Protokoll der Sitzung vom 10.02.2005

Einwanderungsstopp und ein Gesetz zur Ausländerrückführung, denn Deutschland ist das Land der Deutschen.

Das ist das Programm der NPD zur Wirtschaftspolitik.

[Matz (SPD): Das muss hier auch noch vorgelesen werden? – Zuruf des Abg. Dr. Lindner (FDP) – Weitere Zurufe]

Das muss hier vorgelesen werden. Das ist nämlich genau der Punkt.

[Zuruf der Frau Abg. Oesterheld (Grüne)]

Jetzt kommen wir zu den Fakten. In Sachsen gibt es 2 % arbeitsfähige Ausländer und 20 % Arbeitslosigkeit. – Jetzt muss man kein mathematisches Genie sein, um festzustellen, dass, selbst wenn 100 % der Forderungen der NPD umgesetzt werden würden, diese in keiner Weise dazu geeignet wären, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Diese aberwitzigen und ausländerfeindlichen Forderungen der NPD sind völlig ungeeignet, die echten, existierenden Probleme zu lösen. Das gesamte Programm ist voll mit dumpfen und lausigen Forderungen.

[Frau Grosse (SPD): So etwas liest man doch nicht vor, das kann doch nicht wahr sein!]

Die NPD kann nur hoffen, dass niemand dieses Programm liest, weil er, wenn er das tun würde, herausfinden würde, was für eine unfähige Partei die NPD ist.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Über die hässliche Seite haben wir hier schon ausführlich gesprochen, sie wurde im sächsischen Landtag immer wieder präsentiert, also kann ich hier darauf verzichten.

Die Gründe für den Wahlerfolg von 9,2 % für die NPD können wahrscheinlich nicht am Programm liegen. Wenn es nicht an den Inhalten liegt, woran liegt es? – Offensichtlich daran, dass wir Demokraten versagt haben. Hartz IV ist bereits genannt worden. Die NPD hat das Ganze als „Verelendungsprogramm“ bezeichnet.

[Frau Grosse (SPD): Es interessiert nicht, was die NPD sagt!]

Das hat auch damit zu tun, dass das Großprojekt Hartz IV dilettantisch und katastrophal vermittelt wurde, dass über Monate Sorgen und Ängste gesteigert wurden, dass Leute nicht wussten, was passiert.

[Zuruf der Frau Abg. Neumann (SPD)]

Diese Ängste hat die NPD bedient.

Auch zur Verschärfung des Demonstrationsrechts ist schon einiges Richtige gesagt worden. Meinungsfreiheit ist die Grundlage unserer Demokratie. Und auch Dumpfbacken haben Grundrechte. Die Gesetze, die wir haben, reichen aus. Durch Auflagen kann die Demonstrationsroute verlegt werden,

[Brauer (PDS): Vom Brandenburger Tor nach Marzahn, tolle Idee!]

kann die Anzahl der Fackeln, der Fahnen, der Stiefel, die Texte der gesungenen Lieder, kann alles reguliert werden. Es ist aber auch ganz klar, dass die FDP-Fraktion eine Demonstration der NPD am 8. Mai am HolocaustMahnmal vorbei nicht akzeptieren wird. Hier muss eingeschritten werden. Der Innensenator hat hier unsere Unterstützung.

[Beifall bei der FDP]

In diesen Tagen und Wochen jähren sich schreckliche Ereignisse zum sechzigsten Mal: Bombennächte, die Zerstörung weiter Teile unserer Stadt und vor allem der Tod so vieler Menschen, die dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen. Die Erinnerung daran ist zuallererst eine sehr persönliche Angelegenheit eines jeden einzelnen. Die älteren Berlinerinnen und Berliner haben all dies am eigenen Leib miterlebt. Sie denken an Menschen, die sie geliebt haben, an Freunde, Verwandte, die Krieg ihr Leben ließen, und oft genug auch an eigenes Leid, das sie im Krieg oder nach dem Krieg erfahren haben. Die Erinnerung daran darf und will ihnen niemand nehmen. Sie verdient Achtung und Respekt. – Genau diese Achtung und dieser Respekt vor den unzähligen Opfern des Krieges gebietet uns, genau hinzusehen, verantwortlich mit historischen Fakten umzugehen und der tagespolitischen Instrumentalisierung zu widerstehen.

Aber es ist kein Zeichen der Schwäche, dass Extreme bei uns ihre Meinung sagen können. Da muss nicht gleich der Appell zum Verbot kommen. Aus meiner Sicht ist es ein Zeichen der Stärke, dass unsere Demokratie in der Lage ist, auch Wirrköpfe zu ertragen.

[Beifall bei der FDP]

Das Verbot von Minderheitsmeinungen durch die Mehrheit ist eher ein Merkmal von Diktaturen als von Demokratien. Die Demokratie ist nicht perfekt. Winston Churchill hat einmal gesagt, es sei die am wenigsten schlechte Herrschaftsform. Es gibt keine bessere, deswegen müssen wir stärker als bisher für sie werben und sie verteidigen.

Ein konkretes Projekt, mit dem alle anfangen können, sobald die Sitzung vorbei ist, stelle ich Ihnen vor. Wir haben in Berlin 550 weiterführende Schulen. Warum gehen wir – wir alle hier, 141 Abgeordnete – nicht in diese 550 Schulen, nicht alle zusammen, sondern wir teilen uns das auf, das wären dann vier Schulen pro Abgeordneten, das kann man schaffen in einigen Wochen oder Monaten, und sprechen dort mit den Jugendlichen, mit allen, die interessiert sind, über Demokratie? Wir werben für Demokratie. Wir kämpfen für Demokratie. Ich weiß, dass das in Teilen geschieht.

[Brauer (PDS): Eben!]

Das macht der eine oder andere schon. Aber als gemeinsame Aktion wäre das ein Signal, weil viele Schulen sagen, eine einzelne Partei soll sich hier nicht präsentieren. Wenn wir aber gemeinsam auftreten, hat das eine andere Wirkung. Es ist zwar schön, dass wir uns hier unterhalten über das Thema und dass wir appellieren und Gesicht zeigen, aber wir müssen auch handeln. Deswegen werbe ich für diesen Vorschlag, er kostet kein Geld, dafür werden wir sowieso bezahlt, es wäre ein konkretes Programm. Wir nehmen uns 550 Schulen in Berlin vor, gehen dort hin und sprechen mit den Menschen vor Ort.

[Beifall bei der FDP]

Denn eines ist klar: Die wehrhafte Demokratie braucht nicht mehr Verbote, sondern mehr streitbare Demokraten.

[Beifall bei der FDP]

Schönen Dank, Herr Kollege Ritzmann! – Für den Senat erhält der Herr Regierende Bürgermeister das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Am Ende kehrte das Feuer in das Land der Brandstifter zurück.

Mit diesem einfachen und wahren Satz hat Cornelius Weiss, der Alterspräsident des sächsischen Landtags, den unverschämten Auftritt der NPD im sächsischen Parlament am 21. Januar 2005 gekontert. Zu Recht, denn in diesem kurzen Satz steckt viel Wahrheit, Wahrheit über die deutsche Geschichte, Wahrheit über das Verhältnis von Opfern und Tätern, über den Zusammenhang von Ursache und Wirkung, der nicht verwischt werden darf. Er

hat dafür stehenden Beifall aller demokratischen Fraktionen erhalten. Auch das ist zu Recht geschehen, denn er hat im Angesicht seines braunen Vorredners die überlegene Kraft der demokratischen Idee demonstriert. Er hat den Geist gegen Hetze, historisches Verantwortungsgefühl gegen demagogische Vereinfachung gesetzt. Das ist die Haltung, mit der man den braunen Unverschämtheiten begegnen muss: offensiv und mutig. Diese Haltung wünsche ich mir auch von allen Demokraten in unserem Land und in unserer Stadt.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

[Beifall bei der SPD]

Es geht heute längst nicht mehr darum, die Schuldfrage zu klären. Das nationalsozialistische Deutschland hat der Welt ein von Anfang an verbrecherischen Angriffskrieg aufgezwungen. Es war das nationalsozialistische Deutschland, das systematisch und industriell die Vernichtung der europäischen Juden, der Sinti und Roma und vieler anderer Menschen betrieb, die den Nazis als „lebensunwert“ galten.

Heute geht es darum, dass wir uns über die Grundlagen unseres Zusammenlebens und unserer politischen Ordnung klar und bewusst werden. Dass wir klare Grenzen zu all jenen ziehen, die Hass und Gewalt in unserem Land verbreiten, darin liegt unsere Verantwortung als Nachgeborene, wenn wir über die unheilvolle Geschichte des 20. Jahrhunderts debattieren.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen– Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Auch 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geht es um eine bewusste Aneignung der Geschichte. Es geht darum, Täter und Opfer nicht miteinander zu vermengen, und es geht darum, sich immer wieder neu Rechenschaft darüber abzulegen, wie wir dazu beitragen können, dass nie wieder geschehen kann, was in den Jahren von 1933 bis 1945 in deutschem Namen geschah. Denn es ist und bleibt richtig, was Richard von Weizsäcker vor 20 Jahren in seiner historischen Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes sagte: Es geht darum, der

RBm Wowereit

Das gilt für jeden! – Es wäre die Aufgabe von Herrn Zeller als Landesvorsitzendem und von Herrn Stölzl als Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, die Parteifreunde in Steglitz-Zehlendorf nicht noch zu unterstützen, sondern im Gegenteil sie zur Ordnung zu rufen und deutlich zu machen, dass im Umgang mit der Geschichte absolute Klarheit gefordert ist.

Ich unterstütze nachhaltig den Appell von Albert Meyer, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde: Sorgen Sie dafür, dass der BVV-Beschluss zurückgenommen wird. Das ist Ihre Verantwortung und Ihre Aufgabe für die nächsten Tage.

Gerade weil wir Klarheit in der Auseinandersetzung brauchen, bin ich sehr froh, dass es gelungen ist, alle demokratischen Parteien für eine große, gemeinsame Kundgebung am 8. Mai im Zentrum der deutschen Hauptstadt zu gewinnen. Das ist die Antwort auf die rechten Umtriebe, die von allen demokratischen Parteien erwartet wird. Die Gemeinsamkeit im Kampf gegen die Feinde der Demokratie ist als solches schon ein Zeichen. Wenn unsere freiheitlichen und demokratischen Grundwerte angegriffen werden, rücken die Demokraten zusammen. Ich setze darauf, dass an diesem 8. Mai von Berlin aus ein deutliches Signal in die ganze Republik und in die Welt geht: Die deutsche Hauptstadt sagt Nein zum Vergessen und zum Leugnen. Deutschland ist ein demokratisches, tolerantes und weltoffenes Land, das sich der Geschichte stellt und sich zu seiner Verantwortung für das friedliche Zusammenleben der Völker bekennt.

Wahrheit ins Auge zu sehen. – Ich füge hinzu: Unser Land hat in einem mühsamen und schmerzhaften Prozess gelernt, sich seiner eigenen Geschichte zu stellen. Wir haben gelernt, der Wahrheit ins Auge zu schauen. Zu dieser Form der Aneignung der Geschichte gehört, dass wir nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht und Vertreibung sehen und dass wir nicht die Alliierten für die Zerstörung in unserem Land verantwortlich machen, sondern der Wahrheit, so gut es geht, ins Auge schauen. Wir dürfen das Leid, das die Menschen in den deutschen Städten und die Flüchtlinge und Heimatvertriebenen erfahren haben, nicht vergessen. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, wie es dazu kam.

In diesen Tagen und Wochen erleben wir den Versuch einiger ewiggestriger Neonazis innerhalb und außerhalb von Parteien, das Gedenken an den 60. Jahrestag des Kriegsendes für ihre antisemitische und antidemokratische Hetze zu missbrauchen. Ich empfinde es als unerträglich, dass dies alles unter dem Schutz des Parteienprivilegs stattfindet. Der Senat wird alles tun, um diesem Treiben entgegenzutreten. Ich sage deshalb zu: Wenn es eine Chance gibt, vor dem Bundesverfassungsgericht ein erfolgreiches Verbotsverfahren gegen die NPD zu führen, wird sich Berlin selbstverständlich daran beteiligen. Herr Liebich, eine Demokratie muss wehrhaft sein, und es muss auch bedeuten, dass man Privilegien, die für Demokratie da sind, nicht Antidemokraten in die Hände gibt.

[Beifall bei der SPD, der PDS und der CDU]

Wir werden alle zulässigen Mittel anwenden, um zu verhindern, dass Neonazis am 8. Mai durchs Brandenburger Tor oder zum Mahnmal für die ermordeten Juden Europas ziehen. Der Innensenator und die dafür zuständigen Behörden haben in der Tat, Herr Ratzmann, die Unterstützung des gesamten Hauses und des gesamten Senats. Wir werden alles tun, um diese unerträglichen Verhaltensweisen zu verhindern. Wer Volksverhetzung betreibt, wer Antisemitismus und Fremdenhass predigt, wer die Grundregeln unseres friedlichen Zusammenlebens angreift, muss es mit der ganzen Härte des Rechtsstaates zu tun bekommen. Das ist es, was wir meinen, wenn wir von einer wehrhaften Demokratie sprechen.

Die Auseinandersetzung mit den Ewiggestrigen verlangt allerdings nicht nur nach einer scharfen und klaren Absage durch unseren demokratischen Staat. Es muss klar sein, dass sie nicht im Namen Deutschlands auftreten. Nicht der Streit über die Rechtsextremen, sondern die scharfe Auseinandersetzung mit ihnen und die Ächtung von Fremdenhass und Antisemitismus stehen jetzt auf der Agenda. Wir brauchen ein breites Bündnis aller Demokraten, um deutlich zu machen: Die Mehrheit in diesem Land steht auf der Seite der Demokratie, und die Mehrheit wird zeigen, dass sie sich wehren kann.

[Beifall bei der SPD, der PDS, der CDU und den Grünen]

Bei allen Appellen an die Gemeinsamkeit, auch an die CDU- und die FDP-Seite gesagt, muss man in dieser Debatte deutlich benennen: Edmund Stoiber hat die Einheit der Demokraten wegen billiger Parteipolitik geschädigt,