Protokoll der Sitzung vom 27.03.2003

Beschlussempfehlung JugFamSchulSport Drs 15/1454 Antrag der CDU Drs 15/1343

Zur Begründung der Großen Anfrage erhält das Wort die Fraktion der CDU mit bis zu fünf Minuten Redezeit. Das Wort hat der Kollege Steuer. – Bitte schön! Sie haben das Wort und das Pult!

Danke schön! – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesen Tagen erreicht die Jugendarbeitslosigkeit in Berlin Rekordniveau. 39 000 Jugendliche unter 25 Jahren stehen auf der Straße. Das entspricht 21 % Jugendarbeitslosigkeit. – Die gerade vorgelegte Kriminalitätsstatistik 2002 zeigt, dass mit 33 000 Tatverdächtigen die Zahl jugendlicher und heranwachsender Straftäter auf hohem Niveau stabil bleibt. Körperverletzung und Raubdelikte nehmen leicht zu. – Durch eine Anzahl von Umfragen und Tests wird die dramatische Situation ausländischer Jugendlicher in der Stadt immer deutlicher. Nur eine Zahl in diesem Zusammenhang: 40 % der Jugendlichen ausländischer Herkunft bekommen keinen Ausbildungsplatz, weil sie keinen entsprechenden Abschluss haben.

Wie reagiert der Senat auf diese negativen Daten aus dem Jugendbereich? – In der Koalitionsvereinbarung von SPD und PDS hieß es in der Präambel noch: Wir sparen für die Jugend, nicht an der Jugend. – Aber bei der Präambel ist es in diesem Zusammenhang leider geblieben.

Welche Schwerpunkte hat der Jugendsenator Böger seitdem gesetzt? Welche Aktivitäten, Initiativen, Projekte haben Sie angeschoben? – Oder einfacher gesagt: Welche Taten sind Ihren Ankündigungen gefolgt, Herr Böger? – Die Antwort ist so einfach wie erschreckend: Keine! – Stattdessen hat der Senat in diesen Bereichen munter gespart. Im Doppelhaushalt hat der Jugendsenator über 4 Millionen € allein im Etat des Landesjugendamtes gestrichen. Darüber hinaus wurden 2 Millionen € beim FEZ in der Wuhlheide gekürzt, und in den zwölf Berliner Bezirken sollten 6 Millionen € eingespart werden. Sinnvolle und wichtige Projekte wurden eingeschränkt oder geschlossen. Inhaltliche Schwerpunkte des Senats waren dabei leider nicht zu erkennen. Vielmehr legte der Senat praktisch zum Ende der Haushaltsberatungen einen FünfKriterien-Katalog vor, an dem sich die Kürzungen angeblich orientiert hätten. Diese Kriterien waren rein formal, vom blinden Aktenziehen in der Senatsverwaltung wurde

gesprochen – wahrscheinlich, weil Sie sich mit den Inhalten noch nie beschäftigt haben, Herr Böger! Jugendpolitik entspricht eher nicht Ihrem Naturell – noch weniger als Schulpolitik.

[Beifall bei der CDU]

[Beifall bei der CDU]

Auch wenn Sie „Jugend“ gern aus Ihrem Titel gestrichen hätten, Herr Senator Böger, werden wir Sie nicht aus der Verantwortung entlassen.

[Beifall bei der CDU]

Das Wort hat der Senator, Herr Böger. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es, dass wir nach langer Wartezeit heute über die Perspektiven von Jugendpolitik diskutieren. Die Wortkaskade des Herrn Abgeordneten Steuer lässt allerdings nicht erwarten, dass es um Wissen geht – wie Sie zuletzt gesagt haben –, sondern Ihnen ging es in Ihrer Rede vorrangig darum, unqualifizierte Verdikte auszusprechen, aber von Wissen und Nachfragen war wenig zu erfahren, Herr Abgeordneter!

[Beifall der Frau Abg. Dr. Tesch (SPD)]

Es wird ja viel und gern über Jugend geredet. Auch Sie haben das gemacht. Ich weiß gar nicht, woher Sie wissen wollen, dass ich den Titel „Jugendsenator“ nicht haben wollte. Wenn Sie keine realen Angriffspunkte haben, sollten Sie keine erfinden, Herr Abgeordneter! Sie befin

Zur Frage 1: Sie fragen nach der Zahl der Angebote, die gekürzt oder geschlossen wurden. Wie Sie wissen, haben wir im Hauptausschuss detailliert darüber berichtet,

ich will das hier zusammenfassen. Der Zwang zu Einsparungen hat auch bei den Angeboten der Jugendarbeit in Einzelbereichen zu Einschnitten geführt. Von blindem Aktionismus kann überhaupt keine Rede sein, sondern wir haben – wie ich finde, richtig – für die Förderung auf gesamtstädtischer Ebene Prioritäten gesetzt. Von Kürzungen ausgenommen – Herr Kollege Steuer, davon haben Sie gar nicht gesprochen – wurden Projekte mit folgenden Angeboten:

1. für die soziale Integration von behinderten Kindern und Jugendlichen,

4. für die direkte Arbeit mit gefährdeten Jugendlichen, also z. B. Streetworkprojekte,

5. Projekte, die wegen ihrer sportorientierten Arbeit besonders geeignet sind, benachteiligte Jugendliche zu erreichen,

den sich im Parlament, auch Sie haben eine Wahrheitspflicht.

[Gelächter bei der CDU]

Behaupten Sie nicht einen solchen Unfug! Darum muss ich wirklich bitten.

[Beifall bei der SPD]

Es wird ja viel und gern über die Jugend geredet und Kritik geäußert, besonders von denen – manchmal sind sie jung, manchmal sind sie älter –, die immer ein sehr festes, aber oft oberflächliches Bild von Jugendlichen besitzen. Doch wie sagte schon Salvador Dali: Der größte Fehler, den die Jugend von heute hat, ist der, dass man nicht mehr zu ihr gehört. – Auch Sie, Herr Steuer, sind in diesem Bereich schon weit vorangeschritten.

[Zurufe]

Ich bin schon ein bisschen weiter, das gestehe ich Ihnen zu. – Wenn wir in diesen Tagen die Bilder von jungen Leuten sehen, der vielen Schülerinnen und Schüler, die sich für den Frieden engagieren, die das in sehr nachdenklicher und – wie ich finde – auch reflektierter Weise tun, dann können wir froh sein über das Engagement dieser jungen Generation, die in einer friedlichen und gerechten Welt leben will.

[Beifall der Abgn. Mutlu (Grüne) und Radebold (SPD)]

Dies ist eine Generation, die auch Spaß haben will – warum sollte sie den nicht haben wollen? –, die sich aber Gedanken über die Zukunft macht und die sich sehr selbstbewusst engagiert, eine Generation, die ihre Zukunft selbstbestimmt gestalten will.

Der Senat hat sich in seinen Richtlinien – und nicht nur in der Koalitionsvereinbarung – darauf verständigt, dass die Jugend und ihre Bildung für die Leistungsfähigkeit der Stadt von grundlegender Bedeutung sind, dass, Herr Senator Sarrazin, sichere Finanzen im Interesse der jungen Generation liegen, dass das Prinzip gelten muss – Herr Abgeordneter Steuer, da haben Sie Recht –: Wir sparen für die Jugend und nicht an der Jugend. Ich bin der Auffassung, dass diese Aussagen als Leitlinien nach wie vor gelten. Wahr ist auch: Die finanzielle Lage der Stadt erfordert allerdings Mut, auch Mut, neue Wege zu gehen, Besitzstände in Frage zu stellen und tatsächliche Prioritäten zu setzen. Um eine leistungsfähige und effiziente Jugendhilfe dauerhaft zu sichern, müssen wir die Strukturen verbessern und uns einer konsequenten Aufgabenkritik stellen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

In diesem Prozess stehen wir. Er hat begonnen, ist aber noch längst nicht abgeschlossen.

Nun zu Ihren Fragen im Einzelnen.

2. für die Familienbildung und -beratung,

3. für Projekte, die im Sinne der angestrebten Ganztagsschule schon nachmittags für Schülerinnen und Schüler arbeiten,

6. Projekte, die auch mit straffälligen Jugendlichen arbeiten und

7. wichtige Projekte des Kinder- und Jugendschutzes.

Das ist nach wie vor eine beachtliche Palette von Jugendarbeit, die sich die Stadt Berlin leistet und – wie ich finde – auch leisten können muss.

[Beifall bei der SPD – Beifall des Abg. Kaczmarczyk (PDS)]

Wir haben danach – das haben Sie erwähnt, Herr Abgeordneter – drei Kategorien gebildet, keineswegs blind Akten gezogen. Das kann man übrigens gar nicht, da greift man ja an den Akten vorbei. – Wir haben drei Kategorien gebildet, nach denen sämtliche verbleibenden gesamtstädtischen Angebotsförderungen des Landesjugendamtes aufgabenkritisch untersucht wurden. Gekürzt werden musste bei

a) Einrichtungen und Maßnahmen, die keine Perspektive haben, weil sie ohne wirklich gesamtstädtische Funktion sind. Ich gebe Ihnen zu, Herr Abgeordneter: Das Beispiel, das Sie erwähnt haben, ist in der Tat eines, bei dem übersehen wurde, dass es diesen Bereich sonst nicht gibt. Das ist ja auch dann dank des Hauptausschusses korrigiert worden.

b) Einrichtungen und Maßnahmen, die über Trägerförderungen einzelne Jugendliche subventionieren, ohne dass entweder die Bedürftigkeit geprüft wird oder die Zielgruppe eindeutig als benachteiligt definiert ist.

c) Einrichtungen und Maßnahmen mit gesamtstädtischer Funktion, deren grundsätzlicher und dauernder Förderanspruch nicht in Frage steht, die aber in ihrer finanziellen Ausstattung reduzierbar sind, ohne ihre Existenz und ihre Aufgabenwahrnehmung aufs Spiel zu setzen.

Zur Frage 2: Hier unterstellen Sie mit Ihrer Frage etwas, was nicht zutrifft. Für den Bereich des Landesjugendamtes wurden im Landesjugendhilfeausschuss und dann auch mit den beteiligten Trägern in einem öffentlichen Hearing im Mai 2002 ausführlich die soeben dargestellten Prioritäten und Kriterien für Schließungen und Kürzungen beraten. Die Gesamtverantwortung im Rah

men der Landesjugendhilfeplanung spielte bei der Kriterienbildung und Prioritätensetzung für meine Verwaltung eine grundlegende Rolle. Als Mitglieder des Landesjugendhilfeausschusses hatten übrigens auch die beiden Vertreter der CDU-Fraktion die Chance, diese Prioritätensetzung zu beeinflussen. Ich finde, Sie sollten sie nutzen und hier nicht ausschließlich polemisieren.

Zu den Fragen 3 bis 5: Aus dem bereits Gesagten ist deutlich geworden, dass wir erhebliche Anstrengungen unternommen haben, um die Mittel zielgenau für die Kinder und Jugendlichen einzusetzen. Allen fachlich Beteiligten ist bewusst: Qualifizierte und eng aufeinander abgestimmte Angebote der Jugendarbeit helfen den Jugendlichen besser als Einzelfallhilfen und Hilfen zur Erziehung, wenngleich sie diese auch nicht ersetzen können. Die präventive Ausrichtung der Arbeit der Jugendämter in diesem Sinne steht überhaupt nicht zur Debatte.

Zu Frage 6: Meine Verwaltung hat ihre Position zu einer Sozialraumorientierung der Berliner Jugendhilfe formuliert und in mehrfachen Tagungen zur Diskussion gestellt. Wir müssen erstens stärker und konsequenter das soziale Umfeld von Kindern und Jugendlichen einbeziehen. Zweitens: Der Sozialrahmen soll damit bei der Jugendhilfeplanung stärker berücksichtig werden. Dabei setzen wir auf bürgerschaftliches Engagement und die enge Zusammenarbeit von Schule, Jugendhilfe und Quartiersmanagement.

Das sind die Kriterien.

Nun haben Sie das FEZ erwähnt, Herr Abgeordneter Steuer! Wenn wir ehrlich und fair miteinander umgehen, dann ist es doch kaum denkbar und vorstellbar, dass in der alten Bundesrepublik, also vor der Wiedervereinigung, ein solcher Komplex wie das FEZ jemals gegründet worden wäre. Das ist wahr! Das hat es nicht gegeben.

[Beifall und Zustimmung bei der PDS]

Ich will das auch nicht diffamieren mit Margot Honecker und was weiß ich. Tatsache ist, dass wir so etwas niemals – gerade aus aufgabenkritischen Gründen – gemacht hätten. Nun hat es die Stadt geerbt, und ich finde, das ist keine Belastung, sondern eine große Chance, weil es eine einmalige Einrichtung ist, die eben nicht auf Kommerzialität aus ist, sondern in bestem Sinne auf Jugend- und Kinderarbeit.

[Beifall bei der SPD und der PDS]