Protokoll der Sitzung vom 26.09.2002

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Sen Böger

Nun rede ich nicht mehr über das Personal und die Gebäude, sondern über das, was in den Köpfen passiert und passieren muss. Hier sehen wir ein 7-Punkte-Programm als Antwort auf PISA. Ich sage gleich vorweg, weil der Kollege Mutlu sonst als nächstes wieder sagt, dies sei nur Reden, Reden und Ankündigen: Es ist mir sonnenklar, dass dieses 7-Punkte-Programm, das ich Ihnen jetzt noch einmal darlegen möchte, keinesfalls in einem Halbjahres- oder Zweijahresschritt umgesetzt werden und Wirkungen zeigen kann. Wer anderes sagt, belügt sich selbst und andere. Das heißt aber nicht, dass wir umgekehrt sagen können, wir tun erst einmal gar nichts, weil Veränderungen lange dauern. Das ist sicherlich der falsche Weg. Ich bitte Sie jedenfalls, bei diesem 7-Punkte-Programm mitzuwirken, weil ich denke, dass es zumindest eine wichtige Teilantwort auf PISA ist.

1. Wir brauchen eine Qualifizierung der vorschulischen Bildung in Kitas und Vorklassen.

2. Wir brauchen eine Stärkung der Grundschulbildung und einen Ausbau der Ganztagsgrundschulen bzw. Ganztagsbetreuung.

3. Wir brauchen eine systematische Förderung der Bildungsbenachteiligten.

4. Wir brauchen eine Qualitätsentwicklung der gymnasialen Oberstufe.

5. Wir brauchen – das ist die wichtigste strukturelle Veränderung – die eigenverantwortliche Schule, wir brauchen ein vollkommen neues Leitbild der Schule in Berlin.

6. Wir brauchen durchgängig Qualitätsentwicklung und Qualitätskontrolle.

7. Wir brauchen eine neue Lehrerbildung in Berlin.

Der rechtliche Rahmen für diese sieben Punkte ist von Ihnen zum Teil schon in Teilgesetzen vor dem neuen Schulreformgesetz gegeben worden, aber im Kern wird das neue Schulreformgesetz auch für diese Punkte den rechtlichen Rahmen bilden.

Zu Punkt 1, den Bildungsangeboten, die früher einsetzen müssen: Ich glaube, dass wir in Berlin q u a n t i t a t i v bei dem, was vor der Schule geschieht, im Bundesmaßstab sehr gut liegen.

[Frau Senftleben (FDP): Quantitativ!]

Ob das qualitativ so ist, ist eine andere wichtige Frage. Wir müssen in jedem Fall auch qualitativ, das heißt in den Inhalten, der vorschulischen Bildung und in der Kita besser werden.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

Als Erstes ist hierzu notwendig, dass wir für die Bundesrepublik Deutschland ein gemeinsames und verbindliches Curriculum schaffen für den Kindergartenbereich und die vorschulische Erziehung.

Das Zweite ist: Wir brauchen ganz sicher eine Verbesserung und eine andere Anlage der Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher. Ich bin sehr froh, dass Berlin als einziges Bundesland in der Bundesrepublik Deutschland ein Modellprojekt machen wird, um die Erzieherinnenausbildung zu qualifizieren. Dieses ist ein Bund-Länder-Reformprojekt, und ich erhoffe mir davon entscheidende Schritte zur Verbesserung der Ausbildung, was auch absolut notwendig ist. Es muss uns gelingen, in den Kitas die Freude am Lernen und die Lernfähigkeit der Kinder in diesem jungen Alter effektiv zu nutzen, ohne dass ihnen die Freude an der Kindheit verloren geht. Dies ist möglich, das ist dann eben auch machbar.

[Frau Senftleben (FDP): Das tun sie von sich aus gerne, sie lernen gerne!]

Ja, sie lernen, aber zum Teil nicht genug oder sie haben nicht ausreichende Möglichkeiten dazu.

Zu Punkt 2, den Grundschulen. Es ist wahr, dass die Grundschulen nicht in Berlin, aber in der Bundesrepublik insgesamt

sehr lange vernachlässigt wurden. Wir wollen in Berlin eine bedarfsgerechte Erweiterung des Ganztagsangebots für Grundschulkinder.

[Beifall der Frau Abg. Dr. Hiller (PDS)]

Herr Kollege Mutlu, Sie haben hier, was ich immer gut finde, aus der Koalitionsvereinbarung hinlänglich zitiert. Sie müssen das dann aber auch richtig tun. In der Koalitionsvereinbarung steht eben nicht drin, dass wir den Ausbau der Grundschulen zur Ganztagsbetreuung oder die Erweiterung der verlässlichen Halbtagsgrundschule bis zum Jahresende 2002 erreichen wollen, sondern da steht: „in dieser Legislaturperiode“. Wer anderes behauptet, der behauptet das wider besseres Wissen. Das dürfen Sie an diesem Pult hier dann auch nicht tun, Herr Kollege Mutlu.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

Ich werde Ihnen sagen, wie wir das finanzieren wollen, denn ohne Finanzierung ist das leider nicht möglich, auch das haben wir verbindlich beschlossen. Dies ist nur zu finanzieren, wenn wir einen großen Teil der Lehrerstellen nutzen, die durch das Geringerwerden der Schülerzahl frei werden, indem wir sie umwandeln in Erzieherinnenstellen. Dann ist es möglich, dies zu finanzieren. Das ist ein – wie ich finde – wichtiges Projekt, das deutlich macht, dass Bildung Priorität hat. Das ist übrigens kein Sparbeitrag. Denn das Normalste ist, Stellen, wenn sie bei sonst gleichbleibenden Bedingungen wegfallen, gleich zu kassieren. Das ist nicht Sparen, sondern normales Wegfallen. Dieser Senat und die Koalition haben aber beschlossen, dass sie dessen ungeachtet einen Teil dieser Stellen für pädagogische Verbesserungen einsetzen will. Das, finde ich, ist ein deutliches Zeichen für bildungspolitische Priorität.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Zu den Grundschulen und ihrer Bedeutung ist hier einiges gesagt worden. Ich finde es bedauerlich, Frau Senftleben, dass Sie keine Gelegenheit auslassen, an der Früheinführung der ersten Fremdsprache zu mäkeln.

[Zuruf der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

Sie haben aus meiner Presserklärung zitiert, Sie nennen das „Elaborat“, aber Sie können nicht daraus entnehmen, dass gegenwärtig die Einführung der ersten Fremdsprache nach freiem Belieben der Lehrerinnen und Lehrer abläuft. Zu dem Element Rahmenplan gibt es auch immer das Instrument des Vorläufigen Rahmenplans,

[Frau Senftleben (FDP): Das haben wir in Berlin seit 1976!]

exakt nach diesem System arbeiten gegenwärtig die Lehrerinnen und Lehrer in der Berliner Schule. Aber ich bestreite nicht, dass wir in diesem Bereich wie auch in vielen anderen Bereichen der Lehrpläne in der Grundschule eine Lehrplanreform brauchen. Dabei sind wir, übrigens gemeinsam mit Brandenburg, gemeinsam mit Mecklenburg-Vorpommern, und neuerdings möchte sich auch Bremen daran beteiligen. Das ist ein guter und vernünftiger Weg, so etwas gemeinsam zügig anzugehen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS – Zuruf der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

Bei der Grundschule will ich noch etwas betonen: Die sechsjährige Grundschule ist in der Tat die einzig wirkliche Gesamtschule, die es in Berlin gibt.

[Beifall des Abg. Cramer (Grüne)]

Sie nicken, Herr Rabbach, ich finde, wir sollten mit diesem Pfund wuchern, denn eines ist ziemlich klar: PISA hat absolut deutlich gezeigt, dass Gliederungen im Bildungssystem und möglichst frühes Aufteilen von Schülern wirklich nicht der richtige Weg sind. Wer anderes sagt, kann die Studie nicht gelesen haben.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

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Sen Böger

Es ist sehr bemerkenswert, wenn der Chef der Unternehmensberatung McKinsey – also niemand von der GEW, sondern der Chef der Unternehmensberatung McKinsey –, auf eine Frage nach der Notwendigkeit der Gesamtschulen wie folgt antwortet:

Wir tun uns keinen Gefallen, die alte Diskussion aufzurollen. Die Markte Gesamtschule ist negativ behaftet. Als Unternehmer muss ich sie sofort ersetzen. Fest steht aber, dass die Entscheidung über den individuellen Bildungsweg nach vier Jahren falsch ist.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der PDS]

Das ist eine bemerkenswerte Aussage. Ich möchte keine Strukturdebatte in Berlin und schon gar nicht in der Bundesrepublik Deutschland, aber über eines müssen wir uns wirklich bewusst werden. Es ist in der Tat eine große Chance, diese gemeinsame Schule, die wir natürlich qualitativ entwickeln müssen. Alle vergleichbaren Daten zeigen, dass es falsch ist, zu einem frühen Zeitpunkt Schüler schon definitiv in verschiedene Schulen abzugeben. Das muss berücksichtigt werden.

[Beifall der Abgn. Frau Schaub (PDS) und Frau Dr. Barth (PDS)]

Herr Senator! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mutlu?

Gerne!

Dann haben Sie jetzt das Wort, Herr Mutlu!

Herr Senator! Ich höre es gerne, dass Sie zu der sechsjährigen Grundschule stehen. Meine Frage ist, wie steht diese Aussage zur Einführung der äußeren Fachleistungsdifferenzierung, die Sie im letzten Schuljahr eingeführt haben. Wie ist das in Einklang zu bringen? Es gefährdet meiner Meinung nach die sechsjährige Grundschule sehr wohl.

[Czaja (CDU): Nicht so gemeine Fragen!]