Protokoll der Sitzung vom 13.04.2000

Danke schön, Herr Kollege! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr Herr Kollege Müller-Schoenau das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das war eben auch so eine Art Premiere, die erste Rede des Kollegen Steffel in einer Haushaltsdebatte. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass es hier eine Haushaltsdebatte gibt, in der ich mich nach einer Rede von Herrn Landowsky zurücksehne,

[Beifall bei den Grünen uind der PDS – Beifall des Abg. Lorenz (SPD)]

denn so viele Sprechblasen, so viel Demagogie und so viele einfache Weltbilder, wie sie Herr Steffel eben präsentiert hat, das hat nicht einmal Herr Landowsky in 20 Jahren geschafft.

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Gram (CDU): Oh! – Weitere Zurufe von der CDU]

Herr Landowsky hat wenigstens ab und zu Dinge gesagt, über die man lachen konnte. Die waren zwar nicht richtig, aber man konnte wenigstens lachen.

[Heiterkeit bei den Grünen und der PDS – Zuruf des Abg. Landowsky (CDU)]

Aber wenn der Kollege Steffel das Wort Spaß in den Mund nimmt, dann fletscht er dabei die Zähne, dass Eltern wahrscheinlich ihre Kinder zurücknähmen, weil sie Angst hätten.

[Beifall bei den Grünen und der PDS – Gram (CDU): Da sieht man, wie es getroffen hat!]

Sie entscheiden selbst, mit welcher politischen Strategie Sie die Zeit nach Diepgen und Landowsky bestimmen. Das ist Ihre Sache. Aber wenn ich dann statt der Witze von Herrn Landowsky die soziale Kälte des Kollegen Steffel höre,

[Oh! bei der CDU]

dann muss ich sagen, mit dieser Politik sind Sie in Kürze wieder bei 20 % der Wähler angelangt, so wie es vor Herrn Landowsky und Herrn Diepgen der Fall war.

[Beifall bei den Grünen – Zuruf von links: Das kann uns doch recht sein!]

Das kann uns natürlich recht sein, richtig!

Berlin ist in Bewegung. Das spüren wir seit Monaten, nicht nur, weil die Regierung und das Parlament in die Stadt gezogen sind, sondern weil wir auch mehr Besucher aus der ganzen Welt haben als je zuvor. Berlin ist in Bewegung – dieser Satz hat aber seit gestern auch eine andere Bedeutung, denn wenn in dieser Situation, bei schlechtem Wetter, 60 000 Menschen auf die Straße gehen, um gegen die katastrophale Bildungspolitik dieses Senats zu protestieren, dann muss ich feststellen, offenbar ist auch bei der Bevölkerung in dieser Stadt eine Menge in Bewegung. [Beifall bei den Grünen]

Die Menschen werden aktiv, weil sie erkennen, dass sich sonst nichts verändert. Sie wollen ein besseres Bildungssystem. Sie sind empört, dass sich dieser Senat in der Situation auf die phantasieloseste Lösung geeinigt hat, nämlich auf die Arbeitszeitverlängerung für Lehrer. Wir haben heute die letzte Gelegenheit, diesen Plan zu stoppen. Ich hoffe, wir schaffen es auch.

[Beifall bei den Grünen – Beifall des Abg. Dr. Kaczmarczyk (PDS)]

Natürlich wissen wir alle, dass sich an den Schulen einiges ändern muss. Wir diskutieren darüber ständig, und wir machen Vorschläge, die von Ihnen größtenteils abgelehnt werden. Wir müssten aber eines inzwischen endlich erkannt haben: Wir können Veränderungen an unseren Schulen nicht gegen Lehrer, nicht gegen Schüler und nicht gegen Eltern durchsetzen, sondern nur gemeinsam mit ihnen.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Wir brauchen deswegen an der Spitze der Schulverwaltung, sozusagen als obersten Chef aller Lehrerinnen und Lehrer, einen Kommunikator, einen durchsetzungsfähigen Senator und keinen Oberlehrer!

[Beifall bei den Grünen – Zurufe von den Grünen]

Es ist viel Bewegung in der Stadt, aber es gibt einen Bereich, in dem von Bewegung leider überhaupt nicht die Rede sein kann, und das ist die Politik dieses Senats. Diese Politik funktioniert nach dem Prinzip von Eberhard Diepgen, und das lautet: Hauptsache, wir müssen nichts ändern! – Mit dieser Politik hält sich Herr Diepgen inzwischen wieder seit zehn Jahren an der Macht. Ich habe den Eindruck, immer mehr Leute merken, je mehr Berlin zur Metropole wird, desto mehr wird deutlich, dass dieser Regierende Bürgermeister nicht in der Lage ist, unsere Probleme zu lösen. Wir sind aber inzwischen nicht mehr allein mit unseren Problemen, denn Parlament und Regierung sind inzwischen hier angekommen. Die Tageszeitung „Die Welt“ hat dazu am Wochenende ganz richtig formuliert:

Seitdem die Bundespolitiker in der Stadt sind, steht die Politik des Senats unter Beobachtung.

So ist es, und diese Beobachtung fällt leider nicht sehr gut aus. Der „Spiegel“, der bekanntlich nicht metropolenfeindlich ist, widmet diesem Thema sogar eine halbe Titelgeschichte.

[Sen Branoner: Super!]

Er kommt zu einem Ergebnis, das für das Land Berlin und vor allem für diesen Senat doch sehr peinlich ist.

[Wowereit (SPD): Die Grünen werden gar nicht erwähnt!]

Die Stadt wird regiert von einem Veteranenverband des Kalten Krieges.

Herr Landowsky hat heute früh noch einmal einen typischen Beweis für die Richtigkeit dieser These geliefert. Vielleicht können Sie sich erinnern: Als er über Frau Künast und ihre bundespolitischen Ambitionen sprach, sagte er, Frau Künast wolle jetzt gen Westen ziehen. Diese Zeiten sind vorbei.

[Frau Künast (Grüne): Aber nicht für Herrn Landowsky!]

Die Parteizentrale der Grünen ist in Berlin-Mitte. Aber Herr Landowsky ist offenbar immer noch nicht im Osten angekommen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Seit 10 Jahren regiert diese große Koalition, und gerade jetzt, nach dem Regierungsumzug, wird deutlich, wie viele große Probleme noch nicht gelöst sind. Der Schuldenberg wird immer größer, das Flughafenprojekt Schönefeld hängt in der Luft, das Krankenhaussystem steht vor dem Kollaps, die Sanierung des Olympia-Stadions kommt nicht voran, und die Theater und Opernhäuser stehen kurz vor der Pleite. Diese Probleme sind nicht neu, aber sie sind in den letzten 10 Jahren größer geworden, weil sie von diesem Senat nicht in Angriff genommen wurden. Herr Diepgen, Ihr Prinzip war immer: Nur nichts verändern. Doch wir erkennen heute, dass die Probleme immer größer werden und eine Lösung immer schwieriger wird.

Dieser Senat ist Anfang Dezember gewählt worden. Er hatte es geschafft, wenigstens 100 Tage ohne negative Schlagzeilen über die Runden zu bringen. Ich habe den Eindruck, dass er damit seine beste Zeit auch schon wieder hinter sich hat. Denn seit dem Rücktritt von Frau Thoben sind wir wieder auf dem harten Boden der Berliner Provinzpolitik gelandet. Wir haben schon vor zwei Wochen über dieses „Prinzip Diepgen“, das der Grund

für diese Misere ist, geredet. Ich hatte den Eindruck, dass vielleicht doch ein kleiner Ruck durch diesen Senat gehen würde. Inzwischen habe ich den Eindruck: Das war wohl ein Trugschluss. Der Name „Diepgen“ und das „Prinzip Diepgen“ stehen für CDU-Anhänger für Machterhalt, aber für alle anderen vor allem für Stagnation, Beharrung, Besitzstandswahrung und Phantasielosigkeit. Mit diesem Prinzip kann man zwar den Status quo verwalten, aber eine Metropole kann man auf diesem Weg nicht regieren. Der „Spiegel“ schreibt dazu: „Mehltau auf Magic City“–, und ich fürchte, er hat Recht.

Nun hat der Senat in alter Manier die Lücke wieder schließen wollen, die sich nach dem Thoben-Rücktritt aufgetan hat. Herr Stölzl ist nominiert und heute auch gewählt worden, aber inzwischen ist er leider schon wieder aus dem Saal verschwunden. – Herr Stölzl, ich weiß nicht genau, ob ich Ihnen nun zu diesem Amt gratulieren oder Sie bemitleiden soll. Auf jeden Fall wünsche ich Ihnen für Ihre Arbeit – trotz aller Kritik – viel Erfolg.

Ich fand es im Übrigen bemerkenswert, nach welchem Kriterium Herr Stölzl ausgewählt wurde. Herr Landowsky hat es auch frank und frei gesagt. Er möchte Herrn Stölzl, weil dieser immer so fröhlich ist. Er strahlt Fröhlichkeit aus, und genau das brauchen wir. Denn das „Prinzip Landowsky“ ist: Hauptsache gute Laune! – Nun habe ich nichts gegen die gute Laune von Herrn Stölzl. Aber was wir in Berlin brauchen, ist ein bisschen mehr als nur Fröhlichkeit. Wir erwarten von unseren Senatoren in erster Linie nicht nur gute Laune, sondern eine gute Politik.

[Beifall bei den Grünen]

Auch der Leitspruch zur Finanzpolitik, den ich von Herrn Stölzl kenne, scheint mit der Situation nicht ganz angemessen. Er lautet so ungefähr: Wenn der Geist erst einmal stimmt, folgt das Geld von alleine. – Herr Stölzl, ich finde diesen Spruch ziemlich naiv. Dieser Spruch hat nur den einen Vorteil: Man kann sich damit vielleicht erklären, warum dieser Senat pleite ist.

[Beifall bei den Grünen]

Ich will es mir aber nicht so leicht machen, wie mein Vorredner, und nur über die allgemeine Lage reden, sondern wir sollten auch über den Haushalt reden. Man hat der Rede des Kollegen Steffel angemerkt, dass er bei den Haushaltsberatungen nicht dabei war. Er weiß nicht, was dort passiert ist. Er hat eine Rede gehalten, die er auch vor seinen Wirtschaftslobbyisten halten kann, aber mit den konkreten Diskussionen, die wir im Hauptausschuss gehabt haben, hat sie leider nichts zu tun. Vielleicht ist das auch das Prinzip der CDU, in diese Debatten immer einen Redner zu schicken, der von der Sache keine Ahnung hat. Dieser hat dann vielleicht wenigstens gute Laune oder kann aggressiv sein. Ich würde Ihnen empfehlen: Schicken Sie uns doch bitte das nächste Mal einen Redner, der etwas von der Sache versteht! [Beifall bei den Grünen]

Nun hat Herr Steffel – er ist Wirtschaftspolitiker – vor allem über diesen Bereich geredet. Das ist legitim. Aber ich habe mich während der ganzen Rede gefragt: Wer war eigentlich für die Wirtschaftspolitik in dieser Stadt in den letzten 10 Jahren verantwortlich? Wer ist dafür verantwortlich, dass wir in der Wirtschaftsentwicklung seit 10 Jahren bundesweit die rote Laterne tragen und dass wir weiterhin 270 000 Arbeitslose haben – mit keiner Tendenz zur Besserung? – Das waren doch zwei CDUSenatoren – erst Herr Pieroth, jetzt Herr Branoner. Diese beiden tragen die Verantwortung für diese gescheiterte Politik. Herr Steffel, ich empfehle Ihnen: Wenden Sie sich an diese beiden Herren, und kritisieren Sie hier nicht die Opposition!

[Beifall bei den Grünen – Frau Simon (PDS): Wo ist er denn?]

Ja, Herr Steffel ist schon wieder hinausgegangen.

[Wieland (Grüne): Er hat sein Pulver verschossen!]

Die Fachdebatte scheint ihn eher zu langweilen. Vielleicht versteht er auch einfach nichts davon, dann ist es konsequent, daran nicht teilzunehmen.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen – Zurufe von den Grünen]

Aber ich will nicht nur Kritik üben. Es gibt in der Tat auch gute Nachrichten im Zusammenhang mit diesem Haushalt. Diese betreffen die Steuereinnahmen. Herr Steffel hat über das geredet, was vielleicht einmal kommen kann. Aber reden wir doch erst einmal über das, was schon vorhanden ist! Die Steuereinnahmen sind seit Beginn des vergangenen Jahres in Berlin wieder spürbar angestiegen. Das liegt daran, dass die rot-grüne Bundesregierung eine erste Stufe der Steuerreform auf den Weg gebracht und mehr als 50 Steuerschlupflöcher geschlossen hat. Deswegen steigen die Steuereinnahmen in Berlin wieder an allen Fronten. Wir bekommen das jetzt jeden Monat von der Finanzverwaltung mitgeteilt. Allein in den ersten beiden Monaten dieses Jahres sind die Steuereinnahmen in Berlin um mehr als 600 Millionen DM gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Das ist ein Erfolg der rot- grünen Bundesregierung, und ich meine, das muss man hier auch einmal positiv würdigen.