Protokoll der Sitzung vom 17.03.2005

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Deshalb haben die Vereinten Nationen auch zu Recht die Zwangsheirat als moderne Form der Sklaverei bezeichnet, und deshalb gilt auch für die CDU-Fraktion das klare Bekenntnis, dass eine Heirat nicht unter elterlichem Zwang zu verhindern und erst recht nicht unter Zwang – ausgeübt von wem auch immer – herbeizuführen ist.

[Beifall bei der CDU – Liebich (PDS): Was hat denn das damit zu tun?]

[Beifall bei der PDS – Dr. Lindner (FDP): Was soll denn das heißen?]

Das darf andererseits aber nicht bedeuten, vor Menschenrechtsverletzungen die Augen zu verschließen. Wir müssen viel offensiver für Frauenrechte eintreten. Das ist ein Verfassungsgebot. Keine Religion und keine Tradition darf sich darüber hinwegsetzen. Frauen und Mädchen – egal, welcher Herkunft – haben Anspruch auf Bildung, auf Freizügigkeit im Umgang mit anderen Menschen, auf freie Partnerwahl, auf Berufsbildung und existenzsichernde Arbeit.

[Wansner (CDU): Setzen Sie es doch durch!]

In der Auseinandersetzung um Zwangsverheiratung und Ehrenmorde muss uns zweierlei gelingen, nämlich erstens den Deckmantel des Schweigens wegzuziehen, den Opfer und Täter, aber auch Nachbarschaft und Öffentlichkeit, Politik und Gesellschaft bisher schamhaft, beschwichtigend oder gleichgültig darüber legten. Hier gebührt solchen mutigen Frauen wie Seyran Ateş, Serap Cileli und Necla Kelek unser Dank für die schonungslose Aufde

Vom Senat insgesamt erwarten wir mehrfache Aktivitäten, in Stichworten sind das: Klärung des Ausmaßes von Zwangsverheiratungen, Öffentlichkeitsarbeit, Aufklärung, Sensibilisierung und Kooperationsbereitschaft. – Alle diese Maßnahmen müssen darauf ausgerichtet sein, den Op

fern Schutz zu gewährleisten und präventiv zu wirken. Die kritische Öffentlichkeit – die deutsche und die der Migranten – darf bei der Auseinandersetzung um Integration und Antidiskriminierung die Gleichberechtigung der Frauen nicht weiter ausblenden. Das sage ich mit besonderem Blick auf jene Feministinnen, die mit ihrem Gerede von Zwangsemanzipation Menschenrechtsverletzungen unter dem Deckmantel von Kultur, Tradition und Religion Vorschub leisten. Sie lassen die Frauen und Mädchen im Stich, die sich nicht allein aus ihrer Zwangslage befreien können. Der Mord an Hatun Sürücü und den anderen Frauen muss uns Verpflichtung sein. – Danke!

ckung der Menschenrechtsverletzungen an Frauen in patriarchalen Familienstrukturen.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Sie haben Anspruch auf unsere Solidarität gegen Angriffe auf ihre Integrität.

Zweitens dürfen wir nicht zulassen, dass ganze Migrantengruppen unter Generalverdacht geraten. Wir müssen vermeiden, dass unter dem Eindruck des Medienechos und der Skandalisierung bestimmter Fälle die öffentliche Aufmerksamkeit von tiefer sitzenden Problemen abgelenkt wird. Wir müssen uns auf eine langfristige und intensive Auseinandersetzung gefasst machen, insbesondere mit und in den Migrantencommunities. Ich begrüße es ausdrücklich, dass sich der Türkische Bund BerlinBrandenburg klar gegen Zwangsverheiratung ausgesprochen hat. Es ist gut, das das Tabu von Zwangsverheiratungen gebrochen ist. Aber hüten wir uns davor, in Aktionismus zu verfallen.

Mit „Berlin gegen Gewalt“ und dem Aktionsplan gegen häusliche Gewalt können wir auf eine gute Erfahrung aufbauen. Wir können an die Arbeit von vielen Engagierten anschließen. Seit 2004 werden zwei EU-Projekte gefördert. Sie haben das Ziel, Gewalt im Namen der Ehre aufzudecken, ihr Ausmaß einzuschätzen und Ideen zur Prävention und zum Schutz der Opfer zu entwickeln und zu verbreiten. Auf der deutschen Seite sind Terre des Femmes und Papatya dafür zuständig. In Berlin haben sich schon vor Jahren engagierte Vertreterinnen von Beratungsstellen und Gleichstellungsbeauftragte im Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratungen zusammengeschlossen. Bei der Interventionszentrale BIG wird ein interdisziplinäres Gremium Schutzmaßnahmen für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund entwickeln. Der Berliner Senat finanziert über die Frauen- und über die Jugendverwaltung mehrere Beratungsangebote und Zufluchtsstellen. Eine Schutzstelle wie Papatya hat in den vergangenen Jahren entscheidend dazu beigtragen, Zwangsverheitatungen zu verhindern.

Im Januar haben wir ein ganzes Maßnahmepaket verabschiedet, das der besonderen Situation von Migrantinnen Rechnung trägt. Wir wollen, dass Zwangsverheiratung als eigenständiger Tatbestand ins Strafgesetzbuch aufgenommen wird.

Dem Umstand Rechnung tragend, dass sich Opfer von Zwangsverheiratungen insbesondere wegen ihres Aufenthaltstitels nicht aus ihrer Zwangslage befreien können, fordern wir ein Rückkehrrecht. Für nach Berlin verbrachte Frauen gibt es mittlerweile eine Verbesserung durch das neue Aufenthaltsgesetz, das im Sinn der Opfer anzuwenden ist.

[Beifall bei der PDS]

Vielen Dank, Frau Kollegin Baba! – Nun hat Frau Senftleben für die Fraktion der FDP das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Herren, meine Damen! Der Entschließungsantrag der Grünen ist wohlfeil formuliert, tut niemandem weh, aber er hilft keiner betroffenen Frau. Er hat den Duktus, „Betroffenheit wird dokumentiert, es ist alles furchtbar“, aber ich sage Ihnen ganz klar: Das reicht nicht. Es muss Schluss sein mit dieser Art von Sonntagsrede, denn als FDP sagen wir klar – und das ist ein Grund, warum wir uns bei diesem Antrag nicht beteiligen –, dass wir konkrete Maßnahmen in diesem Antrag vermissen. Das ist der entscheidende Punkt: Wir müssen uns langsam mit diesen konkreten Maßnahmen befassen.

[Beifall bei der FDP]

Wir werden diesem Entschließungsantrag zustimmen, wir verweigern uns gar nicht. Wir gehen aber gezielt nicht als Antragsteller mit auf diesen Antrag, weil wir es für unsere Pflicht halten, hier Maßnahmen vorzulegen, die wir dann anschließend diskutieren können.

[Frau Hämmerling (Grüne): Das geht auch parallel dazu!]

Es ist unfassbar, wie vor unseren Augen hier täglich Frauen diskriminiert werden, wenn Männer Frauen und Töchtern das Recht auf Selbstbestimmung versagen und dieses dann unter Umständen mit Gewalt durchsetzen. Das ist tägliches Unrecht, und das haben wir zu lange auf Grund falsch verstandener Toleranz geduldet. Wir haben weggesehen. Erst der fünfte so genannte Ehrenmord seit Oktober 2004 an Hatun Sürücü und das Bekenntnis der Schüler der Thomas-Morus-Schule haben diese Stadt aufgerüttelt, haben betroffen gemacht, uns im Übrigen auch. Nun gilt es zu handeln, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Gleichtberechtigung für Frauen endet nicht bei der kulturellen Zugehörigkeit, Gleichberechtigung gilt für alle Frauen gleichermaßen. Es gilt auch hier, Männern, insbesondere aus dem islamischen Kulturkreis offensichtlich, unsere im Grundgesetz verankerten Grundwerte zu vermitteln. Es gilt auch, Frauen über ihre Grundwerte aufzuklären.

Wir respektieren die Religion und Kultur von anderen, allerdings in dem Rahmen, der den Grundrechten unserer

Sie haben heute die Möglichkeit, stimmen Sie heute unserem Ursprungsantrag zu, denn den bringen wir heute als

Änderungsantrag wieder ein. Das ist eine Bitte an Sie: Seien Sie vernünftig, helfen Sie den Frauen jetzt und nicht erst in weiter Zukunft! Der Mord an Hatun Sürücü hat uns aufgeschreckt, wir haben gemerkt, da läuft etwas aus dem Ruder. Der Entschließungsantrag der Grünen dokumentiert Betroffenheit, aber er dokumentiert auch eine Ohnmacht. Genau damit will sich unsere Fraktion nicht zufrieden geben, wir können handeln, wir müssen handeln, per Entschließungsantrag, per Deklaration können wir so genannte Ehrenmorde nicht verhindern. Unterstützen Sie deswegen unseren Antrag. – Vielen Dank!

Das ist der erste, Drucksache 15/3749-neu. Wer dem seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind alle Fraktionen. Zur Sicherheit: Gegenstimmen? – Keine. Enthaltungen? – Keine. Dann ist das so angenommen

Gesellschaft nicht widerspricht. Wer Toleranz einfordert, muss auch selbst tolerant leben, auch Ehefrauen und Töchtern gegenüber. Wir müssen mit Nachdruck daran arbeiten, dass Väter und Brüder dieser Herkunftskreise unsere Grundwerte achten und sie einhalten. Wir müssen auch dafür sorgen, dass Frauen ihre Rechte kennen und sie einfordern, denn viele der hier lebenden Mädchen und Frauen wissen z. B. nicht, dass sie ein Recht auf Selbstbestimmung, auf freie Entfaltung haben. Es scheint leider Vätern oftmals nicht bewusst zu sein, dass sie ihre Töchter und Schwestern nicht als ihr Eigentum bezeichnen können.

Doch mit einer juristischen Unterweisung ist es nicht getan. Es reicht nicht, dass die hier lebenden Migranten einen Blick ins Grundgesetz werfen. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass die Werte des Humanismus und der Aufklärung bei ihnen auf fruchtbaren Boden fallen, sich festsetzen und ihr tägliches Handeln bestimmen können.

[Beifall bei der FDP – Beifall des Abg. Ratzmann (Grüne)]

Vielen Dank, Herr Ratzmann!

Um den Prozess anzustoßen, legen wir heute konkrete Maßnahmen zur Diskussion vor. Diese Maßnahmen sind nicht vollständig, erhöhen jedoch die Chance ein bisschen, die so genannten Ehrenmorde künftig zu verhindern. Lassen Sie mich einige Punkte herausgreifen.

1. Zwangsheirat wird laut Strafgesetzbuch als Fall der Nötigung verfolgt.

[Ratzmann (Grüne): Das tut es bereits!]

Vielleicht liegt es auch daran, dass viele meinen, Zwangsverheiratung sei so etwas wie ein Kavaliersdelikt. Nein, Zwangsheirat ist eine Straftat. Daher muss sie im Strafgesetzbuch als eigener Straftatbestand geahndet werden.

2. Darüber hinaus ist es notwendig, das Aufenthaltsgesetz zum Schutz der betroffenen Frauen zu ändern, und zwar mittels eines gesicherten Aufenthaltsstatus.

Diesen Antrag hat die FDP im Januar gestellt, nachdem sie im Oktober bereits den Senat aufgefordert hatte, dieser Bundesratsinitiative von Baden-Württemberg beizutreten und sie zu unterstützen. Unser Vorschlag war konkret. Jetzt haben wir Absichtserklärungen. Leider, so muss ich sagen, hat Rot-Rot mit Zustimmung der Grünen diesen konkreten Antrag vermurkst. Nun frage ich Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen: Wollen Sie den Frauen nun jetzt helfen – oder vielleicht erst in Zukunft? – Ich finde es schon sehr bizarr, wenn wir hier mit einem kleinkarierten Parteiengerangel letztendlich den Frauen nicht jetzt helfen, sondern die Hilfe erst in eine ungewisse Zukunft verlagern.

[Beifall bei der FDP]

[Beifall bei der FDP]

Danke schön, Frau Kollegin Senftleben!

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, so dass wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag mit der Drucksachennummer 15/3749 kommen können. Wer diesem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind alle Fraktionen.

[Ritzmann (FDP): Welcher Antrag ist das, Herr Präsident?]

Ich lasse jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP abstimmen. Wer der Drucksache 15/3756-1 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenstimmen! – Das sind Bündnis 90, PDS und SPD. Enthaltungen? –

[Henkel (CDU): Bei dem Antrag stimmen wir zu!]

Aha, dann machen wir das noch einmal, weil es eben nicht eindeutig war. Also, wer der Drucksache 15/3756-1 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die CDU und die FDP. Danke schön! Die Gegenstimmen! – Das sind die drei übrigen Fraktionen. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Entschuldigung! Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in der Tat ein sträfliches Versehen begangen, denn Frau Senatorin Schubert wollte nach der Rederunde sprechen. Das geht nicht mehr. Was sagt die Geschäftsordnung? – Vorbei. Ich entschuldige mich ausdrücklich und zerknirscht, Frau Schubert. Es tut mir Leid!

[Zurufe]

Ich fahre fort. Zum FDP-Antrag mit der Drucksachennummer 15/3544 empfiehlt der Innenausschuss einstimmig bei Enthaltung der CDU und der FDP die Annahme mit neuer Überschrift und in neuer Fassung. Wer so gemäß Drucksache 15/3756 beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, Bündnis 90/Grüne und die PDS. Danke schön! Die Gegen

Vizepräsident Dr. Stölzl