Protokoll der Sitzung vom 26.09.2002

Es ist Ihr spezielles Geschichtsverständnis, das auch andere Reden von Ihnen durchzieht. Sie meinen es ernst, wenn Sie mit bebender Stimme vor diesem Haus ausrufen, dass die SPD mit ihrer Koalitionsentscheidung dem Kommunismus in Deutschland das Tor zu Macht öffnet.

[Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Sie meinen es ernst, indem Sie alles und jedes historisch vergleichen, was Ihrem eigenen Weltbild nicht entspricht. Es zeigt, dass Toleranz von Ihnen immer nur behauptet wird, wenn sie anderen Politikentwürfen nicht mit sachlichem Streit, sondern mit Vergleichen unsäglicher historischer Ereignisse begegnen, wenn Sie in dunkles Geraune von nüchternen und trunkenen Völkern verfallen. Man kann sich so leicht in seiner eigenen Bedeutsamkeit verlieren! [Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den Grünen – Czaja (CDU): Wohl wahr!]

Die Fraktionen der Grünen, der SPD und der PDS haben diese Entschließung eingebracht, weil ein Parlament reagieren muss, wenn der Vizepräsident Parteien dieses Hauses mit einem Vergleich in dieser Weise beleidigt. Und es muss reagieren, wenn ein Vizepräsident Wählerschelte betreibt.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Er ist in der Verantwortung für ein vertrauensvolles Verhältnis zu allen Parteien im Parlament.

[Matz (FDP): Wie Herr Momper!]

Er ist nicht im Amt, um die CDU-Wählerschaft zu vertreten, sondern alle Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt, auch wenn diese Rot oder Grün gewählt haben.

Niemand kann Sie zu einer Entschuldigung Ihrer ureigensten Meinung zwingen; das ist mir im Ältestenrat noch einmal klar geworden. Sie können die Auswirkungen und Folgen Ihrer Äußerung bedauern, aber Sie meinen, was Sie sagen. Deshalb haben wir hier die Initiative ergriffen. Außerhalb dieses Hauses werden die Folgen für Sie vermutlich viel größer sein. Ich zitiere zum Schluss Gustav Seibt aus der „Süddeutschen Zeitung“:

Christoph Stölzl hat sich buchstäblich um Kopf und Kragen geredet; das mag in Berlin noch hingehen, in einem höheren Staatsamt des Bundes ist das tödlich.

[Dr. Lindner (FDP): Das sehen wir gerade!]

Ein solches Risiko wird die Union nicht eingehen wollen.... Er fühlt sich zu groß für diese kleine Zeit, und sie schlägt ihm immer wieder aufs Haupt deshalb.

Danke schön!

[Beifall bei der PDS, der SPD – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Abgeordnete Dr. Lindner!

Frau Präsidentin! Verehrte Damen! Meine Herren! Vergleiche mit Nazis und mit der Nazizeit sind nicht sehr alt in Deutschland. Jedes Mal, wenn einer glaubt, er müsse eine Sache in Deutschland besonders unterstreichen und er müsse bewusst provozieren oder Tabus brechen, dann greift er in diese – mehr oder minder – „Mottenkiste“. Ich nenne Ihnen ein paar Beispiele: Sommer ’82, Oskar Lafontaine: „Helmut Schmidt spricht von Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit. Das sind Sekundärtugenden, ganz präzise gesagt. Damit kann man auch ein KZ betreiben.“

Juni 1983, der damalige CDU-Generalsekretär Geißler wettert im Bundestag: „Ohne den Pazifismus der 30er Jahre wäre Auschwitz gar nicht möglich gewesen.“

[Beifall der Abgn. Borgis (CDU), Braun (CDU) und Wellmann (CDU)]

1985 sagte dann der SPD-Chef Willy Brandt, Geißler sei seit Goebbels der schlimmste Hetzer im Land.

Wir können aber auch ein paar neuere Äußerungen nehmen. Zum Beispiel 12. März 2001 Umweltminister Jürgen Trittin sagt in einem WDR-Interview über CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer: „Laurenz Meyer hat die Mentalität eines Skinheads und nicht nur das Aussehen.“

[Mutlu (Grüne): Was ist mit Möllemann?]

Und nicht zu vergessen Ihr grobschlächtiger Ex-Fraktionschef Stiegler. Der SPD-Politiker verwies Union und Liberale darauf, dass deren Vorläuferparteien am 23. März 1933 Hitler ermächtigt hätten, nachdem sie ihn zuvor verharmlost und an die Macht gebracht hätten.

Aber auch wenn wir in unsere Reihen schauen, ich erinnere an die Ampel-Koalitionsverhandlungen, der innenpolitische Experte der Grünen, Volker Ratzmann, hatte aus der Fachgruppe Inneres berichtet, dort seien Äußerungen von der FDP zur Ausländerpolitik gekommen, die auch in einem NPD-Programm hätten stehen können.

[Ratzmann (Grüne): In weiser Voraussicht!]

Sehr originell war es nicht und vor allem nicht singulär. Das macht die Sache nicht – das sage ich ganz klar – nicht billigenswert, sondern es ist ein abwegiger Vergleich, der den Eindruck erweckt, Professor Stölzl, auch wenn Sie ihn nicht so hinterlassen wollten, Rot-Grün sei mit extremistischen Parteien der Endzeit von Weimar vergleichbar. Das ist einfach ein Eindruck, der erweckt werden kann, und deswegen sind solche Vergleiche allesamt schief und missbilligenswert.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Ich glaube auch, Professor Stölzl, es war entbehrlich, weil Sie rhetorisch in der Lage sind, Ihre Empörung über das, was Sie eigentlich meinten, auch mit anderen Worten Ausdruck zu geben. Diese Empörung war auch bei mir. Und zwar Empörung darüber, wie hier von der SPD, vor allen Dingen, im Wahlkampf mit dem Thema Irak Stimmung gemacht wurde.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Gaebler (SPD): Möllemann, sage ich nur! – Weitere Zurufe von der SPD]

Da wurde in der Tat Pazifismus, Antiamerikanismus in einer Stimmung hochgezogen, Fragen beantwortet, die sich gar nicht stellten, und es wurde Wahlkampf gemacht auf Kosten des transatlantischen Bündnisses und zu dem Preis einer weitgehenden Isolierung Deutschlands auch in Europa. Das wurde ganz bewusst in Kauf genommen.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Das hat uns alle, alle auf die Palme gebracht!

Das Ganze gipfelte dann wiederum in einen Vergleich der Justizministerin, die meinte, den Präsidenten der Vereinigten Staaten, Bush, mit Hitler vergleichen zu müssen. Die Dame ist immer noch im Amt. Dagegen gibt es keine Resolution, weder hier noch im Deutschen Bundestag.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Umgang mit dem Fall den wir hier zu behandeln haben: harte Kritik, ja, aber Missbilligung im Plenum, das hat ein wenig Heuchelei, was hier getrieben wird. Erstens ist es nicht Aufgabe des Parlaments, Reden von Oppositionspolitikern zu missbilligen.

[Frau Oesterheld (Grüne): Des Vizepräsidenten!]

Es ist Aufgabe des Parlaments, eine Regierung zu wählen und sie kritisch zu begleiten. Missbilligungen von Reden von Oppositionspolitikern finden da draußen und in den Medien statt, da ist

alles offen, aber hier? Wo kommen wir denn hin, wenn wir uns jede Woche mit irgendwelchen Äußerungen von Oppositionellen hier weitergehend beschäftigen?

[Gaebler (SPD): Irgendwelche Äußerungen? – Brauer (PDS): Schön, dass gerade Sie Narrenfreiheit haben!]

Das bringt uns sicher nicht weiter. Wenn jemand meint, Professor Stölzl sei als Vizepräsident nicht tragbar, dann müssen Sie Ihren Antrag dahin gehend ganz klar präzisieren. Das geht natürlich. Sie könnten ihn in diese Richtung präzisieren. Aber Sie glauben selbst nicht daran, dass das, was hier gesagt wurde, hierfür reicht. Ich habe es vorgetragen. Es ist nicht so singulär, es ist in einer ewigen Kette und da sind Sie alle mit Vergleichen dabei.

[Zuruf des Abg. Cramer (Grüne)]

Deswegen reicht eine einmalige Sache für eine Missbilligung nicht aus. Wenn Sie schon missbilligen wollen, dann muss die Ursache für die ganze Erregung, nämlich Hertha Däubler-Gmelin mit hinein. [Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall von der CDU – Zuruf der Frau Abg. Oesterheld (Grüne) – Zurufe von der SPD]

Hinzu kommt ganz klar, Professor Stölzl hat sich für diese Einlassungen entschuldigt, und zwar mit klaren Worten entschuldigt

[Gaebler (SPD): Nein!]

für den Vergleich Ihrer Parteien – das heißt, er hat gar nicht verglichen –, aber die Konnotation mit extremistischen Parteien der Weimarer Zeit. Er hat sich ganz klar entschuldigt.

[Frau Oesterheld (Grüne): Hat er aber nicht!]

Sie hatten doch gesagt, wenn er sich entschuldige, sei alles in Ordnung. Dann müssen Sie zumindest aus dieser Phalanx ausscheiden und sich zurückziehen.

Ich glaube, insgesamt haben wir es hier mit einer Art Nachwahlkampf zu tun.

[Frau Oesterheld (Grüne): Wenn, dann haben wir Vorwahlkampf!]

Was die Wählerbeschimpfung anbelangt, die Sie hineinlesen, die Bürgerinnen und Bürger wissen selbst, wie sie darauf zu reagieren zu haben, spätestens bei den nächsten Wahlen. Dafür brauchen sie Sie nicht.