Erster Vorschlag: Wir müssen uns die Frage stellen, ob es weiterhin primär Aufgabe der Arbeitnehmer sein soll, die Kosten während des Mutterschutzes zu übernehmen. Ist es nicht vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die dann auch von der Gesellschaft getragen werden müsste? – Ich finde, ja. Wie sieht es beim Erzie
hungsurlaub aus? Müssen wir nicht endlich einen wirklichen Anreiz schaffen, damit auch Väter diesen wahrnehmen, beispielsweise über einen verbindlichen Anteil der Väter an der Erziehungszeit? Ist es ein Anreiz für Väter, für eine geringe Summe die eigene Laufbahn zu unterbrechen? Muss sich das Erziehungsgeld nicht vielmehr für Mann und Frau am bisherigen Lohn orientieren? – Ich finde, ja. Ein Blick in andere Länder kann hier nicht schaden. Wir brauchen weniger Bürokratie und bessere Rahmenbedingungen, beispielsweise im öffentlichen Dienst. Die Beförderungspraxis muss reformiert werden. Das wären frauenfreundliche Maßnahmen.
Und hier in Berlin? – Die Berliner Wirtschaft braucht keine gesetzliche Regelung, sondern Partner, Anregungen aus der Politik und vernünftige Rahmenbedingungen, die es ihr erlauben, eine aktive, geschlechtergerechte Personalpolitik zu betreiben. Sie braucht Perspektiven, Anerkennung und freiwillige Vereinbarungen.
Eines muss uns allerdings bewusst sein: 40 % der Akademikerinnen entscheiden sich heute gegen eigene Kinder zu Gunsten der Karriere. Wir alle befürworten, dass das verkrustete Frauenbild „Kinder, Küche, Kirche“ der Vergangenheit angehört.
Es ist allerdings kein Fortschritt, wenn sich heute gut ausgebildeten Frauen auf Dauer nur die Alternative zwischen Kindern oder Karriere bietet. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Frau Kollegin Senftleben! – Nun hat Frau Dr. Klotz für die Grünen das Wort. – Bitte schön!
Danke schön, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Herr Senator Wolf, als ich Ihren grundsätzlichen Ausführungen zu Beginn Ihrer Rede gelauscht habe, fand ich viel Übereinstimmung. Ich kann vieles von dem unterschreiben, was Sie gesagt haben. Natürlich ist der gleichberechtigte Zugang zu den Ressourcen eine Frage der Zukunftsfähigkeit eines Staates oder gar des ganzen Planeten. Natürlich ist die Frage, ob Frauen in Führungspositionen sind, nicht nur eine Gerechtigkeitsfrage, sondern es auch eine Standortfrage.
Ich mache einen kurzen Ausflug in die gestrige Ausschusssitzung, an der Sie nicht teilgenommen haben: Es ging um die Frage eines Gleichstellungsgesetzes für die Privatwirtschaft. CDU und FDP haben das abgelehnt und sich dagegen ausgesprochen. Herr Kurth hat auf die USA verwiesen und gesagt, dort gebe es eine viel höhere Frauenquote im Topmanagement und das ganz ohne gesetzliche Regelung. – Das ist nicht richtig. Dort gibt es eine gesetzliche Regelung, und zwar seit 30 Jahren. Deswegen unterstreiche ich für meine Fraktion: Wenn die private Wirtschaft die vielen Aufforderungen, politischen Appelle und Vereinbarungen, mehr Frauen in die Führungsetagen hineinzulassen, nicht von selbst erfüllt, braucht es ein Gesetz. Es ist Zeit für ein Gesetz. Ich bin um jeden froh,
der diese Forderung unterstützt, weil es nicht nur um eine Frage der Gerechtigkeit geht, sondern mittlerweile um eine wirtschaftliche Standortfrage.
Frau Senftleben hat die Frage gestellt, woran es liegt, dass so wenig Frauen in den Führungsetagen der Wirtschaft sind. Ich würde, Frau Senftleben, gerne meinerseits eine Frage stellen: Woran liegt es, dass so wenige Frauen in der FDP-Fraktion sind?
Das sage ich nicht, um mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern weil ich glaube, dass wir in dieser Geschlechterdiskussion ein Stück mehr Ehrlichkeit und weniger Selbstgerechtigkeit brauchen.
Ich weiß nicht, ob Sie nicht zu früh klatschen, Frau Grosse, auch gerade von Seiten einiger Koalitionsvertreter, die hier geredet haben.
Ja, sehr gut! Wenn Sie mich da kritisieren und da einen Lernprozess durchgemacht haben, dann ist das wunderbar. Es hat aber auch Redner gegeben, die geredet haben, das ist Ihnen vielleicht auch aufgefallen. – Natürlich ist richtig, dass Chancengleichheit nicht nur eine Aufgabe des Frauenressorts, sondern dass es eine Querschnittsaufgabe ist und dass sie zu einer modernen Verkehrspolitik genauso gehört wie zu einer modernen Bildungs- und Schulpolitik. Ein Ressortzuschnitt Wirtschaft, Arbeit und Frauen ist ein Ressortzuschnitt, den ich richtig finde, den ich unterstütze, weil der Kern von Emanzipation und Gleichberechtigung immer noch die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen ist. Deswegen begrüße ich diesen Ressortzuschnitt. Im Kern finde ich ihn richtig.
Ja, aber der Zuschnitt alleine reicht nicht, Frau Grosse, sondern es müsste in diesem Ressortzuschnitt auch etwas passieren. Das ist der Punkt, den ich kritisiere. Dieser Ressortzuschnitt ist ein Alibi, nicht mehr.
Für einen Alibi-Ressortzuschnitt haben wir aber keine Zeit mehr. Herr Wolf, so sehr ich Ihren grundsätzlichen Ausführungen folgen kann: Ein freundliches Gesicht und positive Aussagen in dem Bereich habe ich zum Teil schon von Herrn Meisner, begrenzt von Herrn Pieroth und sogar von Herrn Branoner erlebt. An Frauenverstehern gab es in diesem Ressort genug. Deswegen erwarte ich von Ihnen, dass Sie nicht nur reden, sondern dass da in Zukunft viel mehr Handeln, viel mehr reale Verknüpfung von Frauen- und Wirtschaftspolitik im Spiel sein sollte, als das in den letzten zwei Jahren dieser Koalition der Fall war.
Warum sage ich das? – Ich sage das, weil ich mir die Ziele von Rot-Rot in diesem Bereich angeguckt habe. Ich will zwei, die materiell verändern sollten, zitieren. Alle Wirtschaftsprogramme sollten auf Geschlechtergerechtigkeit analysiert werden. Die Ausreichung der Mittel und die Ausgestaltung der Förderbedingungen auf der Grundlage der Evaluierung sollten nach geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten erfolgen. Dass die Wirtschaftsförderprogramme des Landes Berlin nach geschlechtsspezifischen Aspekten evaluiert wurden, Herr Wolf, wäre für mich etwas völlig Neues. Das hat bisher so noch nicht vorgelegen. Ich würde mich freuen, wenn es das täte. Wo EFREMittel drin sind, müssen Sie das sogar liefern, weil die EU Sie sonst die Mittel zurückzahlen lässt. Das ist schon einmal nicht wirklich etwas, was Sie selbst verursachen. – Ich gucke jetzt völlig irritiert auf den Zeitkasten und freue mich, dass erst eine Minute von meiner Redezeit vergangen ist,
Okay! – Was wirklich passieren müsste, ist, Wirtschaftsförderprogramme so zu überarbeiten, dass sie Frauen und Männern gleichermaßen zugute kommen – von den Existenzgründerinnen und Existenzgründern bis zu den Mitteln der Infrastrukturförderung.
Was zweitens passieren müsste, ist, dass Gremien und Spitzenpositionen, auf die der Senat Einfluss hat, auch mit Frauen besetzt werden müssten. Gestern sagte Herr Peter Kurth von der CDU – und das finde ich richtig –: Da hat der Senat ein Glaubwürdigkeitsproblem. – Wenn man sich die Besetzung der Positionen des letzten halben Jahres durch diesen Senat anguckt, dann stellt man fest, dass beispielsweise in der Bankgesellschaft so viele Stellen neu besetzt wurden, keine einzige Frau dabei ist. Jetzt liegt das vielleicht daran – ich weiß nicht, wer das gesagt hat –, dass Frauen nicht so risikobereit sind.
Das ist möglich, aber Fakt ist jedenfalls, dass der Senat bei der Besetzung von Spitzenpositionen bisher kein Vorbild ist.
Was ich aber wirklich einen Aprilscherz finde, den Sie hier vorgeführt haben, ist, hier zu behaupten, dass die §§ 13, 14 des Landesgleichstellungsgesetzes bundesweit
führend sind, was das Thema Frauenförderung in der Privatwirtschaft betrifft. Nur um es zu erklären: § 13 koppelt die Auftragsvergabe an die Frauenförderung, ein Paragraph, der immerhin neun Jahre gebraucht hat, um eine Rechtsverordnung zu bekommen. Diese Rechtsverordnung umfasst eine ganze Palette von Möglichkeiten, von Arbeitszeitmodellen bis zu Weiterbildungsangeboten, die die Unternehmen nachweisen müssen, um den Zuschlag für einen öffentlichen Auftrag zu bekommen. Ingrid Weber vom Juristinnenbund, Arbeitsrichterin in Berlin, war gestern im Ausschuss und hat deutlich gemacht, wie sie das Berliner Landesgleichstellungsgesetz im Unterschied zu Brandenburg wahrnimmt. Sie hat gesagt, in Berlin hat man eines nicht getan, man hat dieses Gesetz nicht unter die Leute gebracht. Das ist einer der grundsätzlichen Fehler, der hier passiert ist. Sie hat einen zweiten Kritikpunkt genannt, nämlich dass 85 % der Aufträge von diesen Maßgaben überhaupt nicht erfasst werden. Sie hat gesagt, dass gerade die Tatsache, dass niemand oder kaum jemand davon etwas weiß, europarechtlich bedenklich ist. Nicht das Gesetz an sich ist europarechtlich bedenklich, sondern dass niemand etwas davon weiß, dass es keine Transparenz gibt, denn Europa will Transparenz. Deswegen finde ich, nach zwei Jahren rot-roter Koalition und einem Anspruch, der da sagt: Wir wollen mehr Frauenförderung in der privaten Wirtschaft –, ist es an der Zeit, § 13 umzusetzen, Frauenförderung und Auftragsvergabe wirklich miteinander zu verkoppeln ist. Deswegen glaube ich schon, trotz der vielen schönen Worte, die Sie gefunden haben, Herr Wolf, dass vieles von dem, was Sie verbal vorgetragen haben – was ich inhaltlich unterstütze –, im Vergleich zu dem, was in zwei Jahren real passiert ist, relativ wenig ist. Das finde ich sehr bedauerlich, weil ich mir schon vorgestellt hätte, dass jemand, der auch als erster männlicher Wirtschafts- und Frauensenator in Berlin – nach Herrn Gysi – nicht gerade mit Vorschusslorbeeren in dieses Amt gegangen ist, dass der mehr Engagement in diesem Ressort an den Tag legt. Das haben Sie nicht getan. Sie sind Wirtschaftssenator, kein Frauensenator – das ist nicht nur meine Wahrnehmung.
Lassen Sie mich mit der Wirtschaftsministerkonferenz vom Freitag schließen. Es passt nicht zusammen und ist auch nicht glaubwürdig, sich hier hinzustellen und zu sagen: Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie endlich ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft erlässt. – Und am Freitag als Vorsitzender der Wirtschaftsministerkonferenz zu sagen: Wir ziehen freiwillige Vereinbarungen der Wirtschaft den gesetzlichen Regelungen vor. – Natürlich tun wir das, aber wenn in der Privatwirtschaft viele Jahre nichts passiert, dann braucht es eine gesetzliche Regelung. Ich erwarte von Ihnen, Herr Wolf, dass Sie dies in der nächsten Wirtschaftsministerkonferenz nächsten klarstellen.
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Klotz! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Große Anfrage ist damit begründet, beantwortet und besprochen.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleisten – differenzierte Arbeitszeiten erfordern flexible Kinderbetreuungsangebote
Tagespflege inhaltlich weiter entwickeln und die Vernetzung mit anderen Kinderbetreuungsangeboten fördern