Protokoll der Sitzung vom 13.04.2000

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Für die Fraktion der CDU hat Frau Abgeordnete Richter-Kotowski das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Barth! Das war ja wieder einmal eine sehr tränenreiche Rede, die Sie hier gehalten haben.

[Doering (PDS): Was? Sie war doch ganz fröhlich!]

Sie haben sicherlich Recht, Berlin befindet sich in einer dramatischen finanziellen Situation, aber die Dinge, die Sie an bestimmten Stellen vorgetragen haben, sind mal wieder alles nur Träume.

Es ist sicherlich nicht mehr alles Wünschenswerte finanzierbar. Das werden wir und auch Sie wohl einsehen müssen. Umso wichtiger ist es bei der Fülle der Aufgaben, die richtigen Schwerpunkte auch in der Jugend-, Familien- und Sportpolitik zu setzen.

In diesem Zusammenhang bin ich froh, dass die Maßnahmen der Familienbildungsarbeit gerettet wurden. Ich finde es schon seit Jahren unerträglich, dass immer wieder versucht wird, den Rotstift im Familienbereich anzusetzen. Das ist der falsche Weg! Alles, was den Familien nutzt, nutzt auch jungen Menschen in dieser Stadt. [Beifall bei der CDU]

Erfahrungsgemäß müssen Einsparungen in diesem Bereich durch andere Reparaturmaßnahmen mit enormen und langfristigen Folgekosten aufgefangen werden. Das könnten wir uns doch eigentlich – im wahrsten Sinne des Wortes – ersparen. Eine gute Nachricht für meine Fraktion war auch die Einstellung der noch notwendigen 41,7 Millionen DM für die Betriebskosten der Kitas der freien Träger. Das war eine notwendige und richtige Entscheidung. [Beifall bei der CDU]

Richtig und notwendig ist aber auch eine Umstrukturierung der gesamten Kitalandschaft in Berlin. Das heißt für uns, das wir von dem hohen prozentualen Anteil öffentlicher Träger wegkommen und hin zu den freien Trägern gelangen müssen. Wenn man bedenkt, dass insgesamt 1,6 Milliarden DM für die städtischen Kitas und nur 432 Millionen DM für die der freien Träger aufgewandt werden und dazu das Platzverhältnis berücksichtigt, besteht hier ein deutlich sichtbares Missverhältnis. Wird dazu noch berücksichtigt, dass derzeit nur im freien Trägerbereich Kostentransparenz vorhanden ist, genügt allein schon diese Tatsache, erhöhten Druck aufzuwenden, um hier eine Umsteuerung vorzunehmen. Als ersten Schritt fordern wir eine Kosten-Leistungs-Rechnung für den öffentlichen Bereich und als Folgeschritt die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Bezirke, damit die Übertragung von öffentlichen Kitas an freie Träger problemloser vonstatten gehen kann. Dazu gehören in erster Linie handhabbare Möglichkeiten für den Übergang von Personal an freie Träger. Eine dieser Möglichkeiten wären beispielsweise Gestellungsverträge. Hier gibt es zahlreiche gute Beispiele auch aus anderen Bundesländern, aber auch Einzelbeispiele in Berlin, die – ehrlich gesagt – nur darauf warten, auch aufgegriffen zu werden.

Überhaupt sollte man sich mehr gute Beispiele auch von anderer Seite zunutze machen. Wir müssen das Rad nicht immer wieder neu erfinden. Aber auch mehr Phantasie bei der Lösung

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von Problemen ist gefragt. Dazu müssen jedoch zuerst die drei wichtigsten deutschen Betriebsregeln aus dem Stammbuch der Verwaltung, aber auch aus unseren eigenen Köpfen ersatzlos gestrichen werden, die heißen: 1. Das haben wir immer schon so gemacht! 2. Das haben wir noch nie s o gemacht! 3. Da könnte ja jeder kommen!

[Frau Dr. Barth (PDS): Und 4. Das können wir so machen!]

Wenn uns das gemeinsam gelingt, könnten wir auch endlich solche harten Nüsse wie beispielsweise das hochverschuldete JAW oder das Sport- und Erholungszentrum knacken.

[Beifall bei der CDU – Beifall der Frau Abg. Martins (Grüne)]

Dazu wünsche ich mir für die kommenden Haushaltsberatungen eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Hauptausschuss und Fachbereichen sowie die Entwicklung vieler guter Ideen, um nicht nur hier in den beiden Beispielen zu verträglichen Lösungen zu kommen.

Zum Abschluss möchte ich Ihr Augenmerk auf einen für uns auch sehr wichtigen Bereich lenken, das ist die Sportstadt Berlin. Mehr als 1 Million Berliner treiben regelmäßig Sport. Rund 1 200 Vereine wirken in dieser Stadt. Neben seinen Funktionen für Gesundheit, Lebensfreude und soziale Integration zieht der Sport auch viele Besucher in die Stadt und prägt das Bild von Berlin positiv mit. Wir treten deshalb insbesondere dafür ein, dass das Schulbauten- und Sportanlagensanierungsprogramm zügig umgesetzt wird, Sportprojekte gegen Jugendgewalt weiter gefördert werden, Vereine weiterhin Sportanlagen kostenlos nutzen können und eine 4. Sportschule am Olympia-Stadion errichtet wird.

[Mutlu (Grüne): Wofür denn? – Zuruf des Abg. Cramer (Grüne)]

Die Deutschlandhalle soll in eine Eissporthalle umgewandelt werden. Die Sanierung des Olympia-Stadions sollte unverzüglich begonnen werden.

[Beifall bei der CDU]

Ich möchte den Zwischenruf an dieser Stelle aufgreifen, Herr Cramer! Mit den Fixerstuben werden Sie bei uns mit Sicherheit keine Freunde finden!

[Beifall bei der CDU]

Die Unterstützung und Förderung des Sports, aber auch des Jugend- und Familienbereichs wird auch in Zukunft zu den wichtigsten Anliegen der CDU-Fraktion gehören. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Für die Fraktion der Grünen hat das Wort Frau Abgeordnete Martins. Bitte sehr!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Diepgen wehrt sich zwar gegen den Vorwurf von sozialer Kälte, es wurde aber nur von Eliten gesprochen. Das Wort Integration hat heute noch keiner in den Mund genommen, weil es anscheinend nicht so wichtig ist.

[Frau Richter-Kotowski (CDU): Doch, ich habe davon gesprochen!]

Ja, Frau Richter-Kotowski, wir sind in manchen Punkten ähnlicher Auffassung. In der Grundsatzdebatte des Herrn Steffelt, in der es darum ging, wurde es nicht erwähnt. Wir sind der Meinung, dass wir die 5 %, die im Haushaltssanierungsgesetz aufgeführt sind, heute nicht beschließen dürfen. Ich habe manchmal das Gefühl, Sie wissen nicht was Sie tun. Nur leider sind wir hier nicht im Film, sondern im Parlament.

Wir müssen uns überlegen, was dies für den Jugendbereich bedeutet. 5,6 Millionen DM sollen eingespart werden. Wenn man sich das Haushaltssanierungsgesetz durchliest, dass auch die freien Träger den Sparbeitrag erbringen sollen, kann ich nur einen gewissen Zynismus feststellen. Die freien Träger haben schon seit langem keine Tarifanpassung bekommen. Auch die 1996 abgesenkten 10 % sind noch nicht vergessen; sie

haben große Lücken gerissen. Ich frage mich, welcher Jugendbereich gemeint ist, wenn Sie sagen, dass Sie die 5,6 Millionen DM in Prioritäten umsetzen wollen. Sind es die, von denen der liebe Kollege Gewalt gesprochen hat, bei denen es um die verbindliche Unterbringung geht? – nicht verbindliche Heime, sondern verbindliche Unterbringung ist der richtige Fachbegriff. Wollen Sie Petershagen schließen? Sollen die Diversionsmittler bei der Polizei wieder weggenommen werden? Noch nicht einmal dort würden sie die 5,6 Millionen DM erreichen. Will Herr Wowereit die Mittel im Zusammenhang mit gleichgeschlechtlichen Lebensweisen, die auch schon einmal auf der Tagesordnung standen, streichen? Auch damit bekommen wir nicht die 5,6 Millionen DM zusammen! Wo sollen im Jugendbereich die Prioritäten gesetzt werden? Wir können sie nicht erkennen. Demzufolge sagen wir, dass es eine Farce ist zu sagen, die freien Träger müssen 5 % erbringen. Das geht auch nicht im Bereich Soziales, wo es Behinderte treffen würde. Es wird auch in anderen Bereich nicht zu schaffen sein.

[Frau Richter-Kotowski (CDU): Das ist richtig!]

Geben Sie doch zu, dass es in einigen Bereichen nicht möglich sein wird. Demzufolge kann man dieses in das Gesetz nicht schreiben. [Beifall bei den Grünen – Zuruf der Frau Abg. Richter-Kotowski (CDU)]

Deswegen streichen Sie schon den 2. Absatz. Richtig! Es wird aber nicht ausreichen, weil der 1. Absatz der gravierende ist.

[Frau Richter-Kotowski (CDU): Es ist aber immerhin schon einer!]

Herr Ehlert rennt durch das Land auf und ab und sagt, dass Leistungsverträge die Lösung sind. Jawoll, Herr Ehlert! Wir haben in vielen Bereichen gesagt, dass wir den Prüfauftrag schon 1995 herausgegeben haben. Bitte, lieber Senat, in der Mitteilung – zur Kenntnisnahme – 1968 ist vieles enthalten. Warum ist nichts geschehen? Sie sind jetzt neu und sagen, dass neue Besen gut kehren. Das ist richtig. Die alten Besen wissen nur, wo der Dreck ist. Dazu kann ich Ihnen nur sagen, dass dies wirklich so ist.

[Beifall bei den Grünen – Beifall der Frau Abg. Richter-Kotowski (CDU)]

Leistungsverträge müssen finanziert werden. Man kann nicht immer nur sagen, dass Leistungsverträge her müssen und dann das Leben gut wird.

Ein weiterer Punkt ist die immer wieder vorgeschlagene Evaluierung. Evaluierung hat nicht den Hintergrund, Geld zu sparen, sondern soll Effizienz hervorheben; neue Produkte sollen betrachtet werden. Das ist Evaluierung und nicht das Sparen. Dabei muss wirklich überlegt werden, ob die Projekte bei den Kindern und Jugendlichen ankommen. In diesem Bereich darf nicht gespart werden. Vielmehr muss umstrukturiert werden. Das wird aber nicht den Einsparungseffekt bringen. Da sollten wir einmal genauer hinschauen.

Ich möchte noch einmal anmerken, dass die große Nummer mit den Kitas zwar richtig ist, aber deutlich gezeigt hat, dass es der Jugendbereich nicht tragen kann. Die Haushaltsberatungen müssen global betrachten werden; bei dem Bauetat muss gekürzt werden. Komischerweise kann mir niemand sagen, um welche ursprünglichen Maßnahmen es sich bei dem Betrag von 30 Millionen DM die aus dem Bauetat kommen, handelt. Offensichtlich ist es nicht so wichtig gewesen. Alle in der Stadt haben aber von Kitas, die nicht finanziert wurden, gesprochen. Wir müssen aber auch darauf hinweisen, dass noch 20 Millionen DM fehlen, wenn Sie den Übergang von 50 % in freie Trägerschaft ernst nehmen wollen. Der Betrag von 20 Millionen DM würde gerade ausreichen, um die Anträge zu berücksichtigen. Das Thema ist also noch nicht ausgestanden.

Ich möchte jetzt zum Kitaanmeldeverfahren übergehen. Zu der 5-Stunden-Regelung für Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose, die Sie nun schon im Rückgang akzeptieren, kann ich Ihnen nur aus der Kenntnis einer Mutter in der Kita sagen, dass es bei kommunalen Kitas nicht möglich ist, nach Erhalt einer Arbeit, den Betreuungsbedarf zu erhöhen, weil die Personalbemessung der

Kita zu eng ist. Die Eltern haben zwar wieder Arbeit, das Kind wird aber dennoch nur fünf Stunden betreut. Viele Eltern haben absehbar wieder Arbeit. Deshalb ist es katastrophal, nicht den durch die Eltern angegebenen Betreuungsbedarf zu berücksichten. So geht es nicht weiter!

[Beifall bei den Grünen]

Dann kommen wir zum nächsten Punkt – der Familienbildung. Herr Seitz weiß nun, das es Schreibabyambulanzen gibt; das ist vielleicht ganz hilfreich. Frau Richter-Kotowski hat gesagt, das war ein Erfolg, dass wir wenigstens einen Teil gerettet haben. Ich sage: Ein Drittel wurde gestrichen. Und welches Drittel wurde gestrichen? – Der konfessionelle Bereich und derjenige, der sich verstärkt mit den ausländischen Migranten beschäftigt! Man muss klar sagen, das ein Einschnitt vorgenommen wurde. Mich stört daran, dass diese Vorgehensweise zeigt, dass es kein Konzept gibt. Man hat erst einmal alles gestrichen, damit man danach sagen kann, man habe etwas gerettet. Na, herzlichen Dank! Dann hat man mal 3 bis 4 Projekte genannt, die überleben werden, dann hat man wieder 5 bis 6 genannt. Es gab nicht ein Kriterium; es ist bis heute unklar, warum denn das eine und nicht das andere genommen wurde. So kann man mit diesem Bereich nicht umgehen! Es werden Kriterien gebraucht, damit man klar sagen kann, das ist die Priorität, damit man auch klar sagen kann, was nicht mehr finanziert werden kann und das auf Grundlage von Kriterien, die durchschaubar sind. Die Gutsherrenart, hier durchzureiten und heute mal so, morgen mal so zu entscheiden, und wenn die Betroffenen schreien, dann die Entscheidung umzudrehen, das geht nicht. Die Familienbildung ist im Kinder- und Jugendhilfegesetz als Pflichtaufgabe definiert, und der Fortbestand muss ermöglicht werden. Es darf nicht sein, dass der Familienbereich 2001 gekippt wird.

Ich frage mich auch ernsthaft: Was ist mit dem Landesfamilienbeirat? Er ist immer noch nicht installiert, aber er muss eingerichtet werden, wenn eine neue Legislatur beginnt. Ich weiß nicht, wann bei Ihnen das Beginnen beginnt. Ich finde, er ist überfällig und er muss dringend eingerichtet werden, damit wir ein Gremium haben, das fachlich beraten kann.

[Beifall bei den Grünen]

Zu den 2 Millionen DM für die Praktikantinnen kann ich nur sagen: Wenn man das wirklich mit diesem Einstellungskorridor und den jungen Leuten ernst nimmt, dann war das der falsche Punkt. Wir haben gesagt, dass das aufgestockt werden muss. Hier findet eine Verlängerung von Ausbildungszeiten statt. Man kann nicht immer nur sagen, die Studentinnen seien faul, und ihnen dann auch keine Chance geben, schneller fertig zu werden. Es wird keine neuen Plätze geben, weiterhin wird es so sein, dass wichtige Erfahrungen, die bei freien Trägern gesammelt werden könnten, nicht gesammelt werden. Die Leute arbeiten teilweise schon umsonst, um nur mir der Ausbildung fertig zu werden. Aber das kann doch wohl nicht das Ziel von Politik sein.

Beim JAW habe ich den Beitrag gerne zur Kenntnis genommen, Frau Richter-Kotowski. Wir brauchen dieses Modell Stellenpool tatsächlich. Man muss vielleicht den Jugendnotdienst im Zusammenhang mit dem JAW diskutieren, um schneller zur Erkenntnis zu kommen, was notwendig ist.

Zum Bereich Sport: Das Millionengrab dieser Stadt, die SEZSanierung, muss jetzt Priorität erhalten. Es muss geprüft werden, wie das auch mit EU-Mitteln finanziert werden kann, damit endlich dieses Schmuckstück der Bäderbetriebe zum Tragen kommt. Man weiß, wie beliebt das SEZ ist. Herr Rabbach, es kostet heute schon 10 DM Eintritt. Diese Tatsache sollte man nicht vergessen. Wenn man diesen Betrag nimmt, muss diese Einrichtung dem auch in den zwei Stunden entsprechen, in denen man da schwimmen kann.