Protokoll der Sitzung vom 14.04.2005

Arbeiter frei war und seine Arbeitskraft angeboten hat. Heute haben wir zwar nicht mehr diese Art von freie Arbeitern, aber wir haben die Ich-AGs, und jeder ist eine Ich-AG.

[Dr. Steffel (CDU): Haben Sie doch so gewollt!]

Das fing übrigens an mit

[Dr. Lindner (FDP): Den Pionieren!]

nein, mit den Polieren aus England, die waren die ersten, die als eigenständige GmbH kamen. Jetzt kommt jeder als Ich-AG. Es gibt die Minijobs. Auch das muss ich Ihnen sagen, Herr Wolf, ist ein Grund für die Schwarzarbeit, denn sie kennen die Auseinandersetzung über die Minijobs: Man hat immer ein offizielles Arbeitsverhältnis, und sie können nicht mehr prüfen, ob sie nicht wirklich Vollzeit arbeiten, weil Minijobs ja erlaubt sind.

Wir hatten genau die gleiche Debatte vor zehn Jahren hier im Parlament. Wir haben sie seitdem immer wieder. Bedauerlich finde ich, dass es wenig Veränderung gibt und wie sehr es sich verselbständigt hat, dass es diese Schwarzarbeit gibt. Es wird nicht als Kriminalität empfunden, auch Herr Wegner hat Gründe dafür gesucht. Selbst Herr Wolf hat gesagt, rationales Handeln der Wirtschaft ist dies bis zu einem bestimmten Grad,

[Zuruf des Bm Wolf]

nämlich solange man seine Extraprofite machen kann, bis alle Unternehmen Profite kriegen und nicht mehr anders handeln können. Und Sie haben gesagt, weil so viele es überträten, müsse man sich fragen, ob die Regeln noch stimmten. – Ich muss Ihnen eines sagen, das hat Herr Gysi, Ihr Vorgänger, damals auch gesagt: Wenn jetzt alle Leute andere Leute überfallen, dann müssen wir uns auch nicht überlegen, ob ein Überfall auf Geschäfte oder auf Menschen noch erlaubt ist oder nicht, sondern es ist einfach nicht erlaubt. Sie kämen bei solchen Sachen gar nicht auf die Idee zu sagen, wir müssen jetzt die Regeln ändern, weil sie sowieso jeder übertritt. Das Gleiche könnten wir beim Autofahren auch sagen: Es fährt sowieso keiner 50 km/h in der Stadt, also sollten wir endlich einmal die Regeln ändern, und alle sollen z. B. 70 km/h fahren.

[Dr. Lindner (FDP): Da haben Sie eine Alternative, Frau Oesterheld, sie können 30 oder 60 fahren, aber ein Normalverdiener hat legal die Alternative nicht, weil er das Geld nicht hat! Deshalb hat der Staat ein schlechtes Gewissen!]

Ich glaube, dass die letzte Gesetzesinitiative der Bundesregierung zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung im Gegensatz zu Ihnen sehr genau unterschieden hat zwischen Gewerblichen und Privaten. Das, was wir als private Schwarzarbeit kennen und immer kannten – man nennt es auch private Schwarzarbeit/Schattenwirtschaft – muss man differenzieren in den einzelnen Bereichen. Wenn wir über das Baugewerbe reden, dann wissen Sie ganz genau, dass es nicht darum geht, dass ein Einzelner einen Facharbeiter nicht mehr bezahlen kann.

[Dr. Lindner (FDP): Sondern?]

Da geht es um die Großunternehmen. Haben Sie verfolgt in der Zeit, in der die ganzen Bundesbauten hier gemacht wurden, wie viel Schwarzarbeiter auf den Bundesbauten waren? –

[Dr. Lindner (FDP): Ja!]

[Dr. Lindner (FDP): Okay!]

Als Letztes zu Herrn Wolf: Ich bedauere, dass es wieder eine allgemeine Debatte wurde. Mich würden nämlich viel mehr konkrete Dinge interessieren, die jetzt und hier passieren. Es war auch eine Frage, welche konkreten Änderungen und Möglichkeiten sich aus dem neuen Gesetz ergeben haben. Darauf sind Sie nicht eingegangen.

Nun habe ich viel über die Bauwirtschaft geredet. Wir haben in der letzten Bauausschusssitzung hauptsächlich über das Taxigewerbe geredet. Das gibt es auch in den Pflegeberufen, in der Gastronomie sowieso, in Reinigungsfirmen gibt es das auch schon lange. – Wir haben uns immer für die Chipkarte ausgesprochen. Es mag schwierig sein, aber es ist eindeutig. Diese Chipkarte muss nicht nur für die Bauwirtschaft, sondern auch für die anderen Bereiche gelten.

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Als Letztes: Wenn wir hier in diesem Parlament noch einmal über Schwarzarbeit reden – und ich glaube, das werden wir noch öfter tun –, möchte ich doch genauer wissen, was Berlin betrifft. Die Tariftreueerklärung wird immer hoch gehalten, das fand ich immer gut. Aber ich weiß auch, dass es damals maximal nur zwei Leute bei SenStadt gab, die das überprüfen konnten. Insofern war es mehr ein „Fake“, als dass es Realität hatte. Wenn wir nicht in der Lage sind, solche Sachen durchzusetzen, dann brauchen wir uns damit auch nicht zu rühmen. – Danke!

[Beifall bei den Grünen]

Für Arbeitgeber lohnt es sich insofern wenig, neue Arbeitsplätze anzubieten, als die Lohnnebenkosten und Abgaben in unserem Land viel zu hoch sind, z. B. im verarbeitenden Gewerbe. Bei einem Stundenlohn von 15 € brutto kommen ca. 80 %, in Zahlen: etwa 12 €, Lohnnebenkosten hinzu. Wer soll, wenn er für 15 € jemanden beschäftigen möchte, 27 € hinblättern? Die Überregulierung tut das Ihrige: Berichtswesen, Statistiken, Kündigungsschutzgesetze, das Tarifkartell aus Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften verhindern jegliche Flexibilität.

Die Allgemeinverbindlichkeit – ich bin überrascht, wie Sie das hier interpretieren, gerade mit dem Berliner Bau. Die Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags schreibt vor, dass in Berlin niemand auf dem Bau unter knapp 12,50 € arbeiten darf. Wer von den Bauunternehmen soll das bezahlen, wenn sich woanders, ein paar Meter weiter in Brandenburg, Leute für 10 € verdingen dürfen, zu schweigen davon, wie das durch Schattenwirtschaft oder Billiglohn noch unterlaufen wird? Die regulären Bauunternehmungen können dabei nicht mithalten. Sie sind durch das Verfahren nicht mehr wettbewerbsfähig. Sprechen Sie mal mit denen – Sie tun es ja auch –: Sie haben Probleme, wie sie ihren Laden noch am Laufen halten sollen. Wir sehen die Gefahr, dass die Diskussion über Allgemeinverbindlichkeit zur Abwehr von zusätzlichen illegalen Beschäftigten ein gefährlicher Weg ist, weil wir überzeugt sind, dass er unter dem Strich Arbeitsplätze kosten wird. Die geforderten Summen werden sich über den Preis ausdrücken, und wenn er nicht zu realisieren ist, wird es zu einer Arbeitsplatzverlagerung kommen. Eine Allgemeinverbindlichkeit, um illegale Beschäftigungen einzudämmen, ist der falsche Weg.

Vielen Dank, Frau Kollegin Oesterheld. – Die letzte Wortmeldung kommt von der FDP. Das Wort hat der Herr Kollege Thiel. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Senator Wolf! Ich habe mit großem Interesse vernommen, dass Sie mehrfach Prof. Schneider erwähnt haben, dass Sie ihn auch zitiert haben mit „Schwarzarbeit kommt aus der Mitte der Gesellschaft.“ Da bekam ich ganz spitze Ohren und dachte, Sie als geschulter Dialektiker werden jetzt konsequent weitergehen und versuchen, das Übel an den Wurzeln zu packen und zu fragen: Was ist der Grund, was ist die Ursache? – Leider haben Sie das nicht gemacht.

[Dr. Steffel (CDU): Da müssen wir die Ursachen ansehen!]

So werde ich mir erlauben, ein paar Gedanken, die der Kollege Wegner schon aufgegriffen hat, dazu zu äußern, warum wir uns immer wieder mit dem Phänomen Schwarzarbeit, illegale Beschäftigung oder Schattenwirtschaft beseitigen müssen. Kann es nicht sein, dass eine Ursache schlicht und einfach ist, dass sich jede zusätzliche reguläre Arbeit in unserem Land nicht mehr rechnet?

[Beifall bei der FDP und der CDU – Dr. Lindner (FDP): Richtig!]

Ich will Ihnen das an ein paar Beispielen deutlich machen, dass sie sich nicht rechnet. Sie sagten zu Recht: Zwei Drittel der Wertschöpfung von Schwarzarbeit – nach Prof. Schneider – werden, wie Sie das so nett formuliert haben, von „Nebenerwerbsschwarzarbeitern“ erbracht, also Menschen, die Beschäftigung haben oder selbstständig sind. Warum tun sie das denn? – Sie tun es einfach deswegen, weil wir heute eine Steuer- und Abgabenlast haben, die durchschnittlich bei über 50 % liegt. Sie tun es deswegen, weil sie rechnen können und sagen: Wir haben eine Grenzabgabenbelastung, die bei 63,8 % liegt, ja, warum sollte ich für den Rest regulär eine Stunde mehr arbeiten, wenn ich bei meinem Nachbarn mehr verdienen kann? – Es gibt keine Motivation für zusätzliche reguläre Arbeit.

Hinzu kommt – es wurde mehrfach angesprochen –, dass zwei Drittel der Menschen Schwarzarbeit als Kavaliersdelikt ansehen. Herr Hillenberg, damit können wir uns nicht abfinden.

[Hillenberg (SPD): Ja!]

Das hat eine Werteveränderung zur Folge. Wir haben das gleiche Problem bei der Steuer, wer die Steuer „behumpst“, ist ein ehrenwerter Mann oder clever. Das geht nicht, damit gehen wir zu Grunde. Wir müssen also sehen, dass wir mehr Verantwortung vorleben und gleichzeitig wieder einfordern können. Ich glaube, es gibt zurzeit trotz des Hartz-IV-Gesetzes wenig Grund für ArbeitslosengeldII-Empfangende, unbedingt einen Minijob anzunehmen, denn – es wurde vorhin schon an anderer Stelle darüber gesprochen – die geringen Zuverdienstmöglichkeiten von 15 % reißen einen wirklich nicht vom Hocker. Also ist es doch viel besser, gerade hier in Berlin, wenn ich Alg II

und keinen Minijob bekomme, muss ich auch keinen EinEuro-Job machen und habe wenigstens für fast das gleiche Geld freie Zeit. Etwa 40 % der Arbeitslosengeld-IIEmpfangenden haben keinen Berufsabschluss. Was heißt das in Zahlen? – Wenn ich auch nur annähernd die gleiche Summe, die ich bei Arbeitslosengeld II empfange, auf dem normalen Arbeitsmarkt verdienen möchte, muss ich 1 200 € brutto bekommen. Wer soll 1 200 € brutto für jemanden bezahlen, der bestenfalls an- und ungelernte Tätigkeiten ausüben kann? – Das gibt der Markt nicht her. Hinzu kommt, dass der Zuverdienst, das Abstandsgebot, schlicht und einfach zu gering ist.

[Beifall bei der FDP]

Ich finde es niedlich, wie toll Sie alle das mit dem „Chippen“ finden. Wenn das nicht so ernst wäre, könnte man Witze darüber machen. Ich lasse es lieber. Aber eines muss klar sein: Auch ganz legal ausgewiesene Mitarbeiter eines Unternehmens, die mit ihrer Chipkarte durch die Gegend laufen, werden, wenn sie zu Ihnen in die Wohnung kommen, um sie zu renovieren, als erstes fragen: Wie ist das, mit oder ohne Rechnung? Mit oder ohne „Märchensteuer“? – Und dann sagen Sie: Selbstverständlich ganz legal! – Gut, dann bekommen Sie eine kleine Rechnung, den Rest machen wir so. – Das ist doch der Alltag! Ob ich eine Chipkarte habe oder nicht, das ändert es nicht.

Danke schön, Herr Kollege Thiel! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Große Anfrage ist damit begründet, beantwortet und besprochen.

Ich will versuchen, einige Antworten zu geben, in welche Richtung man nach unserer Auffassung Änderungen herbeiführen müsste. Wenn es stimmt, dass sich reguläre zusätzliche Arbeit nicht mehr lohnt, müssen wir durch eine umfassende Steuerreform den Schritt gehen, dass alle Menschen, die Steuern zahlen, netto wieder mehr in der Tasche haben. Das betrifft jeden einzelnen von uns, aber Unternehmerinnen und Unternehmer genauso.

[Dr. Rogall (SPD): Das Geld kommt dann aus der Luft geflogen?]

Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Es kann nicht sein dass in der Perspektive Krankenkassen, Renten, Pflegeversicherung, Arbeitslosengeld mit dem Faktor Arbeit gekoppelt werden. Das geht vor die Wand. Hier brauchen wir eine längerfristige, aber vernünftige Umstellung.

[Beifall des Abg. Dr. Steffel (CDU)]

Danke, Herr Steffel! – Wir brauchen Reformen des Kündigungsschutzgesetzes. Wir fordern: Bis 50 Personen gesetzliche Kündigung, keine weiteren Eingriffe. Wir brauchen Reformen im Betriebsverfassungsgesetz, im Tarifvertragsgesetz, dahin gehend – der Antrag von uns liegt Ihnen vor –, dass es betriebliche Bündnisse für Arbeit gibt, dass Betriebe entscheiden dürfen.

[Beifall bei der FDP]

Wir brauchen gerade im Hinblick auf die gering Qualifizierten eine stärkere Lohndifferenzierung nach Qualifikation, nach Sektoren und Regionen. Gering Qualifizierte haben nur dann eine Chance, wenn man ihnen die Tür zum ersten Arbeitsmarkt öffnet. Alles andere lässt sie permanent außen vor, und das wollen wir nicht, das ist unsozial.

[Beifall bei der FDP]

Bei Hartz IV möchten wir gern – auch das haben wir heute in einem Antrag vorgelegt, und wir sind gespannt auf die Beratungen in den Ausschüssen – eine Experimentierklausel. Wir möchten, dass die Freibeträge durch Einstiegsgelder erhöht werden, damit ein höherer Anreiz besteht, sich auch selbst um Arbeit zu kümmern, und wir wollen gleichzeitig die Senkung der Regelsätze, wie es im alten BSHG vorgesehen war, bis zu einem Drittel, zugleich bei einer Erhöhung der Zuverdienstmöglichkeiten.

[Beifall bei der FDP]

Ein sinnvoller Beitrag gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung, gegen Schattenwirtschaft, ist es, dass sich die reguläre Arbeit in diesem Lande wieder lohnt. Das hat nichts damit zu tun, dass bestimmte Maßnahmen, die Sie, Herr Senator, im Hinblick auf Verfolgung gerade von mittlerweile schon gewerbsmäßi-ger illegaler Beschäftigung dargestellt haben, unsere volle Unterstützung finden. Wir gehen so weit, zu sagen, wer gewerbsmäßig illegale Beschäftigung betreibt oder nachfragt, handelt in der Form von organisierter Kriminalität. Das dulden und

wollen wir nicht, aber wir meinen, um einen Schritt weiter zu kommen: Wir müssen dem Übel an die Wurzel gehen, und die Wurzel ist, dass reguläre Arbeit in diesem Land zu teuer geworden ist. Also machen wir sie wieder lohnend für jeden Einzelnen von uns! – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Die lfd. Nrn. 12 bis 14 sind bereits durch die Konsensliste erledigt, das heißt, diese drei Großen Anfragen sind vertagt.

Lfd. Nr. 15:

Bericht

Elfter Tätigkeitsbericht des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR 2004