Protokoll der Sitzung vom 07.03.2002

[Pewestorff (PDS): Der globale Kiez!]

Jeder junge Mensch in Deutschland sollte wenigstens einmal Lust verspüren, eine Zeit seines Lebens in Berlin zu verbringen –

[Beifall bei der CDU]

sei es, um hier zu studieren, sei es, um hier ein Unternehmen zu gründen, oder sei es, um eine neue Idee im kulturellen, im wissenschaftlichen Bereich hier in Berlin und von Berlin aus zu verwirklichen.

Wir wollen der Republik zeigen, dass Berlin die Stadt der Wagnisse und Chancen ist,

[Beifall bei der CDU]

dass Berlin die Stadt der Kommunikation des 21. Jahrhunderts ist und dass Berlin offen ist für das Neue und Junge. Wir müssen unsere Schulen und Hochschulen so präsentieren, dass sich ganz Europa für unsere Schüler und Studenten interessiert, weil sie am besten ausgebildet sind.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Und wir müssen das breiteste Bildungsangebot in Deutschland haben. Wir müssen unsere Schulen modernisieren, und wir müssen freie Träger und Privatschulen fördern und nicht kaputtmachen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Unsere Fachhochschulen und Berufsakademien, unsere Kunsthochschulen, unsere Forschungseinrichtungen und Universitäten müssen zu internationalen Centers of Excellence ausgebaut werden und sich weiter international nach Westen, aber in den nächsten Jahren insbesondere nach Osten öffnen.

[Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Pewestorff (PDS)]

Wenn künftig ein Existenzgründer in Deutschland an den Start gehen will, sollte er an Berlin denken. In den vergangenen Jahren war Berlin die Existenzgründerstadt Nr. 1 in Deutschland. Um diesen Platz zu halten und auszubauen, müssen wir für eine umkomplizierte Förderung und Beratung sorgen, müssen wir Raum schaffen für Neugründungen und Technologieparks, und wir müssen Entwicklungschancen für völlig neue europäische Märkte von Berlin aus erschließen.

Für jedes große deutsche Unternehmen muss es eine Selbstverständlichkeit werden, wenigstens eine Adresse in der deutschen Hauptstadt zu haben, denn hier finden sie den Zugang zu den Entscheidungszentren und zu den Medien, hier finden sie die Nähe zu einer einmaligen Dichte von Wissenschaft, Forschung und Entwicklung, hier befinden sie sich im größten Ballungszentrum zwischen Moskau und Paris, und hier befinden sie sich in einer Region mit den besten Wachstumsaussichten des heutigen westlichen Europa.

[Pewestorff (PDS): Ein Nummer kleiner, bitte! – Borgis (CDU): Ja, kleinkariert!]

Jeder Kunstschaffende in Deutschland und Europa sollte Interesse an dieser Stadt entwickeln. Nirgendwo stößt er auf eine so lebendige und vielfältige Kulturszene wie hier in Berlin. Nirgendwo findet er ein so interessantes geistiges Reizklima und eine kreative Dichte vor wie hier in Berlin,

[Beifall bei der CDU]

weil wir neben etablierten Opernhäusern und Theatern eine experimentierfreudige und kritische Offszene haben, weil wir auf der Suche nach einer Stadtidentität jeden gern aktiv teilnehmen lassen auf dieser Suche nach dem Weg in die Zukunft der deutschen Hauptstadt Berlin.

[Pewestorff (PDS): Außer der PDS!]

Entscheidend hängt die Attraktivität Berlins wie in allen Großstädten natürlich auch von Sicherheit und Sauberkeit ab. Das heißt, wir dürfen die Menschen nicht im Stich lassen, die unseren Rechtsstaat schützen und bewahren, also unsere Polizisten, Feuerwehrleute und Justizkräfte.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Ich habe den Eindruck, es würde uns auch auch eine Offensive der Freundlichkeit guttun,

[Heiterkeit bei der SPD, der PDS und den Grünen – Wolf, Harald (PDS): Das widerspricht doch dem Berliner Nationalcharakter, Herr Steffel!]

weil wir den Menschen in der Republik, aus dem In- und Ausland zeigen wollen: Ihr kommt in eine Hauptstadt der Toleranz, der Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der PDS und den Grünen]

Und wir brauchen auch – ausgehend von der deutschen Hauptstadt – eine Werteoffensive: Christliche Werte wie Solidarität und Nächstenliebe, Ehrenamt und Nachbarschaftshilfe, Friedfertigkeit und Gewaltverzicht – alles in allem etwas mehr Altruismus und etwas weniger Egoismus! –

[Beifall bei der CDU]

haben – und davon bin ich fest überzeugt – gerade in einer modernen, vernetzten, globalisierten und sehr wirtschaftsorientierten Gesellschaft einen zunehmend höheren Stellenwert in der Meinung und Einschätzung der Menschen.

[Beifall bei der CDU]

Ich möchte auf den gesellschaftlichen Beitrag der Kirchen nicht verzichten.

[Oh! von der PDS]

Hauptstadt sein heißt, dass uns neue Chancen zugewachsen sind, aber auch neue Verpflichtungen. Wir wollen Hauptstadt in den Herzen aller Deutschen werden. Dazu gehört zunächst einmal – und eigentlich, Herr Regierender Bürgermeister, hätte ich das von Ihnen erwartet – der Dank an die Bundesländer, die uns im Wege des Finanzausgleichs geholfen haben, der Dank an die Bundesregierung für ihre Leistungen aus dem Hauptstadtvertrag, vor allem aber der Dank an die Bundesbürger, die uns durch Jahrzehnte mit ihren finanziellen Beiträgen geholfen haben, alle widrigen Umstände in Berlin zu überdauern und zu meistern. Wir danken den Menschen in Ost und West, die bereit sind, jeden Tag auch ein Stück Solidarität mit ihrer Hauptstadt zu üben.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Aber natürlich müssen wir auch darüber reden, was Berlin als Hauptstadt den Menschen in Deutschland geben kann – als Zentrum der politischen Macht, als kulturelle und wissenschaftliche Avantgarde, als Knotenpunkt der großen europäischen Achsen von West nach Ost, von Nord nach Süd, vielleicht als transatlantischer Brückenkopf zwischen Moskau und Washington.

Ich wünsche mir Berlin als einen Ort in Europa, den man gern besucht, in dem man gern verweilt und in dem man gern seine Chancen verwirklichen möchte – mit einem sauberen Ambiente,

vielleicht auch mit einem Schuss mehr Elegance und Weltläufigkeit, jedenfalls mit einer aufgeschlossenen, gastfreundlichen und temperamentvollen Bevölkerung.

Nur wenn ein geschicktes Stadtmarketing den Menschen in den 15 anderen Bundesländern bewusstmachen kann, wie wertvoll und kostbar ihre Hauptstadt für sie ist, werden wir auch mit deren Unterstützung rechnen können. Herr Finanzsenator! Mit Ihren Formulierungen von Abartigkeiten, übel riechenden Beamten oder einer Selbstbedienungsmentalität verschaffen Sie Berlin doch keine Freunde.

[Beifall bei der CDU]

Herr Regierender Bürgermeister, Sie und Ihre Mannschaft haben Aufschwung und Neuanfang versprochen,

[Gaebler (SPD): Sie auch!]

aber Hoffnungslosigkeit und Ratlosigkeit verbreitet. Die Stimmung in und für Berlin ist erheblich gedrückt. Sie haben sich sowohl in der Koalitionsvereinbarung als auch in der Regierungserklärung ausschließlich für eine Politik des Rotstifts entschieden, ohne zu erklären, wofür die Berlinerinnen und Berliner all diese Opfer bringen sollen. Sie haben es bewusst, wie Sie sagen, an einer überzeugenden Vision für die Stadt fehlen lassen.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Ja, Sie haben Visionen als Seifenblasen verächtlich gemacht und sich dafür als Jongleur von Sprechblasen dargestellt.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Sie legen Hand an die kulturelle – –

[Zurufe: Ein Handy! Handy ausstellen! – RBm Wowereit: Das ist Herr Stoiber! – Heiterkeit]

Wissen Sie, Herr Wowereit, ein bisschen Ernsthaftigkeit sollten Sie doch zeigen, wenn Sie meine Gedanken schon nicht teilen! Nur den Kobold mit Überheblichkeit und Häme zu spielen und die Position nicht ernsthaft inhaltlich auszufüllen, das reicht auf Dauer auch nicht aus.

[Beifall bei der CDU]

Sie legen Hand an die kulturelle und wissenschaftliche Vielfalt dieser Stadt und damit an die wichtigsten Zukunftsoptionen Berlins. Sie haben kein Konzept für einen wirtschaftlichen Aufschwung und für die Akquisition neuer Arbeitsplätze und Investitionen. Mit Ihrer Regierungserklärung machen Sie sich zum Gefangenen Ihrer eigenen Strategie, nämlich Politik ausschließlich aus einer buchhalterischen Sicht heraus zu betrachten. Damit versagen Sie auf dem Gebiet der politischen Führung.