Protokoll der Sitzung vom 13.12.2001

Immerhin 80 % der Berlinerinnen und Berliner lehnen es ab, Olympische Spiele mit Steuermitteln zu bezahlen. Bei einer „Tagesspiegel“-Umfrage von gestern waren 55 % überhaupt gegen eine Bewerbung.

[Niedergesäß (CDU): Kommt darauf an, wie man fragt!]

Damit ist auch die Erfüllung des wichtigsten IOC-Kriteriums, nämlich der Olympiabegeisterung, nicht gegeben und wird sich auch bei den Einsparungen in den nächsten Jahren wohl nicht einstellen. Selbst wenn Werner Gegenbauer und andere die ersten zwei Millionen DM zahlen – für die Milliarden DM, die dann

folgen werden, werden sie wohl nicht aufkommen. Dass es Milliarden DM sein werden, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Auch wenn es die Max-Schmeling-Halle, auch wenn es das Velodrom, auch wenn es das Schwimmstadion an der Landsberger Allee heute gibt und diese übrigens – daran muss man ja auch einmal erinnern dürfen – nur mit massiven dauerhaften Zuschüssen des Landes betrieben werden können,

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

und auch wenn das Olympia-Stadion saniert wird, Olympia 2012 oder 2016 würde Milliarden DM Investitionen notwendig machen, die diese Stadt einfach nicht hat.

Private Investoren sind heute genauso wenig in Sicht wie bei der letzten Bewerbung, als die Olympia GmbH private Gelder einwerben sollte und am Ende selbst deren Geschäftsführer von der öffentlichen Hand bezahlt wurde. Deshalb hatte der FDPAbgeordnete Hahn – er ist ja jetzt wieder hier – , der damals genauso wie Judith Demba im zuständigen Untersuchungsausschuss Olympia saß, Anfang November Recht, als er eine Bewerbung von verbindlichen Zusagen der Wirtschaft abhängig machte, damit alle – und ich betone alle – erforderlichen Gelder aus privaten Kassen kommen, „bis hin zu den Schmiermitteln für die IOC-Potentaten“,

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

so Herr Hahn, der damit wohl den Posten Korruption und Bestechung in Erinnerung an die letzte Olympiabewerbung meinte. Weil es diese Privatfinanzierung von Olympia nicht geben wird – übrigens auch nicht von denen, die sich schon bei der ersten Bewerbung dumm und dämlich verdient haben – ,

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

ist es konsequent, dieses Mal auf Olympia zu verzichten.

[Beifall bei den Grünen]

Berlin würde es gut anstehen, dieses Mal den Städten, die 1993 verzichtet haben, den Vortritt zu lassen. Und Sympathien, meine Damen und Herren und gerade meine Damen und Herren von der CDU, brauchen wir, wenn wir die finanzielle Solidarität bei den wichtigsten Geberländern des Länderfinanzausgleichs mit der armen Hauptstadt Berlin einfordern.

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Den Nachweis der sparsamen Haushaltsführung brauchen wir auch, wenn wir uns in den nächsten Jahren um zusätzliche Bundesmittel bemühen wollen, unter Umständen sogar via Bundesverfassungsgericht. Auch deshalb ist es politisch verantwortlich, auf eine erneute Bewerbung zu verzichten.

Von dieser Einschätzung, dass dies verantwortlich ist, kann uns im Übrigen auch z. B. der Bauunternehmer Klaus Groth nicht abbringen, der sich natürlich nachdrücklich für eine Bewerbung und die damit verbundenen Bauinvestitionen ausgesprochen hat.

[Niedergesäß (CDU): Richtig so! – Rabbach (CDU): Der schafft Arbeitsplätze!]

Und dass der geschasste Geschäftsführer der damaligen Olympia Marketing GmbH Nikolaus Fuchs heute wieder ganz vorne mitmischt, ist nun auch nicht gerade eine vertrauensbildende Maßnahme. Oder, um es mit Manfred von Richthofen, dem DSBPräsidenten zu sagen: „Das ist skandalös und hätte sicherlich nicht zum Renommee der Olympiainitiative beigetragen.“ Im Übrigen hat allein die Firma Bossard Consultans unter Herrn Fuchs über 2 Millionen DM an der ersten Bewerbung kassiert, also exakt die Summe, die heute für eine erneute Bewerbung bei der Privatwirtschaft insgesamt eingeworben werden soll.

[Zuruf des Abg. Matz (FDP)]

Das ist doch nun wirklich Irreführung des Publikums auf hohem Niveau, meine Damen und Herren!

[Beifall bei den Grünen – Dr. Rexrodt (FDP): Ein ganz feiner Stil, hier einzelne Firmen zu nennen! Hohes Niveau!]

Selbst der DSB-Präsident, der sich heute ganz klar gegen eine Bewerbung Berlins ausspricht, erinnert damit indirekt an die Skandale der Olympia GmbH, an die schamlose Selbstbedienung, an die Verschleuderung von Steuergeldern, an Geheimdossiers über sexuelle Vorlieben von IOC-Mitgliedern und nicht zuletzt an die bekannte Reißwolfaffäre. Das ist doch heute nicht vergessen.

[Dr. Lindner (FDP): Wir reden über 2012!]

Und der Einzige, der wirklich auf das fortgeschrittene Stadium von Amnesie hofft, das ist Axel Nawrocki, der seinerzeit hochbezahlte, völlig überforderte und nur am Reißwolf effektiv Arbeitende, er hat sich nämlich in Nordrhein-Westfalen gemeldet und seine Unterstützung für das Rhein-Ruhr-Gebiet angeboten – und ist abgeblitzt: Gut für Nordrhein-Westfalen, kann man an dieser Stelle nur sagen.

[Beifall und Heiterkeit bei den Grünen]

Was jetzt zuletzt nur noch fehlt, das ist, dass der Dressman Lutz Grüttke aus der Versenkung auftaucht und seine Hilfe anbietet.

[Dr. Rexrodt (FDP): Mein Gott, ist das eine Nummer hier, Namen nennen, das gibt es nur in Provinzparlamenten! – Wieland (Grüne): Wir vergessen die Namen nicht!]

Um eine solide öffentliche Finanzierung und um solide Finanzen geht es hier, sehr verehrter Herr Rexrodt. Ein Brief von Herrn Fuchs, der dieser Tage ankam, teilt Folgendes mit:

Jeder, der sich mit der Thematik mittlerweile auskennt, weiß inzwischen, dass Olympische Spiele eine Stadt nicht wesentlich belasten und netto 1 Milliarde Euro für den Sportstättenbau einbringen.

Da fällt mir nur Volker Kähne, der ehemalige Chef der Senatskanzlei ein, der „Sponsoring“ mittlerweile für ein Schlüsselwort für unseriöse Finanzierung hält. Und da sage ich: Recht hat er, der Herr Kähne.

[Beifall bei den Grünen – Beifall der Abg. Frau Dott (PDS)]

Und wenn sich ausgerechnet diese Berliner CDU hier so für Olympische Spiele engagiert, dann müssen wir doch einmal ganz kurz auf die Frage zurückkommen, warum diese Stadt eigentlich so pleite ist. Es waren die CDU und übrigens auch die FDP im Bund, die Anfang der 90er Jahre viel zu schnell die Bundeshilfen für Berlin zurückgefahren haben. Es war die große Koalition aus CDU und SPD, die Berlin in den Haushaltsnotstand manövriert haben.

[Cramer (Grüne): Stimmt!]

Und es war der CDU-Fraktionsvorsitzende Landowsky, der mitverantwortlich ist für den Bankenskandal.

[Ah! von der CDU]

Allein die 4 Milliarden DM, die das Land Berlin in diesem Jahr für die Bank nachschießen muss, wären schon eine halbe Olympiabewerbung gewesen oder ein halber öffentlich finanzierter Flughafen, je nachdem, wie Sie wollen. Wenn also jemand Olympia schon zum zweitenmal verhindert, dann sind Sie es, dann ist es diese Berliner CDU. Und das und nichts anderes ist die Wahrheit.

[Beifall bei den Grünen – Frau Herrmann (CDU): Das ist ja wohl das Letzte!]

Im Übrigen, das will ich hier auch klar und deutlich sagen, geht es bei der Entscheidung für oder gegen eine Bewerbung Berlins um die Austragung Olympischer Spiele n i c h t um eine Olympiagegnerschaft an sich. Olympische Spiele sind ein einmaliges Sportereignis, sie sind ein Beitrag zur Völkerverständigung, und irgendwann sind sie vielleicht auch einmal dopingfrei.

Ich rufe an dieser Stelle in Erinnerung, dass es die Alternative Liste war, die sich 1989 vor dem Fall der Mauer für eine gemeinsame Bewerbung Ost- und Westberlins ausgesprochen hat. Dann kam aber der Fall der Mauer und damit gigantisch andere

Aufgaben. Und heute braucht Berlin dringender denn je eine Sportförderung, die vor allem Kinder und Jugendliche in den Schulen und in den Vereinen erreicht, Großsportanlagen leisten dies nicht. Im Übrigen – und das sei auch noch einmal gesagt, weil das hier immer wieder behauptet wurde – würden die schon vorhandenen Hallen im Jahr 2012 überhaupt nicht mehr dem notwendigen Standard entsprechen,

[Niedergesäß (CDU): Oh!]

sie müssten aufwändig saniert werden.

[Brauer (PDS): Müssten sie jetzt schon! – Eßer (Grüne): Sind doch schon 20 Jahre alt!]

Auch deshalb passen Olympische Spiele derzeit nicht in die Realität Berlins.

Besorgnis erregend finde ich, und das ist in den Redebeiträgen heute auch wieder deutlich geworden, dass ein Nein für Olympia gleichgesetzt wird mit einer fehlenden Vision für die Zukunft Berlins.

[Dr. Lindner (FDP): Provinz!]

Kann es denn wirklich wahr sein, dass große Teile der politischen Öffentlichkeit in dieser Stadt Olympische Spiele brauchen, um eine Vorstellung von der Zukunft Berlins zu entwickeln? Für oder gegen Olympia zu sein, das ist genauso wenig ein politisches Programm, genauso wenig eine politische Vision, wie es keine Vision ist zu sparen, bis es quietscht.

[Niedergesäß (CDU): Aber eine Geisteshaltung!]

Quietschen für die Bankgesellschaft und für Landowskys Geschäfte, für eine in den Sand gesetzte Olympiabewerbung, die übrigens damals schon 51 Millionen DM gekostet hat, oder für großzügige Grundstücksgeschäfte zum Nutzen Dritter, das ist kein Leitbild. Und auch ein irreales Zieljahr 2009, in dem angeblich keine weitere Netto-Neuverschuldung mehr gemacht werden muss, ist keine Vision, sondern eine Augenwischerei wider besseres Wissen, und das werden wir auch immer wieder anmahnen.