Protokoll der Sitzung vom 13.04.2000

[Beifall bei der PDS]

Aber man kann nicht sagen, dass Ihnen alle Neuerungen zuwider sind. Zum Beispiel wollen Sie mehr Geld für die Staatssekretäre. Diese Besoldungserhöhung wird eine Lawine weiterer Stellenanhebungen auslösen. Ihre Begründung für dieses Projekt finde ich schon bemerkenswert: Berlin muss seinen politischen Führungskräften mehr Geld zahlen, weil die sonst in die private Wirtschaft oder in besser dotierte Verwaltungsjobs in anderen Bundesländern entfleuchen. Wir fragen besorgt: Steht eine Massenflucht von Staatssekretären nach Brandenburg bevor? Werden etwa Fachkräfte wie Volker Liepelt demnächst von Infineon abgeworben?

[Heiterkeit und Beifall bei der PDS und den Grünen]

Die PDS findet, dass eine solche Besoldungserhöhung überflüssig ist wie ein Kropf. Gemessen an der Art, wie Sie regieren, bekommen Sie nicht zu viel Geld. Da müssten Sie wohl eher noch jeden Monat etwas zurückgeben. Das gilt vor allen Dingen auch für die Mitglieder des Senats, die hier kaum anwesend sind.

[Gram (CDU): Bei der Rede kein Wunder!]

Wahrscheinlich fahren Sie mit Eberhard Diepgen U 5 gegen den Stillstand.

[Heiterkeit und Beifall bei der PDS und den Grünen]

Herr Werthebach, wie Sie merken, versuchen wir, Sie zu verstehen. Ich glaube, Sie verstehen sich selbst mehr als Polizeisenator denn als Senator der Reform des öffentlichen Dienstes. Ohne Polizei, so führten Sie einmal in diesem Hohen Hause aus, sei alles andere nichts.

[Bm Dr. Werthebach: Ohne Sicherheit!]

Und Ihr neuer Polizeivizepräsident sekundierte unlängst mit der Bemerkung, dass sich die Menschen nicht in Staaten zusammengeschlossen hätten, um Theater oder Kindertagesstätten zu betreiben, sondern um sich des Schutzes der Polizei zu versichern. [Heiterkeit bei der PDS]

Das sind wohl Ihre Visionen. Aber unter den Bedingungen der Haushaltskrise heißt das doch nichts anderes als: Alle anderen sollen sparen, nur die Polizei nicht. – Das heißt also, eine Polizei auf Kosten von Theatern und Kitas zu unterhalten.

An dieser Stelle möchte ich auch mit einer Legende aufräumen. Sie zeichnen gerne das Bild einer chronisch unterfinanzierten Polizeibehörde. Aber Berlin gibt in diesem Jahr immerhin 135 Millionen DM mehr für die Polizei aus als 1999. Berlin liegt bei den Pro-Kopf-Ausgaben für die Polizei vor allen anderen Bundesländern, die dafür mehr für Kultur und Bildung ausgeben und andere Fragen, die offensichtlich nicht mehr in den Bereich der Hoheitsaufgaben, der Staatlichkeit fallen. In den beiden anderen Stadtstaaten Hamburg und Bremen werden pro Schüler fast 10 000 DM ausgegeben, in Berlin 7 800 DM. Dafür liegt Berlin mit seinen Pro-Kopf-Ausgaben für die Polizei um satte 250 % über dem Bundesdurchschnitt. Aber das ist nicht nur ein Problem des Haushalts, sondern es ist auch ein Problem, dass mit den erheblichen Aufwendungen zu wenig für die Dienstbedingungen der Schutz- und Kriminalpolizisten getan wird. Sie werden trotz der gestiegenen Aufwendungen nicht besser. Es wäre mit diesem Haushalt durchaus möglich gewesen, die Ausstattung z. B. mit Schutzwesten zu verbessern, aber die Koalition hat den entsprechenden Antrag abgelehnt. Und es ist auch möglich, etwas gegen die anschwellende Zahl von Überstunden zu tun, wenn Dienstabläufe reformiert werden, wie z. B. das Schichtsystem, und wenn bei Demos und Kundgebungen auf Deeskalation statt auf Eskalation gesetzt wird.

[Beifall bei der PDS]

Viele Belastungen in der Polizei haben sehr viel mit einer defekten politischen Führung, einer kampagnenhaften Sicherheitspolitik und nicht in erster Linie mit einem Mangel an Geld zu tun. Sie sind auf eine Politik zurückzuführen, die die Polizisten in dieser Stadt mehr und mehr zu Ausputzern sozialer Probleme degradiert.

Die PDS unterstützt eine Polizeistrukturreform und eine verstärkte Integration der Schutzpolizei in die Kriminalitätsbekämpfung. Das bestehende Fünfsäulenmodell der Polizeibehörde hat sich überlebt. Der Polizei kommt nach unserem Verständnis die Rolle einer zivilen Ordnungsmacht zu, die sich strikt am Prinzip der Gefahrenabwehr orientiert. Daher setzen wir auch nicht auf die Ausdehnung polizeilicher Eingriffsbefugnisse und den Ausbau des Sicherheitsapparates, sondern auf eine Strategie der Kriminalitätsvermeidung. Wir halten einen grundlegenden Umbau der Polizeistruktur für nötig, um die Sicherheit in den Kiezen zu erhöhen, die Polizei von sachfremden Aufgaben zu entlasten. Dazu gehört auch eine verbesserte Ausstattung mit Kommunikations- und Informationstechnik.

Die Kriminalitätsentwicklung in Berlin hat nunmehr seit mehreren Jahren eine rückläufige Tendenz. Namentlich bei Kfz-Diebstählen, beim Ladendiebstahl, bei Wohnungs- und Laubeneinbrüchen haben wir den niedrigsten Stand seit der deutschen Einheit. Die Kriminalitätsentwicklung kann daher auch nicht als Hilfsargument herangezogen werden, wenn es darum geht, den Sicherheitsapparat in dieser Stadt auszubauen und populistisch die Kriminalitätsfurcht der Bürgerinnen und Bürger zu schüren. In

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Krüger, Marian

diesem Zusammenhang möchte ich eines betonen: Die PDS hält eine Innen- und Rechtspolitik nach dem Prinzip: „Sicherheit im Austausch gegen Freiheit“ grundsätzlich für inakzeptabel und für gefährlich.

Und um Sie noch einmal persönlich anzusprechen, Herr Innensenator: Wir werden es nicht zulassen, dass in dieser Stadt unter der falschen Flagge der Kriminalitäts- und Rechtsextremismusbekämpfung die Bürgerrechte wie z. B. die Demonstrationsfreiheit auf ein Niveau gedrückt werden, wie wir es zuletzt in der DDR besichtigen konnten.

[Beifall bei der PDS – Oh! von der CDU – Gram (CDU) Das ist ja nicht zu glauben! Ihre Vopos haben die Menschen zusammengeprügelt!]

Das Wort hat nun der Herr Abgeordnete Gewalt!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Krüger! Es ist schon ein Stück aus dem Tollhaus,

[Heiterkeit bei der PDS]

wenn von der PDS die Vorstellungen der Union zum Versammlungsrecht kritisiert werden – von einer Partei, die am 17. Juni Demonstrationen mit Panzern auseinandergetrieben hat.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der PDS – Gram (CDU): Echt, das ist nicht zu fassen! – Doering (PDS): Da sind Sie falsch informiert: Das war keine Polizei!]

Da wäre vielleicht ein klein wenig Zurückhaltung angemessener gewesen.

Der Schutz der Bürgerinnen und Bürger Berlins vor Kriminalität – kurz: die innere Sicherheit – ist und bleibt die Kernaufgabe des Staates im Lande Berlin. Deshalb sind wir – die Opposition möge uns das verzeihen – hier wenig kompromissbereit. Bei den Haushaltsberatungen haben wir deutlich gemacht, dass die Polizei, aber auch die Justiz nicht gleichberechtigt neben anderen Politikfeldern stehen. Gerade in Zeiten knapper Kassen muss die Politik den Mut haben, Prioritäten zu setzen. Für uns, die CDU, ist der Schutz der Bürgerinnen und Bürger an erster Stelle zu nennen, für uns hat die innere Sicherheit absolute Priorität.

[Beifall bei der CDU – Wieland (Grüne): Lächerlich!]

Insofern, Herr Kollege Wieland, sind wir auch erleichtert, dass es gelungen ist, Feuerwehr und Polizei im Haushalt 2000 von Sparmaßnahmen so weit als möglich auszunehmen.

[Wieland (Grüne): Das stimmt doch gar nicht!]

Entgegen anderslautenden Parolen, Herr Kollege Wieland, wird es weder bei der Feuerwehr noch bei der Polizei im Saldo Personaleinsparungen geben. Schauen Sie sich den Haushalt an! In Anbetracht der Tatsache, dass die Haushaltsprobleme uns zwingen, im Land Berlin mehr als 4 000 Stellen im öffentlichen Dienst abzubauen, ist dieses im Bereich der inneren Sicherheit eine bemerkenswerte Leistung.

[Beifall bei der CDU – Beifall der Frau Abg. Fischer (SPD)]

Besonders problematisch waren in den vergangenen fünf Jahren – wir erinnern uns daran – die Kürzungen bei der Ausstattung und der baulichen Unterhaltung der Berliner Polizei. Hier wird es in diesem Jahr erstmals – sogar die PDS hat dieses hervorgehoben – eine Trendwende geben. So ermöglicht z. B. die Erhöhung des Titels „Bauliche Unterhaltung“ von 44,5 Millionen DM auf 60 Millionen DM erstmals wieder notwendige Instandsetzungsmaßnahmen bei Polizeidienstgebäuden. Die Polizeidienststelle in der Kruppstraße – um ein Beispiel zu nennen –, die man nach Wassereinbrüchen zu Recht nur noch als Tropfsteinhöhle bezeichnen konnte, wird endlich saniert. Es wurde auch Zeit.

[Beifall bei der CDU – Beifall der Frau Abg. Fischer (SPD)]

Bei allen Haushaltsproblemen darf man aber nicht den Blick für die Strukturen und die Gesetzesgrundlagen der polizeilichen Arbeit verlieren. Die Anpassung des Berliner Polizeirechts an die

Notwendigkeiten einer modernen Kriminalitätsbekämpfung stehen für uns im Vordergrund. Begonnen haben wir in der letzten Legislaturperiode – unter lebhaften Protesten der Opposition, wie ich mich noch erinnern kann –

[Wieland (Grüne): Allerdings! Die Schleierfahndung haben Sie eingeführt!]

mit der Aufnahme von lagebildabhängigen Kontrollen und der Ermöglichung des so genannten Aufenthaltsverbots für potentielle Straftäter an gefährlichen Orten. Wir werden dies fortsetzen mit einem Gesetzesentwurf zur Videoüberwachung gefährdeter öffentlicher Objekte.

[Zuruf des Abg. Krüger (PDS)]

Ich mache keinen Hehl daraus, dass wir hier ein Mehr nach dem Vorbild vieler anderer Bundesländer gewünscht haben.

[Wieland (Grüne): Gescheitert sind Sie!]

Das gilt auch für die Ermöglichung eines längerfristigen Unterbindungsgewahrsams und die Schaffung einer tauglichen rechtlichen Grundlage für den finalen Rettungsschuss, um Opfer bei Geiselnahmen besser schützen zu können. Auch wenn der Koalitionspartner hier nach wie vor Bedenken hat, bin ich der festen Überzeugung, dass die Entwicklung bei der Kriminalität uns in den nächsten Jahren – ich füge hinzu: leider – Recht geben wird.

Polizei und Justiz – auch wenn der eine oder andere Mitarbeiter bei den Strafverfolgungsbehörden in der Vergangenheit diesen Eindruck erweckt hat – sind nicht Konkurrenten, sondern Partner bei der Kriminalitätsbekämpfung. Insofern bin ich froh darüber, dass der Regierende Bürgermeister in seiner Eigenschaft als Justizsenator und Innensenator Dr. Werthebach konkrete Maßnahmen für die Verbesserung im Verhältnis zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei ergreifen werden. Dieses ist dringend erforderlich.

[Beifall bei der CDU]

Damit allein ist es aber nicht getan. Das Land Berlin muss endlich auch gesetzliche Möglichkeiten im Jugendhilferecht nutzen. Strafunmündige Kinder – ich sage das hier mit aller Klarheit – sind kein Fall für Polizei und Justiz, die sich hier zu Recht für unzuständig ansehen. Hier muss durch Erziehung das Kind vor sich selbst, aber auch die Öffentlichkeit vor einem auf den falschen Weg geratenen Kind geschützt werden. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass bei besonders schweren Fällen überhaupt Erziehung stattfinden kann. Ein strafunmündiges Kind, das kriminelle Handlungen, serienmäßig Straftaten oder sogar Kapitalverbrechen begangen hat, darf sich nicht, wie in der Vergangenheit geschehen, erzieherischen Maßnahmen entziehen können. [Beifall bei der CDU]

Deshalb ist für uns eine verbindliche Heimunterbringung, wie wir sie mit den Sozialdemokraten in der Koalitionsvereinbarung beschlossen haben, in Berlin auch dringend zu ermöglichen.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von der SPD]

Ich erwarte hierzu vom zuständigen Jugendsenator baldmöglichst eine entsprechende Vorlage. Sie ist dringend erforderlich.

Zum Strafvollzug: Es ist richtig, unsere Justizvollzugsanstalten platzen aus allen Nähten. Dies ist auch nicht verwunderlich, wenn man berücksichtigt, dass über ein Drittel aller Strafgefangenen – in Plötzensee sogar über 50 % – Ausländer sind, die in der Regel wegen der Schwere der von ihnen begangenen Straftat nach Verbüßung der Haft jedes Aufenthaltsrecht in Deutschland verwirkt haben. Insofern ist es nur konsequent, dass sich die Koalition zu einer Ausweitung des Strafvollzuges im Ausland entschlossen hat. Dieses war dringend notwendig.