Protokoll der Sitzung vom 29.04.2004

Fazit: So lange Sie die Konsolidierung des Haushalts auf die konsumtiven Sachausgaben konzentrieren und die eigentlichen Verlustquellen ausblenden, weil die Lebensqualität in der Stadt beständig sinkt und Haushalte weiter aus dem Ruder laufen, verwundert es deshalb nicht, dass der neue Haushalt trotz aller Streichungen mit 9,5 Milliarden € in eine neue Rekordverschuldung mündet. Vor diesem Hintergrund ist der Kommentar zum Sozialstrukturatlas von Herrn Buschkowsky von der SPD zu sehen, der sagt: Das Pulverfass wird eines Tages hochgehen.

Doch dabei kann man es nicht bewenden lassen. Es gibt Möglichkeiten, die soziale Lage in der Stadt trotz schmaler Kassen zu stabilisieren und zu verbessern. Dabei teile ich die Meinung der Kollegin Elfi Jantzen, die gesagt hat: Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich ist nicht mit neuen Sonderprogrammen zu schließen. – Ich schließe mich ausdrücklich der Haltung des Bürgermeisters Zeller an, der sagt: Die beste Wirtschaftspolitik ist auch die beste Sozialpolitik,

Es müssen endlich Grundstandards in der sozialen und gesundheitlichen Versorgung festgelegt werden. Pauschale Kürzungen dürfen nicht mehr als Strukturmaßnahmen verkauft werden. Unbestritten ist, dass das Land Berlin sorgsam mit seinen finanziellen Mitteln umgehen und in allen Bereichen sparsam wirtschaften muss. Aber das Sparen an sich ist kein Konzept und führt letztlich nicht zu den wünschenswerten effizienten Strukturen. Deshalb sind Schwerpunkte zu setzen. Aus diesem Grund ist es notwendig, eine Umorientierung vorzunehmen, die eine soziale und gesundheitliche Grundversorgung sichert, Mindeststandards festlegt, Überausstattungen und Mehrfachangebote nicht ausbaut, sondern versucht, bestehende Defizite auszugleichen. Die flächendeckenden, undifferenzierten Sparvorhaben führen zum Zusammenbruch ganzer Versorgungsbereiche, bürden den Bezirken zusätz

liche Lasten auf und gehen zu Lasten der Menschen, die Unterstützung und Hilfe brauchen. Auch hier heißt es: Nicht klagen, handeln!

Nur auf der Basis eines solchen Entwicklungsprozesses kann man hier mit überprüfbaren Zielvorgaben ein Stück weit vorankommen, aber nur, wenn man nicht nur redet, sondern auch handelt.

In diesem Sinne, Frau Senatorin: Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht, machen Sie aktive Politik. Aktive Politik heißt, dass man die Zahnräder antreibt, Motor für die Zahnräder ist, die dafür sorgen, dass es einen Antrieb in der Stadt gibt. Das haben wir bisher vermisst. Wir werden uns aktiv in diese Debatte einschalten. – Vielen Dank!

[Zurufe der Abgn. Matz (FDP) und Pewestorff (PDS)]

denn man muss die Menschen wieder in die Lage versetzen, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.

[Beifall bei der CDU]

Wenn der Zusammenhang von Bildungsnotstand, Arbeitslosigkeit, Krankheit und schwacher Sozialstruktur stimmt, dann muss hier angesetzt werden, das heißt Stärkung der Wirtschaftspolitik, Standortansiedlung, Arbeitsplätze, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Sozialhilfeempfänger in Arbeit bringen, bessere Bildung für alle Kinder, ein Spracherwerb und als besonderen Schwerpunkt die Verbesserung der beruflichen Ausbildung.

Was ist zu tun? – Man muss genau hinschauen, weg von der Gießkanne, hin zu konkreten Planungen und Maßnahmen. Dabei ist es wichtig, hinter die einzelnen Faktoren zu sehen, die die vorhin skizzierten Verschlechterungen in der Sozialstruktur hervorgerufen haben, wie Alter, Geschlecht, Herkunft, Bildung, Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug und Gesundheit. Der Senat ist deshalb in der Pflicht, seine Entscheidungen auf einer soliden, kleinräumlichen Datenbasis zu planen und nicht Gelder in Größenordnungen zu verplempern, wie er dies beim Quartiersmanagement seit langer Zeit zu verzeichnen hat. Eindrückliche Beispiele können Sie gerne bekommen: Die lange Nacht der Döner, die Herrichtung eines Tennisplatzes für 100 000 € aus dem sozialen Quartiersmanagement, ein Internetkiezportal, ein Parkcafé für 300 000 € oder die Hofgestaltung eines privaten Grundstücks für 50 000 € sind eine Bilanz, die die falschen Schwerpunkte setzt. Im Gegenzug wird z. B. eine türkische Familienberatungsstelle im Oktober geschlossen, deren Kosten 32 000 € betragen. Hier stimmen die Verhältnisse nicht. Hier heißt es: Nicht klagen, handeln! – Deshalb unterstreichen wir auch die Erkenntnisse aus dem Sozialstrukturatlas, Seite 185. Wir werden die Sozialberichterstattung und deren Ergebnisse stärker in die haushaltspolitischen Diskussionen und Entscheidungen einfließen lassen, um die wenigen Mittel bedarfsorientiert und zielgerichtet einzusetzen. Wo, fragt sich der Beobachter, folgt die Umsetzung?

Es sollte die Empfehlung ernst genommen werden, die auf Seite 205 des Atlasses steht, sich auf gemeinsame Gesundheitsziele über die Ressorts hinweg zu verständigen. Es gibt zwar im Land Berlin eine Vielzahl von Anbietern mit den unterschiedlichsten Aktivitäten und Maßnahmen, die sich um die Verbesserung der gesundheitlichen Situation der Menschen in dieser Stadt verdient machen, aber es fehlt an einer gemeinsamen Zielrichtung. Der Erkenntnis aus dem Sozialstrukturatlas ist nichts hinzuzusetzen, in der es heißt:

Aufbauend auf einer empirisch fundierten Bedarfsbestimmung sollte alle Kraft darauf verwendet werden, den Mitte der neunziger Jahre abgestoßenen Prozess fortzuführen und integrierte Gesundheits- und Sozialziele für Berlin zu formulieren.

[Beifall bei der CDU]

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Kollege Hoffmann! – Es folgt für die PDS Frau Kollegin Dr. Schulze. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hoffmann, Ihr Beitrag war jetzt noch problematischer als Ihre Presseerklärung.

[Oh! von der CDU]

Sie verstehen es nicht – das müssen Sie sich an der Stelle schon einmal sagen lassen –,

[Zimmer (CDU): Von Ihnen?]

dass Sie die Zusammenhänge zwischen Sozialberichterstattung und sozialer Ungleichheit nicht begreifen. Ihre Argumentation ist schlichtweg plump und unverantwortlich in der Situation, in der sich diese Stadt befindet.

[Beifall der Frau Abg. Radziwill (SPD)]

Würde man einen Vortrag an einer Universität zu diesem Thema an Sie vergeben, müsste man sagen: Thema verfehlt!

Zu den Ergebnissen des Sozialstrukturatlasses gehört die Erkenntnis – zumindest ist das unsere Position –, dass

ch auch in Berlin.

Einige Anmerkungen zu diesen Fragen: Die Chancen und Grenzen von Konzepten und Interventionsmöglich

keiten zur Verringerung von sozial bedingter Ungleichheit und Gesundheit in Deutschland spiegeln sich aus meiner Sicht in Berlin wie in einem Brennglas wider. Das Erkenntnisinteresse über die unmittelbaren Zusammenhänge von gesundheitlicher Ungleichheit im Kontext sozialer Ungleichheit ist in den letzten Jahren angewachsen. Das war nicht immer so. Die Ergebnisse, die wir jetzt haben, bieten genügend Wissen über die offensichtlich wachsende Brisanz sozialer Ungleichheit. Die größte sozialpolitische und gesundheitspolitische Herausforderung – vor allem auch für die Bundesregierung – wird darin bestehen, gemeinsam mit den Ländern geeignete Interventionskonzepte und Präventionskonzepte zu entwickeln, die tatsächlich zu einer Verringerung von sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit beitragen können. Die Folgen der so genannten Gesundheitsreform und der Hartz-Gesetze werden aus meiner Sicht definitiv zu einer Verschärfung dieser sozial bedingten Ungleichheit beitragen – natürli

Das mag der ein oder andere in diesem Hause anders sehen. Die Brisanz zunehmender sozialer Ungleichheit vor Krankheit und Tod wächst in dem Maße, wie die Bundesrepublik Deutschland ihre Legitimation aus der Bereitstellung gleicher Chancen für alle selbst nicht in Frage stellt und nach sozialkompensatorischen Konzepten sucht. Das tut sie momentan noch, doch geeignete Konzepte sind nicht in Sicht.

es für Berlin mehr als wichtig ist, über eine integrierte Gesundheits- und Sozialberichterstattung zu verfügen. Warum? – Die sozialstrukturellen Verhältnisse in der Stadt haben sich in den vergangenen fünf Jahren stark verändert. Uns liegen jetzt Erkenntnisse über Daten vor, die von 1999 bis 2002 erhoben wurden. Mit Hilfe der Sozialberichterstattung sind wir inzwischen in der Lage – sie ist qualitativ verbessert worden –, die sozialräumlichen strukturellen Verhältnisse in dieser Stadt zu beschreiben.

[Zuruf von der CDU: Das merkt man!]

Damit ist es möglich geworden, Kieze und Regionen zu identifizieren, wo sich Veränderungen in der Sozialstruktur so schnell vollziehen, dass die Kumulation verschiedener Sozialindikatoren deutlich zeigt, wo sich Verschlechterungen von Lebenslagen der dort lebenden Menschen vollzogen haben, wo es Berlinern gut geht und wo sich die Probleme bündeln. Das ist hoch anzuerkennen. Das braucht die Stadt, um überhaupt handeln zu können. Die Presse hat in den vergangenen Tagen ausführlich darüber informiert. Man kann es der einen oder anderen Zeitung natürlich nicht verübeln, die Rankingliste der guten und schlechten Gebiete zu veröffentlichen, wobei bei dieser Veröffentlichung schon deutlich wird, wie sensibel man mit diesen Daten umgehen müsste. Beispiel BerlinHohenschönhausen, Berliner Straße, ein Wohngebiet mit einem Gewerbeanteil und einem ehemaligen Wohnheim. Rankinglisten allein sagen zu wenig aus. Eine solide Interpretation der Daten ist zuallererst Job der Parlamentarier hier im Parlament, der Fachleute im Senat oder des Senats selbst.

Was ist unser Erkenntnisinteresse bei der Interpretation der Ergebnisse des Sozialstrukturatlasses? –

1. Warum vollzieht sich in der Stadt die soziale Differenzierung zunehmend in bestimmten Regionen der Stadt?

2. Wer trägt aus welchem Grund das größte Risiko sozialer Benachteiligung in dieser Stadt?

3. Welche Interventionen vermindern sozial bedingte Ungleichheit tatsächlich?

4. Welche Ziele können wir damit formulieren?

5. Wo waren wir erfolgreich, wo waren wir weniger erfolgreich?

6. Welche Wirkungsindikatoren haben wir überhaupt, und welche brauchen wir?

7. Welche Handlungsansätze führen tatsächlich zu einer Vernetzung der Akteure?

8. Wie bewerten wir Qualität, Effizienz und Finanzierbarkeit der erforderlichen Strategien, und wie werden die finanziellen Mittel, die das Land Berlin zur Verfügung hat, für Prävention und kompensatorische Maßnahmen verteilt?

[Beifall bei der PDS – Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Soziale Ungleichheit und Gesundheit waren in den letzten Jahren Themen von fachlichen und politischen Diskussionen. Die Sichtweise von Verhaltenspräventionen und Verhältnisprävention hat sich zum Glück in den letzten Jahren verändert – hin zu einer Verhältnisprävention, die wir begrüßen. Damit wird die individuelle Verantwortung des Einzelnen nicht mehr nur zum Hauptthema von Interventionen gemacht und werden die Folgen von Sozialhilfebezug, Krankheit, Arbeitslosigkeit der sozial benachteiligten Menschen nicht mehr nur als ihr Eigenverschulden dargestellt. Das ist auch unser Berliner Ansatz, den wir unterstützen wollen. Die Dinge, die wir auf den Weg gebracht haben und in der Vergangenheit gefordert haben, belegen das.

[Frau Herrmann (CDU): Welche denn?]

Stichworte sind: Netzwerk gesunde Städte, ÖGD-Reform, Stadtteilzentrenvertrag, um nur einige Beispiele zu nennen.

[Hoffmann (CDU): Das ist ja ein gutes Beispiel!]

Maßnahmen zur Verringerung der sozialen und gesundheitlichen Ungleichheit lassen sich deshalb nur dann wirksam entwickeln und durchführen,

[Zuruf des Abg. Hoffmann (CDU)]

wenn die Ursachen im Kontext der zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung betrachtet werden. – Das, Herr Hoffmann, wird Sie wahrscheinlich niemals interessieren, und darüber werden Sie auch nie nachdenken wollen! –

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Als ich neulich wieder einmal über den Kollwitzplatz in meinem Heimatortsteil Prenzlauer Berg gelaufen bin, war ich über die Entwicklung einmal mehr sehr angetan. Vieles hat sich dort zum Positiven verändert.