Protokoll der Sitzung vom 21.02.2002

Das dritte Thema betrifft die Übernahme von Verpflichtungen aus dem sozialen Wohnungsbau sowie von weiteren teilungsbedingten Verbindlichkeiten. Auch darüber werden wir mit dem Bund verhandeln. Eine baldige Entlastung erwartet der Senat dort, wo der Bund in der Bundeshauptstadt im kulturellen Bereich ausschließlich Kompetenzen hat, diese aber bislang nur teilweise wahrnimmt. Dies betrifft neben der Museumsinsel und der Staatsbibliothek den weiteren Kulturbesitz des ehemaligen Preußen sowie sämtliche nationalen Gedenkstätten in der Bundeshauptstadt.

Die Übernahme und volle Finanzierung durch den Bund strebt der Senat auch im Rahmen der Bund-Länder-Verhandlungen über die Systematisierung kultureller Aktivitäten von Bund und Ländern an. Wir werden bei der Neuverhandlung des Hauptstadtvertrages darauf drängen, dass die gestiegenen Lasten im Sicherheitsbereich zwischen Bund und Land neu verteilt werden.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch ein Wort zum Stichwort Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisung sagen: Wir werden vorsorglich die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten der Geltendmachung von Ansprüchen prüfen und konkret vorbereiten. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Selbst im Erfolgsfall, was nach meiner Einschätzung nur über eine direkte Klage möglich wäre, kann und darf es kein Rütteln an unserem Konsolidierungskurs geben. Ich warne vor Illusionen. Hilfe kann nur dazu dienen, Schulden abzutragen und Zinslasten zu verringern. Aktuelle Haushaltsprobleme werden wir damit nicht lösen können. Die müssen wir schon selbst in den Griff bekommen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Ein demokratischer Staat braucht aktive Bürger, die ihn tragen. Nur eine lebendige und aktive Bürgergesellschaft kann den Zusammenhalt schaffen, der die Demokratie trägt. Aktive Bürgerschaft und Teilhabe an der Gesellschaft ist aber nur denkbar und

möglich, wenn die Menschen in sozialer Sicherheit leben. In Berlin sind mehr als eine Viertelmillion Bewohner ohne Arbeit. Rund 250 000 Menschen sind auf Sozialhilfe angewiesen. Das ist eine schlimme Realität und fordert von uns allen höchste Anstrengung, um Abhilfe zu schaffen. Es geht um soziale Gerechtigkeit. Soziale Gerechtigkeit kann man nicht an der Höhe des Sozialhilfeetats ablesen, im Gegenteil: Von Sozialhilfe abhängige Menschen in Jobs zu bringen, bedeutet Teilhabe, und zugleich wird damit auch der Haushalt entlastet. Der Senat hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, jährlich 6 000 erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger in tariflich bezahlte Arbeit zu brigen. Dazu bedarf es einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Sozial- und Arbeitsämtern, aber auch mit Unternehmen in der Stadt.

Im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ wird der Senat auch weiterhin die Entwicklung besonders belasteter Stadtteile unterstützen. Nicht nur der Glanz des Potsdamer Platzes, sondern auch ein lebenswerter Kiez ist wichtig für die Stadt Berlin. Wir haben das eine, aber wir brauchen das andere genauso.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Beide Beispiele zeigen: Wir orientieren uns am Leitbild eines kooperativen Sozialstaats. Gelingen kann Integration in Beschäftigung nur, wenn alle ihren Beitrag leisten. Gelingen kann auch die Kiezentwicklung nur, wenn lokale Unternehmen und Nachbarschaftsinitiativen, Elterngruppen und Kirchengemeinden, Schulen und Kitas sowie das Bezirksamt an einem Strang ziehen. Das bedeutet aber vor allem: Die Bürgerinnen und Bürger sollen der Bezugspunkt für die Verwaltung Berlins sein. Sie sollen Partner der Verwaltung sein, die wir als modernen Dienstleister entwickeln. Auch in Berlin gibt es beeindruckende Beispiele einer freiwilligen Kultur: Elterninitiativen in Kitas und Schulen, Mitglieder in den Sozialkommissionen und in einer Vielzahl von karitativen Organisationen, Mitglieder von Ausländerbeiräten und die vielen ehrenamtlichen Aktiven in Sportvereinen, aber auch kulturelle Fördervereine und große Mäzenaten. Sie alle leisten mit ihrer Arbeit unverzichtbare Beiträge, den Zusammenhalt in einer großen Stadt wie Berlin zu sichern. Das ist gelebter Bürgersinn.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Ich weiß, dass der Einsatz für das Gemeinwesen keine Selbstverständlichkeit ist. Umso mehr danke ich an dieser Stelle allen, die sich dafür engagieren. Sie sind es, die das menschliche Gesicht Berlins ausmachen. Ihnen gebührt Dank, nicht nur im abgelaufenen Jahr des Ehrenamtes, sondern auch für die Zukunft.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Der Staat kann nicht alles allein regeln, aber er kann und muss die Rahmenbedingungen gestalten, um wirtschaftliches Handeln zu ermöglichen. Der Slogan des Einzelhandelsverbandes ist richtig: Durch den Handel lebt die Stadt. 290 000 Arbeitslose in Berlin geben uns einen klaren Auftrag. Er lautet, Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Wir alle erinnern uns an die Hiobsbotschaften der letzten Monate. Bei traditionsreichen Berliner Unternehmen wie Borsig, Pirello und Lipro droht der Arbeitsplatzabbau oder ist sogar schon vollzogen worden. Und wir wissen, dass an fast jedem Arbeitsplatz auch eine Familie oder zumindest eine Partnerin oder ein Partner hängt. Jeder Arbeitsplatzverlust ist schlimm. In vielen Fällen bedeutet dieser Verlust auch einen Verlust an Lebensperspektiven. Die wichtigste Aufgabe ist es daher, ein Klima zu schaffen, bei dem Investoren sagen: Seht her, es gibt Bewegung in Berlin! Da lohnt es sich einzusteigen!

Sagen wir es doch ganz offen: Ansiedlungen laufen immer noch holperig. Noch immer gibt es zu viele Zuständigkeiten und zu viele Genehmigungen, die Investoren einholen müssen, bevor sie den ersten Spatenstich machen.

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

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RBm Wowereit

Dienstleistungsgesellschaft ist nicht nur eine Beschreibung der Wirtschaftsstruktur, sondern auch ein Anspruch. Wir werden Anlaufstellen im Sinne einer One-stop-Agency bündeln und Schluss machen mit organisierter Unverantwortlichkeit und unsinnigen Doppel- und Dreifachzuständigkeiten!

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Wir wollen, dass Investoren in einigen Jahren sagen: Öffentliche Dienstleistungen in Berlin sind vorbildlich; für Investoren wird der rote Teppich ausgerollt.

Die Zukunft Berlins liegt auf wissensbasierten Feldern, bei know-how-intensiven Branchen. Noch sehr viel mehr als bisher werden wir uns strategisch auf die Kooperation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft konzentrieren. Im Mittelpunkt stehen die innovativen Felder, auf denen Berlin stark ist: Verkehrstechnik, Bio- und Medizintechnik. Die Medien- und Filmwirtschaft ist ein Wachstumsbereich, der für die Region eine zentrale Rolle spielt. Die Ansiedlung von Universal ist ein großer Erfolg für Berlin, der Mut macht. Der Senat arbeitet daran, dass dieser wichtigen Ansiedlung weitere Firmen folgen. Es gibt allen Grund zum Optimismus.

[Zuruf des Abg. Czaja (CDU)]

Zukunft baut immer auf Bestehendem auf. Der Mittelstand bleibt ein wichtiges Standbein der Berliner Wirtschaft. Der Senat wird die Rahmenbedingungen so gestalten, dass er seine Stärken entfalten kann. Zu den Rahmenbedingungen für eine dynamische Wirtschaftsregion gehört eine moderne Infrastruktur. Ein Schlüsselprojekt ist der Flughafen Berlin Brandenburg International in Schönefeld.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Zuruf von der CDU: Jetzt beginnt die Regierungserklärung! – Dr. Steffel (CDU): Was sagt die PDS dazu?]

Sie können davon ausgehen, dass der Regierende Bürgermeister die Regierungserklärung für die Koalition abgibt.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Dr. Lindner (FDP): Das werden wir dann sehen!]

Aber wir freuen uns natürlich auch auf die Unterstützung der Opposition! –

[Beifall des Abg. Brauer (PDS)]

Ich verschweige nicht, dass es gegenwärtig beim Planfeststellungsverfahren und bei der Privatisierung noch Probleme gibt, aber fest steht: Berlin und Brandenburg brauchen den Flughafen. Die zügige Realisierung des Ausbaus von Schönefeld wird Arbeitsplätze schaffen und die Attraktivität der Region für internationale Investoren erhöhen. Der Senat bekennt sich zum Konsensbeschluss von 1996, und zwar in allen seinen Teilen. Der Flughafen Tempelhof wird mit rechtskräftigem Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen Berlin Brandenburg International geschlossen, der Flughafen Tegel mit Inbetriebnahme von Berlin Brandenburg International.

[Beifall bei der SPD und der PDS – Zurufe von der CDU]

Das ist im Übrigen ein Konsensbeschluss, der vom ehemaligen Regierenden Bürgermeister Diepgen für das Land Berlin unterschrieben wurde.

[Dr. Lindner (FDP): Das macht ihn nicht besser!]

Wirtschaftspolitische Verantwortung trägt Berlin auch hinsichtlich der Unternehmen, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist. Wir müssen die öffentlichen oder teilöffentlichen Unternehmen fit machen für den Wettbewerb. Auch hier brauchen wir einen Mentalitätswechsel. In der Vergangenheit wurden zum Beispiel bei der BVG die Fahrpreise erhöht, um kurzfristig die Einnahmen zu erhöhen. Wir sind auf einem guten Weg, wenn Strukturveränderungen und attraktivere Angebote Vorrang vor Tariferhöhungen haben.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Und eine denkbare Strukturveränderung besteht in der Bildung einer Allianz von S-Bahn und BVG. Der Senat wird die Gespräche mit allen Beteiligten zügig fortsetzen und steuert eine rasche Entscheidung an, wobei ich auch deutlich mache: Wir sind ergebnisoffen, aber ich gehe noch nicht weg von dem Weg, dass es Sinn machen kann, die beiden Unternehmen zusammenzufassen im Interesse der Fahrgäste und schlankerer Strukturen für konkurrenzfähige Unternehmen.

[Beifall bei der SPD – Zurufe der Abgn. Wegner (CDU) und Czaja (CDU)]

Da brauchen Sie nicht nur zur PDS hinzuweisen. Ich kann mich an den Wahlkampf erinnern, wo Ihr Spitzenkandidat bei der Betriebsversammlung der BVG in alter Westberliner Art gesagt hat: „Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich garantiere Ihnen, es bleibt alles beim Alten.“ Das ist genau falsch! Das wird der Senat so nicht weitermachen!

[Beifall bei der SPD und der PDS – Zuruf des Abg. Czaja (CDU)]

Berlin ist eine Stadt, die sich immer international orientierte. Berlin spielt in der Europaliga. Wir wünschen die Öffnung in Richtung Mittel- und Osteuropa. Wir Berliner wollen nicht nur aus Eigennutz eine Brückenfunktion wahrnehmen; wir wollen Motor der Erweiterung der Europäischen Union sein.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Gerade in einer grenznahen Region wie Berlin-Brandenburg werden die Veränderungen im Zuge des europäischen Zusammenwachsens besonders deutlich erfahrbar sein. Hier wird der relativ abstrakte Prozess des Zusammenwachsens mit allen Chancen und Herausforderungen den Alltag der Bürgerinnen und Bürger am kronkretesten prägen.

Wir dürfen die Menschen bei den oft schwierigen Veränderungen nicht allein lassen. Wir müssen ihnen aber auch aufzeigen, welche Entwicklungschancen darin liegen.

[Dr. Lindner (FDP): Das schreit nach Erwiderung!]

Es gibt schon eine Reihe von Hoffnungsschimmern für die Stadt. Berlin freut sich über die Standortentscheidungen von Bombardier für Hennigsdorf und Berlin und die Etablierung der Europazentrale in Berlin.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Wichtige Hauptstadtverwaltungsfunktionen des Unternehmens Total-Fina-Elf kommen nach Berlin. BMW und Daimler-Chrysler investieren in ihre Berliner Produktionsstandorte. Es gab im Jahr 2001 eine Reihe von Ansiedlungen aus dem Bereich Life Science. Die Deutsche Bahn AG mit 18 000 Arbeitsplätzen ist der größte Arbeitgeber in Berlin, und sie hat ein deutliches Zeichen für den Standort Berlin gesetzt. Einige Finanzdienstleister – gestern konnten wir ein privates Bankhaus begrüßen –, Unternehmensberatungen und internationale Anwaltskanzleien, auch europäische Konzerne wie Vivendi zieht es nach Berlin. Wir freuen uns, die Bertelsmann Music Group und andere Medienunternehmen nach Berlin geholt zu haben und dass sie sich hier ansiedeln, und weitere werden folgen. Die Neuordnung des Energiesektors und die Ansiedlung der Vattenfall Europe Holding, der sogenannten dritten Kraft in Berlin, ist eine weitere Entscheidung, über die wir froh sind,

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

wobei wir nicht verkennen, dass es eine Gefahr gibt für Arbeitsplätze bei der VEAG und der Bewag, aber zum Umstrukturierungsprozess gibt es keine Alternative, und es ist eine klare Standortentscheidung für Berlin und für die Region.