Dies hat – so ärgerlich es für Sie sein muss, wie ich an den Zwischenrufen merke – Erfolg gezeigt. Zum ersten Mal konnten Polizisten in der heißesten Phase auf den Platz gehen und sich in den Straßen bewegen, ohne Sorge zu haben, von vermeintlich Unbeteiligten eins auf die Rübe zu bekommen bzw. angepöbelt zu werden. Zum ersten Mal hatten wir eine Situation, in der nicht – wie ich es noch erlebt habe, Herr Henkel – 20 Mann in sog. Kampfanzügen – die eigentlich Einsatzanzüge sind – in einen Pulk von Demonstranten laufen, um eine Festnahme zu machen. Der automatische Solidarisierungseffekt war nicht mehr da. Die Leute gehen langsam etwas differenzierter mit der Sache um. So Leid es mir für Sie tut, Herr Henkel: Das ist keiner verbalen Aufmuskelung, wie sie Werthebach und andere Senatoren bevorzugt haben, zu verdanken, sondern einer Strategie, die wir Deeskalation oder ausgestreckte Hand nennen.
Ihre Äußerungen und die Vehemenz, mit der Sie sie vorgetragen haben, zeigen, wie verzweifelt Sie nach Möglichkeiten suchen, um den rot-roten Senat – ich sage nicht, was ich eigentlich will, denn dafür würde ich wahrscheinlich gerügt werden – anzupöbeln, wie verzweifelt Sie nach Gründen suchen, um uns zu kritisieren, obwohl Sie ganz genau wissen, dass kein Punkt eine Kritik rechtfertigt.
Selbst die Polizeiführung hat im Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung, in dem Sie, Herr Henkel, anwesend waren, nicht nur mehrfach bestätigt, dass sie diese Strategie mit uns bzw. dem Innensenator gemeinsam erarbeitet hat, sondern sie hat auch bestätigt, dass sie gerne bereit ist, diese Strategie – wenn auch nachgebessert – in den nächsten Jahren fortzuführen. Diese Strategie ist alternativlos und bringt den Erfolg, den wir wollen, nämlich den 1. Mai wieder zu dem zu machen, was er ist: ein Fest des Feierns und friedlichen Demonstrierens.
Vielen Dank, Frau Hertel! – Zu Ihrer Information: Herr Dr. Steffel ist wegen einer Beerdigung im engsten Familienkreis abwesend und bleibt es vermutlich auch. Seine Abwesenheit hat also keinen symbolischen Charakter. – Jetzt hat der Kollege Ritzmann das Wort. – Bitte!
Auf der anderen Seite haben wir gesehen, dass es in Kreuzberg bürgerschaftliches Engagement gab, dass Leute die Krawalle vor ihrer Tür nicht akzeptiert und überlegt haben, was sie dagegen tun können. Sie haben sich zusammengetan und Feste organisiert. Das ist einerseits eine gute Idee, die Leben in den Bezirk brachte, andererseits hat sie auch neue Probleme geschaffen, auf die ich später eingehe.
Die Polizei hat professionell und besonnen gearbeitet. Das ist als Ganzes nicht in Frage zu stellen, wobei bei uns einige Fragen offen bleiben, die wir diskutieren müssen. Insgesamt ist der Polizei für ihren Einsatz zu danken, am 1. Mai ein friedliches und rechtstaatliches Berlin zu bewahren.
Trotz der positiven Punkte hat es Krawalle gegeben. Die Zahlen wurden erwähnt: 175 verletzte Polizisten. Viele Unbeteiligte und Passanten wurden verletzt. Das darf nicht verschwiegen werden. Diejenigen, die vor Ort waren, konnten das miterleben. Es gab über 170 Sachbeschädigungen. Im Einzelfall betraf das etwa das schon erwähnte mittelständische Autohaus, das durch die entstandenen Schäden in seiner Existenz bedroht ist. Das sind Punkte, über die wir diskutieren müssen.
Die Strategie des Senats und der Polizeiführung nennt sich Deeskalation, ausgestreckte Hand oder Gefühl und Härte. Das ist aber nur ein Streit um Begriffe und meist ideologisch behaftet. Polizeiliches Handeln darf sich nicht von altlinken Vorstellungen oder linker Betroffenheitsrhetorik – wie die Kollegin Seelig ausführte: Soziale Umstände vor Ort in Kreuzberg können mit dafür verantwortlich sein, dass Autos brennen und Menschen verletzt werden – leiten lassen. Das ist keine Handlungsoption für Polizei und Politik. Das hat hier nichts zu suchen.
Auf der anderen Seite – ich richte mich an die Kollegen von der CDU – sind überzogen konservative Reaktionen, Demonstrationsverbote und martialisches Auftreten auch keine Lösungen.
Sie haben ausgeführt, sie seien davon überrascht gewesen, dass es Jugendbanden gewesen seien, die agiert hätten, und das sei sozusagen neu. Die Polizei hat die Vertreter der Fraktionen erfreulicherweise frühzeitig eingebunden und über ihre Analyse des letzten Jahres informiert. Sie hat ausgeführt, es seien zum allergrößten Teil unpolitische Menschen, zum großen Teil Jugendliche und Heranwachsende, die spontan oder organisiert dort aufträten, um
Randale zu machen. Wenn Sie das jetzt als Entschuldigung darstellen für die Fehler, die begangen wurden, hoffe ich nur, dass dieses Konzept der Polizei nicht ein Jahr gebraucht hat, bis es in der Innenverwaltung angekommen ist. Wir haben es frühzeitig zur Kenntnis erhalten. – Also: Klären Sie diese Probleme auf und ziehen Sie sich nicht auf diese oberflächlichen Ausflüchte zurück!
Die Bürger in Kreuzberg und auch in Prenzlauer Berg und die Polizei sollten den 1. Mai bewältigen. Der Senat hat sich darauf beschränkt, die Polizei dort hinzuschicken. Vielleicht haben Sie auch deswegen kein Konzept vorgelegt, weil Sie mittlerweile eine gewisse Phobie entwickelt haben; denn viele Konzepte, die Sie präsentieren, sind zum Scheitern angelegt.
Die FDP hat eigene Vorschläge eingebracht, die teilweise kritisiert werden. Das ist hier im parlamentarischen Verfahren üblich. Wenn die Linke dieses Hauses damit nichts anfangen kann, bedauere ich das zwar auf der einen Seite, aber es schockiert mich nicht wirklich. – Vorneweg gesagt: Wir haben keine Allheilmittel, wir haben nicht den goldenen Weg für Frieden und Fröhlichkeit am 1. Mai in der Tasche, aber wir haben Ideen, die wir eingebracht haben, die wir diskutieren wollten und die in keiner Weise angemessen behandelt wurden. – Eine Idee war, zu differenzieren zwischen Schaulustigen und Mitläufern und den Gewalttätern.
Die polizeiliche Strategie muss sich daran orientieren, wie die konkrete Situation vor Ort ist und nicht an der jeweiligen Parteilinie. – Wenn es friedliche Demonstrationen und Feste gibt, dann ist Zurückhaltung angesagt, dann muss man offen auftreten und sich im Hintergrund halten. Sobald Menschen angegriffen werden und Eigentum zerstört wird, muss nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit konsequent eingegriffen werden. Die Randale muss unterbunden werden, die Straftäter festgenommen und möglichste beweissicher der Justiz zugeführt werden. Die Strategie muss flexibel sein. Sie muss den Anforderungen vor Ort gewachsen sein.
Jetzt sagen der Senat und auch Vertreter von Rot-Rot, das sei die Strategie eigentlich gewesen. Dann müssen wir die Strategie an ihrem Erfolg messen. Die Zahlen des 1. Mai und der Walpurgisnacht haben wir schon gehört. Ich gehe auf zwei konkrete Punkte ein: Am Mauerpark gab es die Situation, dass die Polizei ganz unvermittelt ohne Anlass angegriffen und zwanzig Minuten lang mit Flaschen und mit Steinen beschmissen und mit Leuchtmunition beschossen wurde. Zwanzig Minuten hat man gewartet, bis eingegriffen wurde, danach sehr professionell und sehr schnell den Mauerpark geräumt und die Szenerie aufgelöst. Wir fragen: Was hat so lange gedauert? Aus welchem Grund hat man hier nicht sofort eingegriffen?
Der zweite Punkt: Mariannenstraße am 1. Mai, der Kollege Henkel hat es geschildert: Ein Auto wird umgeschmissen. Leute positionieren sich darauf vor ihren Freunden, die Fotos davon machen. Die Polizei steht dabei. Es schaukelt sich hoch. Ein Auto brennt. Steine fliegen auf Häuser. Steine fliegen auf Menschen. 45 Minuten Ausnahmezustand in Berlin-Kreuzberg. Warum wurde nicht eingeschritten? War das Teil des Konzepts, oder waren es taktische Fehler vor Ort? – Diese Frage muss heute aufgeklärt werden. Es kann in einem Polizeikonzept in diesem Bereich keine Kulanz geben, Randale, Krawalle, verletzte Menschen und zerstörtes Eigentum zu akzeptieren.
Was hat zu diesem stark verzögerten Eingreifen der Polizei in diesen zwei konkreten Fällen geführt, Herr Innensenator? – Wir haben dringenden Aufklärungsbedarf. Ein Aspekt: Ziehen Sie sich nicht zurück auf die Aussage, die Gewalt habe eine neue Qualität bekommen.
[Frau Seelig (PDS): Wie lange leben Sie eigentlich schon in Berlin? – Over (PDS): Was sagt das Gesetz dazu?]
Wir haben die Situation in Berlin, dass am 1. Mai abends nichts Relevantes stattfindet. Alle jugendlichen Heranwachsenden, die sich überlegen: Was machen wir heute Abend? –, müssen zu dem Schluss kommen, dass das einzig Relevante sei, nach Kreuzberg zu fahren und zu gucken, was passiert. – Der Regierende Bürgermeister ist gerade nicht hier. Er macht sonst sehr viele gesellschaftliche Initiativen, spricht Persönlichkeiten dieser Gesellschaft an, versammelt sie für einen guten Zweck. – Was spricht dagegen, für diese Zielgruppe eine Initiative für einen friedlichen und bunten 1. Mai anzustoßen, mit Sportlern, Musikern, Schauspielern?
Nein, nicht im Bezirk, Frau Vizepräsidentin! Nicht auf Kleinkunstbühnen! Das ist auch gut, aber wir müssen dezentral Alternativen anbieten. Wenn am 1. Mai die Jugend Berlins kaum eine Möglichkeit hat, diesen abends zu verbringen, außer nach Kreuzberg zu gehen, dann sind wir in der Pflicht,
herausragende Persönlichkeiten, die für die genannte Zielgruppe interessant sind, zu versammeln; in die Schu
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das 17. Mal ein unfriedlicher Mai in Berlin – das ist Weltrekord. – Frau Hertel, glücklicherweise haben wir danach nicht jedes Mal im Plenum diskutiert; das wäre nicht auszuhalten gewesen. Aber man soll sich doch einmal daran erinnern, dass 1987, beim ersten Mal, noch die Mauer stand und Erich Honecker im April gerade sein
Erscheinen zu den 750-Jahr-Feiern im ICC abgesagt hatte. Und der damalige Oppositionsführer Walter Momper – so lange ist das her – zog eine Verbindung zwischen diesen Ereignissen und sagte: Die haben im Fernsehen diese Eröffnungsgala im ICC gesehen, das Büfett der Superlative, und gedacht: Die leben da in Saus und Braus, und wir haben nichts zu fressen. – Wie gesagt, das ist lange her, nur: Uns muss zu denken geben, dass heute die Randale von jungen Leuten ausgeht, die damals gerade geboren wurden. So ist die Realität. Wir sollten über die Ursachen streiten. Aber eines, Herr Henkel, geht nicht: dass die Partei, die es mit vier Innensenatoren – Kewenig, Heckelmann, Schönbohm und Werthebach – nicht geschafft hat, der Stadt auch nur einmal einen friedlichen 1. Mai zu bescheren – im Gegenteil, sie hat regelmäßig Öl ins Feuer gegossen und den 1. Mai hochgejazzt –, nun diesen völlig unglaubwürdigen Misstrauensantrag stellt.
Ich füge noch hinzu: Wenn Sie im Innenausschuss von Bildern wie aus Belfast oder aus Beirut geredet haben – und das haben Sie getan –, dann ist Ihnen die Skala entglitten. Wir hatten Auseinandersetzungen am 1. Mai – das wird Ihnen jeder sagen, der dabei war; Sie konnten es anfangs selbst nicht sein, wie wir wissen –, die erheblich gravierender waren, wo vor allen Dingen eins geschah: Ein Funken der Solidarisierung sprang über von den Straftätern auf die Bevölkerung und auch auf die Feiernden. Dieses Mal waren die Gewalttäter erstmals ganz isoliert. Auch dies ist ein großer Erfolg der eingeschlagenen Schritte. Auch dies ist ein großer Erfolg der von der Polizei konsequent durchgeführten Deeskalationsstrategie.
len zu gehen, das vorher zu thematisieren – nicht nur selektiv, sondern im großen Umfang –, mit der Polizei in die Schulen zu gehen und zu sagen: Schaut mal, was am 1. Mai passiert ist! –, die Folgen für Opfer darzustellen und auch die Folgen für die Leute, die Krawalle veranstaltet haben.
Das sind Ideen, die im Ansatz teilweise verwirklicht wurden, aber nicht in der Konsequenz, wie wir sie uns gewünscht haben. Wir haben darüber hinaus noch Punkte eingebracht. Sie liegen schriftlich vor. Sie haben sie auch alle zur Kenntnis genommen.
Wenn wir so verfahren wie jetzt, nämlich dass wir erst das Gewaltritual zur Kenntnis nehmen und dann hier ins Klageritual verfallen, kann der Eindruck entstehen, wir hätten uns damit arrangiert. Es wird auch regelmäßig gesagt, das sei eben seit vielen Jahren so.
Das Signal, das davon ausgeht, ist fatal. Für die Randalierer, die Jugendlichen und wer sich sonst noch da herumtreibt, entsteht der Eindruck, das sei so eine Art Cowboyund-Indianer-Spiel, wo einmal im Jahr mehr oder weniger akzeptiert wird, dass der Rechtsstaat außer Kraft gesetzt wird.