Vielen Dank, Herr Senator Dr. Körting! – Wir kommen jetzt zur Besprechung, wofür wir im Ältestenrat eine Redezeit von bis zu zehn Minuten vereinbart haben. Es tritt als erster ans Pult und erhält das Wort Herr Kollege Steuer von der Fraktion der CDU. – Bitte schön, Sie haben das Wort!
Tatsächlich hat die Kriminalitätsstatistik keine Zunahme der jugendlichen Straftäter festgestellt, aber auch keinen Rückgang der Straftäter, der über den demographischen Rückgang von Kindern substantiell hinausgeht. Hinzu kommt, dass viele Delikte nicht immer zur Anzeige gebracht werden, weil die Angst der Opfer, andernfalls weiterer Gewalt ausgesetzt zu sein, zu groß ist.
Die Zahl der festgestellten Tatverdächtigen ist weiterhin erschreckend. Im ersten Halbjahr 2003 sind allein über 21 000 Jugendliche in Berlin delinquent geworden. Was können wir bei einer nüchternen Analyse der Jugendkriminalitätsstatistik erkennen, wenn wir uns ernsthaft und ohne Aufregung mit dem Thema befassen wollen? – Erstens gibt es eine Zunahme der Brutalität, zweitens eine Zunahme von Jugendgruppengewalt, wobei die besonders hohe Zahl ausländischer Jugendlicher auffällt, und drittens eine Zunahme der Mädchengewalt.
Auch außerhalb der Kriminalitätsstatistik müssen wir Besorgnis erregende Entwicklungen zur Kenntnis nehmen. So steigt die Anzahl Drogenabhängiger an. Als eine neue Einstiegsdroge für Alkohol- oder andere Drogenabhängigkeit werden bundesweit die neuen Alcopops – Brause-Alkohol-Mixgetränke – diskutiert. Es
Was sind die Gründe für Jugendkriminalität? – Staatssekretär Härtel hat im Innenausschuss zur Jugendkriminalität richtig ausgeführt:
In diesem Fall hat der Staatssekretär Recht. Die soziale Situation, das Elternhaus und eigene Fähigkeiten spielen eine Rolle. Kinder und Jugendliche in Problemlagen muss der Staat daher auch nach der Kinder- und Jugendhilfegesetz unterstützen.
Lassen Sie mich den Fokus auf eine Bevölkerungsgruppe richten, die in der Kriminalitätsstatistik besonders auffällt, nämlich Jugendliche ausländischer Herkunft. 44 % der jugendlichen Tatverdächtigen haben einen ausländischen Hintergrund. Oder anders gesagt: Die Anzahl der straffälligen Jugendlichen ist unter den Jugendlichen ausländischer Herkunft doppelt so hoch wie unter den deutschen Jugendlichen. Besonders Raub und Waffengebrauch nahmen hier drastisch zu. Dass wir hier nicht über Mentalitätsfragen sprechen, sehen wir an der erschreckenden Analyse, dass Jugendliche ausländischer Herkunft um so krimineller sind, je länger sie in Deutschland leben. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass in Berlin kaum Integration stattfindet und die ausländischen Jugendlichen ins Abseits geraten. Dies wird am Ende des Bildungswegs deutlich, wenn 30 bis 40 % der Schüler ausländischer Herkunft die Schule ohne Abschluss verlassen. Diese Chancenlosigkeit und soziale Schieflagen bieten den Nährboden für Kriminalität. So sind ethnischer Herkunft und Kriminalität in Berlin miteinander verbunden.
Dritten müssen Jugendeinrichtungen, Projekte und Familienhilfen auch weiterhin Jugendliche in besonderen Problemlagen auffangen. Sie müssen erklären, wie Sie angesichts geringerer Finanzmittel weiterhin eine Kooperation zwischen Jugendämtern, Justiz und Polizei garan
tieren wollen. Als letztes Mittel und als Einzelentscheidung muss auch die geschlossenen Heimunterbringung als pädagogische Einrichtung, die auf eine differenzierte Angebotsstruktur und Therapie setzt, möglich sein.
Viertens: Wir fordern ein Konzept zur Integration ausländischer Jugendlicher, das verpflichtenden Sprachunterricht vor Beginn der Grundschule auch zur Vermittlung von Grundkenntnissen unserer Kultur beinhaltet.
Dem Innensenator Zahlenakrobatik vorzuwerfen, die nicht weiterhelfe, mag noch angehen, aber er beherrscht sie wenigstens. Sie können, wenn ich das richtig nachvollzogen habe, noch nicht einmal simpel addieren: Wer von den 68ern als Lehrer an die Schulen gegangen ist, der steht heute, nach 35 Jahren, kurz vor der Pensionierung. An denen kann es beim besten Willen nicht liegen. Da stimmt etwas nicht.
Wir brauchen daher ein umfassendes Konzept zur Integration ausländischer Jugendlicher. Sie tun aber das Gegenteil: Die zusätzlichen Stellen zur Sprachförderung in Brennpunktkitas sind mit dem ersten Doppelhaushalt weggefallen. Die Demontage der Kitas führt insgesamt zu einer Verschlechterung der Sprachförderung und der Motivation von Kindern und Erziehern. Die CDUFraktion fordert ein Integrationskonzept, das auch verbindlichen Sprachunterricht beinhalten muss.
Ohne über die Startchancen von Jugendlichen und die Unterstützung des Staats dabei zu sprechen, wird man immer nur einen Teil des Phänomens Jugendkriminalität begreifen können.
Das Land kann vieles für Jugendliche tun, es wird aber auch immer einige Jugendliche geben, die man nicht erreichen kann, weil sie sich nicht helfen lassen wollen. Diese Mehrfach- oder Intensivtäter muss man erkennen wollen, und man muss angemessen mit ihnen umgehen. Bei ihnen muss die Strafe noch eine pädagogische Wirkung entfalten können. Die Jugendlichen müssen die Folgen ihres eigenverantwortlichen Handelns erkennen. Deshalb muss hier das Verfahren der Tat auf dem Fuße folgen. Strafe kann auch so abschrecken, niedrige und hohe Strafen. Dabei soll das Ziel der Reintegration nicht aus dem Auge verloren werden. Die CDU-Fraktion fordert deshalb, die wenigen Plätze in offener Heimunterbringung in Brandenburg aufzustocken, um mehr Jugendliche in diese erfolgreichen Maßnahmen aufnehmen zu können.
Die CDU-Fraktion fordert den Senat auf: Erstens keine Toleranz im Alltag und in der Schule. Das Laisserfaire der 68er hat nicht zum Erfolg geführt. Nun muss der Staat die teilweise hilflosen Schulen bei ihrem Lehrauftrag unterstützen.
Er darf die Lehrer nicht mit der steigenden Gewalt in den Schulen allein lassen. Die Finanzierung der Schulstationen, Herr Senator Körting, ist auch nicht gesichert.
Zweitens fordert die CDU-Fraktion den repressiven Umgang auch bei geringen Delikten und angemessene Strafen für Mehrfachtäter. Unterstützen Sie unsere Bundesinitiative, das Strafrecht zu verschärfen und Jugendliche über 18 Jahren nach dem allgemeinen Strafrecht zu verurteilen.
Herr Senator Körting, reine Zahlenakrobatik hilft bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität nicht. Es ist zu befürchten, dass sich die Jugendkriminalität mittelfristig wieder verstärken wird, wenn Sie Ihre Politik so weiterführen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich habe ich mich – und das tue ich immer noch – darüber gefreut, dass das Thema Jugendkriminalität und Jugendgewalt heute im Rahmen einer Großen Anfrage behandelt wird. Sie sind mir um zehn Tage zuvorgekommen. Mein Fraktionsvorsitzender kann bestätigen, dass ich kurz zuvor noch angerufen gefragt habe, wie die Verfahrensweise bei einer Großen Anfrage ist. Ich hätte genau zu diesem Thema eine gewünscht, allerdings mit einer anderen Blick- und Stoßrichtung. Ich halte das Thema für zentral. Die Lösungen der ihm innewohnenden Probleme sind extrem wichtig. In den aus diesen Problemen erwachsenden Konsequenzen steckt für meine Begriffe eine erhebliche Sprengkraft. Bitte sehen Sie es mir nach, aber nach meinem Dafürhalten ist diese Sprengkraft wesentlich größer als die, die mit dem Poolproblem und der Opernfrage verbunden ist. Das ist aber meine persönliche Meinung.
Die Medienberichten des heutigen Tages versuchen, sich gegenseitig mit dramatischen Meldungen und alarmierenden Zahlen zu übertrumpfen. Alarmierend sind die Zahlen von Gewalt und Strafdelikten tatsächlich, vor allen
Ich möchte diese Thematik gerne eingehender besprechen und mit Ihnen über die Rolle der Medien, des Fernsehens oder der Videospiele diskutieren. Denn was erwarten wir eigentlich von Kindern, 6-, 7-jährig, die nach einer empirischen Studie von Professor Pfeiffer bis zu durch
schnittlich vier Stunden am Tag von RTL 2 und Videospielen erzogen werden, deren gewaltverherrlichende Darstellungen einem gestandenen Erwachsenen das Erbrechen bringen könnten?
Guter Punkt! Lassen Sie mich noch zwei Sätze fortfahren, dann komme ich dahin. – Kinder und Jugendliche, die vor dem Leben und der körperlichen Unversehrtheit des anderen – Herr Körting hat es schon erwähnt – wenig bis gar keinen Respekt haben, die werden sich bestimmt nicht an gesetzliche Regeln oder Normen halten. Die Antwort darauf kann nicht sein: verstärkte Repressalien oder ein Mehr an staatlichem Handeln.
Moralisches Lernen oder – Ihnen vielleicht eher bekannt – die Wertevermittlung beginnt im frühesten Kindesalter. Die relevanten Sozialisationsinstanzen sind und bleiben Eltern, Familie,
schließlich das gesellschaftliche Umfeld, und erst dann können Kitas und Schulen eingreifen. Selbst der motivierteste, engagierteste Lehrer kann die Defizite nicht abbauen, die sechs oder sieben Jahre unterlassene oder mangelnde Erziehung entstehen ließen. – Sie dürfen ruhig klatschen. Das war ein ganz intelligenter Satz, wie ich finde.
Dingen verbunden mit all ihren Facetten: mehr Waffen, gefährlichere, brutalere Waffen, Stich- statt Hiebwaffen und die Zunahme von Gruppengewaltdelikten. Aber – darauf lege ich viel Wert – insbesondere alarmierend – das kommt in Ihrer Anfrage gar nicht besonders vor; ich gehe aber davon aus, dass Sie es nicht verschweigen wollten – ist die gestiegene Kinderkriminalität, -gewalt und -brutalität.
Die macht mir, macht uns erhebliche Sorgen. Das allerdings – nun sind leider gar keine Vertreter der Medien mehr anwesend – würde ich gerne nicht nur einmalig zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens irgendeines Berichts, einer Statistik sehen wollen, weil es gerade eine tolle Schlagzeile gibt. Es sind nicht mehr die Jugendlichen – 13-, 14-, 15-Jährige –, die, wenn man jetzt die Augen verschließen wollte, noch die Entschuldigung für sich gelten lassen könnten, sie befänden sich in einem schwierigen, weil pubertären Alter. Es sind die Kleinen, die 6-, 7-, 8Jährigen, die in den letzten Jahren kräftigst aufgeholt haben. Jacke abziehen, Handy klauen oder die Herausgabe des Portemonnaies erzwingen sind nach meinem und sicher auch nach Ihrem Eindruck fast schon Ereignisse, auf die die Öffentlichkeit – und das sind wir, jeder einzelne von uns – doch nur noch mit einem Kopfschütteln, aber auch gleichzeitig mit Schulterzucken reagiert.
Vielleicht könnten Sie einfach zuhören, Kollege, und Ihre Zurufe so kanalisieren, dass Sie mich entweder fragen, und zwar nach meiner Rede, oder aber den Mund halten und zuhören. – Eine Reaktion, auch so eine übrigens, halte ich für nicht hinnehmbar und für nicht richtig am Platz. Mal ganz ehrlich, wer zuckt von uns heute noch zusammen, wenn ein 8-Jähriger seinem 6-jährigen Mitschüler eine Schlinge um den Hals wirft, zuzieht, bis dieser blau wird, und dieser nur von einem Mitschüler, der in letzter Sekunde dazukommt, gerettet werden kann?
Wer zuckt, wenn eine 7-Jährige eine Mitschülerin so lange gegen die Wand schlägt, bis diese ohnmächtig zusammenbricht?
Sie habe nur einmal sehen wollen, wie lange es dauert. Für Protokoll und die Presse: Das sind keine Fälle aus Berlin, sondern aus Frankfurt am Main und Bad Doberan, übrigens im „Spiegel“ von 1993 berichtet, so viel zum Thema Aktualität und heute erst bekanntem Problem.