Protokoll der Sitzung vom 21.02.2002

[Gelächter bei der CDU und der PDS]

Viele müssen mitmachen. Der Senat lädt dazu ein und wird Motor für die notwendigen Entscheidungen sein.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Am Anfang steht aber auch eine ehrliche Bewertung der Entwicklung Berlins seit der Vereinigung 1990. Die Stadt hat sich rasant entwickelt, und daran hatten viele in der Stadt Anteil. Zur Ehrlichkeit gehört allerdings auch festzustellen: Es gab Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen, die Berlin heute schwer belasten. Das wird konsequent aufgearbeitet. Aber das darf uns nicht den Blick auf die Zukunft verstellen.

Das Wahlergebnis zeigt: Obwohl schon 12 Jahre seit der Vereinigung vergangen sind, gibt es nach wie vor einen Riss zwischen Ost und West, und wir sind weiter auf der Suche nach innerer Balance, nach einer Identität, die in der ganzen Stadt anerkannt wird. Wir werden weiter beharrlich daran arbeiten, die Stadt im Inneren zusammenzuführen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Es gibt in Berlin eine neue politische Konstellation. Sie wird begleitet von gespannter Erwartung und vielen Hoffnungen.

[Czaja (CDU): Und viele Partys!]

Es gibt aber auch Vorbehalte und teilweise aggressive Ablehnung.

Viele Berlinerinnen und Berliner denken in diesen Tagen an die jüngere Geschichte. Berlin ist die Stadt, in der die Mauer stand.

[Aha! von der CDU]

In Berlin wurden Familien durch die gewaltsame Teilung auseinander gerissen. Und Berlin war es, wo zwischen 1961 und 1989 Menschen starben oder verletzt wurden, weil sie in Freiheit leben wollten. All dies dürfen und werden wir nicht vergessen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Es ist die Geschichte, die uns prägt. Die Erinnerung an diese Zeit hilft uns, den Wert von demokratischen Errungenschaften, wie den Wert der individuellen Freiheit, zu schätzen. Geschichtsbewusstsein ist das eine.

[Zuruf von rechts: Machtstreben ist das!]

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RBm Wowereit

Es ist die Voraussetzung dafür, Verantwortung für die Zukunft übernehmen zu können. Etwas völlig anderes aber ist es, wenn Geschichte als Kampfmittel eingesetzt wird, um politische Gegner zu verunglimpfen. Damit ist keinem geholfen. Es vertieft die Spaltung und schadet der Einheit.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Zuruf des Abg. Goetze (CDU)]

Wir wollen dazu beitragen, dass die Menschen in Berlin aufeinander zugehen. In der Stadt, die so unter der Teilung gelitten hat und 12 Jahre nach der Vereinigung leider auf dem Weg zur inneren Einheit noch nicht so weit ist, wie wir es uns immer erhofft haben. Das bedeutet Achtung und Respekt vor den unterschiedlichen Lebensläufen und Leistungen der Menschen in Ost und West.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Zuruf des Abg. Henkel (CDU)]

Das bedeutet aber vor allem: Schluss mit pauschalen Herabsetzungen und Ausgrenzungen aus parteitaktischen Motiven. Frontstadtdebatten der 60er Jahre helfen uns nicht weiter.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Zurufe von der CDU]

Lassen Sie uns aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts an der Zukunft Berlins arbeiten. Wir müssen Berlin aus dem Jahr 2020 denken und nicht von 1965 aus.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Der neue Senat weiß um die Vorbehalte vieler Berlinerinnen und Berliner und er nimmt diese Gefühle ernst. Aber es gilt auch: Diese Koalition hat eine Mehrheit, die aus freien demokratischen Wahlen hervorgegangen ist. Diese Mehrheit hat einen Auftrag für fünf volle Jahre. Wir werden mit ihr besonnen umgehen. Bei den vielen Problemen muss man sich die Zustimmung hart erarbeiten. Das scheuen wir nicht. Dieser Senat hat wie jede Regierung Anspruch auf sachliche Kritik und Opposition, allerdings auch auf eine faire Chance.

Auch die Opposition trägt eine Verantwortung bei der Suche nach den besten Lösungen.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Abg. Dr. Lindner (FDP): Wir nehmen die wahr!]

Im Zentrum allen Streits kann jedoch nur eines stehen: Berlin, unsere Stadt, unser Gemeinwesen und sein Schicksal.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Das ist der Maßstab, und deshalb lade ich besonders diejenigen ein, die im Augenblick sehr kritisch sind. Ziehen Sie sich nicht zurück, arbeiten Sie weiter mit an der Zukunft unserer Stadt!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Berlin braucht jeden fähigen Kopf, viel guten Ratschlag und das Engagement aller Bürgerinnen und Bürger. Ich verspreche Ihnen: Der neue Senat wird alles tun, um ein Senat aller Berlinerinnen und Berliner zu sein. Arbeiten wir daran, einen neuen Konsens zu finden. Das kann Politik nicht allein, diese Zeiten sind Gott sei Dank vorüber. Aber der Senat will das Seine dazu beitragen. Ost und West zusammenzuführen, Oben und Unten nicht auseinander fallen zu lassen, deutsche und nichtdeutsche Berlinerinnen und Berliner ins Gespräch zu bringen, Jung und Alt zu gegenseitiger Solidarität zu bewegen. Unterschiede sollen nicht eingeebnet, aber verstanden werden.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Lassen Sie mich beginnen mit der ersten Aufgabe, vor der Berlin steht:

[Henkel (CDU): Strieder wach machen!]

Berlin braucht einen tiefgreifenden Mentalitätswechsel. Seien wir doch ehrlich: Wer in Berlin einen Veränderungsvorschlag macht, lebt gefährlich. Man muss immer damit rechnen, dass sich Interessengruppen nicht nur über den Vorschlag, nein, auch über seinen Urheber hermachen. Ich nenne dies eine Gehtnicht-Mentalität.

[Dr. Steffel (CDU): Oho!]

Viele trauen sich öffentlich nicht zu sagen, was sie im Stillen denken und in Gesprächen unter vier Augen auch mitteilen, nämlich: So falsch ist der Vorschlag gar nicht, und eigentlich müsste man etwas in dieser Richtung unternehmen. – Man könnte das eine Vier-Augen-Gesellschaft nennen. Offenheit im kleinen Kreis und hinter vorgehaltener Hand ja, aber anschließend wird wieder die Uniform einer Lobby angezogen, und schon ändert sich die Meinung um 180 Grad.

[Zimmer (CDU): Ist wie in der DDR!]

Ein anderes Thema ist das Verhältnis zum Geld. Ich werde oft gefragt, wann denn endlich die Zeit des Sparens vorbei sei und man endlich wieder politisch gestalten könne. Dahinter verbirgt sich ein Denken, das Politik mit Geldausgeben gleichsetzt. Das kann man eine Füllhorn-Ideologie nennen. Je mehr Geld, desto besser und gerechter. Das ist aber, wie wir wissen, ein Irrtum.

Wieder ein anderes Thema ist die Neigung, in jeder politischen Entscheidung eine Entscheidung entweder gegen den Osten oder gegen den Westen zu sehen. Wir müssen alle lernen, uns aus diesem verengten Blickwinkel zu lösen, Berlin endlich als Ganzes zu begreifen und das kleinteilige Denken zu überwinden.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Aber das Schlimmste ist vielleicht, dass lange Zeit das Motto galt: Diskutieren statt Entscheiden. All dies kann sich Berlin nicht mehr leisten. Nicht das systematische Blockieren von Veränderungen, nicht die Unaufrichtigkeit einer Vier-Augen-Gesellschaft, nicht die alte Füllhorn- Ideologie, nicht das Spalterdenken und nicht die Folgenlosigkeit politischer Debatten. Genau hier setzt der notwendige Mentalitätswechsel an.

[Vereinzelner Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU: Schwacher Beifall!]

Das stimmt, es war ein schwacher Beifall, es hätte mehr sein können, vor allen Dingen bei der Opposition. Das wäre noch besser.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Gram (CDU): Ich warte immer noch auf die Regierungserklärung!]

Dann warten Sie einmal noch eine Weile!

Die Diskussion über das Universitätsklinikum Benjamin Franklin zeigt deutlich, was sich ändern muss, und ich füge hinzu: Was sich auch schon geändert hat. Die Geht-nicht-Mentalität und die Mentalität einer Vier-Augen-Gesellschaft sind in diesem Fall überwunden. Alle Beteiligten wissen: Die Hochschulmedizin spielt eine zentrale Rolle für den Wissenschaftsstandort Berlin.

[Wieland (Grüne): Aha!]