Protocol of the Session on April 18, 2002

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Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 10. Sitzung des Abgeordnetenhauses und begrüße Sie, die Kolleginnen und Kollegen, die Senatoren und die Senatorin, aber vor allen Dingen die Gäste und Zuhörer, darunter heute auch eine Reihe von behinderten Gästen, die zunächst bei der Ausstellungseröffnung im 2. Stock waren. Ich empfehle – damit gebe ich den Wunsch der Berhinderten weiter – allen Kolleginnen und Kollegen, sich diese Ausstellung anzusehen.

Dann habe ich die angenehme Aufgabe, F r a u D r. F e l i c i t a s Te s c h von der Fraktion der SPD a l l e s G u t e z u m G e b u r t s t a g z u w ü n s c h e n u n d h e r z l i c h z u g r a t u l i e r e n. [Allgemeiner Beifall]

Außerdem habe ich auch H e r r n E r i k S c h m i d t von der Fraktion der FDP h e r z l i c h z u m G e b u r t s t a g z u g r a t u l i e r e n. – Herzlichen Glückwunsch, alles Gute!

[Allgemeiner Beifall]

Bevor wir zum Geschäftlichen kommen: Es ist ein gemeinsamer Antrag alle Fraktionen auf Annahme einer Entschließung eingegangen, und zwar

Drucksache 15/382:

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion der PDS, der Fraktion der FDP und der Fraktion der Grünen auf Annahme einer Entschließung über Für ein friedliches Zusammenleben aller Religionen und Nationalitäten in Berlin

Ich lese den Antrag vor:

Das Abgeordnetenhaus wolle beschließen:

Übergriffe auf Mitbürgerinnen und Mitbürger sowie auf Gäste Berlins und der unverhohlene Hass, der in den vergangenen Tagen bei Demonstrationen zur Entwicklung im Nahen Osten offen zur Schau getragen worden ist, veranlassen das Abgeordnetenhaus von Berlin zu folgender Erklärung:

Das Abgeordnetenhaus von Berlin bekennt sich zum durch die Völkergemeinschaft anerkannten Existenzrecht des Staates Israel genauso wie zum Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes in einem autonomen Staatsgebiet.

Eine kritische Einstellung gegenüber der aktuellen Politik der Regierung des Staates Israel rechtfertigt keine offene oder stillschweigende Duldung antisemitischer Übergriffe, in welchem Rahmen oder aus welchem konkreten Anlass heraus sie auch immer stattfinden. Ebenso rechtfertigt auch nicht jede kritische Einstellung gegenüber der aktuellen Politik der Regierung des Staates Israel den Vorwurf des Antisemitismus.

Das Abgeordnetenhaus von Berlin verurteilt jede Form von Antisemitismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit.

Das Abgeordnetenhaus von Berlin tritt für das friedliche Zusammenleben aller Religionen und Nationalitäten in Berlin ein und erklärt sich in Anbetracht der antijüdischen Gewaltakte und -androhungen mit der jüdischen Gemeinschaft in Berlin solidarisch.

[Allgemeiner Beifall]

Meine Damen und Herren! Auch Ihr Beifall bringt es zum Ausdruck: Die Fraktionen sind übereingekommen, darüber sofort abstimmen zu lassen. – Ich frage: Wer dieser Entschließung Drucksache 15/382 seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Danke schön! Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann stelle ich fest, dass diese Entschließung für ein friedliches Zusammenleben aller Religionen und Nationalitäten in Berlin einstimmig angenommen worden ist.

[Allgemeiner Beifall]

Ich danke Ihnen und komme nun zu dem Geschäftlichen: Gleich zu Beginn unserer Sitzung möchte ich Sie auf eine A u s s t e l l u n g u n d P r ä s e n t a t i o n d e r B e r l i n e r B e h i n d e r t e n v e r b ä n d e hinweisen – was ich eben schon getan habe –, die ich heute um 12 Uhr in der zweiten Etage unseres Hauses eröffnet habe. Ich begrüße die Vertreter der Behindertenverbände, die uns heute zuhören und zwischenzeitlich, zu Beginn unserer Sitzung – mit Genehmigung des Ältestenrats – ein Gespräch auch mit den Fraktionssprechern des Ausschusses für Gesundheit und Soziales führen und deshalb für einen kurzen Zeitraum im Plenum nicht anwesend sein können. – Die Veranstaltung findet im Casino-Südflügel statt, falls jemand danach fragen sollte. Die dpa-Bildredaktion ist während unserer heutigen Sitzung in der Wandelhalle für Fotoaufnahmen anwesend. Die Fotos werden auch von dpa – so wie neulich die Reuters-Fotos – zu jeder neuen Wahlperiode für das Archiv und – wie ich hoffe – auch für die zahlreichen Fernseh- und Bildberichterstattungen aufgenommen. Ich bitte Sie also, sich dort hinzubegeben – wenn Sie möchten – und sich fotografieren zu lassen. Die Fraktion der Grünen hat mit Schreiben vom Dienstag – wie im Rechtsausschuss schon angekündigt – ihren A n t r a g über Gesetz zur Änderung des Bezirksamtsmitgliedergesetzes, D r u c k s a c h e 15/147, z u r ü c k g e z o g e n. Bei der Benennung der K u r a t o r i u m s m i t g l i e d e r f ü r d a s P e s t a l o z z i F r ö b e l H a u s , die wir in unserer 5. Sitzung am 21. Februar 2002 gewählt haben, ist der Fraktion der SPD e i n F e h l e r u n t e r l a u f e n , der erst jetzt bemerkt worden ist: Das gewählte Mitglied, Frau Jutta Weißbecker, war ursprünglich als stellvertretendes Mitglied vorgesehen, und die als Stellvertreterin gewählte Claudia Tietje sollte ordentliches Mitglied werden. Die Fraktion der SPD bittet um eine entsprechende K o r r e k t u r. [Zurufe] Ich lasse darüber abstimmen. [Zurufe von der SPD] – Ist das ganz ernst gemeint oder nicht? – Ich stelle fest, dass darüber Einigkeit im Hause besteht. Dann ist das so beschlossen. Die Fraktion der PDS bittet darum, folgende U m b e s e t z u n g e n i m U n t e r s u c h u n g s a u s s c h u s s z u r A u f k l ä r u n g d e r Vo r g ä n g e b e i d e r B a n k g e s e l l s c h a f t A G , d e r L a n d e s b a n k B e r l i n u n d d e s U m g a n g s m i t P a r t e i s p e n d e n , Drucksachen 15/100 und 15/151, nach der Wahl der Mitglieder am 21. Februar 2002 zu beschließen. Neue Mitglieder werden die Abgeordneten Michail Nelken und Freke Over. Bisher waren es die Abgeordneten Bernd Holtfreter und Norbert Pewestorff. Neues stellvertretendes Mitglied soll der Abgeordnete Norbert Pewestorff werden. Bisher war es der Abgeordnete Michail Nelken. Wer diese Mitglieder in die Funktion so zu wählen wünscht, den bitte ich nun um das Handzeichen. – Danke schön! Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dann ist das einstimmig so beschlossen. Für die N i c h t t e i l n a h m n e a n u n s e r e r h e u t i g e n S i t z u n g wird erneut F r a u B ü r g e r m e i s t e r i n u n d S e n a t o r i n S c h u b e r t entschuldigt. Sie ist auf Grund ihrer schweren Fußverletzung weiterhin auf unbestimmte Zeit dienstunfähig. I c h w ü n s c h e i h r im Namen des Hauses alles Gute und b a l d i g e G e n e s u n g. [Beifall] Ich rufe auf

lfd. Nr. 1:

Fragestunde gemäß § 51 der Geschäftsordnung

Als erste ist Frau Abgeordnete Hertel von der Fraktion der SPD an der Reihe mit der Frage

Zukunft für Herlitz?

Bitte schön, Frau Hertel! Sie haben das Wort!

(A) (C)

(B) (D)

Danke, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:

1. Wie ist der aktuelle Stand im Insolvenzverfahren des traditionsreichen Berliner Büromittelherstellers?

2. Welche Perspektiven sieht der Senat für den Erhalt wirtschaftlich tragfähiger Teile des Unternehmens und die Sicherung damit verbundener Arbeitsplätze für Berlin?

Darauf wird der Senator für Wirtschaft, Herr Dr. Gysi, antworten. Er hat das Wort!

Herr Präsident! Frau Abgeordnete! Es läuft nach wie vor ein vorläufiges Insolvenzverfahren in Bezug auf Herlitz. Sie wissen, dass der entsprechende Antrag am 3. April 2002 gestellt worden ist. Der Senat von Berlin verfolgt hier – wie auch in anderen Fällen – folgende Ziele: Auf der einen Seite werden wir immer bemüht sein, Unternehmen, die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, die Hilfe anzubieten, die uns möglich ist, um vorhandene Arbeitsplätze zu sichern und damit auch dem Unternehmen eine Zukunft zu geben. Auf der anderen Seite sind wir aber nicht gewillt, völlig ungeprüft und in unbegrenzter Höhe finanzielle Mittel oder Risikoabsicherungen bereitzustellen bzw. vorzunehmen, wenn es eigentlich keine ausreichende Sicherung für ein Sanierungskonzept gibt oder wenn es darum geht, private Verantwortung einfach auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abzuwälzen.

[Beifall bei der SPD, der PDS und der FDP – Dr. Lindner (FDP): Richtig!]

Das heißt, wir sind hier immer in einem bestimmten Spannungsfeld, weil Belegschaften an uns bestimmte Erwartungen stellen, die ich sehr gut nachvollziehen kann; auf der anderen Seite haben wir aber auch eine Rechenschaftspflicht gegenüber den Berlinerinnen und Berlinern, wie wir mit ihrem Geld umgehen, wenn wir bestimmte Bürgschaften eingehen oder bestimmte Hilfen gewähren. Es muss dann wenigstens gesichert sein, dass daraus zukunftsträchtige Arbeitsplätze werden. Wir können kein Geld ausgeben für eine Verschiebung einer dann doch noch eintretenden Insolvenz. Damit haben wir zwar auf der einen Seite die Arbeitsplätze nicht gefährdet, aber auf der anderen Seite das Geld der Berlinerinnen und Berliner „sinnlos“ ausgegeben und verwendet. Das geht nicht! Sie kennen die Gespräche, die es schon seit Februar in dieser Hinsicht gegeben hat, auch die Auseinandersetzungen mit dem Bankenkonsortium zur Frage: Wie weiter umgehen mit Herlitz?

Ich weise in diesem Zusammenhang noch auf zwei Dinge hin: Die Banken sind bei Herlitz zu 65 % selbst Eigentümer. Es ging um die Frage, ob sie für ihr Unternehmen die Kreditlinie fortsetzten – die sie übrigens schon im letzten Jahr beschlossen hatten – oder ob sie sie nicht fortsetzten. In diesem Zusammenhang erwartete eine der elf Banken, dass die Länder Berlin und Brandenburg 80 % des Risikos der neuen Kreditlinie übernehmen. Das haben wir in dieser Form abgelehnt, indem wir gesagt haben: Wenn die wesentlichen Eigentümer des Unternehmens nur zu 20 % an ihr eigenes Konzept glauben, dann ist es nicht gerechtfertigt, dass die Berlinerinnen und Berliner und die Brandenburgerinnen und Brandenburger zu 80 % die Haftung übernehmen. Wir waren bereit, 80 % der Hälfte der Kreditlinie zu verbürgen, aber nicht 80 % der gesamten Kreditlinie. – Ich glaube, dass diese Entscheidung – auch politisch und ökonomisch – richtig war. – Daraufhin kam es zur Insolvenz, die übrigens die anderen Banken nicht wollten. Es gab dann auch einen Wechsel in der Führerschaft des Bankenkonsortiums.

Nun haben wir zwei Ziele. Die Insolvenz soll genutzt werden, um die tragfähigen Teile des Unternehmens – das sind insbesondere diejenigen, die mit Schreibwarenherstellung zu tun haben – zu sanieren und zukunftsfähig zu machen und damit auch den Hauptteil der Arbeitsplätze. Gleichzeitig soll die Insolvenz genutzt werden, um sich von anderen Teilen des Unternehmens – insbesondere vom Immobiliengeschäft – zu trennen und das Unternehmen zu entschulden. Dann würden wir unsere Hilfe

nicht für unsichere Arbeitsplätze gewähren, sondern für zukunftsträchtige und damit auch für sichere Arbeitsplätze.

Damit das überhaupt gelingen kann, war nunmehr ein Massekredit der Banken erforderlich. Das sah am Anfang so aus, als ob es ganz unproblematisch werden würde; aber nun gab es einen Dreh bei den Banken, dass vor allen Dingen jene Bank, die die Insolvenz eigentlich nicht wollte, nicht ohne weiteres bereit war, den Massekredit mitzugewähren. Der Insolvenzverwalter, Herr Leonhardt, war bezüglich des Massekredits sehr aktiv. Letztlich waren auch die Banken kooperativ, die dann am Dienstag in diesem Hause noch einmal miteinander getagt haben, um dieses Problem zu lösen. Meine Verwaltung hat es die ganze Zeit über begleitet, auch ich persönlich. Nach vielfältigen Bemühungen wurde gestern um 16.30 Uhr der Vertrag über den Massekredit unterschrieben. Damit ist die Finanzierung des Unternehmens für die nächsten Monate gesichert.

Damit ist auch gesichert, dass nun wir unsere Hilfe wirksam einbringen können, um die gesunden Teile des Unternehmens zu retten und damit auch den Hauptteil der Arbeitsplätze. Wir sind behilflich, zusammen mit den Banken, dem Vorstand und dem Betriebsrat – mit allen stehen wir in Kontakt – jetzt einen Investor zu suchen für das eigentliche Kerngeschäft von Herlitz. Wir alle sollten daraus lernen, dass der Spruch: „Schuster, bleib bei deinen Leisten!“ durchaus Sinn macht. Das gilt für die Politik genauso wie für Unternehmen und für andere Bereiche; man sollte sich nicht mit Dingen übernehmen, von denen man nichts versteht. [Dr. Lindner (FDP): Hört, hört!]

Genau diesen Weg ist Herlitz leider gegangen und deshalb in der heutigen Situation. Aber – wie gesagt – hinsichtlich des Hauptteils der Arbeitsplätze sind wir optimistisch und damit auch hinsichtlich des Kernbereichs des Unternehmens.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön, Herr Senator! – Frau Hertel hat das Wort zu einer Nachfrage. Bitte!

Herr Senator! Vielen Dank für Ihre Beantwortung! Ein Großteil der Antwort hat mir sehr gut gefallen; es kann natürlich nicht sein, dass die Stadt oder das Land Berlin nur ein Risiko übernimmt für eine Firma – –

Verehrte Frau Hertel! Es muss eine Frage sein!

Ich werde mich bemühen, diese auch noch kurz zu fassen. – Es geht mir insbesondere um das Problem, das Sie in Ihrem letzten Satz anklingen ließen – „Schuster, bleib bei deinen Leisten!“ –, die Rückkehr zum Kerngeschäft von Herlitz. Ist mit einem einfachen Wechsel in der Führerschaft dieses Bankenkonsortiums allein sichergestellt, dass nun im Vorstand vor Herlitz Personen sitzen, die sich mit der Branche als solche auskennen und hier – ich formuliere es ganz „platt“ – die richtigen Entscheidungen treffen und treffen können? – In der Presse wurde neben einigen anderen der Vorwurf von einem ehemaligen Vorstandsmitglied, von Klaus Herlitz, laut, dass die Situation, in der Herlitz jetzt ist oder war, vor allem da herrührt, dass sich im Vorstand zu einem großen Teil – nämlich zu 65 % – Banker befunden haben, die von der Branche keine Kenntnis haben.

Frau Hertel! Sie brauchen Ihre Frage nicht zu begründen. Die einfache Frage reicht zur Beantwortung aus. – Bitte, Herr Senator!

Zurzeit ist es so, dass die Banken zu 65 % Eigentümer sind. Dadurch bestimmen sie letztlich auch, wer dort im Vorstand sitzt. Ich glaube, dass man den gegenwärtig dort tätigen Vorstandsmitgliedern nicht den Hauptvorwurf machen kann, sondern diese Fehler, mit denen das Unternehmen konfrontiert ist

(A) (C)

(B) (D)

Bm Dr. Gysi

und die zu dieser Lage geführt haben, wurden zu viel früherer Zeit gemacht, auch durch Personen – ich sage das hier so offen –, die den Namen Herlitz tragen, nicht die ganz Alten, sondern die vierte und fünfte Generation. Die haben das Unternehmen dann noch rechtzeitig verlassen. Es geht ihnen heute ziemlich gut, dafür geht es dem Unternehmen ziemlich schlecht. Das ist auch eine Realität, mit der wir es öfter zu tun haben. Danach hat es durchaus weitere Fehlentscheidungen gegeben.

Das Ziel der Konsolidierung des Kerngeschäfts besteht u. a. auch darin, dass wir einen Investor für dieses Kerngeschäft finden, um wiederum die Banken aus der Rolle herauszuholen, in der sie sich jetzt befinden und die eigentlich nicht ihre angestammte Rolle ist, nämlich ein Unternehmen dieser Art faktisch zu leiten. Das setzt natürlich das Finden eines Investors voraus, der bereit ist, dieses Kerngeschäft zu übernehmen. Aber daran sind die Banken selber interessiert, weil sie auch wissen, dass sie gegenwärtig eine Rolle spielen, die nicht zu ihrer Aufgabenstruktur gehört. Dabei helfen wir, auch der Insolvenzverwalter, auch der Betriebsrat, auch der Vorstand. Wir arbeiten mit allen zusammen. Die entscheidenden Fehler, die zur Situation des Unternehmens geführt haben, sind nicht von den heutigen Mitgliedern des Vorstandes begangen worden, sondern von Vorgängerinnen und Vorgängern. Ansonsten kann ich sie nicht einzeln beurteilen, weil es nicht Angelegenheit des Staates ist, das zu beurteilen.