Protokoll der Sitzung vom 21.02.2002

Mit einem bürokratischen Kropf und dieser unflexiblen Politik wird man in den nächsten Jahren so manches erreichen. Die Arbeitslosigkeit abzubauen, wird allerdings in den Bereich der Utopien verschoben.

Ob Wirtschaftswachstum, PISA-Studie oder das weite Feld der Arbeitsmarktpolitik – der Korporatismus, den diese Republik seit ihrem Bestehen verfolgte, hat in der letzten Dekade kläglich versagt. Neue Wege in der Arbeitsmarktpolitik sind notwendig, damit das Problem auch wirklich an der Wurzel angepackt wird. Wir als FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus setzen uns dafür ein, dass die Zeit der bürokratischen Verkrustungspolitik und banalen Klientelpolitik der Vergangenheit angehören soll.

[Beifall bei der FDP]

Weder mit sozialdemokratischem noch mit christdemokratischem Strukturkonservatismus lässt sich dieses Problem beheben. Was wir für Berlin dringend brauchen, ist eine schnelle und dringliche Reform der Arbeitsmarktpolitik. Es geht darum, den Arbeitsmarkt zu deregulieren und zu flexibilisieren. Dazu bedarf es dann wohl der Abschaffung der Landesarbeitsämter. Eine weitere Möglichkeit wäre beispielsweise, den Status der privaten Arbeitsvermittler zu stärken anstatt ihnen, wie das in den letzten Jahren immer wieder geschehen ist, in regelmäßigen Zeitabständen neue Knüppel zwischen die Beine zu werfen.

[Beifall bei der FDP]

Ergebnis dieser Entwicklung war doch nichts anderes, als dass mittelständische und größere Unternehmen ihre Angestellten unter Umgehung des Arbeitsamtes rekrutierten.

Jährlich geben die Bundesanstalt für Arbeit und der Bund rund 45 Milliarden DM für aktive Arbeitsmarktpolitik aus. Dazu kommen noch etwa 10 Milliarden DM, die Länder, Kommunen und Europäischer Sozialfonds für die Arbeitsförderung aufwenden. Diese Ausgaben stellen gut ein Drittel aller direkten Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik dar. Etwa 100 Milliarden DM werden insgesamt für Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und arbeitsmarktpolitisch motivierte Frühverrentungen aufgewandt. Diese hohen Ausgaben haben starke Steuer- und insbesondere Beitragsbelastungen zur Folge, die ihrerseits die Beschäftigungsdynamik einschnüren. Dieser Teufelskreis muss und kann durchbrochen werden. [Beifall bei der FDP]

Die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag hat – der Regierende Bürgermeister ist leider nicht da; das hätte ich ihm gern zum Lesen gegeben – einen Antrag eingebracht – unter dem Motto „Für eine wirksame und effiziente Arbeitsmarktpolitik!“ –, in dem auch etwas zu Landesbehörden und Landesarbeitsämtern steht. Dieser Antrag enthält weitaus mehr, als der Regierende Bürgermeister dafür in seiner Regierungserklärung verwendet hat, um diese schwierige und wichtige Problematik des Arbeitsmarktes anzugehen.

[Beifall bei der FDP]

Andere Länder haben es uns doch vorgemacht, wie man mit einem Paket von Steuererleichterungen und der Flexibilisierung der Arbeitsmärkte Erfolg haben kann. So hat Großbritannien seit Jahren nicht nur eine Arbeitslosenquote zwischen 3 und 4 %. Jeder von Ihnen, der schon einmal als Tourist in London, Manchester oder Glasgow gewesen ist, weiß, dass dort private Arbeitsvermittler ihre Angebote öffentlich in Schaufensterläden fast an jeder Ecke anpreisen. Wer in Großbritannien einen Job sucht, der geht in der Regel zu einem privaten Arbeitsvermittler. Warum man sich in Deutschland mit einer derartigen Flexibilisierung so schwer tut, kann ich diesbezüglich überhaupt nicht nachvollziehen. [Beifall bei der FDP]

Andere Beispiele gibt es auch. Wenn Sie heute – um wieder etwas Werbung zu machen – die „Berliner Zeitung“ lesen,

[Heiterkeit]

so finden Sie dort sehr interessante Beispiele aus anderen Ländern, wie man das dort handhabt. So haben z. B. Schweden und Dänemark sehr förderwürdige Programme. Wenn man sich die Arbeitslosenzahlen ansieht, weiß man, dass die auch weitaus besser greifen als unsere verkrusteten Strukturen.

Die FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus macht den Berlinerinnen und Berlinern in der Arbeitsmarktpolitik ein Angebot, welches von keiner anderen Partei in dieser Art und Weise verfolgt wird. Sie vertraut zunächst dem Bürger und dann dem Staat. Mit anderen Worten: Auch in der Arbeitsmarktpolitik sollte Eigeninitiative, Deregulierung und Flexibilisierung den Vorrang vor bürokratischer, staatlicher Bevormundung haben.

[Beifall bei der FDP]

Andere Staaten in Europa haben uns das überdeutlich vorgemacht. Nur wer eine umfassende Strukturreform in der Arbeitsmarktpolitik durchführt – und wie wir wissen, kann man Arbeitsmarktpolitik nicht von Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik trennen –, wird das entscheidende soziale Problem unserer Zeit lösen. Die rot-rote Regierung wird sich in erster Linie daran messen müssen, wie sie für den Wirtschaftsstandort Berlin und gegen die Arbeitslosigkeit in der Stadt angetreten ist und was sie in dieser Hinsicht getan hat. Die FDP-Fraktion wird den Weg des Senats deshalb genau verfolgen und sich nicht scheuen, ihren Finger in die offenen Wunden des Senats zu legen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der FDP]

Das Wort hat Frau Grosse. – Bitte schön!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der Vorgang um geschönte Zahlen bei der Vermittlung von Arbeitslosen und der sofortige Ruf nach Reformen hat die FDP-Fraktion heute veranlasst, eine Aktuelle Stunde unter dem Titel „Arbeitsmarktmisere beenden – neue Formen der Arbeitsmarktpolitik“ zu beantragen. Die SPD-Fraktion hat diesem Antrag stattgegeben, weil wir auch der Meinung sind, dass das ein Berliner Thema ist, denn auch die Arbeitsämter im Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg sollen weniger Stellen vermittelt haben, als bislang in der Statistik angegeben wurde. Deshalb sind auch wir für eine lückenlose Aufklärung vermeintlicher oder tatsächlicher Fehler und Mängel und der sich daraus ergebenden Konsequenzen. Aber auch eine noch so berechtigte Kritik, Herr Lehmann, darf nicht von den rea

len Problemen des Arbeitsmarktes ablenken – wie die anhaltende wirtschaftliche Schwäche in der Region –, die eine Belebung des Arbeitsmarktes verhindern. Das muss sich ändern, und das wird sich auch mit dem rot-roten Senat ändern.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

An den vielen Überstunden, die Neueinstellungen verhindern, ist nicht das Arbeitsamt schuld. Hier sind – und hierbei richtet sich meine Rede in erster Linie an die FDP-Fraktion, denn es ist Ihre Klientel – in erster Linie die Arbeitgeber gefragt.

[Dr. Lindner (FDP): Wir haben keine Klientel, wir sind eine Volkspartei!]

Der zu Recht zu kritisierende Vorgang der geschönten und nicht richtig erfassten Zahlen darf aber nicht dazu benutzt werden, politische Süppchen zu kochen und leichtfertig die Zukunft der Arbeitsverwaltung auf das Spiel zu setzen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Auch nicht die Zukunft der Landesarbeitsämter!

[Dr. Lindner (FDP): Der Arbeitsverwaltung! – Uns interessiert die Zukunft der Menschen und nicht der Verwaltungen!]

Mehr Contenance, bitte! Lassen Sie mich ausreden! –

[Beifall bei der SPD]

In den Arbeitsämtern gibt es viele engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die jetzt nicht demotiviert werden dürfen,

[Hahn (FDP): Meinen Sie den Mitarbeiter Jagoda?]

denn nur mit ihnen können die Chancen des Job-Aqtiv-Gesetzes – das von der Bundesregierung verabschiedet wurde, Herr Lehmann – und somit der von Arbeitgebern, Gewerkschaften und der Bundesregierung angestrebten Vermittlungsoffensive erfolgreich umgesetzt werden. Wir sind nicht ruhig geblieben, sondern wir haben – Sie können sich daran erinnern – das Job-Gesetz und eine Menge mehr auf die Reihe bekommen, und viele junge Leute bekommen deshalb auch schon Arbeit.

Wenn Sie jetzt die Kritik an der Vermittlungsstatistik der Bundesanstalt für Arbeit zum Anlass nehmen – so, wie Sie es gemacht haben –, die Einschaltung privater Vermittler zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit zur Forderung zu erheben oder vielleicht sogar als Allheilmittel anzusehen, dann sage ich Ihnen ganz deutlich, dass Sie sich mit diesem Thema nicht intensiv genug beschäftigt haben.

[Ah! von der FDP]

Genau! – Es gibt längst kein Monopol der Bundesanstalt für Arbeit zur Vermittlung von Arbeitslosen. Private Arbeitsvermittlungen sind seit 1994 bundesweit zugelassen. Zurzeit haben bundesweit 5 100 Betriebe die Zulassung, als private Arbeitsvermittler tätig zu werden. Hiervon – und das lassen Sie sich auch sagen – hat allerdings die Hälfte im vergangenen Jahr keine einzige Vermittlung getätigt. Von den Privaten insgesamt wurden ca. 160 000 Arbeitsstellen vermittelt.

[Benneter (SPD): Hört, hört!]

Von den vermittelten Personen waren allerdings nur rund 25 % vorher arbeitslos, die übrigen wurden in der Regel aus Beschäftigungen vermittelt. Seit 1998 haben die Arbeitsämter bereits die Möglichkeit – nach § 10 SGB III; das ist die so genannte freie Förderung –, Dritte mit der Vermittlung zu beauftragen. Im JobAqtiv-Gesetz, das seit dem 1. Januar 2002 in Kraft ist – also, es ist etwas passiert –, sind diese Regelungen weiter präzisiert worden. Nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit kann ein Arbeitsloser vom Arbeitsamt verlangen, dass ein Dritter mit seiner Vermittlung beauftragt wird.

[Ritzmann (FDP): Seit letztem Monat!]

Da diese Regelung – Lassen Sie mich weiter ausführen; Sie können sich ja anschließend noch einmal melden! –, wie ich bereits ausgeführt habe, erst seit dem 1. Januar in Kraft ist, liegen hierüber noch keine Erfahrungen vor.

Wie können uns die Frage stellen: Sollen Private bereits ab dem ersten Tag oder in den ersten vier Wochen der Arbeitslosigkeit eingeschaltet werden? Dagegen spricht – und jetzt bitte ich Sie auch einmal, zuzuhören –, dass rund 50 Prozent der Arbeitslosen in den ersten sechs Monaten eine neue Beschäftigung finden oder aus anderen Gründen aus der Arbeitslosigkeit ausscheiden.

[Benneter (SPD): Das ist auch gut so!]

Eine sofortige Beauftragung Dritter würde wohl dazu führen, dass leicht zu Vermittelnde vorrangig von privaten Vermittlern vermittelt werden, schwierige Fälle beim Arbeitsamt übrig bleiben. Der Trend geht dahin, dass sich private Arbeitsvermittler spezialisieren und diese Facharbeiter nur gezielt für den Auftraggeber auswählen.

An Langzeitarbeitslosen oder schwer vermittelbaren Personen, denn das ist unsere Klientel, um die wir uns zu kümmern haben, haben private Arbeitsvermittler in der Regel wenig Interesse. Vorrangig muss es jetzt darum gehen, in den nächsten Wochen die bereits erfolgten gesetzlichen Erweiterungen umzusetzen und den Erfolg zu überwachen und die im Job-AqtivGesetz gebotenen Möglichkeiten offensiv zu nutzen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lüdecke?

Nein! Ich möchte gern zu Ende reden!

Dennoch sage ich hier auch ganz deutlich: Es bleibt nicht zu verkennen, dass die fehlerhafte Erfassung von Vermittlungen aufgedeckt werden muss und die Beschlüsse, die der Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit bereits gefasst hat, Reformen einleiten und diese zügig umgesetzt werden. Ich nenne hier das Arbeitsamt 2000, womit sie sich ja sicher beschäftigt haben werden.

In Berlin wird es eine Sondersitzung des Verwaltungsausschusses des Landesarbeitsamtes Berlin-Brandenburg geben, bei der alle Fakten auf den Tisch kommen, sie bewertet werden, nach den Ursachen geforscht wird und Verabredungen getroffen werden. Lassen sie uns erst einmal diese Prüfung abwarten. – Ich danke für ihr Zuhören!