Protokoll der Sitzung vom 27.11.2003

In meinen zahlreichen Gesprächen habe ich registriert, dass viele Eltern durchaus bereit sind, mehr für den Kitabesuch zu zahlen, wenn damit ein Zugewinn an Qualität und Verlässlichkeit verbunden ist. An dieser Stelle hatte ich eigentlich vor, ein persönliches Wort an den Finanzsenator zu richten, aber Herr Senator Sarrazin hat andere Verpflichtungen, was uns vorab mitgeteilt wurde. Deshalb richte ich diese Worte an den Regierenden Bürgermeister:

Erstens: Wir erwarten, dass die Senatsfinanzverwaltung möglichst schnell ihren Beitrag zu den geplanten Strukturveränderungen im Bereich der Tagesbetreuung leistet. Wir wollen sehr schnell Fortschritte beim Übertragungsprozess, und wir wollen die gleichen Finanzierungsbedingungen für Kinder in den Kitas in freier und in öffentlicher Trägerschaft. Wir versprechen uns davon auch einen Qualitätszugewinn, um die Eltern zu überzeugen, dass die Kitas ihr gutes Geld auch wert sind.

Ein zweites Wort: Heute wurde schon viel über Personal gesprochen. Man mag sich über die Zahlen der notwendigen Erzieherinnen in den Kitas öffentlicher Kindertagesstätten streiten. Man mag auch darüber streiten, ob durch die eine oder andere bessere Organisation in den Kitas Personalreserven zu erschließen sind. Doch eines ist klar: Die Personalverordnung im Kindertagesstättenbereich ist gültig und umzusetzen! Das ist aus unserer Sicht genauso wichtig wie eine sozial gerechte Beteiligung der Eltern an den Betreuungskosten der Kinder.

Wir stimmen der Beschlussfassung über die Drucksache 15/2279 zum Fünften Gesetz zur Änderung der Kita- und Tagespflegekostenbeteiligung zu. – Danke schön!

Die Eltern werden auch versuchen, ihre Betreuungszeiten auf das absolut Notwendige zu reduzieren. Eltern, die bis jetzt noch ein bisschen Luft zwischen ihrer Arbeit, dem Arbeitsweg und dem Abholen des Kindes hatten, werden in Zukunft mehr Stress haben. Das wird sich auf die Beziehung zu den Kindern auswirken. Aus dem

Grund werden möglicherweise höhere Folgekosten auf uns zukommen. Damit tun Sie das Gegenteil von dem, was Sie zu Anfang der Legislaturperiode versprochen hatten. Sie wollten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern und Eltern in der Organisation des Alltags entlasten. Die verlässliche Halbtagsschule soll ein Baustein dazu sein. Das allein als Baustein reicht nicht. Dazu gehören auch eine gute und zeitlich ausreichende Kinderbetreuung bzw. die Bildung in den Kitas.

Im Gegenzug, wenn die Eltern nun kürzere Betreuungszeiten haben, werden die Kitas Personal abbauen müssen. Die Folgen dessen sind kürzere Öffnungszeiten und längere Schließzeiten. Auch das verschlechtert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für die Eltern. Es wird dadurch aber auch zu einer zusätzlichen Ausdünnung des Personals in den verbleibenden Öffnungszeiten kommen. Die Erzieherinnen und Erzieher werden weniger Zeit für die Förderung der Kinder haben. Das gerade in Abstimmung befindliche Bildungsprogramm, Herr Böger, so sehr wir das begrüßen, wird unter diesen Bedingungen in den Kitas nicht umsetzbar sein. Und die an die Kitas vor Monaten verteilten Sprachköfferchen werden in irgendwelchen Ecken verstauben. Ihre Reden von Verbesserung der vorschulischen Bildung und Erziehung, die hier ansatzweise heute auch noch einmal gehalten wurden, können Sie sich in Zukunft schenken. Das glaubt Ihnen in dieser Stadt wirklich kein Mensch mehr.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Danke schön! – Für die Fraktion der Grünen hat Frau Abgeordnete Jantzen das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! PDS und SPD werden heute, wie nicht anders zu erwarten war, eine Erhöhung der Kitakostenbeteiligung beschließen. Ich gebe zu, es gibt geringfügige Änderungen gegenüber der Vorlage, aber damit ändern Sie letztlich die soziale Schieflage und Ungerechtigkeit, die damit einhergeht, nicht. Sie beschließen diese Kitakostenerhöhung in dem Wissen, dass dies nach PISA und den neuesten Gutachten zur Weiterentwicklung der Tageseinrichtungen für Kinder die falsche Entscheidung ist.

Durch die Erhöhung, Frau Barth, wird vielen Kindern der Zugang zur Bildungseinrichtung Kita in Zukunft verwehrt sein. Die Qualität der Bildung und der Erziehung wird sich extrem verschlechtern. Sie von der PDS verraten damit alle Ziele, für die Sie mit uns in der Opposition und auch noch in Pressemitteilungen zu Anfang des Jahres eingetreten sind.

[Beifall bei den Grünen]

Die SPD hat gestern gerade noch die Kurve bekommen und kann das Gesicht wahren. Die 388 Stellen, wie vom Parteitag gefordert, können jetzt besetzt werden. Zu verdanken ist das allerdings auch nur dem WPDGutachten, das auf Drängen unserer Fraktion erstellt wurde.

[Beifall bei den Grünen]

Ob Ihre Basis damit zufrieden ist oder der SPDBundesvorstand – der im Dezember seine wunderbare Tagung zur Bedeutung der Kindertagesbetreuung und ihrem Aufbau und dazu macht, wie wichtig das alles ist – damit zufrieden zu stellen ist, weiß ich nicht. Wir jedenfalls sind damit nicht zufrieden.

Die Erhöhung der Kitakostenbeteiligung wird weit reichende Folgen für die Berliner Kitalandschaft und die Bildung und Erziehung der Kinder haben. Eltern, die es sich leisten können, werden auf private Betreuung ausweichen. Die soziale Entmischung ist damit vorprogrammiert. In der Senatsverwaltung für Jugend – Herr Böger weiß das wahrscheinlich bereits – laufen inzwischen die Telefondrähte heiß. Eltern wollen wissen, wann das Gesetz in Kraft tritt, um rechtzeitig ihre Betreuungsverträge kündigen zu können. Sie haben immer behauptet, das werde so nicht eintreten. Ich denke, das beginnt nun zu laufen, und Sie werden sich noch wundern, was Sie mit diesem Gesetz angerichtet haben.

[Beifall bei den Grünen]

[Beifall bei den Grünen]

Wir stehen dazu: Kitas sind Bildungseinrichtungen. Und wir sind auch nach dem Verfassungsgerichtsurteil der Meinung, dass sie langfristig kostenfrei sein sollen. Wir werden auch heute unserem eigenen Antrag zustimmen. Denn Sie können nicht mit dem Verfassungsgerichtsurteil alles begründen, was nun nicht mehr ginge. Es liegt in unserer Entscheidung, es ist auch begründbar: Bildung ist ein Grundrecht. Wenn wir die Zukunft dieser Stadt sichern wollen und auch eine wirtschaftliche Entwicklung haben wollen, die wir brauchen, um tatsächlich die Einnahmen zu erringen, die wir auch brauchen, um unsere Sozialausgaben zu tätigen, dann fängt das damit an, dass wir eine gute Bildung unserer Kinder sichern, dass wir die Vereinbarkeit von Beruf und Betreuung sichern und damit auch qualifizierte Fachleute in diese Stadt locken und sie dann nicht abspringen.

Im „Spiegel“ war zu lesen, wie Herr Wowereit und andere Großkonzerne und Wirtschaftsunternehmen nach Berlin holen wollen. Sie versprechen dabei eine gute Betreuung für ihre Kinder. Wenn Sie das dann tatsächlich nicht nur für die Manager wollen, die dann hierher kommen, sondern für alle Eltern in der Stadt, dann sollten Sie heute noch einmal scharf darüber nachdenken, ob Sie diese Kitakostenbeteiligungserhöhung machen.

Ich fordere Sie auf, kommen Sie zur Vernunft! Verspielen Sie nicht die Chance, die Berlin mit dem tatsächlich im Vergleich zu anderen Ländern immer noch relativ

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle wissen um die schlechte wirtschaftliche Lage in Deutschland und in Berlin. Das Nullwachs

tum der letzten Jahre hat dazu geführt, dass es so viele Insolvenzen wie noch nie gegeben hat. Die Arbeitslosigkeit ist ebenfalls auf Rekordniveau gestiegen. All dies führt dazu, dass unsere sozialen Sicherungssysteme auf den Prüfstand müssen. Das gilt auch für das Arbeitsrecht und Teilaspekte des Arbeitsrechts, also auch für den so genannten Bildungsurlaub.

Allein im nächsten Jahr wird es ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von 0,6 % geben, weil 4 Feiertage auf das Wochenende fallen. Dies ist zunächst einmal eine beeindruckende Zahl. Wir alle müssen uns damit abfinden, dass in Zukunft länger gearbeitet werden muss. Das zeigt schon allein ein Vergleich mit den Staaten der OECD.

Das Berliner Bildungsurlaubsgesetz vom 24. Oktober 1990 sieht vor, dass ein Anspruch auf Bildungsurlaub besteht. Dieser Anspruch beträgt 10 Arbeitstage innerhalb eines Zeitraums von zwei aufeinander folgenden Kalenderjahren. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter 25 Jahren beträgt der Bildungsurlaub sogar 10 Arbeitstage pro Kalenderjahr.

Heute kann ein Betrieb aus wirtschaftlichen Gründen den Bildungsurlaub zwar verweigern oder aufschieben, allerdings nur in Ausnahmefällen. Ein Rechtsanspruch besteht, wie gesagt, auch weiterhin. Was ich hiermit ausdrücken will, ist ganz einfach. Einerseits kann es sich ein Privater nicht leisten, seine Belegschaft in den Bildungsurlaub zu schicken. Damit spiegelt das Gesetz in keiner Weise die Realität wider. Ganze 0,78 % der Sozialversicherungsbeschäftigten in Berlin haben dieses Recht im Jahr 2002 in Anspruch genommen. Das sind 8 600 Berlinerinnen und Berliner. Somit kann man sagen, dass dieses Gesetz nicht mehr greift.

gut ausgebauten Angebot an Kindertagesstätten einmal für die Bildung und Erziehung unserer Kinder hat, zum anderen aber auch als Standortvorteil für diese Stadt und ihre zukünftige Entwicklung. – Danke!

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Danke schön! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Somit kommen wir zu den Abstimmungen, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU, Drucksache 15/2026-1. Wer diesem Änderungsantrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen! – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.

Dann kommen wir zur Beschlussempfehlung Drucksache 15/2279. Der Ausschuss empfiehlt mehrheitlich gegen die Fraktionen der CDU, der FDP und der Grünen die Annahme der Vorlage Drucksache 15/2062, und zwar gemäß den Änderungen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Das sind die Regierungsfraktionen. Die Gegenprobe! – Das ist die Opposition. Enthaltungen? – Damit ist dies so beschlossen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der Grünen, Drucksache 15/2027. Hier empfehlen der Fachausschuss mehrheitlich gegen die Stimmen der Fraktion der Grünen bei Enthaltung von CDU und FDP und der Hauptausschuss mehrheitlich gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der CDU die Ablehnung des Antrags. Wer dem Antrag Drucksache 15/2027 jedoch trotzdem seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen! – Das ist die Fraktion der Grünen. Die Gegenprobe! – Die Regierungsfraktionen. Enthaltungen von CDU und FDP. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Die lfd. Nr. 6 ist bereits durch die Konsensliste erledigt.

Wir kommen zur

lfd. Nr. 7:

I. Lesung

Mehr Berlin, weniger Staat (45) – Gesetz zur Aufhebung des Berliner Bildungsurlaubsgesetzes (BiUrlG)

Antrag der FDP Drs 15/2240

Ich eröffne die I. Lesung. Die antragstellende Fraktion der FDP hat die Beratung gewünscht, wofür eine Redezeit von jeweils 5 Minuten zur Verfügung steht. Es beginnt die antragstellende Fraktion der FPD, der Abgeordnete Herr Lehmann. – Bitte sehr!

[Beifall bei der FDP]

Neben den schon zu hohen Lohnkosten wird Arbeit zusätzlich verteuert.

Andererseits bleibt dieses Privileg, was die politische Bildung angeht – ich betone die politische Bildung –, allein dem öffentlichen Dienst offen. Damit kommt es zu einer Ungleichbehandlung, die abgeschafft werden muss.

Für Mitglieder des Betriebsrats schreibt das Betriebsverfassungsgesetz vor, dass sie ohne Minderung des Arbeitsentgelts an Veranstaltungen teilnehmen können, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind. Das ist auch so ein kleiner Skandal. Es geht nicht um die Erfordernisse des Unternehmens, sondern um die des Betriebsrats. Wir sollten uns alle hinter die Ohren schreiben, dass nicht Betriebsräte, sondern Unternehmen neue Arbeitsplätze schaffen.

[Beifall bei der FDP – Ratzmann (Grüne): Ahnung haben Sie von dem Thema nicht!]

Wer sich über die Geschichte des Ost-West-Konflikts politisch bilden will, der kann dies auch in seiner Freizeit

Lehmann

Immer mit der Ruhe! – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zuerst einmal, Herr Lehmann: Ich habe Ihren Ausführungen überhaupt nicht zugestimmt, und das gebe ich hier auch zu Protokoll. Das haben Sie falsch gedeutet.

Wir müssen uns heute wieder einmal mit einem Antrag beschäftigen, der einzig und allein dazu dienen soll, die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu beschneiden.

Genau! – Dieses Mal begehren Sie in persona von Herrn Lehmann die Aufhebung des Berliner Bildungsurlaubsgesetzes. Dazu kann ich für die SPD-Fraktion hier und heute nur verkünden: Unsere Zustimmung werden Sie dazu nicht erhalten. Aber ich denke, das haben Sie auch nicht erwartet.

tun. Wer auf Malta oder Salamanca eine Fremdsprache lernen will, dem kann auch zugemutet werden, dafür einen Teil seines Jahresurlaubs zu nehmen. Von den 4 900 anerkannten Veranstaltungen waren über 1 100 im Ausland. Ist das wirklich nötig?

[Doering (PDS): Offensichtlich ja!]