Protokoll der Sitzung vom 02.06.2005

Sorry! Deswegen ziehe ich mir nicht den Schuh an, als Alibimädchen nach vorn geschickt zu werden.

[Beifall bei der SPD und der PDS]

Danke schön, Frau Kollegin Tietje! – Wir setzen fort. Das Wort für die Fraktion der CDU erhält der Kollege Kaczmarek. – Bitte sehr!

[Gaebler (SPD): Jetzt wird es spannend!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Machen Sie sich mal keine Sorgen über die Bundestagswahl,

[Ha, ha! von der SPD – Zurufe von der PDS]

wir pflegen mit der FDP eine konstruktive, aber offene Partnerschaft und sagen uns manchmal die Meinung. Das gehört auch dazu. Aber machen Sie sich keine Hoffungen, der September wird für Sie kein freudiger Herbstmonat,

[Brauer (PDS): Sie kennen die letzten Umfragen noch nicht!]

das kann ich Ihnen schon jetzt sagen.

[Beifall bei der CDU]

Ich kann es mir natürlich nicht verkneifen, wenn die Frau Kollegin eben sagte, dass die FDP nun Herrn Sarrazins Sanierungspolitik der BVG unterstütze, dann frage ich mich erstens: Welche Sanierungspolitik eigentlich? – Dann sage ich mir: Wer solche Freunde hat, der braucht vielleicht keine Feinde mehr. Aber das nehmen wir einfach einmal zur Kenntnis. Wahrscheinlich unterstützt die FDP Herrn Sarrazin an vielen Stellen eher, als die SPD das tut. Das mag so sein, vielleicht wechselt er ja auch noch irgendwann einmal die Partei. Das werden wir sehen.

Das ist aber alles nicht das Thema der Besprechung, wie ich es verstanden habe, sondern es ging um im Grunde zwei verknüpfte Fragen. – Die erste grundsätzliche

Kommen wir aber zu der interessanteren Frage: Was ist das Zukunftsmodell für die BVG? – Lieber Herr Gaebler, ich habe auch mit Interesse von Herrn von Lüdeke gehört, dass Mehdorns Monopolbahn sozusagen das leuchtende Beispiel für die BVG sein soll. Da muss ich allerdings auch sagen, lieber Herr von Lüdeke, darüber reden wir dann noch einmal in einer neuen Koalition,

denn das kann nicht wirklich das Modell sein, wenn ich sehe, wie die S-Bahn – einst ein blühender Betrieb – in den letzten Jahren heruntergewirtschaftet wurde und mittlerweile doch ein eher trauriges Bild abgibt. Ich glaube nicht, dass Mehdorns Politik an der Stelle ein Vorbild sein kann. Ich glaube, die Lösungen sind gar nicht so schwierig. Die BVG kann als kommunales Unternehmen erhalten bleiben. Sie kann im Wettbewerb bestehen, wenn man die Weichen jetzt richtig stellt und wenn Herr Sarrazin aufhört, durch sein halsstarriges und brachiales Verhalten Widerstände aufzutürmen, die eigentlich gar nicht da sind. Dann hätte man es mit einer durchaus kompromissbereiten Arbeitnehmerschaft zu tun und – wie ich glaube – auch mit kompromissbereiten Gewerkschaften, schließlich auch mit konstruktiver Opposition hier im Parlament. Nennen Sie es, wie Sie wollen: runder Tisch, eckiger Tisch oder was auch immer.

Wir sind gerne bereit, an einer Zukunftskonzeption für die BVG mitzuwirken. So einfach, dass man sagt: Noch einmal 5 % weniger, und das ist dann schon die ganze Lösung –, das kann es nicht sein. Die PDSWolkenkuckucksheime, der Wettbewerb komme schon nicht, man könne das alles irgendwie mit einer marktorientierten Direktvergabe vermauscheln, wo man alles nicht so genau betrachten müsse, werden auch nicht reifen. Schauen wir den Gegebenheiten getrost ins Gesicht! Ich glaube, wir können eine gemeinsame Lösung finden. Man muss bloß von seinen ideologischen Positionen herunterkommen. Es wäre schön, wenn die Koalition dies täte. – Herzlichen Dank!

Frage ist: Wie sieht die Zukunft der BVG aus? – Das haben wir hier nicht weniger als – glaube ich – zwanzig Mal besprochen. Ich fürchte auch nach den ersten beiden Redebeiträgen, dass sich der Nebel, der über dem Zukunftsbild der BVG liegt, in den letzten Minuten für mich noch nicht ganz gelichtet hat. Ich konnte noch nicht erkennen, was der Senat, was die Regierungsmehrheiten eigentlich mit der BVG vorhaben. Vielleicht klären Sie das ja noch irgendwann einmal. Auch aus dem Beitrag der FDP bin ich nicht schlau geworden.

Die zweite Frage ist: Wie geht man mit einem Streik um? – Der Streik ist ein durchaus legitimes Mittel der Arbeitnehmer, sich in einer Tarifauseinandersetzung zur Wehr zu setzen. Man kann die Frage stellen, ob es an dieser Stelle sinnvoll ist. Natürlich ist ein Streik ein Imageproblem für den öffentlichen Personennahverkehr. Es bringt die BVG in den Geruch der Unzuverlässigkeit, und bestraft werden diejenigen, die BVG fahren, die auf die BVG angewiesen sind. Deswegen sollte so etwas die Ultima Ratio sein und nichts sonst. Die Frage ist sicher zu stellen – wir haben das öffentlich schon mehrfach getan –, ob das bereits in dieser Situation angebracht ist. Ich bin unverändert der Auffassung, der Verhandlungstisch ist hier die bessere Variante.

Auf der anderen Seite: Die FDP verlangt ja einiges an Krisenvorbereitung und Krisenmanagement. Mir fehlte eigentlich in dem Antrag nur noch der Einsatz von UNOTruppen und die Bildung eines multinationalen Krisenstabes. Man könnte mit den Erfahrungen, die wir mit Verkehrsstreiks in den vergangenen Jahren gemacht haben, auch sagen: Stell dir vor, es ist Streik, und keiner merkt etwas davon. – Das ist ja leider oder Gott sei Dank so, dass die Menschen dieser Stadt sich sehr schnell auf derartige Gegebenheiten einstellen. Ich kann mich an einen längeren Streik in den 90er Jahren erinnern, wo es die Menschen in der Stadt sehr gut verstanden haben, auf die BVG zu verzichten, mit Fahrgemeinschaften, mit dem Fahrrad, wie auch immer, zu ihren Arbeitsplätzen, zu ihren Zielen in der Stadt zu gelangen. Das geht sicher eine Zeit lang, ohne dass die Stadt zusammenbricht. Die BVGGeschäftsleitung und den Finanzsenator wird es freuen, denn jeden Tag, den die BVG nicht fährt, spart man richtig Geld, denn es wird kein neues Defizit aufgehäuft. Das kann allerdings nicht Sinn einer solchen Aktion sein. Deswegen sollten wir nicht in Panik verfallen, sondern ruhig und mit Gelassenheit abwarten, wie sich diese Auseinandersetzung entwickelt, darauf hoffen, dass es am Verhandlungstisch eine vernünftige Lösung gibt. Ich sehe jedenfalls keine Notwendigkeit für umfangreiches Krisenmanagement an dieser Stelle.

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Kollege Kaczmarek! – Nun folgt die PDS. Frau Kollegin Matuschek hat das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kaczmarek! Weder die S-Bahn noch die BVG sind heruntergewirtschaftet.

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Beide Unternehmen sind leistungsfähig und erbringen hervorragende Leistungen für die Sicherung eines zuverlässigen und qualitativ hochwertigen Nahverkehrs in Berlin.

[Beifall bei der PDS und der SPD – Kaczmarek (CDU): Wann sind Sie zum letzten Mal S-Bahn gefahren?]

Was die CDU für Pläne mit der BVG hat, haben Sie heute freundlicherweise in der Begründung Ihres Vorschlags für die Aktuelle Stunde gesagt: Abwerfen der Lasten des öffentlichen Dienstrechts, Strukturen und Kosten wie bei privaten Unternehmen, die BVG für private Beteiligungen attraktiv machen. – Was ist das anderes als die Vorbereitung einer Privatisierung? – Weg mit dem Tarif des öffentlichen Dienstes, das ist Ihr Plan für die BVG. Schön, dass Sie das endlich offen gelegt haben!

Verhandlungen sind zu führen, Eskalationen müssen unterbleiben. Wir sind sicher, dass es zu einer einvernehmlichen Lösung kommen wird. Im Übrigen gibt es zwei Sicherheiten für die Beschäftigten der BVG wie für die Fahrgäste und die Berlinerinnen und Berliner für ihr kommunales Unternehmen: Das ist der neue Tarifvertrag, und das ist Rot-Rot, denn die rot-rote Koalition ist die einzige, die eine Privatisierung verhindert.

Danke schön, Frau Kollegin Matuschek! – Für die Grünen erhält nunmehr Frau Kollegin Paus das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte FDP! Auch mich hat gewundert, die FDP ruft den Notstand aus im Land Berlin. Wie kann es sein, dass die FDP den ÖPNV, die BVG für so unersetzlich in dieser Stadt hält? – Das finden wir erst einmal erstaunlich. Das finden wir auch erst einmal erfreulich. Wir regen an, richten Sie Ihre sonstige Verkehrspolitik darauf aus. Sie haben es in dem Antrag ein bisschen versucht. Man merkt schon, Sie sind da noch sehr im Versuchsstadium, dass Sie sich Fahrradfahren nur so vorstellen können, dass es überall in der Stadt auch bewachte Fahrradplätze gibt. Das fand ich sehr interessant und bezeichnend für die FDP. Aber, liebe FDP, unterschätzen Sie nicht die Gelassenheit und die Flexibilität der Berlinerinnen und Berliner! Es ist erstaunlich, wie Sie ansonsten immer dem Markt und der Eigenverantwortung der Menschen vertrauen, aber hier ganz klar auf sozialistische Planwirtschaft mit Sammeltaxis setzen. Das brauchen wir in dieser Stadt nicht. Es fehlte noch, dass Sie gleichzeitig die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes als Rikschafahrer zwangsverpflichteten.

Die FDP macht mir nun Freude. Sie sprechen pausenlos davon, die BVG im Ganzen oder in Teilen erst zu zerschlagen, dann zu privatisieren oder erst zu privatisieren und dann zu zerschlagen – je nachdem. Aber wenn die BVG einmal sechs Stunden lang nicht fährt, dann schreien Sie gleich: Oje, Panik, wir brauchen ein Notprogramm. – Und dann kommen Sie auf so schillernde Ideen wie quasi Verstaatlichung des Taxigewerbes durch zwangsweise Einführung, für 2 € durch die ganze Stadt zu fahren, und Bewachung – wahrscheinlich durch Militär – von Fahrradabstellplätzen.

[von Lüdeke (FDP): Lächerlich!]

Hervorragende Ideen! Wer so viel Angst vor einem Verschwinden der BVG aus dem Berliner Nahverkehrsmarkt hat, der sollte sich doch überlegen, an der BVG festzuhalten.

[Beifall bei der PDS und der SPD – von Lüdeke (FDP): Sie haben das falsch gelesen!]

Wir sagen klar: Wenn die Beschäftigten und ihre Gewerkschaft nach Abwägung aller Belange zu dem Schluss gekommen sind, dass ein Streik das Mittel sei, ihre Interessen deutlich zu machen, so ist das ihr gutes Recht, das wir als PDS den Gewerkschaften und den Beschäftigten in keiner Weise absprechen. Die Abwägung, ob dieses Mittel zur Anwendung kommt, ist Sache der Beschäftigten und der Gewerkschaften. Alle Beteiligten, die Streikenden wie die Betroffenen und diejenigen, die in Entscheidungsprozesse eingebunden sind, haben für sich und miteinander zu klären, wie mit dieser Interessenbekundung umzugehen ist und wie man selbst darauf reagiert. Der Streik hat nach meiner Meinung drei Dinge klar gemacht: 1. Die Beschäftigten der BVG stehen zu ihrer Gewerkschaft. 2. Sie sind bereit, Einkommensverluste für die Bestandssicherung des kommunalen – nicht eines anderen – Verkehrsunternehmens BVG hinzunehmen. 3. Die Fahrgäste und die Bürgerinnen und Bürger Berlins halten diese Interessenbekundung für legitim. Dank guter Informationspolitik haben sie sich auf den Streik ohne Probleme eingestellt.

Warum braucht die BVG einen neuen Tarifvertrag? – Das ist schon so oft gesagt worden: weil das alte Tarifrecht nicht nur in der Kostenbilanz zu hoch ist, um einem durchschnittlich gut geführten Unternehmen vergleichbar zu sein. – Was ist ein durchschnittliches Unternehmen? – Es ist nicht das private oder nur das kommunale Tarifniveau. Ein durchschnittliches Unternehmen liegt irgendwo dazwischen. Das ist der eine Aspekt, warum ein neuer Tarifvertrag abgeschlossen werden muss. Der zweite und genauso wichtige Aspekt ist: Durch ein neues, entschlacktes Tarifrecht sind weitere Effizienzsteigerungen in der wirtschaftlichen Tätigkeit der BVG möglich und nötig. Nur mit diesem neuen Tarifrecht ist das tatsächlich möglich, was wir als Rot-Rot vorhaben, nämlich eine – wie es so schön heißt – marktorientierte Direktvergabe, eine weitere Betrauung der BVG mit dem Nahverkehr in Berlin ohne Ausschreibungsverfahren, wie es das europäische Gerichtsurteil möglich macht. Das heißt aber auch im

Klartext: Es geht nicht nur um die Personalkostenstrukturen. Es geht um die gesamten Kostenstrukturen des Unternehmens. Das sind die Personalkosten, das sind auch die Betriebskosten, die Sachkosten, auch die Entwicklung der Fahrpreise, der Zinskosten. Das alles muss zu einem Gesamtpaket geschnürt werden. In der Summe kommt ein durchschnittlich geführtes Unternehmen heraus, das sich mit anderen Unternehmen vergleichen muss. Davor muss die BVG im Übrigen keine Angst haben, weil der bisherige Sanierungsfortschritt schon eine gute Grundlage dafür gegeben hat.

[Beifall bei der PDS und der SPD]

[Beifall bei den Grünen – Zurufe von der PDS]

Doch über den eigentlichen Kern Ihrer beiden Anträge möchte ich gar nicht persiflierend hinweggehen. Er ist überhaupt nicht komisch. Indem Sie die BVG bestrafen wollen, greifen Sie direkt und frontal das grundgesetzlich verankerte Streikrecht an. Gegen ein solches Ansinnen verwahren wir Grünen uns ausdrücklich.

[Beifall bei den Grünen]

Sie verknüpfen Arbeitgeber Land Berlin über die BVG mit allen anderen hoheitlichen Rechten des Staates. Und der Staat soll mit seinen sonstigen hoheitlichen Rechten

Und zusätzlich haben Sie einen Finanzsenator, der keine sinnige Strategie verfolgt, sondern weiter eskaliert. Am Montag sagte Herr Strauch noch im Wirtschaftsausschuss: Sie wissen doch, es gilt Tarifautonomie. Die Frage der Tarifauseinandersetzung wird zwischen dem Arbeitgeber, hier speziell dem Vorstand, und den Gewerkschaften ausgetragen. Der Senat mischt sich da nicht ein. – Aber gleich einen Tag später lesen wir, dass Herr Sarrazin – weiter Öl ins Feuer – sagt: Ich werde dafür sorgen, dass die BVG aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband austritt. – Wildwestgehabe ist aber kein Ersatz für das, was die BVG zurzeit dringend braucht, nämlich verlässliche Rahmenbedingungen und eine Verkehrspolitik, die es ermöglicht, eine wirtschaftliche Gesundung – nicht nur durch Personaleinsparungen, sondern auch durch mehr Fahrgäste – zu erreichen.

eingreifen, um das verbriefte Streikrecht auszuhebeln. Das kann nicht Ihr Ernst sein!

Das heißt nicht, dass wir das Ziel dieses Streiks der BVG für sinnvoll halten. Die BVG-Beschäftigten verlangen etwas vom Senat, was er ihnen – auch aus unserer Sicht – nicht geben kann – eine Bestandsgarantie bis in die weite Zukunft. Auch wir hoffen, dass es der BVG gelingt, im europäischen Wettbewerb der Nahverkehrsunternehmen zu bestehen. Diesem Wettbewerb muss sich die BVG stellen, ob innerhalb einer Ausschreibung oder bei einer Direktvergabe, ist dabei ganz unerheblich. Weitere Streiks, die das Ziel verfolgen, die Bestandsgarantie festzuschreiben, wären ein Rückschritt auf dem Weg zu diesem Ziel.

[Abg. Hoff (PDS) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Aber nicht nur die Beschäftigten tragen dafür eine Schuld, sondern der Senat trägt eine große Mitschuld an der Verunsicherung und den Sorgen der BVGMitarbeiterinnen und -Mitarbeiter.

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hoff?

Gern, aber darf ich meinen Gedanken noch zu Ende führen, Herr Hoff?

[Hoff (PDS): Ich hatte mich bei dem Satz vorher gemeldet!]

Es tut mir Leid, dass ich Sie nicht die ganze Zeit angeschaut habe. – Der Senat hat bei der politischen Steuerung der landeseigenen Unternehmen versagt. Das wissen wir alle, darüber haben wir auch schon mehrfach gesprochen. Der Senat sieht tatenlos zu, wie die Tarifkonflikte auf Kosten der Berlinerinnen und Berliner ausgetragen werden. Wir wissen auch alle, dass es nach wie vor keine zukunftsfähigen Konzepte seitens des Senats und seitens der Koalition gibt, weder für den Verkehr noch für die gesundheitliche Versorgung. Hier liegen die zentralen Probleme dieses Senats.

[Beifall bei den Grünen]

Jetzt Herr Hoff! – Bitte schön!