schon beschlossen:

Die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur legt bis zum 30. Juni 2000 einen Bericht über die Einleitung struktureller Maßnahmen vor, wobei die Einrichtung eines Stellenpools und eines Abfindungsfonds, die Zusammenlegung von Verwaltungsbereichen und Werkstätten, andere Kooperationsmöglichkeiten und Ausgliederung sowie Änderung der Rechtsform und tarifvertraglicher Regelungen zu prüfen sind.

[Zurufe von den Grünen]

Das haben wir schon längst beschlossen. Und das ist auch der richtige Weg. Wir brauchen diese Strukturveränderung.

[Frau Künast (Grüne): Es geht darum, etwas zu tun und nicht einen Beschluss zu fassen, der wieder nicht realisiert wird!]