Protokoll der Sitzung vom 02.06.2005

weil im Gegenzug auf einen detaillierten und spezifischen Ausschlusskatalog verzichtet worden ist. – Ich sage es hier nicht!

Drittens haben wir den direktdemokratischen Einfluss nur in der Frage auf die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger beschränkt, wo es wahlrechtlich erforderlich ist. Alle anderen Möglichkeiten, die Einwohnerfragestunde, der Einwohnerantrag usw., sind für alle hier lebenden Einwohnerinnen und Einwohner offen.

Im Zusammenhang mit der Stärkung der Bürgerbeteiligung fördern die rot-rote Koalition und ihr Senat auch ein Projekt, das inzwischen bundesweit weitaus mehr Aufmerksamkeit erlangt hat, als es in Berlin der Fall zu sein scheint, die Einführung von Bürgerhaushalten für 2006 bzw. 2007. Federführend im Bezirk Lichtenberg und begleitet vom Bezirk Marzahn-Hellersdorf

beginnen im Herbst viele Bürgerforen vor Ort, wo die Rahmenbedingungen des kommenden Haushalts mit den gestaltungspolitischen Erfordernissen in Relation gesetzt werden. Die Einwohnerinnen und Einwohner werden im Ergebnis maßgeblich und direkt Einfluss auf die haushaltspolitischen Prioritätensetzungen haben. In Lichtenberg werden z. B. alle finanziellen Mittel, die als Investition in den Bezirk fließen, also auch aus Sonderfonds, bzw. direkt an bestimmte Träger gehen, offen gelegt werden. So kommt eine bedeutende Summe von über 20 Millionen € zu Stande, über deren Verwendung die Bevölkerung beraten kann. In insgesamt sieben Bezirken wurde der Haushalt inzwischen transparent dargestellt, mit Postwurfsendungen, Zeitungsbeilagen und im Internet, so dass die Debatten im Bewusstsein der Problemlagen geführt werden können. Herauskommen wird zwar nicht mehr Geld für den Bezirk, aber es wird ein bedarfsgerechterer Haushalt entstehen, und – das zeigen alle Erfahrungen, die es mit den Bürgerhaushalten gibt, international wie national – es wird ein weitestgehend akzeptierter Haushalt sein. Und hinsichtlich der politischen Entscheidungskultur wird ein völlig neuer Schritt gegangen, indem die Bezirksverordneten auf ihr Privileg verzichten, Haushaltsfragen, die bislang als eine unantastbare Domäne der Haushaltspolitikerinnen und -politiker galten, abgeschottet zu behandeln.

Worin besteht die qualitative Verbesserung, ja der qualitative Bruch in der politischen Entscheidungskultur? – Er besteht erstens darin, dass wir die Bevölkerung einladen, sich einzubringen und ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. Es wird ihr nicht etwas, noch dazu streng konditioniert, gestattet, sondern sie wird aufgefordert, es zu tun. Über alles, worüber die BVV abschließend entscheiden kann, sollen in Zukunft grundsätzlich auch die Bürgerinnen und Bürger entscheiden können. Es gibt kein Themenfeld, das der direkten Demokratie generell entzogen ist, es sei denn, bundes- und landesrechtliche Regelungen stehen dem entgegen. Allerdings liegt hier auch das einzige Problem, dessen inhaltliche Klärung zwischen den Beteiligten noch nicht abgeschlossen ist. Ursprünglich glaubten wir, dass die Generalklausel, wonach die direkte Demokratie bundes- und landesrechtlichen Regelungen nicht entgegenstehen darf, ausreichend sei. Nun wurden in Anhörungen, in den Beratungen des Senats und des Rats der Bürgermeister erhebliche Zweifel daran geäußert, dass diese Ausschlussklausel zur Rechtssicherheit beitrüge. Es wurde gefordert, deutlich zu machen, dass die letztendliche Entscheidung über den Bezirkshaushalt sowie über den Erlass der Rechtsverordnung über die Feststellung der bezirklichen Bebauungspläne der BVV übertragen bleiben müssen, weil es durch Landes- und Bundesrecht so geregelt ist. Keinen Zweifel gibt es, dass es im Verfahren, das mit dem Haushaltsbeschluss bzw. der Festsetzung des B-Plans endet, viele Möglichkeiten des bürgerschaftlichen, direkten demokratischen Einflusses geben soll. Wir haben uns inzwischen in Bayern, Hamburg, Hessen und Thüringen sowie beim Bundesbauministerium erkundigt. In diesen vier Bundesländern sind die B-Pläne nämlich nicht ausdrücklich von der direkten Demokratie ausgeschlossen. Auch dort ist ausgeschlossen, dass die offizielle Rechtsetzung über die Festsetzung eines B-Plans außerhalb der Gemeindevertretung geschieht. Sie haben aber den Gesamtprozess, das Verfahren als solches, nicht ausgeschlossen, weil sie nicht wollten, dass das gesamte Verfahren – auch jeder einzelne vorbereitende Schritt – der direkten Demokratie entzogen wird. In diesem Sinne muss es auch in Berlin eine Einigung geben können.

Ein zweiter Grundsatz, von dem wir ausgingen, war, dass diejenigen, die hingehen, auch entscheiden können. Deshalb haben wir die Beteiligungsquoren sehr moderat gehalten und auf gesonderte Zustimmungsquoren verzichtet. Die einfache Mehrheit entscheidet. Nur dann, Kollege Henkel – das ist die Philosophie, die angesichts einer wachsenden Politikverdrossenheit dahinter steht –, wenn garantiert ist, dass ich eine reelle Chance zur Entscheidung habe, wird die Beteiligung von Mal zu Mal erweitert. Das wollen wir doch, nehme ich an, alle gemeinsam.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Verschiedene Kritiker meinen, dass die 15 % Beteiligungsquorum zu hoch seien. Das finden wir auch. Wir waren bekanntlich mit einem Vorschlag von 5 % gestartet, haben uns im Ergebnis der Koalitionsverhandlungen auf vernünftige 10 % geeinigt und haben dann dem Kompromiss 15 % in der Arbeitsgruppe zugestimmt,

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Wer wollte das eigentlich?]

[Heiterkeit bei der PDS, der SPD und den Grünen]

Der Koalitionspartner war es nicht, Frau Klotz!

[Beifall der Frau Abg. Dr. Hiller (PDS)]

Doch damit ist das Projekt „Mehr Demokratie – Bürgerbeteiligung stärken“ nicht abgeschlossen. Wir werden noch in dieser Legislaturperiode das aktive bezirkliche Wahlalter auf 16 Jahre senken. Und auch hier zeichnet sich ab, dass das ein Gemeinschaftsprojekt werden kann. Meine Partei wäre auch dafür offen, das mit einer Änderung des Wahlsystems zu verbinden, nämlich jeder Wählerin und jedem Wähler beispielsweise drei Stimmen zu geben, die auf eine Kandidatin und einen Kandidaten ab

Die Charité schlittert in einen Arbeitskampf hinein, und Sie haben keinerlei Idee, wie Sie das Nebeneinander von Vivantes und Charité lösen sollen. Und dann präsentieren Sie uns einen Vorschlag von einem Reformgesetz, das ausreichend hier im Hause diskutiert worden ist – wir haben es im Plenum besprochen, wir haben es in den letzten zwei Jahren in verschiedenen Runden besprochen, wir haben es ausführlich im Innenausschuss besprochen –, und es wurde ganz unaufgeregt in der Stadt angenommen. Schauen Sie in die Zeitungen! Positive Bewertungen, alles wunderbar! Keiner hat ein Problem damit!

Und wenn ich mich hier im Hause umschaue – auf den Senatsbänken, in den Reihen –, dann sehe ich, dass es wohl selbst hier kaum ein Interesse an dem Thema gibt. Aber ich sage Ihnen, es wird Ihnen nicht gelingen, die anderen Themen von der politischen Agenda zu streichen.

gegeben, die aber auch auf mehrere Listen gesplittet werden können – also mit Kumulieren und Panaschieren. So werden in den meisten Bundesländern die kommunalen Wahlen durchgeführt. Und auch am 6. Mai 1990, bei den einzigen freien Wahlen in der DDR, wurden die Bezirksverordnetenversammlungen und die Stadtverordnetenversammlung in Ostberlin genau so gewählt. Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass die innerparteilichen Kungelrunden bei der Aufstellung von Listen relativ wirkungslos blieben, weil die Wählerinnen und Wähler Leute wählen würden, die durch ihr Engagement in der Gesellschaft besonders anerkannt sind. Das würde auch den Druck auf manchen Bezirksverordneten erhöhen, sich während der Legislaturperiode besonders zu engagieren.

Die Koalition hat auch vor, noch in dieser Legislaturperiode nach den bezirklichen Regelungen die gesetzlichen Vorgaben für Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid auf Landesebene im Sinne der Bürgerinnen und Bürger deutlich zu verbessern. Auch hier müssen wir an die grundlegende Korrektur der vielfältigen Ausschlussgründe herangehen, auch hier müssen die Quoren deutlich gesenkt werden, und auch hier muss es bedeutende Verfahrensvereinfachungen geben. Zu einem solchen Vorgehen gibt es einen klaren politischen Willen aller vier Parteien, die die Gesetze zur Einführung bezirklicher Bürgerentscheide erarbeitet haben.

Zum Schluss frage ich noch eins – weil Herr Henkel es auch noch einmal erwähnt hat: Liegt mit einer solchen Demokratisierung politischer Entscheidungsprozesse eine Entmachtung der repräsentativen Demokratie vor? – Das wird des Öfteren behauptet. Unsere Antwort ist klar, die Erfahrungen sind klar: Nein. Das Gegenteil ist der Fall. Je mehr die Politik die Gesellschaft als souverän ansieht, behandelt und vor allem so respektiert, desto stärker und akzeptierter wird die repräsentative Demokratie. Daran sollten wir uns halten. – Danke schön!

[Beifall bei der PDS und der SPD]

Danke sehr! – Für die Fraktion der Grünen hat nunmehr der Abgeordnete Ratzmann das Wort! – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Bemerkung, bevor ich zum Thema komme: Ich rede gern, ich rede auch gern ausführlich über die direkte Demokratie. Und ich finde, dass man angesichts der politischen Lage auch sehr gut darüber reden kann. Aber dass Sie uns angesichts der politischen Lage in der Stadt heute dieses Thema aufzwingen, ist skandalös.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP – Doering (PDS): Sie hätten ja nicht zu reden brauchen!]

Sie schmeißen ein Kitareformgesetz in den politischen Ring, der die eigenen SPD-Parteitagsbeschlüsse Lügen straft. Nichts mit vorschulischer Bildung, sondern Verwahranstalt für Kinder von Vollzeitarbeitnehmern!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP – Richtig! von der FDP]

Die BVG steht vor einer Urabstimmung und einem Streik, und Sie haben kein einziges Konzept, wie die Nahverkehrsbetriebe in Berlin wirksam und mit dem Vertrauen der Mitarbeiter in die Zukunft geführt werden sollen.

[Klemm (PDS): Zur Sache!]

[Doering (PDS): Schön! – Liebich (PDS): Positive Sachen sind wohl verboten!]

Und Sie schieben einfach alles, was diese Stadt bewegt, mit der Aktuellen Stunde beiseite!

[Liebich (PDS): Das wollen wir gar nicht! – Doering (PDS): Herr Wolf hat dazu etwas gesagt!]

Sie werden sich genau dem Fehlverhalten, das Sie in der politischen Wirklichkeit an den Tag legen, stellen müssen.

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Dr. Lindner (FDP): Sehr richtig! – Doering (PDS): Unsere Regierung tritt dafür nicht zurück!]

Wir wollen mehr Demokratie wagen. Berlin will mehr Demokratie wagen. Wir wollen in den Bezirken damit anfangen. Das ist der Gehalt dieses Gesetzentwurfs, der von vier Fraktionen eingebracht wurde. Aber ich verspreche Ihnen für meine Fraktion: Das war nur die Ouvertüre. Jetzt geht es richtig los. Wir wollen gern, dass auf Landesebene auch Konsequenzen folgen

[Dr. Zotl (PDS): Das wollen wir auch, das wissen Sie doch!]

und dass die Hürden, die sich in der letzten Zeit allfällig gezeigt haben, endlich angegangen werden und dass die Verfassung entsprechend geändert und angepasst wird. – Herr Liebich hat eine Zwischenfrage, die ich gern zulasse.

Dann haben Sie auch das Wort, Herr Liebich!

Natürlich kostet das Geld. Dieses Geld müssen wir in die Hand nehmen. Und auch damit dürfen wir die Bezirke nicht allein lassen, sondern müssen es auch mit auf die Landesebene ziehen. Und wir müssen klar machen, dass wir die Beteiligung der Bevölkerung nicht allein im Wahlakt haben wollen, sondern auch im laufenden Geschäft. Das ist die Essenz von Demokratie. Und die wollen wir auf der Landesebene in Gang bringen.

Wir haben uns mit vier Fraktionen auf einen Gesetzentwurf geeinigt. Nur die CDU ist ausgestiegen. – Die hetzt lieber in Reinickendorf die Bevölkerung auf, ohne dass sie selbst ein gangbares Konzept hat, wie mit der ambulanten Therapie von Sexualstraftätern umgegangen werden soll. Aber darüber werden wir später noch sprechen. – Wir haben uns auf einen Basisentwurf verständigt, der aus meiner Sicht die richtigen Fragen thematisiert und die richtigen Weichenstellungen vorgibt, um in den Bezirken tatsächlich mehr Partizipation und mehr Beteiligung der Bevölkerung zu ermöglichen. Wir haben Quoren gefunden – darauf ist bereits hingewiesen worden –, die bei 15 % der Wahlberechtigten liegen, um einen Bürgerentscheid tatsächlich durchführen zu können, beziehungsweise bei 7,5 % plus ein kleines X, um ihn mit Mehrheit umzusetzen. Dieses Quorum hätten wir Grüne uns niedriger gewünscht. Wir gehen davon aus, dass 10 % reichen, was auch der Bundesdurchschnitt zeigt. Wir werden sehen müssen, wie hoch wir die Hürde gelegt haben und ob wir gegebenenfalls später eine Korrektur vornehmen müssen.

Zum Thema „Jetzt geht’s richtig los!“ wollte ich fragen, wieso es eigentlich nicht gelungen ist, Volksabstimmungen auf Bundesebene zu ermöglichen.

[Beifall bei der FDP]

Herr Liebich! Wir haben keinen Zweifel daran gelassen,

[Doch! von der PDS]

dass wir genau diese Volksbegehren in allen Fragen, auch wenn Sie auf das Referendum zur europäischen Verfassung anspielen, zulassen wollen. Das ist nicht das Problem. Wir wollen diese Diskussion führen. Wenn ich sage, wir machen ernst, dann sage ich auch, wir machen mit diesem Thema auch auf Bundesebene ernst.

[Zurufe von der PDS und der FDP – Doering (PDS): Das haben Sie in acht Jahren etwas verschnarcht!]

Wir werden es weiter vorantreiben. Aber Sie haben einen Koalitionsvertrag, in dem steht, dass Sie das in Berlin einführen wollen.

[Liebich (PDS): Machen wir auch!]

Sie haben sogar die Zustimmung von zwei weiteren Fraktionen auf dieser Ebene – die FDP hat es auf ihren Parteitagen beschlossen, für uns gehört es quasi zum Gründungskonsens –, und jetzt können wir das auch tun. Dann zeigen Sie doch, dass Sie ernst machen wollen.

[Liebich (PDS): Machen wir auch! – Doering (PDS): Worüber reden wir denn?]

Herr Doering, wir hören die Worte wohl. Ich hoffe, dass alles mitgeschrieben wird. – Wir können das bis zum Ende dieser Legislaturperiode realisieren. Sie wissen wie ich, dass solch eine Änderung der Volksgesetzgebung in der Berliner Verfassung einer Zustimmung des Berliner Volkes bedarf. Das können wir mit dem Wahltermin im Jahre 2006 wunderbar verwirklichen. Lassen Sie uns loslegen! Lassen Sie uns, sobald wir es abgeschlossen haben, und das wollen wir auf der Bezirksebene, genau dieses Projekt anpacken. Dann werden wir sehen – was wir in der letzten Zeit analysieren konnten –, dass die Volksgesetzgebung, die auf der Landesebene wirklich eine ist, tatsächlich auch reformiert wird.

Wir wollen das, und wir sind es den Bezirken auch schuldig. Wir sind es ihnen schuldig, weil wir ihnen gesagt haben, wir lassen sie mit dem, was wir in den Bezirken durchsetzen wollen, nicht allein. Wir wissen, dass Demokratie manchmal mühsam ist, und wir wissen, dass direkte Demokratie manchmal mühsam ist. Das erleben wir gerade auf der europäischen Ebene. Wir kommen in Konflikte, wenn das Volk nicht nur am Wahltag sein Kreuzchen setzt, sondern uns auch einmal im laufenden politischen Alltag sagt, was noch goutiert wird und an welchen Stellen es sich ablehnend verhält. Genau das haben die Franzosen gemacht, genau das haben die Niederländer gemacht, und jetzt müssen wir uns mit der Situation auseinander setzen. Genau das wird auch in Berlin