Protokoll der Sitzung vom 16.01.2003

[Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Klemm (PDS)]

Wir kritisieren in dem Zusammenhang, Herr Klemm, auch die Gewerkschaften. Wir sagen, dass der Potsdamer Abschluss zu undifferenziert war, dass er zwischen oben und unten nur in der Frage der Angleichung Ost-West in geringem Maße differenziert hat, sonst nicht. Das ist noch nicht die von Frank Bsirske versprochene moderne Tarifpolitik, wir erwarten sie noch.

[Dr. Lindner (FDP): Gleichmacherei!]

Wir sagen auch, dass man das, was er und der DGB-Chef Sommer angekündigt haben, beim Worte nehmen muss,

n hat.

Kurzum, es ist eine große Aufgabe, wir wollen aber auch die Gewerkschaften daran erinnern, dass sie gesamtgesellschaftliche Verantwortung haben, dass sie trotz dieses eigentlichen Zweckes sich dort nicht entziehen können. Sie tun es auch sonst nicht, sie waren unsere zuverlässigen Partner in der Frage Ausländerfeindlichkeit, in der Frage Rechtsextremismus, und wir wollen sie auch nicht verlieren als Partner, das sagen wir ganz deutlich. Mit uns gibt es keinen gewerkschaftsfeindlichen Kurs. Deshalb abschließend noch einmal: Diese Stadt ist das Schaulaufen leid, sie erwartet morgen nicht weitere unernsthafte Scharmützel, sie erwartet Verhandlungen über die gesamte Palette des Solidarpaktes. Die Politik der einseitigen Schritte, das Durchführen eines Streiks vergrößert nur die Finanzkatastrophe, in der wir sind, oder mit einem Bild von Sarrazin: Wenn das Haus brennt – spätestens dann –, sollten die Beteiligten aufhören, sich Silvesterknaller um die Ohren zu werfen.

Vielen Dank, Herr Kollege Wieland. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Regierungserklärung wurde damit abgegeben und besprochen. Der Ältestenrat empfiehlt zu der Nummer 15/88 die Überweisung federführend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung sowie mitberatend an den Ausschuss für Jugend, Familie, Schule und Sport. – Dazu höre ich keinen Widerspruch; dann verfahren wir so. Zum Antrag von SPD und PDS über die Änderung des Einkommensangleichungsgesetzes Drs 15/1201 bitten die Antragsteller um die Überweisung an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung. – Ich höre dazu keinen Widerspruch; dann ist dies so beschlossen.

dass nämlich Dinge wie ein Einstellungskorridor, wie die Teilzeitoffensive, wie Arbeitsumverteilung in Zukunft in Tarifverhandlungen gehören. Und es gehört natürlich ab morgen auch in die Solidarpaktverhandlungen; morgen kann nicht isoliert wieder über Tarife geredet werden, wir wollen nicht Sondierung sehen, wir wollen klare Verhandlungen sehe

Natürlich hat der DGB Recht, wenn er sagt, Autos kaufen keine Autos. Es muss auch eine Hebung der Massenkaufkraft geben. Das geschieht in der Privatwirtschaft allerdings abhängig vom Produktivitätsfortschritt. Lohnerhöhungen folgen da in der Regel hinterher. Produktivitätserhöhungen im öffentlichen Dienst sind schwer bis gar nicht messbar. Da wir die Produkte, die der öffentlichen Dienst leistet, auch nicht ausweiten wollen – die Signale stehen ja auf dem Gegenteil –, kann es nur durch Arbeitsplatzabbau gehen, wenn es Besoldungs- und Gehaltserhöhungen im öffentlichen Dienst gibt.

[Dr. Lindner (FDP): Richtig!]

Das ist eine bittere Wahrheit, insbesondere für Verdi, aber sie wird sich in den nächsten Wochen und Monaten insbesondere in den Kommunen zeigen. Auch insofern sind wir der Ansicht, dass sich grundsätzlich bei der Art und Weise des Aushandelns etwas ändern muss. Aber Null wird auch in der Pleitemetropole Berlin – ich wiederhole mich – nicht das Ergebnis, nicht das Ende dieser Sondertarifrunde sein. Es ist richtig, wie Kurt Lange, als er noch ÖTV-Vorsitzender war, formulierte, dass eine Gewerkschaft kein Wohltätigkeitsverein ist, sondern dass sie die organisierte Interessenvertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für mehr Lohn – wofür denn sonst, nicht für weniger Lohn – und für bessere Arbeitsbedingungen ist.

[Dr. Lindner (FDP): Mit welcher Konsequenz denn?]

Dies hätten sich SPD und PDS noch einmal vor Augen führen sollen, bevor sie vor einem Jahr die Solidarpaktverhandlungen begonnen haben. Man verlangt ein großes Opfer, man muss es tun, aber man verlangt es von den Gewerkschaften, wenn man sagt, sie sollen diesen Weg des Solidarpakts gehen. Wir sind todtraurig, wie das in den letzten zwölf Monaten gelaufen ist, denn wir beanspruchen, dass wir in Berlin in der politischen Debatte die Ersten gewesen sind, die nicht nur diesen Gedanken eingebracht haben, sondern die vor beinahe zehn Jahren, im Sommer 1993, in Anlehnung an das VW-Modell, das seinerzeit erstmals gemacht wurde, gesagt haben: Das ist auch der Weg für den öffentlichen Dienst. – Peter Grottian hatte es bei sich selber und seinen Professorenkollegen schon vorgemacht, der war vor uns. Aber wir haben gesagt: Sozial differenziert, das ist der Weg für Berlin. – Die große Koalition wollte davon nichts wissen, Sie waren noch nicht da, was niemand vermisst hat in dieser Stadt, Herr Dr. Lindner. Bedauerlicherweise ist so viel Zeit vergangen, und bedauerlicherweise ist das ganze letzte Jahr auch vergangen, ohne dass es einen Solidarpakt gab und ohne dass es deswegen auch nur einen Euro Einsparsumme im öffentlichen Dienst gegebe

[Beifall bei den Grünen]

Wir kommen zu

lfd. Nr. 3:

II. Lesung

Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Landesabgeordnetengesetzes

Beschlussempfehlung Recht Drs 15/1154 Antrag der Grünen Drs 15/697 hierzu: Änderungsantrag der CDU und der FDP Drs 15/697-1

Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der zwei Artikel miteinander zu verbinden, und höre dazu wiederum keinen Widerspruch. Ich rufe also auf die Artikel I und II, die Überschrift und die Einleitung der Drucksache 15/697 sowie den Änderungsantrag gemäß Drucksache 15/697-1. Es ist eine Beratung mit bis zu großzügigen fünf Minuten pro Fraktion vorgesehen. Es beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, und Frau Dr. Klotz erhält das Wort – bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als genau heute vor einem Jahr alle Fraktionen in einem gemeinsamen Antrag die Einsetzung eines parlamentarischen Ehrenrates und die Überprüfung

Klaus Uwe Benneter, der bei der ersten Lesung dieses Gesetzes die Ablehnung für die SPD begründet hat, ist mittlerweile Mitglied des Deutschen Bundestages. Aber nicht nur das: Er ist auch Vorsitzender eines Ausschusses, der für die Wahrheitsfindung zuständig ist. Wir warten schon jetzt mit Spannung darauf, wie eben dieser Klaus Uwe Benneter für seine SPD-Bundestagsfraktion eine Änderung der dortigen Geschäftsordnung beantragt, die ja nach seiner eigenen Argumentation, die er vor einem halben Jahr hier im Abgeordnetenhaus vorgetragen hat, angeblich den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Ausübung des freien Mandats nicht entspricht. Darauf warten wir sehr gespannt. Wir teilen diese Einschätzung nicht, und wir glauben auch nicht, dass Sie sie innerlich ernsthaft vertreten. Wir sehen darin eine Schutzbehaup

tung, weil Sie sich dem Problem, dem wir heute gegenüberstehen, nicht stellen wollen.

Die Freiheit der Ausübung des Mandats zu schützen – das sage ich insbesondere in Richtung der Damen und Herren von der SPD-Fraktion –, das beinhaltet aus unserer Sicht auch die Verantwortung für die besondere Vertrauensstellung, die Abgeordnete nun einmal haben. Wer mit geheimdienstlichen Mitteln und konspirativen Methoden gearbeitet hat, wer personenbezogene Auskünfte erteilt hat, muss dies offen legen und müsste doch auch selbst ein Bedürfnis haben, dies klar zu machen und einen Klärungsprozess einzuleiten, um damit möglicherweise deutlich zu machen, dass es in den vergangenen Jahren einen individuellen Veränderungsprozess gegeben hat, der heutiges Vertrauen rechtfertigt. Das müsste doch auch das Interesse der Betroffenen sein, scheint aber nicht Konsens im gesamten Haus zu sein, was wir bedauerlich finden.

Ein kurzer Satz dazu: Dass wir auch wissen wollen, wer mit anderen Geheimdiensten zusammengearbeitet hat, hat mit einer Gleichsetzung von Stasi und Bundesnachrichtendienst oder Verfassungsschutz nicht das Geringste zu tun.

aller Abgeordneten beschlossen haben, ist meine Fraktion davon ausgegangen, dass sich auch wirklich alle Abgeordneten an diesem gemeinsam beschlossenen Verfahren beteiligen. Dies war ein Irrtum. Wir wissen heute, dass einige unter uns einen Sonderstatus für sich beanspruchen. Das zeigt mangelnden Respekt vor diesem Parlament, das gerade Redner und Rednerinnen Ihrer Fraktion – und dabei schaue ich nach links – sonst gern als das Hohe Haus bezeichnen.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Diese Haltung, einen Sonderstatus für sich zu beanspruchen, finde ich nicht akzeptabel, und zwar gegenüber allen anderen Abgeordneten, die sich überprüfen lassen, wie auch gegenüber den Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die auch überprüft werden.

Wenn Sie der Ansicht sind, dass es mit den Überprüfungen und mit den Fragen nach gesellschaftlicher und persönlicher Verantwortung reicht, dann führen Sie bitte diese gesellschaftliche Diskussion, aber nicht nur für sich selbst, sondern für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst! Das sage ich auch explizit in Richtung des Abgeordneten Lorenz, der heute im „Inforadio“ sagte, nach 13 Jahren müsse Schluss sein. Herr Lorenz! Warum haben Sie dann vor einem Jahr einen Ehrenrat gewollt? Warum haben Sie nicht eines Ihrer berühmten Traktate, die wir immer zu anderen Themen bekommen, diesem Thema gewidmet? Warum fällt Ihnen diese Meinung erst ein, nachdem sich der Koalitionspartner in Teilen nicht an dem gemeinsamen Verfahren beteiligt? Wir finden das wenig glaubwürdig.

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Als sich im Sommer herausstellte, dass es einige Abgeordnete in diesem Haus gibt, die sich an diesem Verfahren nicht beteiligen wollen, haben wir vorgeschlagen, eine solche Überprüfung auch ohne Einwilligung der Betroffenen vorzunehmen, wenn es tatsächliche Anhaltspunkte gibt. Das haben wir übrigens auch in vergangenen Legislaturperioden so vertreten. Es ist also keine Lex PDS. Diese Regelung gilt im Übrigen auch im Deutschen Bundestag.

[Gram (CDU): Na, na!]

Es hat vielmehr etwas mit den Arbeitsweisen zu tun, über die ich eben etwas gesagt habe.

Ich weiß und habe es selbst miterlebt, dass die StasiDebatten der vergangenen Jahre wahrlich sehr oft und allzu oft kein vorbildliches Kapitel in der Vergangenheitsbewältigung waren, wie wir sie uns vorstellen. Da ist von der einen Seite politisch instrumentalisiert und pauschal verurteilt worden, wo ein differenzierter Blick gefragt gewesen wäre. Aber da gab es auch diejenigen, die am liebsten den Mantel des Schweigens über die gesellschaftliche Verantwortung und über die persönliche Verstrickung gelegt und sich ihrer eigenen Verantwortung gern entzogen hätten. Es gab diejenigen, die sich entziehen, abducken und herummogeln wollten, und dann gab es noch diejenigen, die meinten, vorzugsweise mit juristischen Unterlassungserklärungen die Vergangenheit aufarbeiten zu können. Genau dies heute zu unterstützen mit dem Argument, man würde sonst die Freiheit der Mandatsausübung einschränken, das halte ich schon für ein starkes Stück, liebe Kollegen von der SPD – insbesondere von Ihnen.

Ein offener Umgang muss nicht zwangsläufig zu einer politischen Schlammschlacht führen. Das hat jüngst eine PDS-Genossin deutlich gemacht, nämlich Angela Marquardt. Sie hat sehr lange dazu gebraucht, offen auf den Tisch zu legen, wie es mit ihrer Vergangenheit war und was da eigentlich los gewesen ist. Aber im Endeffekt hat sie die Fakten und die Dinge, die sie wusste, öffentlich gemacht, und sie hat im Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages bescheinigt bekommen, dass sie nicht als IM tätig war. Sie hat lange dazu gebraucht, aber davor habe ich Respekt.

Wir wissen, dass diese Demokratie in höchstem Maße gefährdet ist durch viele Entwicklungen, die wir auch hier beobachten können. Ich weiß allerdings nicht, ob wir in diesem Hause immer die richtige Antwort auf diese die Demokratie gefährdenden Entwicklungen geben. Da gibt es sehr unterschiedliche Meinungen, und ich glaube, manchmal sollte man auch unter diesem Aspekt tiefer nachdenken.

Ob Geheimdienste des Auslands dies können, das kann ich nicht beurteilen. Ich glaube eher, dass das nicht der Fall ist. Außerdem halte ich diesen Antrag auf diesem Gebiet für doch eher unernst. Wer glaubt, dass ein Geheimdienst zulässt, dass jemand sagt, dass er für diesen arbeitet, hat entweder keine Ahnung oder ist nicht ernsthaft. Ich glaube, dass weder die CIA noch der Bundesnachrichtendienst noch sonst irgendein Geheimdienst zulässt, dass seine geheimen Mitglieder sagen: Ich arbeite für die. Ich glaube, da sollten Sie etwas mehr Ernst in diese Sache bringen, wenn Sie diesen Antrag tatsächlich ernst meinen.

[Beifall bei den Grünen]

Ich will zum Schluss noch auf die Rede von Herrn Nelken eingehen, weil er sie wahrscheinlich gleich wiederholt: Herr Nelken! Sie haben gesagt, dass Frau Künast, unsere ehemalige rechtspolitische Sprecherin, gegen den Vorschlag gewesen sei, den wir eingebracht haben. Dieser Vorwurf – das gebe ich zu – hat uns geärgert. Aber Frau Künast hat damals einen Antrag von CDU und SPD verändern wollen, und zwar in drei Punkten: Sie wollte die Überprüfung nur dann gegen die Bereitschaft der Einzelnen durchsetzen, wenn tatsächlich konkrete Anhaltspunkte vorliegen, damit nicht der Denunziation Tür und Tor geöffnet wird. Sie wollte die Zweidrittelmehrheit im Ehrenrat beibehalten. Und sie wollte das zweistufige Verfahren beibehalten. Das war die Wahrheit, Herr Nelken, und ich möchte darum bitten, dass sie das nächste Mal, wenn Sie aus alten Presseerklärungen zitieren, das vollständig tun – der Wahrheit wegen.

[Beifall bei den Grünen]

Ich bin der festen Überzeugung, dass jede und jeder, die bzw. der sich persönlicher Verantwortung stellt, auch gestärkt aus diesem Prozess herausgeht. Dass es auch immer wieder Menschen gibt, die einen solchen Auseinandersetzungsprozess politisch zu instrumentalisieren versuchen, wird man nicht verhindern können. Dieses werden wir immer wieder erleben. Das ändert aber nichts an der persönlichen Verantwortung. Deshalb erwartet meine Fraktion, dass die betroffenen Abgeordneten, die sich dieser Überprüfung bisher entzogen haben, entweder hier und heute erklären, dass sie sich an dem gemeinsam beschlossenen Verfahren beteiligen, oder dass unserem Antrag, der heute in II. Lesung abgestimmt wird, von Ihrer Seite zugestimmt wird. – Danke schön!

[Beifall bei den Grünen]

Das Wort hat nun Herr Kollege Lorenz. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Klotz! Ich möchte nicht sagen, welche Empfehlungen mir einige ehemalige Freunde und Freundinnen von Ihnen gegeben haben, falls Sie reden sollten. Ich werde diese nicht zitieren.

Ich zähle diese Frage nicht zu den Gewissenskonfliktfragen, und da ich in dieser Sache damals keine Verantwortung hatte, habe ich dazu auch nicht geredet. Dessen ungeachtet gestatte ich mir eine eigene Meinung. Sie wissen, dass ich die gern äußere, und ich werde das auch in Zukunft tun. Wenn Sie unbedingt eine Broschüre dazu haben wollen und brauchen, dann können Sie sie gerne bekommen. Ich kann darüber gern etwas machen.

[Heiterkeit – Beifall des Abg. Pewestorff (PDS)]

Den vorliegenden Antrag möchte ich so nehmen, wie er gegeben ist, nämlich als Antrag. Bei Anträgen unterstellen wir, dass sie ein Ziel, einen Zweck und einen Sinn haben. Ich gehe davon aus, dass der Zweck des vor

liegenden Antrags nicht darin liegt, irgend jemand eventuell diffamieren zu können. So schätze ich Sie nicht ein. Also muss dieser Zweck woanders liegen, und ich meine, er könnte darin liegen, dass man die Demokratie schützen möchte. Das ist, glaube ich, der Sinn einer solchen Maßnahme.