Protokoll der Sitzung vom 13.04.2000

Vielen Dank! – Meine Damen und Herren! Also Herr Stölzl soll es sein, der die Karre wieder flott machen soll. interjection: [Zuruf von der CDU: Sie sicher nicht!]

Wie wir hören, Herr Stölzl, wollen Sie es auch sein.

[Niedergesäß (CDU): Ja! Will er!]

Für diesen Mut haben Sie unsere Bewunderung. Denn Sie können nicht mehr sagen, die Berliner Probleme in Wissenschaft und Kultur seien Ihnen nicht bekannt gewesen. Wenigstens dafür hat der Rücktritt von Frau Thoben gesorgt: Die Probleme liegen klar und nackt auf dem Tisch. Was Sie tun werden, werden Sie sehenden Auges tun. Deshalb wird es für Sie auch keine 100 Tage Schonfrist geben – die kann sich Berlin nicht mehr leisten.

Nehmen wir den Wissenschaftsbereich, darüber ist in den letzten Wochen und Monaten weniger öffentlich debattiert worden, aber es gibt nicht den geringsten Anlass dafür, zu glauben, dort sei alles paletti. Im Mai wird der Wissenschaftsrat seine Empfehlung zur Struktur der Berliner Wissenschaftslandschaft auf den Tisch legen. Ich bin kein Prophet, wenn ich behaupte, dass damit auch eine Menge Probleme auf den Tisch kommen. Diese Probleme müssen gelöst werden. Diese Lösungen werden nicht mehr nach dem System Diepgen funktionieren, nach dem System des Vertuschens, nach dem System der Politik des Laisser-faire und der Bemühenszusagen. Diese Art der Politik hat die Berliner Kultur in ihrer Substanz gefährdet, eine Substanz, die dringend erhalten und gepflegt werden muss. Damit die Berliner Kultur nicht weiter in ihrer Substanz gefährdet wird, ist eine Wende erforderlich.

[Niedergesäß (CDU): Wohin wollen wir denn wenden?]

Ich denke, Herr Stölzl, Sie sind der Mann, der Kultur nicht engstirnig und einseitig nur betriebswirtschaftlich betrachtet, sondern auch volkswirtschaftlich. Sie wissen sicher, dass Kultur eine der wenigen umweltverträglichen und beschäftigungsintensiven Wachstumsbranchen ist. Sie wissen sicher genauso gut, dass der ideelle Wert von Kultur nicht in Heller und Pfennig auszuweisen ist. Die Kosten stehen fest. Der Wert dient je nach Beliebigkeit dazu, entweder Glanz und Ruhm Berlins zu begründen oder als Diffamierungs-, Abwicklungs- und Schließungsargument ins Feld geführt zu werden. Die skandalöse Rede des Regierenden Bürgermeisters über die „abgetanzten und abgelatschten“ Theaterensembles Berlins aus der vergangenen Sitzung sind dafür ein beredter Beweis.

[Beifall bei der PDS]

Was Berlin braucht, ist ein Kulturentwicklungskonzept,

−das auf Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit verpflichtet ist,

−das Verantwortlichkeiten eindeutig und nachvollziehbar regelt,

−das Strukturentscheidungen und solche zum Status und zur Finanzierung des Personals fördert,

−das die inhaltliche Profilierung der Berliner Kulturlandschaft vorantreibt und dabei dezentrale multikulturelle und bezirkliche Kulturarbeit gleichrangig behandelt,

−das bestehende Standards sichert, brachliegende Kapazitäten wieder belebt und Raum für Kreativität und neue Impulse lässt.

Nur so wird die Berliner Kultur im Spannungsfeld finanzieller Engpässe entwicklungsfähig bleiben. Nur so kann Berlin tatsächlich Kulturhauptstadt werden.

[Beifall bei der PDS – Niedergesäß (CDU): Ist sie schon!]

Wir erwarten vom Senat folgende Schritte:

1. transparente einvernehmliche mit dem Bund getroffene Entscheidungen über die Verwendung der Bundesmittel für die Finanzierung der Kultur in Deutschlands Hauptstadt,

2. das Eintreten in der Tarifgemeinschaft der Länder für die Entschlackung des Systems der Theatertarifverträge und die Aushandlung eines einheitlichen theatergerechten Tarifvertrags,

3. die Förderung von Kommunikation und Kooperation zwischen Kultureinrichtungen und damit von möglichen Synergien, zum Beispiel auch durch gemeinsame Vermarktung und Abstimmung von Spielplänen und Spielzeiten,

4. auf Vorschlag und in Zusammenarbeit mit den Häusern Konzepte zu deren inhaltlicher Profilierung und

5. neue Vergabestrukturen für Lottomittel, insbesondere die zweckgebundene Übertragung von 60 % der Lottomittel in den Landeshaushalt. Davon sollen 12 % regelmäßig für die institutionelle Förderung im Kulturbereich vorgehalten werden. Das ist alles allerdings nur mit einer kooperativen Kulturpolitik möglich, die mit einer qualifizierten Strukturpolitik für Planungssicherheit und staatsferne Entscheidungen sorgt.

Herr Stötzl, Sie haben sehr viele Vorschusslorbeeren erhalten – nicht gerade von Herrn Wieland, aber in der Presse. Sie sind mit Ideen angetreten. Sie sind mit der Berliner Kulturszene vertraut, und man vertraut Ihnen. Wir alle hoffen, dass das nicht in Ernüchterung und Enttäuschung umschlägt. Wir alle hoffen, dass aus Ihrem Anspruch „dem Fröhlichen gehört die Zukunft“ vom 1. April nicht die Fröhlichkeit des Lebens der Endzeitstimmung aus Günther Grass’ „Blechtrommel“ wird.

Nun zur Wahl des Bürgermeisters:

[Landowsky (CDU): Wählen Sie ihn nun oder nicht?]

Warum ausgerechnet Innensenator Werthebach zum Bürgermeister dieses krisengeschüttelten Gemeinwesens gemacht werden soll, ist für uns unerfindlich.

[Landowsky (CDU): Wählen Sie ihn nun oder nicht?]

Kommt noch, Herr Landowsky! – In seiner kurzen Amtszeit ist es ihm gelungen, die Konflikte zwischen Kriminal- und Schutzpolizei noch weiter zu eskalieren. Im gleichen Atemzug behauptet er, dass ihm die Sicherheit der Stadt am Herzen liegt. Eklatante Führungsfehler haben dazu geführt, dass auch sein Verhältnis zur Gewerkschaft der Polizei heillos zerrüttet ist. Sein autoritärer Führungsstil, mit dem er Beamten Maulkörbe verpasst, statt mit ihnen gemeinsam Probleme zu lösen, ist kein Aushängeschild dieser Stadt. Die letztlich politische Verantwortung für den Tod von vier Kurdinnen und Kurden vor dem israelischen Generalkonsulat hätten jeden anderen Minister den Hut nehmen lassen. [Zurufe von der CDU]

Berlin braucht keinen weiteren Bürgermeister, der auf jeden ausländerfeindlichen Zug, wie die Kampagnen der CDU zur doppelten Staatsbürgerschaft oder „Kinder statt Inder“ aufspringt.

[Beifall bei der PDS]

Berlin braucht Toleranz. Berlin braucht Weitläufigkeit und einen Bürgermeister, der fremde Kulturen und ausländische Bürgerinnen und Bürger als Chance begreift und nicht als Verschiebungsmasse. Berlin braucht jemanden, der Probleme löst als neue zu schaffen.

Und damit sind wir zum Abschluss bei einem Grundproblem dieser Landesregierung. Mit der Wahl der Herren Stölzl und Werthebach wählt sich die große Koalition in eine patriarchische Vergangenheit, wie es sie in der Berliner Nachkriegsgeschichte kaum gegeben hat. Nach dieser Wahl wird nur noch eine Frau dem Senat angehören, und die wird schon jetzt durch die eigenen Koalitionäre ständig attakiert und demontiert. Ich kann es nicht glauben, dass das das politische Signal einer weltoffenen modernen Metropole sein soll. Ich kann es nicht glauben, dass die Frauen in den Koalitionsreihen diesen beschlossenen männlichen Wahnsinn demütig hinnehmen.

[Beifall bei der PDS – Niedergesäß (CDU): Ganz schön heftig, Herr Girnus!]

Meine Damen aus der großen Koalition, damit demütigen Sie sich selbst. – Vielen Dank!

[Beifall bei der PDS]

Für die CDU-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Landowsky.

[Frau Künast (Grüne): Jung, wild und weiblich!]

Meine Damen und Herren! Als im Ältestenrat besprochen worden ist, ob wir hier eine Personaldebatte durchführen, habe ich mich erst gefragt: Warum machen die beiden Oppositionsparteien das? Haben sie sich dem vielleicht doch angeschlossen, was wir unter einer neuen Kultur es Umgangs miteinander verstehen?

[Unruhe bei der PDS und den Grünen]

Jetzt wissen wir, was ist. Nach dem Rückfall der PDS am letzten Wochenende in ganz frühe Zeiten

[Beifall bei der CDU – Unruhe bei der PDS und den Grünen]

und nach der Rolle rückwärts der Grünen in Richtung PDS bleibt über das übliche Gerede unseres 68er-K-Gruppenveteranen Wieland. [Heiterkeit und Beifall bei der CDU]

Das bleibt über. Und wenn Frau Künast jetzt noch nach dem Westen macht,

[Widerspruch der Frau Abg. Künast (Grüne)]

haben Sie mit der Führung von Frau Klotz und Herrn Wieland alles, wie es seit 1968 und vor 1989 gewesen ist. Mit der Nummer werden Sie bei keinem in der Stadt – schon gar nicht bei jungen Leuten – irgendwie einen Anklang finden, Herr Wieland. Davon können Sie ausgehen.

[Beifall bei der CDU]

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, bei fünf Minuten noch eine Zwischenfrage, nein! – Sie haben mühsam gesucht, ob Sie irgendwo einen negativen Kommentar gegen die Neubildung des Senats finden. Da sind Sie auf die „Süddeutsche Zeitung“ gestoßen. interjection: [Zurufe von der PDS]

Da hat der „Focus“ mit Recht gesagt – Zitat: