Protokoll der Sitzung vom 15.01.2004

[Beifall bei der CDU]

Sie haben gerade bestätigt, nur auf die Notlage einzugehen. So soll es sein. Nun haben Sie sich aber etwas Neues gedacht. Es war für mich gestern im Hauptausschuss interessant, von Ihnen zu hören, es gebe nicht nur – wie das Gericht sagt – bundesrechtliche und landesverfassungsrechtliche Vorgaben, die zu erfüllen seien. Sie haben sich darüber hinaus auch noch die sonstigen Bindungen ausgedacht, die Sie dazu berechtigen, erhöhte Kredite aufzunehmen. Ich muss es an dieser Stelle noch einmal erwähnen, damit jeder daran teilhaben kann. Sonstige Bindungen sind bei Ihnen beispielsweise Verträge oder sonstige Verpflichtungen, möglicherweise Zusagen, gewohnheitsrechtliche Tatbestände und die ganze Bandbreite dessen, was im realen Leben dazu führt, dass in

Verwaltungen Geld ausgegeben wird. Wäre das richtig, wie Sie es sich vorstellen, wäre das Urteil des Verfassungsgerichts ein Nicht-Urteil. Es würde sonst sagen, dass wie bisher verfahren werden kann. Wenn es so wäre, hätte das Urteil nicht den Haushalt für verfassungswidrig erklärt. Darüber müssen Sie einmal nachdenken. Das kann so definitiv nicht stimmen.

Herr Sarrazin hatte weiter festgestellt – das fand ich auch interessant –, er würde sich beispielsweise wünschen, Verträge einfach einmal auflösen zu können. Man kann darüber nachdenken, ob es so etwas wie den Wegfall der Geschäftsgrundlage in solchen Fällen gibt. Das ist denkbar. Als Beispiel führte Herr Sarrazin an, gern den Lebenszeitbeamten, den er nicht mehr brauche, loszuwerden. Nun wissen wir alle, dass Beamte gar keine Verträge haben. Beamte sind Beamte auf Grund einer gesetzlichen Grundlage. Sie werden in das Beamtenverhältnis berufen. Das ist sogar im Grundgesetz und im Beamtenrechtsrahmengesetz wiederzufinden, einem Bundesgesetz. Ich erwähne es nur deswegen, weil mir Angst und Bange wird, wenn das Ihre Herangehensweise an die rechtlichen Vorgaben ist. Offensichtlich können Sie noch nicht einmal unterscheiden, was ein Vertrag und was ein gesetzliches Verhältnis ist, noch dazu auf Grundlage einer bundesgesetzlichen Vorgabe. Herr Sarrazin, hier müssen Sie sich definitiv noch einmal mit den vielen juristischen Beratern, von denen Sie gestern erzählten, intensiv in Klausur begeben! Auf dieser auch juristisch abenteuerlichen Grundlage eine Haushaltsbegründung zu liefern, wird sicherlich nicht nur dem Berliner Verfassungsgericht auffallen, wenn es dieses Machwerk irgendwann in den Händen halten sollte.

Sie haben den Begründungszwang völlig verfehlt. Dieses Beispiel muss an dieser Stelle auch noch einmal aufgeführt werden. Das Gericht hat ihn aufgegeben. Sie müssen begründen, worauf Sie sich beziehen, wenn Sie beispielsweise eine Ausgabe tätigen und diese aus Krediten finanzieren. Es gibt das schöne Beispiel des Fuhrparks, das sehr erwähnenswert ist, Kapitel 05 92. Als Begründung ziehen Sie Artikel 67 der Verfassung von Berlin heran. Keine Sorge, es folgt kein verfassungsrechtlichen Kolloquium. Es ist ganz einfach. In Artikel 67 der Verfassung von Berlin Absatz 1 steht sinngemäß, dass die Hauptverwaltung Aufgaben von gesamtstädtischer Bedeutung wahrnimmt. Was bedeutet das jetzt? – Das ist eine Zuordnungsnorm. Das ist eine Kompetenznorm. Es steht deswegen in der Verfassung, damit man unterscheiden kann, was die Bezirke einerseits und die Hauptverwaltung andererseits tun. Wenn das eine Anspruchsgrundlage wäre, könnte sie nur verstanden werden, dass all das, was die Hauptverwaltung bislang schon wegen Artikel 67 tut, auch weiterhin von ihr getan werden muss. Das bedeutet wiederum, dass der gesamte Zirkus nicht veranstaltet werden muss. Es muss gar nicht im Detail begründet werden; es bleibt alles beim Alten. Das ist genau das, was Sie wollen. Das ist der Grund, warum Sie uns komische Begründungen liefern. Sie haben sich die Mühe nicht gemacht. Sie wollten sich die Mühe auch gar nicht tun.

Sie wollten es sich vielmehr einfach machen. Sie haben einfach einmal in die große Tombola der Verfassungsnorm gegriffen, die Ihnen eingefallen ist, und haben das dahinter geschrieben. Solch eine Pro-forma-Begründung, Herr Sarrazin, ist absolut lächerlich. Man muss sagen, dass am Ende des Tages nur die Feststellung bleibt, dass Ihr Haushalt verfassungswidrig ist, wenn man dieses Druckstück so dem Berliner Verfassungsgericht vorlegen würde. Ihr Haushalt ist verfassungswidrig. Er ist es immer noch und wird es wieder sein.

Es fehlt ihm vor allem noch eines: Sie haben von Ihrem Sanierungsplan gesprochen. Ich habe gestern ein paar Zahlen gesehen. Frau Spranger hat es auch noch einmal erwähnt. Es ist ein wenig wie Voodoo-Haushaltspolitik. Es werden einmal ein paar Zahlen hingepackt, eine degressive Kurve, und darauf gehofft, dass es irgendwann in den nächsten Jahren eintritt. Das Aufschreiben der Zahlen allein nutzt nichts. Nachdem die Koalition lange Zeit eher ein haushaltspolitischer Geisterfahrer war, sind Sie inzwischen zu einer okkultistischen Veranstaltung geworden. Sie hoffen darauf, dass die von Ihnen aufgeschriebenen Dinge auch tatsächlich eintreffen. Sie müssen jedoch etwas dafür tun. Die Netto-Neuverschuldung bleibt bei 9,3 Milliarden € für 2004 und 2005. Das ist die Zahl, die am Ende zählt. Das ist das, was übrig bleibt. Es wird nichts saniert. Es wird nicht umgesteuert. Es bleibt alles beim Alten. Sie machen weiter wie bisher.

Dieser Nachtragshaushaltsentwurf ist genauso wie all das, was man ansonsten in den letzten zwei Jahren von Rot-Rot in Berlin beobachten konnte. Es führt zu nichts. Es kostet viel Zeit und Nerven aller Beteiligten. Am Ende wird nur alles schlimmer als vorher. Ich finde es ausgesprochen bedauerlich, weil ich schon jetzt weiß, dass wir bei aller Beratung auch keine Besserung sehen werden. Die einzige Konsequenz kann an dieser Stelle sein, dass Sie es einfach sein lassen. Sie können es nicht!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Kollege Zimmer! – Es folgt die FDP. Das Wort hat der Herr Dr. Lindner. – So steht es hier. In den Akten steht die Wahrheit. Er nähert sich dem Pult. – Bitte schön, Sie haben das Wort!

Herzlichen Dank! – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kurz vor Weihnachten hatten wir in dem Gebäude hinter uns einen Vermittlungsausschuss, der ein so genanntes Steuerreformkonzept verabschiedete. Durch das Land ging die frohe Kunde, großer Weihnachtszauber, frohlocket und preiset die Tage; frohlocket und preiset den Vermittlungsausschuss. Der Eingangssteuersatz wurde zum 1. Januar von 19,9 % auf 16 % gesetzt, der Spitzensteuersatz von 48,5 % auf 45 % reduziert. Außerdem wurde der Grundfreibeitrag für das Existenzminimum moderat angehoben.

Rechnen wir einmal dagegen, was alles an Erhöhung allein auf Bundesebene gekommen ist: Es gibt die Praxisgebühr in Höhe von 10 € pro Arztbesuch pro Quartal.

[Frau Simon (PDS): Mit Zustimmung der FDP!]

Weiter gibt es die Erhöhung der Kfz-Steuer, sicher nicht mit Zustimmung der FDP, um 1,64 € pro 100 ccm. Zum 1. März 2004 wird die Tabaksteuer erhöht. Zusätzlich gibt es eine Erhöhung der AU-Gebühren um 25 %, eine Erhöhung der Führerscheingebühren um bis zu 10 %, eine Erhöhung der Rundfunkgebühren und die üblichen Phantasien von Ausdehnung der Gewerbesteuern auf Freiberuflicher, Erhöhung der Erbschaftsteuer und die vorhin schon in Bezug genommene Neidsteuer, die Sie Vermögenssteuer nennen.

Nehmen wir einmal das schöne Rechenbeispiel eines typischen Steuerzahlers. Nehmen wir einmal eine allein erziehende Frau mit einem Kind und einem Jahresbrutto von 30 000 € sowie einer Entfernung zur Arbeit von 10 km. Die Entlastung durch die Steuerreform beträgt 42,16 € pro Jahr. Dagegen gibt es eine Kürzung der Pendlerpauschale um 120 €. Für regelmäßige Praxisbesuche werden 40 € pro Jahr fällig. Die Erhöhung der Kfz-Steuer macht 23 € aus. Die Gesamtbelastung liegt daher bei 140,84 €. Ich setze einmal voraus, dass sie Nichtraucherin ist. Wenn sie Raucherin wäre, würde sie noch zusätzlich abkassiert werden. Hier ergeben sich 40 € Entlastungen bei 140 € Belastungen allein auf Bundsebene.

Dann kommen wir nach Berlin.

[Mutlu (Grüne): Endlich!]

Da haben Sie eine Kitagebührenerhöhung gemacht. Man kann eigentlich von Kitagebühr gar nicht mehr reden. Die, die einmal Jura studiert haben, erinnern sich vielleicht an den Unterschied zwischen einer Gebühr und einer Steuer. Steuer hat einen Umverteilungscharakter, während der Gebühr das Kostendeckungsprinzip zu Grunde liegt, was mit Umverteilung nichts zu tun hat. Gebühren werden nicht sozialverträglich erhoben, sondern einheitlich nach Kostendeckungsprinzip. Das ist ein einheitlicher Rechtsgrundsatz. Sie haben jedoch in Berlin eine 41-stufige Kindersteuer eingeführt. Hinzu kommt die Erhöhung der Wasserkosten um 15,4 %.

[Liebich (PDS): Wassersteuer!]

Bei der BVG steigt die Umweltkarte von 58,80 € auf 64,00 €, und die Schülerkarten sind auch gestiegen. Sie sollten sich gemeinsam mit uns überlegen, ob man statt der Erhöhungsorgie bei den Nahverkehrsbetrieben nicht überprüfen sollte, ob die Leistungen in dem vorhandenen Maße aufrecht erhalten werden müssen, ob es wirklich sinnvoll ist, dass nachts im 15-Minuten-Takt in die Peripherie Busse und Bahnen fahren, um ein paar Nachtschwärmer dort hinaus zu transportieren, ob man nicht die Leistungen ein wenig einschränken sollte, statt weiterhin Erhöhungen vorzunehmen.

[Beifall bei der FDP – Unruhe und Zuruf von den Grünen: Autofahrer!]

Führen wir einmal das Rechenbeispiel fort: 140 € war bereits die Belastung Bund. Nun kommt die zusätzliche

Belastung Berlin: Kitagebühr 50 € pro Monat, das sind 600 € im Jahr, Erhöhung der Wassergebühren 65 €, BVG 62 €. Das ergibt summa summarum 867,84 € zusätzliche Berlinbelastung. Bei 42 € Entlastung und 140 € Belastung macht dies im Saldo eine zusätzliche Belastung von 965 €. Das ist die Tatsache. Das ist keine Phantasie, sondern ein durchschnittliches, eher unteres Einkommen einer Alleinerziehenden mit Kind.

In dieser Gesamtlage fällt den Grünen nichts Dümmeres ein, als noch zusätzliche Steuern hinaufzutun – eine solch unsinnige Idee, eine Haushaltssanierungssteuer in Berlin noch zusätzlich einzuführen, und natürlich auch sozialverträglich.

Herr Dr. Lindner! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gaebler?

Nein! – Das ist mit dem „sozialverträglich“ so eine Sache.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Da haben Sie ein Trauma!]

Frau Klotz, Sie waren im Unterschied zu Herrn Gaebler im Raum: Da war die Geschichte mit der Motorbootsteuer. Als es „Motorbootsteuer“ hieß, hat Herr Strieder leuchtende Augen bekommen und dachte, das sei etwas mit dicken Yachten, da könne man einmal so richtig die Besserverdienenden abkassieren. Irgendwann hat er dann aber gemerkt, dass es sich gar nicht um die dicken Yachten handelt, weil man mit denen als Staat nicht fett wird,

[Pewestorff (PDS): Die Segelyachten!]

sondern dass es die kleinen Bötchen der Datschenbesitzer sind. Dann wurde er auf einmal kritisch und hielt die Motorbootsteuer doch nicht für eine so gute Idee und hat davon Abstand genommen.

Das ist doch, Herr Eßer, der Punkt: Sie werden als Staat mit einer Überbelastung von Besserverdienenden nicht satt. Jede Steuererhöhung greift in der Mitte an. Das müssen Sie mitbekommen, dass es anders nicht funktioniert, und die Mitte ist schon riesig belastet. Das habe ich Ihnen gerade vorgerechnet.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Dann müssen Sie sich überlegen, was die Einführung einer neuen Steuer oder die Erhöhung bestehender Steuern für eine Signalwirkung hat – bei einer Stadt, die in einer Haushaltskrise ist, wie Berlin, der bezogen auf den Haushalt das Wasser bis zum Halse steht. Da sagen Sie: 3 %. Okay, aber woher weiß der Bürger, dass es bei diesen 3 % bleibt? Das Land obsiegt vielleicht nicht in gewünschtem Maß in Karlsruhe, dann legen Sie noch einmal 10 % oben drauf, und vielleicht hier noch einen Schnaps drauf und dort noch ein Gläschen Steuer und hier noch einmal eine Abgabe. Das machen Sie, und das hält die Leute davon ab, nach Berlin zu kommen, und wird auch Leute, die Sie gerade schröpfen wollen, aus dieser Stadt treiben. Das müssen Sie endlich einmal begreifen.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Tatsächlich geht es Ihnen nur darum, puren Populismus zu betreiben.

[Dr. Steffel (CDU): Soziales Gewissen, Herr Lindner!]

Da stellen Sie sich raus an die Seite eines solchen Salonrebellen wie dem Herrn Grottian, der auch so einen Unsinn auf der Straße fordert, man solle eine zusätzliche Berlinsteuer einführen. Wissen Sie, Herr Grottian ist auch so einer: Hier Pensionsansprüche und Beamtenstatus haben, Professor bleiben, aber auf der anderen Seite zum Streiken und zum Schwarzfahren aufrufen! Da sollte er doch einmal seinen Beamtenstatus aufgeben, dann wird er vielleicht ein wenig glaubwürdiger, der Herr Professor.

[Beifall bei der FDP – Beifall des Abg. Gram (CDU)]

Ihre nächste Sache: Tourismussteuer. Das ist auch so ein Quatsch! Ich habe es vorhin schon gesagt: am Tag, als hier zwei Hotels eröffnen, das Marriot und das RitzCarlton, ein solches Signal zu senden! Sie müssen begreifen, dass sich auch diese Stadt in einem Konkurrenzverhältnis befindet, dass es auch andere Städte wie Dresden beispielsweise gibt, die um Touristen werben, die danach lechzen, Besucher in ihre Stadt zu bekommen, und da kommen Sie mit einer Tourismussteuer daher.

[Unruhe]

Wenn man das addiert, was Ihnen alles einfällt – Motorbootsteuer, Kurtaxe, Bußgeld für Handyklingeln, Haushaltssanierungsteuer, Tourismussteuer – kann man sich auch gleich überlegen, ob man eine –selbstverständlich – sozialverträgliche Hohlraumsteuer einführen sollte.

[Unruhe – Krüger (PDS): Ja, für Sie!]

Da kann man wenigstens bei der Grünen-Fraktion richtig abkassieren.

[Beifall bei der FDP]

Das ist alles, was Sie zu bieten haben.

Was steht von der FDP dagegen? – Wir haben am Dienstag im Bundestag als bisher einzige Fraktion einen kompletten Gesetzesentwurf für ein einfaches, gerechtes Steuersystem für Deutschland eingerbacht.

[Krüger (PDS): Welche Fraktion war das?]

Wir haben es eingebracht, im Unterschied zur CDU/CSU, die sich über ein einfaches und gerechtes Steuersystem streitet, und zur anderen großen Volkspartei – wenn man sich allerdings Ihre Sachsen-Umfragen anschaut, Herr Gaebler, mit 7 bis 8 %, da würde ich davon Abstand nehmen, von einer großen Volkspartei zu reden. Die SPD hat sich, wie Herr Müntefering sagt, von einer Steuervereinfachung völlig verabschiedet.

Und die Grünen? – Von Ihnen hört man gar nichts hierzu. In der ganzen Debatte um ein einfaches Niedrigsteuersystem gibt es von Ihnen überhaupt gar nichts.

[Zurufe von Abg. Eßer (Grüne)]