Protokoll der Sitzung vom 14.11.2002

[Heiterkeit – Beifall bei der FDP, der CDU und den Grünen]

Das Wort hat nun der Abgeordnete Schruoffeneger. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das mit dem Töpferkurs in der Toskana war schon ganz richtig, denn den Töpferkurs in den bezirklichen Jugendfreizeitstätten oder Seniorenheimen wird es bald nicht mehr geben, wenn das so weitergeht im Lande Berlin. Des

halb ist die Toskana für die Herrschaften vielleicht angesagt. Sie können es sich ja auch leisten – im Gegensatz zu vielen Menschen in den Bezirken.

Wir sollten uns noch einmal vergegenwärtigen, über was wir hier eigentlich reden. Wir reden nicht über eine anonyme Verwaltungsstruktur, sondern über die Kindertagesstätten, die Sozialarbeit, die Seniorenarbeit, die Jugendeinrichtungen, die Ausstattung in den Schulen, die Kultureinrichtungen, die Bibliotheken oder die Volkshochschulen. Diese Reihe könnte man fortsetzen. Wir reden also über das soziale und kulturelle Leben in der Stadt, und wir reden nicht über Verwaltung. Das macht die Brisanz dieser Debatte deutlich.

[Beifall bei den Grünen]

Ich möchte eine weitere Vorbemerkung machen: Herr Krüger, Sie haben gesagt, wir sollten zur Kenntnis nehmen, wie gut Sie sind. Sie hätten überall mehr gegeben. Sie hätten beim Personal aufgestockt. Sie hätten bei den Sozialausgaben aufgestockt. Ja, das haben Sie! – Sie haben sich einen absurden Plan eines alten Senats genommen, der völlig unterfinanziert war, haben da dann ein paar Millionen hinzu gegeben und gesagt: Jetzt sind wir gut. – Herr Momper hat die heutige Sitzung mit den Worten begonnen: „Politik hat etwas mit Realität zu tun.“ – Insofern geht es nicht darum, was Sie auf irgendwelche Papiere daraufgesattelt haben, sondern wie Sie mit der Realität umgehen. Da fehlt aber schlichtweg eine Summe von 300 Millionen allein bei den Sozialausgaben.

Was passiert in der Realität? – Wir bekommen immer wieder zu hören, die bezirkliche Selbstverwaltung und das Bürgerengagement sollten gestärkt werden. Aber was ist Selbstverwaltung, die gar nichts mehr entscheiden kann, weil sie über die finanziellen Maßgaben faktisch erdrosselt wurde? – Das ist keine Selbstverwaltung mehr, sondern eine solche Selbstverwaltung steht nur auf dem Papier.

Der Effekt, den Sie immer wieder mit Ihren Vorgaben auslösen, ist der Folgende: Die Bezirke können die freiwilligen Aufgaben nicht mehr erfüllen, und die Einrichtungen, die die freiwilligen Aufgaben erfüllen, werden geschlossen, weil alle vorhandenen Ressourcen in die Pflichtaufgaben fließen müssen. Das ist dann aber keine Selbstverwaltung mehr, sondern das Gegenteil.

Herr Wowereit hat das Wort von der organisierten Verantwortungslosigkeit geprägt, und ich finde: Ja, das stimmt! Das, was wir im Moment in Berlin haben, ist die organisierte Verantwortungslosigkeit. Aber sie liegt woanders, nicht in den Bezirken: Was ist davon zu halten, wenn eine Sozialsenatorin – die jetzt nicht anwesend ist – im Senat den Finger für

eine 25-Millionen-Einsparung in der Behindertenarbeit hebt, anschließend als Verhandlungsführerin mit den Wohlfahrtsverbänden aushandelt, dass die Kostensätze nicht gesenkt werden – eine richtige Entscheidung –, und dann sagt: „Liebe Bezirke, nun seht einmal zu, wie ihr mit den 25 Millionen hinkommt! Das ist jetzt euer Problem.“, obwohl die gar nichts mehr machen können? – Das ist organisierte Verantwortungslosigkeit einer Sozialsenatorin.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Das Gleiche haben wir bei der Krankenhilfe: Vorgabe an die Bezirke: „50 Millionen Einsparung durch Einbeziehung der Sozialhilfeempfänger in die Krankenkassenregelungen!“ – Verhandlungstermin der Sozialsenatorin mit den Krankenkassen: 31. Dezember dieses Jahres – also pünktlich nach Ablauf dieses Jahres. – Woher sollen die 50 Millionen denn kommen? Das ist eine weiteres Beispiel organisierter Verantwortungslosigkeit.

So könnte man das fortführen. Ich will das nicht tun, aber doch noch ein Beispiel nennen: Der Senat ist – so ist es auch im Zuständigkeitsgesetz geregelt – zuständig für die Grundzüge der jeweiligen Fachpolitik. Wenn wir im Hauptausschuss sagen: „Wir stellen fest, dass in den Bezirken eine Einrichtung nach der anderen geschlossen wird. Lieber Senat, stelle uns das doch einmal zusammen und bewerte das, was dort passiert!“, bekommen wir von der Senatssozialverwaltung eine Stellungnahme, in der es heißt:

Eine bewertende Stellungnahme der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales ist nicht möglich. Die genannten Angebote liegen allein in der bezirklichen Zuständigkeit und Planungsverantwortung und sind auch trotz der vorliegenden bezirklichen Stellungnahmen einer Beurteilung durch die Hauptverwaltung entzogen.

Was für eine Aussage ist denn das? – Die Senatssozialverwaltung sagt: „Bezirke, wir nehmen euch das Geld weg, wir beschimpfen euch, dass ihr in das Defizit geht, wir beschimpfen euch, dass ihr Einrichtungen schließt, aber wir haben damit nichts zu tun. Wir können das noch nicht einmal bewerten. Wir können das nicht beurteilen. Es geht uns nichts mehr an. Wir waschen unsere Hände in Unschuld.“ – So geht das nicht.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Die Schlussbemerkung: Die Bezirke sind überall da, wo sie selber und eigenständig arbeiten können, gut. Die Bezirke werden in diesem Jahr ihren Personaletat um 45 Millionen unterschreiten. Die Haupt

verwaltung wird ihren Personaletat um 35 Millionen überziehen.

[Henkel (CDU): Sehr richtig!]

Wie stellt der Finanzsenator dieses für die Öffentlichkeit dar? – positiv lobend: Wir als Senat sparen 10 Millionen beim Personal. – Da liegt ja wohl ein Missverständnis vor, Herr Sarrazin! Die Bezirke sparen, und Sie geben mehr aus. Das haben Sie leider vergessen.

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Die Mentalität in den Hauptverwaltungen ist immer noch gekennzeichnet durch die Abschiedsparty eines Herrn Wowereit als Bundesratspräsident oder durch Ausgaben des Medienbeauftragten in Höhe von mehreren hunderttausend Euro für Broschüren, weil er ohne diese Broschüren nichts zu tun hätte. Die Mentalität in den Bezirken ist längst eine andere, und das sollten Sie endlich zur Kenntnis nehmen!

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit hat die Aktuelle Stunde ihre Erledigung gefunden.

Zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird die Überweisung an den Hauptausschuss empfohlen. – Ich höre keinen Widerspruch. Damit haben wir dies so beschlossen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3:

II. Lesung:

Gesetz zur Änderung des Landesgleichberechtigungsgesetzes

Beschlussempfehlung GesSozMiVer Drs 15/913 Vorlage – zur Beschlussfassung – Drs 15/274

Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der zwei Artikel miteinander zu verbinden. – Hierzu höre ich keinen Widerspruch. Ich rufe also die Artikel I und II sowie die Überschrift und die Einleitung in der Fassung der Vorlage in der genannten Drucksache auf. Eine Beratung ist nicht vorgesehen.

Der Ausschuss empfiehlt einstimmig die Annahme der Vorlage. Wer der Vorlage in der Drucksache 15/274 seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön! Die Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – Damit haben wir dies einstimmig so beschlossen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4:

II. Lesung:

Gesetz zur Eindämmung des Finanzchaos in Berlin (Finanzchaos-Eindämmungsgesetz – FinChaosEindG –)

Beschlussempfehlung Haupt Drs 15/921 Antrag der CDU Drs 15/680

In Verbindung mit

lfd. Nr. 5:

II. Lesung:

Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Unterrichtung des Abgeordnetenhauses und die Abgrenzung und Behandlung von Investitionen in der Landeshaushaltsordnung

Beschlussempfehlung Haupt Drs 15/922 Antrag der CDU Drs 15/681

und

lfd. Nr. 28:

Vorlage – zur Beschlussfassung –

Genehmigung der in Anspruch genommenen über- und außerplanmäßigen Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen im Haushaltsjahr 2001 für die Hauptverwaltung

Vorlage – zur Beschlussfassung – Drs 15/909

Zur Behandlung dieser drei Tagesordnungspunkte gab es vor der Sitzung noch einen Beratungsvorbehalt der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der inzwischen zurückgezogen wurde. Somit eröffne ich die II. Lesung und schlage vor, die Beratung der Artikel I bis IV der Drucksache 15/680 sowie die Beratung der zwei Paragraphen der Drucksache 15/681 miteinander zu verbinden.

Wir kommen zu den Abstimmungen. Zur Drucksache 15/921 – das ist das Finanzchaoseindämmungsgesetz –