Können Sie doch noch einmal ein oder zwei Worte zur Position von Bündnis 90/Die Grünen zum Volksbegehren und zu denen, die sich daran beteiligen, sagen?
Ja, er hat einen Satz gesagt. Aber das kann man sicherlich etwas ausführen. Das würde mich interessieren.
Unsere Position ist, dass man das inhaltlich ablehnen muss, weil es der falsche Weg ist. Aber die Hintergründe und auch die Menschen, die dieses Volksbegehren betreiben, muss man ernst nehmen, denn es gibt reale Gründe für die Unzufriedenheit. Ich war gerade dabei, Ihnen diese zu erklären. Der eine Grund ist, dass es Ihrer Politik an jeglicher Glaubwürdigkeit fehlt. Sie reden zwar von sozialem Ausgleich, aber letztlich kürzen Sie auch schwerpunktmäßig da, wo Sie angeblich nicht kürzen wollen. Sie kürzen z. B. bei der Bildung, Sie gehen z. B. an das Blindengeld,
und die Bürgerinnen und Bürger sehen kein Licht mehr am Horizont, weil Sie keine Perspektiven darlegen und keine mittelfristigen Vorschläge machen, sondern sich nur von Sparvorschlag zu Sparvorschlag hangeln.
[Beifall bei den Grünen und der FDP– Liebich (PDS): Wir kürzen schwerpunkt mäßig bei der Anschlussförderung!]
Herr Wieland, wenn Sie zu uns sagen, man müsse bei den wesentlichen Punkten die Gemeinsamkeiten herausheben und gemeinsam etwas gegenüber Karlsruhe dokumentieren, dann sage ich: Ja, gerne! – Aber auch das ist eine Frage des Stils und des Umgangs miteinander. Wenn ich mich an den Ausbruch des Herrn Krüger zu Beginn der Tagesordnung erinnere, kann ich mir schwerlich vorstellen, mich mit ihm in einen Raum zu setzen und über die Gemeinsamkeiten zu diskutieren. Wenn er sich nämlich so benimmt, ist das gesundheitsgefährdend für alle anderen, die in diesem Raum sind. Und das müssen wir uns dann auch nicht antun.
[Beifall bei den Grünen und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Pewestorff (PDS): Das ist unparlamentarisch!]
Herr Dr. Sarrazin! An einem Punkt hatten Sie Recht: Sie denken nicht kurzfristig, sondern Sie denken lang- und mittelfristig, und deswegen sind Sie mittlerweile zu dem größten Risiko für die Haushaltsklage in Karlsruhe geworden. Denn jedes Ihrer Interviews in einer Zeitung ist die Munitionierung der Klagegegner. Ihre Strategie ist eindeutig: Sie wollen ein Urteil aus Karlsruhe, das Sie zwingt, genau an den Punkten zu sparen, wo Sie sich politisch nicht durchsetzen können. Sie wollen von Karlsruhe die Vorgabe erhalten: Geht stärker hinein in den Kitabereich oder in den Sozialbereich! – So sind alle Ihre Interviews aufgebaut, und wenn Sie sagen, sie distanzierten sich auf das Schärfste, so ist das genau Ihre Methode: Sie machen die Vorschläge als wissenschaftliche Analyse und
wundern sich dann, wenn die Klagegegner diese Vorschläge aufgreifen. Es ist kein Wunder, dass Herr Teufel ausgerechnet Sie als Kronzeugen für seine Argumentation nimmt.
Diese PDS-SPD-Koalition macht „bussiness as usual“. Sie ist in die Fußstapfen der großen Koalition getreten,
[Liebich (PDS): Anschlussförderung oder Anwendungstarifvertrag – das hätte die nie geschafft! Sie übrigens auch nicht!]
Denn dieses Papier, das dazu vorliegt, kann man ja wohl kaum Konzept, geschweige denn Sanierungskonzept nennen.
Herr Wolf, wenn Sie dann in der Fragestunde die großartigen Leistungen des Herrn Kauermann in seiner Funktion als Aufsichtsratsmitglied für das Land Berlin loben, kann ich dazu nur sagen: Wenn der Wirtschaftsausschussvorsitzende eines landeseigenen Unternehmens ein solches Konzept zustimmend zur Kenntnis nimmt, es auch noch bejubelt und sagt, das sei der erste Schritt, dann hat er seine Aufgabe verfehlt. – Und das wissen Sie auch.
Sie machen auch „bussiness as usual“ beim Verstecken der Defizite. Zum Telebus wird gesagt, das Risiko sei so unkalkulierbar und so groß, dass man das aus vergaberechtlichen Gründen nicht einmal ausschreiben dürfe. Und dann sagt man: Das soll doch die BVG machen! Ist doch egal, wenn die das Risiko trägt. – Das kennen wir auch alles. Und wenn man sieht, wie Sie gestern mit den Entwicklungsgebieten umgegangen sind, so muss man feststellen: Sie versenken auch dort weiterhin das Geld.
Herr Dr. Sarrazin! Insofern war Ihr Horrorkatalog eine relativ phantasielose Leistung. Selbstverständlich kann ich auch Milliardenbeträge nennen, wo ich nicht sparen will. Aber wenn Sie behaupten, dass Sie alles ausgeschöpft hätten und nirgendwo mehr einen Cent vergeuden, so ist das sicherlich unsinnig. Das wissen wir alle. Wir werden Ihnen nach der Sommerpause konkrete Vorschläge machen.
Wir erwarten den Entwurf des Nachtragshaushalts von Ihnen. Es ist Ihre Notbremse, Ihr letzter Notausgang vor dem Desaster, einen Nachtragshaushalt vorzulegen, der auch die Einnahmeseite betrachtet, Herr Dr. Sarrazin! Es war schon erstaunlich, dass Ihnen beim Thema Haushaltskonsolidierung wieder nur die Sparrunde einfällt, nicht aber die unterdurchschnittliche Einnahmekraft der Stadt. Da müssen wir ran, dazu erwarten wir Ihre Vorschläge. Wir werden uns nach der Sommerpause mit kon
kreten Schritten auch dort einmischen. Ich hoffe, Ihre Vorschläge sind dann etwas seriöser als die 40 000-Stellen-Vorschläge der FDP. Schnellschüsse helfen uns hierbei nicht weiter. Wir brauchen konkrete, ausformulierte und umsetzbare Vorschläge.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wissen alle, dass dieser Haushalt, der hier zur Debatte steht, eine verfassungsrechtliche und eine politische Seite hat. Herr Senator Sarrazin hat in dankenswerter Offenheit die Grenzen gezeichnet, wo dieser Haushalt in die verfassungsrechtliche Schieflage geraten kann oder geraten ist. Verständlicherweise möchte ich deswegen keine Laudatio auf die Koalition halten, aber eine Laudatio auf diejenigen, die diese Klage verhindert haben. Denn ich gehe davon aus, dass diejenigen, die sich gegen die Klageabsicht entschieden haben, das nicht taten, um der Regierungsmannschaft einen Gefallen zu erweisen, sondern sich darüber im Klaren waren, welche Folgen das in Kürze und auch auf längere Sicht haben würde: Die Entscheidung gegen das Klageverfahren und für die Politik ist diejenige, die dieses Haus treffen muss.
Das gilt in besonderer Weise für die Opposition, denn alle Entscheidungen, die im Zusammenhang mit diesen haushaltsrechtlichen Schwierigkeiten getroffen werden, behindern die Opposition, die künftig die jetzige Regierung ablösen will, sich für die Zeit nach 2006 zu positionieren. Es liegen politische Gefahren darin, wenn man sich selbst Barrieren aufbaut, die man später nicht mehr beseitigen kann.
Ich gehe davon aus, dass die Agenda 2010 vermutlich bzw. wahrscheinlich scheitern wird – auch dann, wenn man das ganze Ausmaß erst nach 2006 wird sehen können. Wir werden uns in der nächsten Zeit damit auseinander setzen müssen, dass wir mit gesellschaftlichen Veränderungen konfrontiert sein werden, und zwar gesellschaftliche Veränderungen nicht im Sinne der Agenda 2010, sondern völlig anderer Natur, die sozialen Sprengstoff in sich bergen. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass es schädlich wäre, sich jetzt in eine Formalklage zu verrennen. Man sollte statt dessen lieber den Gedanken im Hinterkopf abspeichern, der prüft, ob es vielleicht gar nicht mehr so lange dauern wird, bis wir gehalten sein werden, uns mit einer Verfassungsänderung auseinander zu setzen, um das Verhältnis von Investitionen und Schuldenaufnahme in ganz anderer Weise zu regeln.
Ich bedanke mich bei denjenigen, die diese Klage verhindert haben, auch denjenigen innerhalb der FDP, die dagegen gestimmt oder mit Magenschmerzen zugestimmt haben, dass diese Klage nicht zu Stande kommt. Ich möchte auch noch ein Wort an Herrn Lindner richten: Herr Lindner, wenn Sie diese Gegenüberstellung Verfassungsrecht versus Politik vornehmen und eine Klageab
sicht mit dem Ziel verfolgen, nicht zu klagen, sondern eine Liste durchzubringen, die man dem Senat vorlegt, wirkt es auf mich zumindest so, als wäre es ein Erpressungsversuch.
Das kann man nicht miteinander verbinden. Ich muss mich dagegen stark wehren, dieses in Verbindung zu bringen. Es ist berechtigt, wenn einer meint, dass die Grenze überschritten ist und geklagt werden muss. Das ist eine Sache, die gesehen wird, deren politische Konsequenz aber klar sein muss. Wenn aber politische Forderungen gestellt werden, muss dies mit politischen Mitteln geschehen. – Ich danke Ihnen!
Danke schön, Herr Kollege Dr. Jungnickel! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.