Protokoll der Sitzung vom 21.03.2002

Wir wollen jetzt aber kein Zwiegespräch zulassen! – Für die SPD hat nunmehr das Wort der Abgeordnete Benneter! – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin nicht der jugendpolitische Sprecher, aber ich fühle mich als einer der Jüngsten hier im Hause. –

[Allgemeine Heiterkeit – Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Ritzmann (FDP): Das gefühlte Alter!]

Wir begrüßen die Initiative, das Wahlalter herabzusetzen, allerdings sollte man die Kirche im Dorf lassen. Nordrhein-Westfalen wurde angesprochen. Wir halten es für sinnvoll, die nordrheinwestfälische Regelung hier zu übernehmen. Sie bedeutet, dass das aktive Wahlalter auf 16 Jahre herabgesetzt würde, aber das passive Wahlalter weiter bei 18 Jahren bliebe. Wenn die Grünen das aktive Wahlalter auf 14 Jahre herabsetzen wollen, sollte man sich das noch einmal ganz genau anschauen. Auf den ersten Blick verdient das nicht unbedingt die Zustimmung.

Frau Kollegin Pop, was junge Menschen heute alles schon dürfen oder können, will ich einmal dahingestellt sein lassen. Das ist nicht das Entscheidende dafür, dass wir sie etwas früher wählen lassen wollen. Wir können jedoch nicht einerseits das Desinteresse der Jugendlichen an Politik beklagen und sie anderer

seits ab einem bestimmten Alter von der politischen Mitwirkung fernhalten, in dem sie ansonsten schon wichtige Festlegungen für ihren Lebensverlauf zu treffen haben. Ob es die Berufswahl ist oder die Schul- oder Studienentscheidungen sind – überall dort müssen sie mit 16 Jahren schon sehr weit reichende und für ihr Leben entscheidende Festlegungen treffen. Insoweit sind sie auch von dem betroffen, was Politik in dieser Entscheidungsphase für sie bereitet und vorhält, beispielsweise in den Ausbildungs- und Studienbedingungen.

Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Jantzen?

Ja, sie ist auch noch jung!

[Mutlu (Grüne): So jung wie Sie, Herr Benneter!]

Bitte, Frau Jantzen!

Herr Benneter! Ich bin mit der Zwischenfrage ein bisschen spät dran, weil sie sich auf das Wahlalter 14 bis 16 bezieht. Sagen Sie mir bitte, wie ich meinem 14-jährigen Sohn erklären soll, dass er nicht wählen darf, obwohl er sich in der Schule während der Wahlen und überhaupt immer sehr mit Politik beschäftigt! Ich hätte gern eine kleine Hilfe von Ihnen. interjection: [Unruhe]

Frau Jantzen! Ich bin sicher, dass Ihr Sohn sich auch schon mit 12 ganz intensiv mit Politik beschäftigt hat, unter Umständen schon mit 10! Aber dies kann nicht das Kriterium für uns sein, alle 12- oder 10-Jährigen mitwählen zu lassen.

[Beifall bei der SPD, der PDS und der CDU]

Das allein kann nicht der Maßstab sein, sondern auch, inwieweit Jugendliche in diesem Alter in eine gesellschaftliche Verantwortlichkeit mit einbezogen werden können. Frau Kollegin Pop hat zu Recht darauf hingewiesen: Eine Herabsenkung des Wahlalters ist kein Allheilmittel,

[Zuruf der Frau Abg. Dr. Klotz (Grüne)]

gegen jegliche Form der Politikverdrossenheit zu wirken – wobei alle Jugendstudien der letzten Zeit immer darauf hingewiesen haben, dass es eigentlich nicht um eine Politikverdrossenheit von Jugendlichen geht, sondern dass – umgekehrt – eine Jugendverdrossenheit in der Politik festzustellen ist.

[Beifall der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

Deshalb sind wir dafür und sind auch gehalten, das Wahlalter entsprechend herabzusetzen. Hier geht es – darauf haben Sie in Ihrem Antrag auch hingewiesen – ausschließlich um den kommunalen oder in Berlin um den bezirklichen Bereich, weil unsere Verfassung derzeit nichts anderes zulässt. Ob die Verfassung hier demnächst eine Änderung erfährt, wird auch davon abhängen, inwieweit der Bundesgesetzgeber bereit ist, einen entsprechenden Rahmen neu zu setzen. Jedenfalls sind die Jugendlichen auf die Möglichkeiten konkreter gesellschaftlicher Mitwirkung und Beteiligung im Rahmen ihrer Persönlichkeitsentwicklung und Identitätssuche angewiesen. Das ist auch für uns der Grund, warum wir meinen, dass das Wahlalter herabgesetzt werden kann. Damit kann dann auch im Rahmen der in unserem Schulsystem verankerten politischen Bildungsaufgabe eine ganz konkrete politische Perspektive entwickelt werden. Schüler können dann das, was sie im Unterricht lernen, ganz praktisch beim Wählen anwenden. Deshalb zwingt die Herabsetzung des Wahlalters auch die Politik dazu, sich noch ernsthafter, als es bisher schon der Fall ist, mit dem jüngeren Teil der Bevölkerung auseinanderzusetzen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Danke schön! – Jetzt stellt der Abgeordnete Ritzmann einen Antrag z u r G e s c h ä f t s o r d n u n g. Ich ahne, was Sie sagen wollen. – Bitte schön!

(A) (C)

(B) (D)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jetzt sah es gerade so aus, als würde der Senat das Parlament vollständig verlassen. Herr Böger ist zurückgekommen. Wir danken ihm dafür, möchten aber darum bitten, dass auch noch andere M i t g l i e d e r d e s S e n a t s – insbesondere der Innensenator – bei dieser Thematik d e n A u s f ü h r u n g e n d e s P a r l a m e n t s l a u s c h e n , um gegebenenfalls eine Position zu entwickeln.

[Beifall bei der FDP, der CDU und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Kann bitte jemand von der Senatskanzlei den Senat herbeirufen? – Bis zum Eintreffen eines weiteren Senatsmitglieds unterbrechen wir die Sitzung.

[Benneter (SPD): Dann möchte ich aber alles noch einmal sagen!]

Das steht ja jeder Fraktion frei. Ich denke aber schon, es gehört zum Selbstverständnis des Parlaments, dass man die gebührende Sorgfaltspflicht des Senats einklagt. Ich hoffe, dass es sich nur um wenige Minuten handelt. Dies trägt auch einmal ein wenig zur Disziplinierung bei.

[Kurze Unterbrechung]

Ich sehe den Innensenator. Wir haben gerade die Mitteilung bekommen, dass er zu einem Interview war. – Herzlich willkommen hier in unserer Runde!

[Heiterkeit]

Wir haben hier wichtige Dinge zu besprechen.

Ich erteile nunmehr das Wort für die CDU-Fraktion dem Abgeordneten Steuer. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um gleich zu Beginn dem Vorwurf zu begegnen, bei der Debatte über das Wahlalter ginge es in Wirklichkeit um die Kontrolle über das eigene Wählerreservoir: Ich muss Sie enttäuschen. Nach der Shell-Jugendstudie erhielten CDU und CSU bei den über 18-Jährigen gerade einmal 3 % mehr Sympathie als bei den unter 18-Jährigen. Bei der antragstellenden Fraktion sieht es nicht anders aus. Es wird Sie überraschen, aber auch Sie erhielten nur 1 % mehr bei den über 18-jährigen als bei den unter 18-jährigen Wählern. Aber ein Ergebnis der Shell-Jugendstudie ist doch bemerkenswert: In der Summe sagen 45 % der unter 18-Jährigen, ihnen stehe keine politische Gruppe nahe. Bei den über 18-Jährigen sind das immerhin 31 %, aber das ist schon eine Verbesserung um 14 %.

[Mutlu (Grüne): Thema verfehlt!]

Also versuchen wir uns weg von den Scheinargumenten, die es vermeintlich gibt, hin zu einer ehrlichen Analyse zu bewegen.

Wir sind uns eventuell darin einig, dass das Wahlalter nicht beliebig nach unten offen sein kann, es sei denn, die Eltern sollen in Zukunft mit den Kindern im Grundschulalter gemeinsam in die Wahlkabine gehen, um den Wahlzettel auszufüllen. Ich möchte ganz sachlich anmerken – diese Studie ist Ihnen vielleicht bekannt, aber ich bitte, das sachlich aufzufassen: PISA hat gezeigt, dass 23 % der 15-jährigen deutschen Jugendlichen einfachste Texte nicht erfassen und verstehen können – 23 %! Ich denke, da nimmt sich kein Wahl- oder Grundsatzprogramm einer Partei etwas. Grundsatzprogramme zählen nicht zu diesen einfachen Texten, die von diesen 23 % der Schüler schon nicht verstanden werden. Nein, die CDU will das Wahlrecht nicht an persönlichen Fähigkeiten messen. Ich halte auch nicht alle 15-Jährigen für unfähig, sich mit Politik zu befassen, keinesfalls. Aber es ergibt schon einen Sinn, wenn man sich über das morgendliche Gesicht des schlecht gelaunten Lehrers in der Schule hinaus vielleicht in einem Arbeitsprozess, in einem Ausbildungsprozess oder in einem Studium einen Schritt heraus aus diesem schulischen Alltag hinein in das vielleicht wirkliche Leben begibt.

[Beifall bei der CDU]

Ich frage Sie: Ist 14-Jährigen grundsätzlich – Einzelfälle ausgenommen – die Tragweite ihrer Entscheidung in der Wahlkabine wirklich bewusst? Wissen sie, dass sie diese Wahl nicht für sich und ihren demokratischen Lernprozess treffen, sondern damit über die Politik für eine ganze Stadt entscheiden?

[Mutlu (Grüne): Es geht um die BVV!]

Oder begrenzen Sie Ihre Forderung, nur das kommunale Wahlrecht zu ändern, weil Sie sich der Antwort auf diese Frage auch nicht ganz sicher sind, Herr Mutlu? Im Übrigen: Auch die Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung ist kein Testlabor. Die Wahlen zu den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen ist nicht von weniger Qualität als die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus.

[Beifall bei der CDU – Mutlu (Grüne): Hat ja auch keiner gesagt!]

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Wahlen sind kein Bestandteil des persönlichen Lernprozesses, vielleicht kennen Sie das noch aus dem Biologieunterricht, nach trial and error, nach dem Motto: Wenn du einmal PDS gewählt hast, wirst du schon sehen, was du davon hast. Nein, allgemeine, freie, gleiche und geheime Wahlen sind letztlich eine verantwortungsbewusste Teilnahme, ein Grundbaustein unserer demokratischen Ordnung.

[Beifall bei der CDU]

Aber zu dieser Persönlichkeitsbildung gehört gerade das Erreichen der Volljährigkeit, mit allen Rechten und Pflichten. Erst mit 21 Jahren sind junge Menschen voll strafmündig. Erst mit 18 Jahren sind sie voll geschäftsfähig. Die Volljährigkeit ist nicht nur die Beschränkung von Rechten, nein, sie ist auch ein Schutz junger Menschen, auch in diesem Fall. Sie schützt ihn davor, mit einem geringeren Erfahrungshintergrund und Wissen falsche, vermeintlich falsche, tendenziell falsche, das heißt für ihn schädliche Entscheidungen treffen zu können. Wenn Sie also das Wahlalter so drastisch absenken wollen, dann müssen Sie damit auch die Absenkung der Volljährigkeit einfordern. Damit nehmen Sie dann den jungen Menschen auch den eben beschriebenen Schutz.

Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mutlu?

Nein! – Schauen wir uns doch an, welche Erfahrungen in anderen Bundesländern mit dem Wahlalter 16 – nicht 14 – gemacht werden. Grundsätzlich kann man an den Wahlergebnissen ablesen, dass eher ein Desinteresse vieler Jugendlicher an Wahlen besteht. Häufig liegt die Wahlbeteiligung bei Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren nur um die 50 % oder darunter. Die Absenkung des Wahlalters hat also nicht den gewünschten Effekt, und das können auch Sie, Herr Mutlu, den Statistiken entnehmen. Die Jugendlichen fühlen sich dadurch also nicht motiviert, sich stärker am politischen Meinungsbildungsprozess zu beteiligen.

Nach dieser sachlichen Analyse kommen wir also zu der Auffassung, dass dieser Antrag abzulehnen ist. Vielmehr müssen wir uns als Abgeordnetenhaus darüber Gedanken machen, wie wir das Interesse junger Menschen an Politik stärken können, wie wir junge Menschen für Demokratie begeistern und ihre Mitarbeit im demokratischen Meinungsbildungsprozess unterstützen können. Hier sollten wir ans Abgeordnetenhaus die Frage stellen: Warum unterstützt der Schulsenator die Gremienwahlen der Schülervertretungen nicht stärker? Kaum eine Schule führt allgemeine und geheime Wahlen durch. Manipulation, Chaos und Nichtstattfinden der Schülervertretungswahlen an der Berliner Schule sind an der Tagesordnung. Wer nicht einmal in der Schule lernt, eine Schülervertretung geheim zu wählen, kann nicht allen Ernstes über sein Gemeinwesen mitentscheiden sollen. Warum soll das Landesprogramm gegen Extremismus – „!respect“ – einfach eingestellt werden, wie gestern bekannt wurde, in dem bisher Jugendliche Demokratie durch aktive Teilnahme an Projekten erlernen konnten? Warum streicht

der Senat die Mittel für alle politischen Jugendorganisationen, die genau in dieser Altersgruppe einen großen Beitrag zur politischen Bildung leisten?

[Beifall bei der CDU – Frau Pop (Grüne): Wollen Sie noch Geld für die Junge Union herausschlagen?]