Protokoll der Sitzung vom 17.01.2002

Antrag der Fraktion der Grünen über Einsetzung eines parlamentarischen Ehrenrates

b) Drucksache 15/87:

Antrag der Fraktion der Grünen über Veröffentlichung der Ergebnisse der Überprüfung auf Tätigkeit für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit

(A) (C)

(B) (D)

Vizepräsident Dr. Stölzl

c) Drucksache 15/88:

Antrag der Fraktion der CDU über Einsetzung eines Ehrenrates

d) Drucksache 15/89:

Antrag der Fraktion der CDU über Überprüfung von Mitgliedern der Landesregierung auf eine Mitarbeit im ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS)

Inzwischen liegt vor:

Drucksache 15/99:

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion der PDS, der Fraktion der FDP und der Fraktion der Grünen über Einsetzung eines parlamentarischen Ehrenrates

Damit sind die Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 15/86 und der Fraktion der CDU Drucksache 15/88 zurückgezogen. Für die gemeinsame Beratung empfiehlt uns der Ältestenrat eine Redezeit von bis zu 10 Minuten pro Fraktion. Wer bittet um das Wort? – Für die Fraktion der Grünen hat der Herr Abgeordnete Cramer das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat zwei Anträge eingebracht, mit denen die Überprüfung hinsichtlich einer Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit geregelt werden soll. Für die Überprüfung der Abgeordneten fordern wir, wie in den vergangenen Jahren auch, die Einsetzung eines Ehrenrates. Dieser wird dankenswerterweise – Herr Präsident, Sie sagten es – von allen fünf Fraktionen unterstützt.

Der zweite Antrag befasst sich mit der Überprüfung der Senatsmitglieder, deren Ergebnis veröffentlicht werden soll. 40 Jahre nach dem Bau der Mauer ist die Trennung von Ost und West noch längst nicht überwunden. Nicht nur nach dem Ende der DDR, auch nach den Erfahrungen mit dem Bankenskandal ist die politische und persönliche Glaubwürdigkeit der Politik von zentraler Bedeutung. Berlin ist eine Stadt, in der so viele Menschen unter dem SED-Unrecht gelitten haben. Deshalb sind wir der Meinung, dass diese Stadt nur von Menschen regiert werden darf, die nicht in dieses Unrechtssystem verstrickt waren.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Aus der Vergangenheit wissen wir, dass für die Überprüfung eines jeden Abgeordneten das individuelle Einverständnis nötig ist. Wir appellieren also schon jetzt an die Freiwilligkeit aller, sich dieser Überprüfung zu unterziehen und den Empfehlungen des Ehrenrates Folge zu leisten.

Anders sieht es bei der Überprüfung der Senatsmitglieder aus. Diese sind Beschäftigte des öffentlichen Dienstes im Lande Berlin. Ihre Überprüfung ist im Stasi-Unterlagengesetz und im Senatorengesetz geregelt. Das Ergebnis dieser Überprüfung wird aber lediglich zu den Personalakten genommen. Eine Veröffentlichung ist nicht vorgesehen. Mit unserem Antrag wollen wir diese Lücke schließen. Deshalb muss das Überprüfungsergebnis der Senatsmitglieder veröffentlicht werden.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Der rot-grüne Senat hatte eine solche Regelung bereits vorbereitet. Sie sollte nun schnellstens auch umgesetzt werden.

Die Frage nach der persönlichen Integrität und Glaubwürdigkeit richten wir nicht nur an jene, die im Bankenskandal, in Vetternwirtschaft und regelwidrige Parteispenden verwickelt waren, dafür gibt es ja den Untersuchungsausschuss. Wir stellen diese Frage genauso an alle, die in Ost oder West für die Stasi gearbeitet haben. Wir halten daran fest, dass das auch für andere Geheimdienste gilt.

[Beifall des Abg. Over (PDS)]

Die Wählerinnen und Wähler haben einen Anspruch auf Aufklärung. [Beifall bei den Grünen]

Immer wieder wird in der Öffentlichkeit der Schlussstrich unter die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit gefordert. Auch wird die Frage gestellt, wie lange man die Stasi-Überprüfung noch praktizieren will, warum immer wieder die „ollen Kamellen“ auf den Tisch kommen. Zunächst wissen wir aus leidiger Erfahrung, wie mühselig und langwierig die Aufarbeitung einer Diktatur ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur an die öffentliche Debatte um die Wehrmachtsausstellung erinnern. Sie hat nach mehr als 50 Jahren nichts an Aktualität eingebüßt. Wir halten sie auch heute noch für notwendig.

[Beifall bei den Grünen]

Unabhängig davon spricht gegen ein jetziges Ende der StasiÜberprüfung aber zweierlei. Die Partei, die früher SED hieß, übernimmt 12 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR erstmals Regierungsverantwortung im Berliner Senat. Sie trug für die menschenfeindlichen Praktiken in der DDR die Verantwortung, so steht es auch im Koalitionsvertrag. Schon deshalb darf die Überprüfung jetzt nicht gestoppt werden. Zum anderen muss man sich vergegenwärtigen, dass alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst bei ihrer Einstellung überprüft werden. So lange diese Praxis besteht, muss sie erst recht auch für Senatsmitglieder gelten. Das Gebot der Gleichheit vor dem Gesetz wollen wir nicht verletzen. [Beifall bei den Grünen – Frau Senftleben (FDP): Richtig!]

In doppelter Hinsicht betroffen von unseren Anträgen ist der Abgeordnete Gregor Gysi, der heute als Senator gewählt worden ist. In den letzten Jahren tauchte im Zusammenhang mit seinem Namen immer wieder der Vorwurf auf, er habe für die Stasi gearbeitet. Der Immunitätsausschuss des Deutschen Bundestages hat sich in der letzten Legislaturperiode mit diesen Stasi-Vorwürfen ausführlich befasst. Er hat in seinem Bericht eine inoffizielle Tätigkeit für die Stasi von Gregor Gysi „als erwiesen“ festgestellt und konstatiert, dass er „unter verschiedenen Decknamen dem MfS inoffiziell zugearbeitet hat“. Seine Anwaltstätigkeit für Bürgerrechtler wie Robert Havemann, Gerd und Ulrike Poppe habe er benutzt,

um im Rahmen seiner inoffiziellen Zusammenarbeit dem MfS Informationen über seine Mandanten zu liefern und Arbeitsaufträge des MfS auszuführen.

In seiner Stellungnahme weißt Gregor Gysi darauf hin, dass er „zu keinem Zeitpunkt inoffiziell mit dem MfS zusammen gearbeitet habe“. [Zuruf von der CDU: Nein, offiziell!]

Gegen die Veröffentlichung des Berichts ist Gregor Gysi bis zum Bundesverfassungsgericht gegangen, ohne Erfolg, der Bericht ist für jeden im Internet einzusehen.

Seitdem sind aber weitere und neue Vorwürfe öffentlich erhoben worden. Der Schriftsteller Lutz Rathenau, ein ehemaliger Mandant, findet in seinen Stasi-Vermerken einen Vermerk über ein vertrauliches Gespräch mit seinem Anwalt Gysi. Marianne Birthler, die Leiterin der nach ihrem Vorgänger benannten Gauck-Behörde, verweist im „Tagesspiegel“ vom Mittwoch auf eine „dichte Indizienkette“, derzufolge „Gregor Gysi Zuträger der Stasi war“.

Nun wissen wir, insbesondere nach den Vorwürfen gegenüber Lothar de Maizie`re und Manfred Stolpe, dass die Grenze zwischen Kontakt und Mitarbeit nicht leicht zu bewerten ist. Wir wissen aber auch, dass die inoffizielle Mitarbeit für die Stasi nur in Ausnahmefällen zugegeben wurde, dass es Grauzonen gab und dass sich Vorverurteilungen verbieten. Aber eines ist auch klar: Das, was heute schon öffentlich über Gysi und die Stasi bekannt ist, hat in vielen Fällen zur Entlassung aus dem öffentlichen Dienst oder zur Mandatsniederlegung von Abgeordneten und Stadträten geführt.

[Beifall der Frau Abg. Dr. Klotz (Grüne) – Beifall der CDU und der FDP]

(A) (C)

(B) (D)

Aus all diesen Gründen wollen wir, wie es bei jedem anderen Beschäftigten auch der Fall ist, dass die Vorwürfe geprüft, mit den neuen Erkenntnissen der Gauck-Behörde abgeglichen und das Ergebnis veröffentlicht wird.

Wodurch sich aber der Fall Gysi eklatant von allen anderen unterscheidet, ist die Tatsache, dass Gregor Gysi die Auseinandersetzung über seine Rolle als Anwalt der DDR-Bürgerrechtler auf eine juristische Ebene gehoben hat und jeden, der die Behauptung des Bundestagsausschusses wiedergibt, mit Klagen überzieht. In der SFB-Sendung „Kontraste“ „Der Kandidat und seine Vergangenheit“ kamen zum Beispiel der SPD-Bundestagsabgeordnete Stefan Hilsberg und die Bundesbeauftragte Marianne Birthler im O-Ton zu Wort. Stefan Hilsberg, Mitglied im besagten Immunitätsausschuss fasste das Ergebnis mit seinen Worten folgendermaßen zusammen:

Es lässt sich direkt nachweisen, dass Gregor Gysi Einfluss auf seine Mandanten genommen hat – im Interesse der Staatssicherheit.

[Hört, hört! von der CDU – Zuruf von der FDP: Unglaublich!]

Marianne Birthler gibt in ihrem Statement die Ergebnisse ihrer Behörde so wieder:

Da Dr. Gysi sich konspirativ mit der Stasi getroffen hat, da er Aufträge entgegengenommen und umgesetzt hat, da er Informationen geliefert hat, können wir davon sprechen, dass über Jahre hinaus er wie ein IM gearbeitet hat.

Die Unterlassungsklagen von Gregor Gysi richten sich nun aber nicht gegen die Personen Hilsberg und Birthler, die diese Äußerungen zu verantworten haben, sondern gegen den SFB, dem er in der ersten Instanz untersagen konnte, diese Statements im Internet zu veröffentlichen. Das geht entschieden zu weit.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Wenn das erstinstanzliche Urteil rechtskräftig wird, wenn bundesverfassungsrechtlich geschützte Drucksachen des Bundestages nicht mehr wiedergegeben werden dürfen, dann wird die Meinungsvielfalt der Medien beschnitten, dann herrscht Diskussionsverbot, wird das Thema Gysi und die Stasi zum Tabu erklärt. Das wollen wir nicht.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Da bitte ich doch um Stringenz, Herr Senator Gysi. Sie waren es doch, der als Verteidiger von Mauerschützen immer wieder darauf hingewiesen hat, dass die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit nicht juristisch, sondern politisch geführt werden soll. Sie waren es, der immer wieder die politische Debatte gefordert hat. Und nun, pro domo setzen Sie nur auf die Justiz und wollen ein Diskussionsverbot. Das, Herr Gysi, ist der Unterschied zu allen anderen Fällen. Uns geht es darum, die tabuisierte öffentliche Diskussion wiederzubeleben und dass von Ihnen angestrebte Diskussionsverbot nicht Praxis werden zu lassen.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Herr Abgeordneter! Ihre Redezeit!

Ich bin sofort fertig! – Wir wollen nicht den Mief der vergangenen DDR, sondern eine lebendige und diskussionsfreudige Gesellschaft. Wir jedenfalls wollen die Meinungsvielfalt auch in den Medien sichern.

Abschließend möchte ich an Sie, an den soeben gewählten Senator appellieren, die unsägliche Praxis der Unterlassungserklärungen zu beenden, und an Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten appelliere ich, unserem Antrag zuzustimmen. – Vielen Dank!