Protokoll der Sitzung vom 09.12.2004

3. Maßnahmen zur Verbesserung der Grundschulbildung und durchgängige Verbesserung der Lesekompetenz und des grundlegenden Verständnisses mathematischer und naturwissenschaftlicher Zusammenhänge.

Es geht also um Grundschulbildung. Wir haben das Fach Deutsch gestärkt, wir haben Naturwissenschaften eingeführt, und, Frau Freundl, auch Ihren Wunsch erfüllt, der wichtig ist, nämlich curriculare Veränderungen in der Grundschule durchgesetzt – eine klare Konzentration auf neue Lernziele. Dass das Zeit braucht, bis es wirkt, ist klar, aber der Weg ist richtig.

4. Maßnahmen zur wirksamen Förderung bildungsbenachteiligter Kinder, insbesondere auch der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund.

Schritte haben wir eingeleitet. Ich bin sicher, dass diese Schritte richtig sind. Ich bin genauso sicher, dass wir längst noch nicht am Ziel sind. Auch hier sage ich noch einmal und habe es schon einmal in einem Interview gesagt: Ich glaube, dass wir in Berlin und in Deutschland in der Integrationspolitik im letzten Jahrzehnt vieles gesagt, aber über manches Wichtige hinweggesehen haben. Wir haben uns über bestimmte Sachverhalte nicht verständigt. Wir haben z. B. in diesem Haus erstmals gemeinsam, und das mit viel Kritik, entschieden, dass es selbstverständlich Recht und Pflicht ist für den, der hier ist und bleiben soll, gewünscht ist und notwendig ist, dass er die deutsche Sprache erlernen muss. Das war, man mag es kaum glauben, vor einigen Jahren von manchen noch als Zumutung betrachtet worden.

[Henkel (CDU): Nicht von uns – von denen!]

Es ist so. Man muss das einfach konstatieren, was sich dort verändert hat.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Ich komme zurück zur Kultusministerkonferenz:

5. Maßnahmen zur konsequenten Weiterentwicklung und Sicherung der Qualität von Unterricht und Schule auf der Grundlage von verbindlichen Standards sowie eine ergebnisorientierte Evaluation.

Auch hier haben wir in Berlin die entscheidenden Schritte begonnen. Aber auch hier will ich Ihnen sagen: Wir haben jetzt mit der Kultusministerkonferenz das Institut für Qualitätssicherung an der Humboldt-Universität gegründet. Es darf niemand annehmen, dass sich mit einem Beschreiben von Standards und einer Institutsgründung in Deutschland der Unterricht schon verändert hätte. Das ist ein absoluter Fehlglaube. Nein, wir brauchen hier Konsequenz und Kontinuität in Reformpolitik. Das wird noch dauern.

Übrigens gibt es manche, die jetzt vor Standards warnen und sagen, dass das keine Bildung sei. Es ist richtig, Bildung ist ein bisschen mehr als Standards. Aber ich sage noch einmal: Wenn es uns nicht gelingt, Kompetenzen klar zu definieren und sie auch zu kontrollieren, werden wir in Deutschland nicht besser werden.

Schließlich der 6. Punkt:

Maßnahmen zur Verbesserung der Professionalität der Lehrertätigkeit, insbesondere im Hinblick auf diagnostische und methodische Kompetenz als Bestandteil systematischer Schulentwicklung.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Und im Übrigen kann ich uns nur ermutigen, Kollegen Flemming, Hoff und andere Hochschulpolitiker: Wir müssen die Balance in Hochschulautonomie und Forschungsfreiheit halten, aber wir müssen und dürfen den Universitäten auch etwas formulieren, was wir als Hauptabnehmer für Lehrerbildung erwarten und woran wir die Zuschüsse knüpfen. Das sollten wir gemeinsam tun.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Das muss auch möglich sein.

Der 7. Punkt der Kultusministerkonferenz 2001:

Maßnahmen zum Ausbau von schulischen und außerschulischen Ganztagsangeboten mit dem Ziel erweiterter Bildungs- und Fördermöglichkeiten, insbesondere für Schülerinnen und Schüler mit Bildungsdefiziten und besonderen Begabungen

Wir stehen genau in diesem Reformprozess.

Ich kann Ihnen versichern, das war nicht das Programm der SPD-PDS-Koalition, das ich jetzt vorgelesen habe, sondern das waren die sieben Punkte der Kultusministerkonferenz. Es ist aber richtig, dass dies das Handlungsprogramm dieser Koalition ist. Ich finde, das hat den Beifall des gesamten Hauses verdient.

[Beifall bei der SPD und der PDS Zuruf des Abg. Steuer (CDU)]

Wir sind, Herr Steuer, auf dem richtigen Weg. Dieser Weg ist schwierig.

Sen Böger

Im Übrigen möchte ich Ihnen noch eine Empfehlung geben, weil bald Weihnachten ist und alle viel Muße haben. Ich stehe nicht auf der Honorarliste des Kinos. Herr Rabbach, gehen Sie einmal wieder ins Kino, in den Delphi-Palast. Dort finden Sie einen wunderbaren Film: „Rhythm is it“.

Dies ist ein Film über ein Erziehungsprojekt der Philharmoniker zusammen mit Berliner Hauptschülern. Thema ist ein Werk von Strawinsky. Das gehört nicht zu den bevorzugten Weisen und geliebten Komponisten von Jugendlichen und zeigt, wie junge Schülerinnen und Schüler gemeinsam ein solches Projekt stemmen. Es zeigt, welch ungeheure Talente diese Jungen und Mädchen haben. Es zeigt, was pädagogisches Engagement am Ende bewirken kann. Ein bisschen Ermutigung braucht man so manches Mal in den tiefen Tälern von PISA I und II. – Vielen Dank!

Ich möchte noch etwas über eine Phantomdebatte sagen, nämlich über die viel gerühmte Strukturdebatte. Die Kollegin Freundl und Kollege Mutlu haben einiges dazu ausgeführt. Ich sage als einer, der die Bildungsdebatte auch in den 70er Jahren erlebt hat: Ich warne uns davor, uns in dogmatische Strukturdebatten zu verfestigen. Der Glaube, der dahinter steht, es gebe sozusagen den entscheidenden Befreiungsschlag, ist ein Irrglaube.

Ich sage aber auch, Frau Kollegin Dr. Barth, dass kein vernünftiger Mensch auf die Idee käme, ein dreigliedriges Bildungssystem zu konstruieren, wenn man die Gelegenheit hätte, an einem Schachbrett zu sagen, wir fangen in der Bundesrepublik Deutschland bei Null an. Das ist wohl auch wahr.

Die Aufgabe, die wir haben, kann man intelligent lösen. Wir sollten uns auf die Verbesserung der Unterrichtsqualität, auf die Stärkung von diagnostischer Kompetenz von Lehrern konzentrieren. Das ist auch der Weg der Berliner Bildungsreform. Wir sollten darauf die Fortbildung konzentrieren.

Nebenbei gesagt, sind die Deutschen in Mathematik besser geworden. Ich kann das zwar nicht zwingend ableiten, aber es gibt ein hervorragendes Fortbildungsprogramm mit dem Namen SINUS. Das läuft in den Schulen, auch in Berliner Schulen. Das schafft einen anderen Zugang zur Mathematik. Das sind richtige Wege, um den Unterricht zu verbessern.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch etwas sagen, um meinem Ruf als vergeblicher Schulmeister gerecht zu werden. Erstens empfehle ich Ihnen allen die Lektüre der „Süddeutschen Zeitung“. Bei einem Blick in manche Berliner Zeitungen hat man den Eindruck, dass in Berlin in der Bildung nichts geschieht,

[Frau Senftleben (FDP): Zu wenig!]

und wenn doch, dann nur Schlechtes. Das ist aber falsch. Das gibt nicht wieder, was tatsächlich an Leistungen in Berlin geschieht, im Übrigen auch an Vorbildlichem, was sich in der Bundesrepublik Deutschland zeigen lassen kann.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Weil das so ist, empfehle ich Ihnen die Lektüre der Seite 3 in der „Süddeutschen Zeitung“. Das ist eine berühmte Seite. Sie, Herr Rabbach, als sportpolitischer Sprecher, lieben zumindest die Überschrift. Diese heißt nicht: “Das Wunder von Bern“, sondern „das Wunder von Moabit“, Herr Rabbach. Das sollten Sie sich einmal durchlesen. Da finden Sie nämlich den Bericht: „Von der Katastrophenschule zur Vorzeigeanstalt“. Die Frau Kollegin Senftleben hätte mir den Artikel fast in Gänze weggenommen. Sie hat aber Recht. Wir müssen einmal feststellen, was in einzelnen Schulen geschieht. Es ist übrigens eine integrierte Haupt- und Realschule. Ich war da. Sie sollten einmal hören, was der Direktor dort tut und was in dieser Schule geschieht. Das macht Mut und zeigt, dass es Wege für eine Reform gibt.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Vielen Dank, Herr Senator Böger! – Wir kommen zur zweiten Rederunde. Es steht eine Redezeit von bis zu fünf Minuten pro Fraktion zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der Grünen. Frau Kollegin Pop hat das Wort. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Böger! Sie haben es leider versäumt zu erwähnen, wo Sie musikpädagogisch Besonderes für die Berliner Schulen tun. Das habe ich in Ihrem Redebeitrag leider vermisst!

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Ich möchte noch kurz auf Sie eingehen. Damit, dass die Strukturdebatte eine Phantomdebatte ist, haben Sie insofern Recht, dass allein die Strukturdebatte zu führen, vieles verdeckt, worüber wir reden müssen. So lange aber das deutsche Bildungssystem mit einer hohen Fehlerquote beim Aussortieren von Schülern arbeitet und die meiste Energie darauf verschwendet, Schüler und Schülerinnen möglichst passgenau in ihre Schubladen zu stecken, werden zu viele Ressourcen vergeudet, die dann nicht darin einfließen, die Schüler individuell zu fördern. Insofern ist die Strukturdebatte schon richtig, Herr Böger.

[Beifall bei den Grünen und der PDS]

Sie werden aber auch nicht müde zu betonen, dass Bildung in Berlin und in Ihrem Senat Priorität hat. Sie haben Recht, aber ich fürchte, dass Sie mit dieser Einstellung ziemlich allein im Senat dastehen. Bei aller Anerkennung für die von Ihnen angestoßenen Veränderung ist das mit der Priorität leider nur die halbe Wahrheit.

Ihre Vorhaben haben Sie geschildert. Es geht um den Ausbau der Ganztagsschulen, der von der Bundesregierung angestoßen wurde. Es gibt mehr Eigenverantwortung in den Schulen und den Versuch, Bildung in den Kitas zu verankern. Doch ist es unehrlich, darüber zu sprechen, ohne auch nur einmal über die Finanzierung zu reden.

Berlin hat auf Grund seiner wirtschaftlichen Schwäche noch massiver als andere Bundesländer ein Einnahmeproblem. Deshalb soll ein stabiles und ansteigendes Steueraufkommen ganz in unserem Sinne sein. Wir schlagen deshalb vor, der Kollege Mutlu hat es schon erwähnt, die Reform der Erbschaftsteuer mit der Finanzierung von Bildung zu verbinden. Mit dem Erbe geben die Älteren einen Teil ihrer Lebensleistung an die jüngere Generation weiter. Sie helfen so, die Zukunft der jüngeren zu sichern.

(D Wir brauchen kein Reförmchen, sondern eine Reform. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Mut für Experimente. Da sollten wir auch radikal sein und einen langen Atem haben.

Keiner von Ihnen hat das heute getan. Es glaubt doch keiner mehr hier, dass das alles kostenneutral umzusetzen ist.

An dieser Stelle erwarte ich mehr Ehrlichkeit von Ihnen, Herr Böger und auch mehr Solidarität Ihrer Senatskollegen. Herr Sarrazin sitzt hier zwar immerhin, telefoniert aber fröhlich. Wir dürfen uns, wenn wir weitere Finanzmittel für die Bildung mobilisieren wollen, nicht einer ernsthaften Debatte über Prioritätensetzung im Haushalt entziehen. Gerade Berlin, dessen Fortkommen und Zukunft ganz entscheidend von den Ideen und Kompetenzen der Menschen in dieser Stadt abhängt, muss dies dringend tun. Wir sind auf das Wissen und Können der Menschen und insbesondere der Kinder und Jugendlichen in dieser Stadt angewiesen und können uns Bildungsarmut nicht leisten, denn arm sind wir ohnehin schon.

Wir müssen uns fragen, wie wir mit dem bereits jetzt vorhandenen Geld eine bessere Schule in Berlin finanzieren können. Es ist inzwischen eine Binsenweisheit, dass die Mittel im Bildungssystem nicht effektiv und effizient und im Übrigen auch gar nicht gerecht eingesetzt werden. Gerade die OECD-Studien zeigen, dass wir dringend die Qualität unserer Bildungseinrichtungen verbessern müssen. Die Berliner Haushaltslage macht es zwingend erforderlich, aus jedem einzelnen Euro möglichst viel herauszuholen.

Doch wie geht das? – Ich nenne nur einige Beispiele ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit. Berlin hat einen hohen Schuletat, finanziert aber daraus hauptsächlich Personal im Gegensatz zu anderen Bundesländern. Die Sachausgaben sind in den Vergleichssätzen sehr mickrig. Dieses Verhältnis muss sich zukünftig zu Gunsten der Sachausgaben verändern, damit endlich Schulen und ihre Ausstattung auf der Höhe der Zeit ankommen.