Protokoll der Sitzung vom 11.12.2003

Einige hier werfen uns vor, dass wir nicht genügend mit den Betroffenenverbänden geredet hätten. Dies stimmt so nicht. Ich habe sehr frühzeitig, schon im Sommer, ein Gespräch mit dem Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein geführt. Auch zusammen mit dem Koalitionspartner haben wir Gespräche mit den Vertretern des Vereins geführt. Auf eine Anhörung im Ausschuss haben wir reagiert und beispielsweise die Kürzungen bei den Taubblinden abgewendet. Die Mitglieder der Koalition haben versucht, noch weitere Veränderungen umzusetzen. Insbesondere nach dem Urteil des Verfassungsgerichts ist uns das in größerem Umfang nicht gelungen. Dass die Spielräume enger geworden sind, haben wir der Opposition zu verdanken.

[Beifall bei der SPD]

Deshalb wird es der Opposition sicherlich schwer fallen, die Beibehaltung in der bisherigen Höhe verfassungsrechtlich zu begründen.

Ich lasse auch nicht unerwähnt, dass uns die Vertreter des Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins Vorschläge unterbreitet haben. Wir haben diese prüfen lassen. Ein Vorschlag war, durch Schaffung einer zentralen Stelle beim Personal auf der Bezirksebene Kürzungen zu erzielen und somit die Gegenfinanzierung zu erreichen. Die Prüfung hat ergeben, dass so keine Einsparung beim Personal möglich wäre und sogar mehr Bürokratie geschaffen würde. Daher können wir diesen Vorschlag nicht umsetzen. Das Land Berlin wird mit einem geänderten Landespflegegeldgesetz weiterhin für Blinde, hochgradig Sehbehinderte und Hilflose Leistungen bereitstellen. Dieses Leistungspaket ist im Bundesdurchschnitt gut aufgestellt, insbesondere weil wir eine weitergehende, sehr starke Absenkung verhindern konnten. Für uns ist die gleichberechtigte Teilhabe der Betroffenen an allen gesellschaftlichen Bereichen weiterhin wichtig. Die Abwendung der Kürzungen bei den Taubblinden und das geschnürte Gesamtpaket sind hierfür beispielhaft. Wir werden daher dieser Novellierung zustimmen. – Vielen Dank!

Danke schön, Frau Kollegin Radziwill! – Das Wort hat nun für die Fraktion der CDU der Herr Kollege Schmidt – bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Kollegin Radziwill! Wir sind nicht nur dazu da, um auf den Putz zu hauen, wir sind dazu da, den Finger in die Wunde zu legen. Sie werden uns gestatten, dass wir das auch an jeder Stelle tun, wenn es denn vonnöten ist.

In unseren Sitzungen des Fachausschusses sind einige Möglichkeiten aufgezeigt worden, wo durch entsprechende Handlungen und Verhandlungen Verbesserungen der beabsichtigten Kürzungen vorgenommen werden könnten. Die blinden und hochgradig sehbehinderten Menschen sind sich wohl bewusst, dass in der schwierigen Haushaltslage Einsparungen auch an und bei ihnen nicht vorbei gehen können. Sie sind hierzu auch bereit, diesen Eindruck hatte ich. Allerdings muss Sparen in diesen wie in anderen Fällen auch Gestalten heißen, und ein Kompromiss ist zu erarbeiten. Hier ist ein Satz des Geschäftsführers des ABSV aufzugreifen, der darauf hinweist, dass blinde Menschen von allen sonstigen Kürzungsmaßnahmen, Gebührenerhöhungen etc. genauso betroffen sind wie die übrige Bevölkerung. Allerdings sind Blindheit und teurerer Wasserverbrauch nicht alternative, sondern sich addierende Kostenfaktoren.

Ich habe Sie im Namen meiner Fraktion erneut aufzufordern, den Gesetzentwurf zurückzuziehen und mit den betroffenen Verbänden nachzuverhandeln. Aber, meine Damen und Herren, da ich die verbohrte Haltung der Koalition in dieser Frage kenne, gehe ich davon aus, dass Sie dieses nicht tun werden. Wir werden daher dieses

Schmidt, Uwe

Nein, ich rede es nicht schön, ich versuche, eine sachliche Debatte darüber zu führen, der Sie ja nicht folgen müssen. – Diejenigen Menschen, die im Sinne des Sozialhilfeblindengeldes bedürftig sind, bekommen die Differenz zu den 585 € aufgestockt. Damit wird sich für diese Menschen nichts ändern. Diese sozialen Härten sind also abgefedert. Ich bitte Sie auch zur Kenntnis zu nehmen, dass es eine solche Abfederung nur für Blinde gibt; das BSHG kennt kein Sehbehindertengeld und auch kein Gehörlosengeld.

Wir haben damit also faktisch eine soziale Staffelung, und viele von Ihnen haben in den Diskussionen um das Blindengeld immer wieder die soziale Staffelung eingefordert. Ich wiederhole daher noch einmal: Wir hatten Gespräche mit dem Blindenverband und haben mit ihm diese Frage diskutiert. Die Betroffenen lehnen eine soziale Staffelung mit einer Begründung ab, die nachvollziehbar ist und die wir auch akzeptieren. Die Betroffenen möchten, dass das Blindengeld weiter ein vom Einkommen unabhängiger Nachteilsausgleich bleibt. Sie möchten nicht, dass daraus eine staatliche Fürsorgeleistung wird. Eine staatliche Fürsorgeleistung hätten wir natürlich bei einer sozialen Staffelung. Deshalb haben wir von diesem Weg abgesehen.

Sie dieses nicht tun werden. Wir werden daher dieses unsoziale Gesetz ablehnen.

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Kollege Schmidt! – Für die PDS folgt Frau Kollegin Breitenbach! – Bitte schön, Sie haben das Wort!

Vielen Dank! – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sowohl Frau Jantzen als auch Herr Schmidt haben noch einmal versucht zu behaupten, dass man das Landespflegegeldgesetz ohne weiteres so belassen könnte, wie es augenblicklich ist. – Das ist nicht wahr. Es ist auch nicht wahr, dass SPD und PDS gesagt haben, das mussten wir nun auf Grund des Verfassungsgerichtsurteils machen. So platt hat niemand argumentiert.

[Frau Jantzen (Grüne): Aber so ähnlich! – Reppert (CDU): Nur so!]

So ähnlich! – Ich wiederhole es noch einmal, um es klarzustellen. Frau Jantzen, das Landespflegegeldgesetz und die Leistungen, die erbracht werden, gelten als freiwillige Leistungen. Mit dem Gang zum Bundesverfassungsgericht war klar: Die Leistungen müssen mit denen anderer Bundesländer verglichen werden. Das wurde durch das Urteil des Verfassungsgerichts bestätigt. Deshalb haben wir dies gemacht, und deshalb kam es zu diesen Änderungen.

[Reppert (CDU): Soziale Kälte!]

Ja, das ist alles, was Sie dazu sagen können, „soziale Kälte“ ist aber vielleicht ein bisschen dünn.

Sie reden in erster Linie von dem Blindengeld und sagen, Herr Schmidt, wir würden ein bisschen flunkern, weil wir immer noch von Ausstattungsvorsprüngen reden würden. Da haben Sie Recht, doch reden wir vom Landespflegegeldgesetz. Dieses umfasst mehr Leistungen – Leistungen für Blinde, für hochgradig Sehbehinderte, für Gehörlose und sonstige Behinderte. Selbst nach der Änderung des Landespflegegeldgesetzes würden wir immer noch ein Leistungsspektrum erhalten, das es in anderen Bundesländern so nicht gibt – das müssen Sie auch einmal zur Kenntnis nehmen!

[Beifall bei der PDS – Nein! von der CDU]

Na ja, wenn Sie Nein sagen, kann man nichts machen. Ich finde schon, Sie müssten das zur Kenntnis nehmen, weil das Tatsachen sind. Egal, dann nehmen Sie das nicht zur Kenntnis. – Richtig ist aber, dass die Änderung des Landespflegegeldgesetzes zur Absenkung des Blindengeldes führen würde. Würde der vorliegende Gesetzentwurf beschlossen werden – dem wir auch zustimmen werden –, so hieße das, dass die blinden Menschen in Berlin zukünftig ein Blindengeld von 468 € erhalten, also 117 € weniger als derzeit.

[Viel Geld! von der CDU]

Das ist viel Geld und wird zu sozialen Härten führen, und das muss man auch nicht schön reden.

[Reppert (CDU): Das tun Sie doch gerade! – Brauer (PDS): Hören Sie doch mal zu!]

Ihr Vorwurf, dass wir mit den Betroffenen nicht nach Lösungen gesucht haben, ist nicht richtig. Ein Kompromiss ist allerdings nicht möglich, wenn sich eine Seite hinstellt – und zwar sehr lange Zeit – und sagt: „An dem Status quo darf nichts geändert werden.“ – Das ist eine legitime Position, aber es ist keine, von der aus sich ein Kompromiss ableiten lässt. Deshalb bitte ich Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir nach wie vor ein ausgesprochen breites Leistungsspektrum haben. Ich bitte Sie, dieses Leistungsspektrum und seinen Erhalt auch dadurch zu unterstützen, dass Sie diesem Gesetz zustimmen.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Vielen Dank, Frau Kollegin! – Die nächste Meldung in der Redeliste ist der Kollege Herr Lehmann für die Fraktion der FDP. Er hat das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beschluss des rot-roten Senats, durch das Landespflegegeldgesetz Kürzungen bei Blinden und Sehbehinderten vorzunehmen, hat in den vergangenen Wochen hohe Wellen geschlagen. Dabei hat sich seit der letzten Debatte im Abgeordnetenhaus vor zwei Wochen nichts Wesentliches geändert. Der Senat bleibt dabei: Es wird gekürzt.

Ich bin noch nicht lange Mitglied dieses ehrenwerten Hauses, aber seitdem ich dabei bin, hat der Senat noch nie

Sie hätten richtig hinhören sollen bei der Anhörung! – Auch Staatssekretärin Leuschner zeigte sich überrascht über diese Aussage. Daraufhin hatte ich das Gefühl, dass es zu neuen Verhandlungen kommen könnte, und habe in

der Hoffnung eine Presseerklärung verfasst, dass es zu einer Wende beim Blindengeld kommt. Leider hat sich meine Hoffnung als Trugschluss erwiesen. Der Blindenverband hatte am 3. Dezember dieses Jahres per Fax nochmals klargestellt – das werden Sie mir ja nicht auch in Abrede stellen –, dass er eine soziale Staffelung nochmals ablehne. Bitte gestatten Sie mir, in Richtung des Blindenverbandes zu sagen, dass er sich damit keinen Gefallen getan hat. Abgesehen von der Sprunghaftigkeit des Meinungswechsels hätte er bei möglichen Neuverhandlungen mit Sicherheit eine bessere Lösung erreicht als das, worüber wir heute zu entscheiden haben.

Lassen Sie mich noch ein Wort zu unserem Antrag für die Errichtung einer zentralen Blindengeldstelle sagen. Wir finden, dass mit der Errichtung dieser Zentralstelle erheblicher Verwaltungsaufwand reduziert werden könnte. Die Sozialämter in unseren Bezirken sind seit langem hoffnungslos überlastet. Sie würden es Ihnen danken, wenn das Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben ihre Tätigkeit übernehmen würde. Neben der zu erwartenden Transparenz und der größeren Professionalität lassen sich langfristig erhebliche Kosten einsparen, auch im personellen Bereich.

Wir lehnen dieses Gesetz ab, weil der Senat sich – gelinde ausgedrückt – ziemlich ungeschickt über die letzten Wochen und Monate verhalten hat. Er hat ohne Rücksicht auf Verluste versucht, das Gesetz durchzupeitschen. Eine Regelung für eine Bemessungsgrundlage ist nicht vorgesehen, und er schweigt sich über die Mehrkosten bezüglich der Sozialhilfe immer noch aus. Einsparungen von 8,3 Millionen € sind damit eine Fantasiezahl. Alles in allem hat es für mich einen faden Beigeschmack, wenn betriebsbedingte Kündigungen aus staatszentristischen Gründen abgelehnt werden, auf dem Rücken der wirklich Bedürftigen allerdings rigoros gespart wird. Sie werden mit dieser ziellosen Politik Schiffbruch erleiden. – Vielen Dank!

ein Gesetz so brutal und rücksichtslos durchgedrückt wie das Landespflegegeldgesetz.

[Brauer (PDS): Herr Lehmann! Contenance!]

Dabei geht es mir nicht um das Kürzen. Es geht vielmehr darum, auf welche Art und Weise Sie Gesetze durchpeitschen. Die Senatsverwaltung hat die Änderung des Landespflegegeldgesetzes damit begründet, – –

[Abg. Liebich (PDS) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Liebich?

Nein, ich habe gerade erst angefangen! – Dabei geht es mir nicht um das Kürzen, sondern es geht um die Art und Weise. Die Senatsverwaltung hat die Änderung des Landespflegegeldgesetzes damit begründet, dass Berlin sich in einer extremen Haushaltsnotlage befinde. Das mag man sehen, wie man will.

[Liebich (PDS): Nein! Das hat das Gericht so entschieden!]

Ich finde es schäbig, wenn nun Stimmen laut werden, dass das Urteil des Verfassungsgerichts als verstärkter Argumentationshebel in diesem Fall dafür benutzt wird, diese Kürzungen vorzunehmen.

[Liebich (PDS): Was wollen Sie denn?]

Der Senat brüstet sich nun stolz, ca. 8,3 Millionen € durch die Änderung dieses Gesetzes einzusparen. Was er aber gern verschweigt, ist das Entstehen erheblicher Mehrkosten in der Sozialhilfe, also bei Hilfen in besonderen Lebenslagen bei § 67 und § 68 BSHG bzw. bei der Hilfe zur Pflege. Über die genauen Mehrausgaben kann der Senat keine präzisen Angaben machen und tut etwas, was er immer gern tut, wenn er nicht weiter weiß: Er schweigt. – Schon jetzt ist abzusehen, dass viele Blinde zum Sozialfall werden. Dadurch relativieren sich auch die Einsparungen.

In der letzten Debatte habe ich einige Vorschläge gemacht, wie man besser an das Problem herangehen könnte. Ich will sie jetzt nicht wiederholen, Sie können sie gern im Plenarprotokoll nachlesen. Ich sage nur: soziale Staffelung.

[Liebich (PDS): Das wollen die Blinden aber nicht!]

Deshalb war ich zunächst positiv überrascht, als im Ausschuss für Gesundheit und Soziales bei der Anhörung zum Landespflegegeldgesetz am 20. November der Vorsitzende des Allgemeinen Blinden- und Sehbehinderten Verbandes Berlin, Herr Dr. Schmidt, die soziale Staffelung wieder ins Spiel gebracht hat.

[Liebich (PDS): Er hat sie abgelehnt!]

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Schönen Dank, Herr Kollege Lehmann! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Die Ausschüsse empfehlen mehrheitlich gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen die Annahme. Der Fachausschuss empfiehlt gleichzeitig eine Änderung in § 2 Absatz 2 Satz 2. Wer so gemäß den Drucksachen 15/2186 und 15/2344 beschließen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Danke schön! Das waren die Regierungsfraktionen. Gegenstimmen? – Gegen die Stimmen aller Oppositionsfraktionen. Ersteres war die Mehrheit. Damit ist das Gesetz angenommen. – Gibt es Enthaltungen? Nein! – Eine Enthaltung, aha. Das Landespflegegeldgesetz ist somit beschlossen.