Protokoll der Sitzung vom 30.05.2002

Das Problem bei den 0190er-Nummern ist ausreichend beschrieben worden. Hier muss es eine Regelung geben. Die zuständige Regulierungsbehörde muss die Verbraucherinnen und Verbraucher schützen und sie nicht am ausgestreckten Arm verhungern lassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie sollten, nachdem Sie heute diese Aktuelle Stunde beantragt haben, sich dazu durchringen – da will ich meiner Kollegin von der SPD zur Seite springen –, heute dem Entschließungsantrag zum Verbraucherinformationsgesetz zuzustimmen. Unsere Fraktion im Bundestag hatte auch andere, weiter gehende Vorstellungen, was in einem Informationsgesetz stehen müsste. Wir wissen aus den Diskussionen im Bundestag, dass die Bundesregierung sehr stark versucht hat, auf die bürgerliche Opposition zuzugehen und die Hand auszustrecken. Ergreifen Sie diese ausgestreckte Hand, stimmen Sie heute über den Entschließungsantrag ab und nehmen Sie Einfluss, damit dieses Gesetz zum Nutzen der Verbraucherinnen und Verbraucher durch den Bundesrat kommt. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der PDS, der SPD und den Grünen]

Vielen Dank, Frau Dr. Lötzsch! – Für die Fraktion Bündnis 90/Grüne erhält Frau Hämmerling das Wort. – Bitte schön, da ist das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Matz, zunächst möchte ich Ihrem Gedächtnis ein bisschen auf die Sprünge helfen. Das immer ganz gut, wenn das Erinnerungsvermögen nachlässt und man nicht so genau weiß, an welchen Steuererhöhungen man selbst beteiligt war. Ich erinnere Sie daran, dass die Liberalen bis auf 16 Pfennige an der Mineralölsteuererhöhung von einer Mark beteiligt waren.

[Gram (CDU): Ihr wolltet aber 5 Mark!]

Insofern ist das ewige Trommeln auf der Ökosteuer ein bisschen absurd.

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Wir haben heute gleich zwei brisante und wirklich aktuelle, allerdings bundespolitische Themen zu diskutieren. Das eine lautet „Kostentreiber Euro“ und das andere „verseuchte Bioprodukte“. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind wütend sowohl über die verseuchten Bioprodukte als auch über die Preissteigerungen, und das zu Recht. Die Verteuerung von Waren ist nicht nur gefühlt, sondern sie ist real. Besonders die Preise für Obst, Gemüse und Brot haben sich teilweise verdop

pelt. Das trifft vor allem Niedrigverdiener und Sozialhilfeempfangende. Leute mit kleinem Einkommen profitieren nicht davon, dass das Abschleifen von Parkett, dass Flugreisen oder Computer billiger geworden sind. Ihr persönlicher Warenkorb enthält fast nur Lebensmittel. Sie haben Probleme damit, wenn die Preise für Grundnahrungsmittel steigen. Teurer geworden sind aber auch Dienstleistungen, der Friseur und der TÜV ebenso wie der Gaststättenbesuch. Dann gibt es auch noch die Abzocke im Internet mit den 0190er-Nummern. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich, dass Frau Künast Änderungen im Telekommunikationsrecht vorgeschlagen hat. Wenn Transparenz hergestellt und das Inkassoverfahren für unseriöse Anbieter geändert ist, werden diese so genannten Mehrwertdienstanbieter künftig auf ihren ungerechtfertigten Forderungen sitzen bleiben. Im Übrigen beraten die Verbraucherschutzorganisationen in Berlin hierüber gerne und kompetent. Sie werden vom Senat bzw. von der Bundesregierung, vom Künast-Ministerium, finanziert.

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Wir begrüßen den Antiteurogipfel und die Aktion der Medien, die über die unverschämte Preistreiberei der so genannten schwarzen Schafe berichten. Die „BZ“ zeigte uns am Dienstag – wir lesen auch einmal die „BZ“ –, wie es geht. Die Überschrift lautete: „Alle meckern über den Teuro. BZ zeigt Händler, die uns nicht über den Tisch ziehen.“ In dem Artikel war zu lesen: „1 Currywurst 1,10 $, Imbissbetreiber Bruno Hahnfeld, U-Bahnhof Schönhauser Allee, will seine Kunden nicht ausnehmen.“

Wir empfehlen den Verbrauchern, auf den Besuch der Kneipe zu verzichten, wo abgezockt wird. Trinken Sie Ihr Bier anderswo. Notfalls machen Sie einmal Picknick im Grünen; es ist Sommer!

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Lehmann (FDP): Und gesund!]

Die Abstimmung mit den Füßen ist der richtige Weg. Meiden Sie die Preistreiber! Gehen Sie dort einkaufen, wo es sich lohnt! Belohnen Sie die seriösen Händler und kaufen sie dort, wo es faire Preise gibt! Zeigen Sie den Abzockern die Macht der Verbraucher!

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Insbesondere in dieser Situation finden sich die Grünen bestätigt. Die europaweite gesetzliche Verpflichtung zur Preisstabilität bei der Währungsumstellung wäre besser gewesen, als auf die Selbstverpflichtung des Handels und der Wirtschaft zu setzen. Deregulierung kann nützlich sein. Wenn aber die Verlokkung, eine schnelle Mark zu machen, so groß ist, funktioniert sie nicht. Das sage ich vor allem in Richtung der vielen Herren – jetzt sehe ich nur noch eine Dame von der CDU und eine Dame von der FDP –. Vertrauen ist gut, Vertrauen und Kontrolle sind besser. Das haben auch schon einmal andere Leute gesagt.

Das beweist im Übrigen der Nitrofen-Skandal genauso. Ich halte es für selbstverständlich, dass die Wirtschaft auf Risiken ihrer Erzeugnisse selbst hinweist. Das erwarten die Verbraucher zu Recht insbesondere von der Öko-Branche. Deshalb kritisiere ich auf das Schärfste, dass ein Bio-Erzeuger seine verseuchten Erzeugnisse einfach klammheimlich vom Markt genommen hat. Er hatte die Pflicht, öffentlich zu warnen und auf das Problem hinzuweisen. Nur das hätte uns vor dem jetzigen Chaos bewahrt.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Naturland hat mit seiner Heimlichtuerei der Biobranche einen Bärendienst erwiesen und wird selbst und zu Recht am stärksten unter der Vertrauenskrise und Umsatzeinbußen zu leiden haben.

Die Verursacher dieses Skandals, so viel steht fest, müssen bestraft werden. Vorher müssen sie nur gefunden werden. Fest steht, dass die Vergiftung des Weizens auf eine kriminelle Handlung zurückgeht. Ob ein schwarzes Schaf der Öko-Erzeuger dahintersteckt oder es ein gezielter Angriff der Konkurrenz gegen die boomende Branche war, muss noch ermittelt werden. Es ist doch aber höchst merkwürdig, dass Proben eine bis zu 15 000-fache Überschreitung der Grenzwerte ergeben haben.

Eine so konzentrierte Behandlung des Weizens mit Pflanzenschutzmitteln hätte er gar nicht überleben können. Das Gift muss also später beigemischt worden sein. Hier tut Aufklärung Not und zwar ohne Ansehen der Person.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU]

Wenn es zutrifft, dass der Futtermittelhersteller GS Agri von 31 positiven Proben Kenntnis hatte und die Informationen nicht an das Bundesministerium weitergeleitet hat, obwohl es die gesetzliche Vorschrift dafür gibt, sind Konsequenzen für ihn fällig. Fest steht, dass der Öko-Landbau der am stärksten kontrollierte Wirtschaftsbereich überhaupt ist. Ohne seine privaten Selbstkontrollen – das hat auch Frau Härtlein schon gesagt – wäre das Nitrofen im Futtergetreide überhaupt nicht gefunden worden. Konventionelles Getreide wird gar nicht kontrolliert. Der Futtermittelhersteller GS Agri ist Marktführer. Sein Öko-Anteil beträgt lediglich 10 %. Die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, dass belastetes konventionelles Futtergetreide schon längst völlig unkontrolliert in den Handel gelangt ist. Darüber wird nicht einmal diskutiert. Wir Bündnisgrünen wollen keine giftbelasteten Lebensmittel, weder in Bio-Produkten noch in konventionell erzeugten Lebensmitteln!

[Beifall bei den Grünen]

Wir fordern rückhaltlose Aufklärung. Die bündnisgrüne Verbraucherministerin Renate Künast hat mit dem Bekanntwerden der Nitrofen-Verseuchung sofort und richtig reagiert. Sie zieht bereits die Konsequenzen aus der Fehlentscheidung der Bundesanstalt für Fleischforschung. Sie hat vor allem die Öffentlichkeit informiert, im Gegensatz zu ihren Vorgängern der KohlRegierung. CDU-Politiker und der Bauernverband haben jahrelang ihre Erkenntnisse über die gefährliche Wirkung von BSEverseuchtem Rindfleisch vertuscht, verharmlost und unter den Teppich gekehrt. Damit wurde die Gesundheit der Bevölkerung fahrlässig aufs Spiel gesetzt.

Es waren CSU-Politiker aus Bayern, die wochenlang verschwiegen haben, dass private Labore fehlerhafte BSE-Tests durchgeführt haben. Renate Künast hat dafür gesorgt, dass auf europäischer Ebene diese heimlichen Rückrufaktionen, wie wir sie jetzt beobachten mussten, aus dem Handel ab 2005 verboten werden. Wir begrüßen, dass sie diese Maßnahme jetzt auf nationaler Ebene im nationalen Alleingang vorziehen wird.

Richtig ist, dass die Informations- und Frühwarnsysteme versagt haben. Die Landesministerien von Brandenburg und Bayern hatten schon länger Informationen über verseuchten Futterweizen. Sie haben die Informationen nicht weitergegeben. Deswegen sind politische Schuldzuweisungen an die Bundesregierung völlig unangebracht.

[Beifall der Frau Abg. Paus (Grüne)]

Das wäre zum Klatschen gewesen! –

[Dr. Steffel (CDU): Das ist doch nicht zum Klatschen!]

Sie dienen lediglich der Ablenkung von der eigenen Unfähigkeit. Wenn das Verbraucherinformationsgesetz morgen im Bundesrat beschlossen wird, gibt es eine größere Informationspflicht, mehr Transparenz und damit auch mehr Sicherheit. Die CDU hat dieses Gesetz im Bundestag leider abgelehnt. Vor kurzem hatte die CDU noch erklärt, dass sie diesem Gesetz nicht zustimmen kann, weil es die Wirtschaft zu sehr belastet. Gestern habe ich im „Info-Radio“ gehört, dass sie dem Gesetz nicht zustimmen will, weil es nicht hart genug ist. Was ist denn nun?

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Welche konkreten Änderungsvorschläge, meine Damen und Herren von der CDU, möchten Sie morgen einbringen? Tun Sie es ruhig. Machen Sie Ihren Kollegen in Bayern und anderen CDU-regierten Ländern Dampf. Wir haben nichts dagegen. Verschärfen Sie das Gesetz im Sinne der Bundesratsinitiative von Niedersachsen. Wir begrüßen es, wenn in dem Gesetz die Informationspflicht der Wirtschaft gegenüber den Verbrauchern festgeschrieben wird. Entscheiden Sie für mehr Sicherheit für Verbraucher und stimmen Sie diesem Gesetz zu!

Frau Kollegin! Ihre Redezeit nähert sich dem Ende!

Ich komme zu meinem Schluss. – Meine Damen und Herren von der CDU, ich kann Sie beruhigen: Die Agrarwende ist nicht gescheitert, sondern befindet sich erst am Anfang. Es geht darum, dem kriminellen Treiben ein Ende zu setzen, aufzuklären und das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher wiederherzustellen. Dazu wird viel Kraft nötig sein. Wir unterstützen die Bundesregierung bei allen Maßnahmen zum Verbraucherschutz. Die erste Bewährungsprobe steht morgen im Bundesrat an. Wir fordern Sie auf, dem Gesetz zuzustimmen!

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Vielen Dank, Frau Hämmerling! – Das Wort hat nun der Senat. Gemeldet ist Frau Senatorin Dr. Knake-Werner. – Bitte schön, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Natürlich ist es so, dass die Menschen in dieser Situation über den neuen Lebensmittelskandal beunruhigt sind, besonders dann, wenn nach BSE und Maul- und KlauenSeuche nun auch noch die Bioprodukte ins Gerede kommen. Auch die Preisentwicklung nach der Einführung des Euro schafft Unbehagen in der Bevölkerung. Wer spürt das nicht? Darüber hinaus mehren sich die Klagen von Internet-Nutzern und Einkäufern im Internet. Immer mehr Menschen fühlen sich über das Ohr gehauen und haben das Gefühl, dass sie in dieser Situation nicht geschützt sind. Ich nehme diese Sorgen ernst. Deshalb freue ich mich auch, hier heute als Verbraucherschutzsenatorin zu einigen Fragen Stellung nehmen zu können.

[Beifall bei der PDS]

Ich sehe meine Aufgabe darin, zur Information und Aufklärung beizutragen und deutlich zu machen, was meine Behörde tut, aber was sie auch nicht tun kann. Das Interesse der Verbraucher muss dabei im Vordergrund stehen. In Richtung der CDU sage ich ganz deutlich, dass es einen Rundumschutz von Verbrauchern nicht geben wird, weder von diesem Senat noch von irgendeiner anderen Regierungskonstellation. Überhaupt hat mich der Ruf nach dem Staat gerade aus den Reihen der CDU ein bisschen verwundert, da von Ihnen ansonsten immer die Selbstregulierungskräfte des Marktes beschworen werden.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Aber in dieser Situation zeigt sich, dass Marktregulierung, die nur eben nicht funktioniert, nur in Schönwetterzeiten funktioniert.

Den Widerspruch zu Ihrer Bundespartei, meine Damen und Herren von der CDU, müssen Sie unter sich ausmachen; das ist klar. Mich interessiert aber, wie sich Ihr heutiger Antrag mit dem im Bundesrat angekündigten Abstimmungsverhalten der CDUregierten Länder zum Verbraucherinformationsgesetz der Bundesregierung verträgt. Man kann manches an diesem Gesetz kritisieren, aber eines ist klar: Dieses Gesetz von RotGrün ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, weil die Behörden damit nämlich endlich rechtzeitig Namen von Produkten und Firmen veröffentlichen können, von denen eine gesundheitliche Gefährdung ausgeht.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Ein Scheitern dieses Gesetzes – und dann noch aus Kostengründen – an den Stimmen von CDU/CSU halte ich in dieser aktuellen Lage für besonders kontraproduktiv.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Deshalb kündige ich hier heute an: Sollte das Verbraucherinformationsgesetz morgen im Bundesrat scheitern, werde ich sehr zügig ein Landesgesetz einbringen. Da hoffe ich auch auf Ihre Unterstützung.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]