Danke schön, Herr Kollege Wegener! – Es folgt die PDS-Fraktion. Das Wort hat der Kollege Benjamin Hoff. – Bitte schön!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Dr. Lindner! Ich hatte heute befürchtet, dass Sie eine Ihrer bekannten Wahlkampfreden halten. Dass Sie das nicht gemacht haben, – –
Nein, es irritiert mich gar nicht. Ich finde es sogar sehr gut, weil ich in meiner Fraktion immer gezwungen werde, auf eine Rede, die ganz populistisch ist, mit einer Haudrauf-Rede zu antworten.
Bitte geben Sie dem Kollegen Hoff Gelegenheit, klar zu artikulieren, damit Sie der Rede auch folgen können. – Bitte fahren Sie fort!
Das Thema liegt Ihnen offenbar so am Herzen, dass Sie eine ausgesprochen interessante Rede gehalten haben, die ich zwar in vielen Punkten inhaltlich nicht teile, die aber eine Auseinandersetzung möglich und damit einfacher macht, eine Diskussion darüber zu führen, einfacher als beispielsweise die abgelesene Wahlkampfrede von Herrn Wegner – Herr Wegner! Dies sollten Sie sich abgewöhnen, wenn Sie im Bundestag sitzen, denn dort muss frei geredet werden.
Ich will zwei Voraussetzungen nennen. Erstens – Herr Lindner, Sie wissen dies – haben wir unterschiedliche ordnungspolitische Vorstellungen in der Frage, was Staatstätigkeit betrifft.
Das Zweite ist – und das ist bei dem Thema Gewerbesteuer und dem, was Herr Dr. Sarrazin dazu gesagt hat, deutlich geworden –: Interessant ist, dass man in den letzten Jahren immer von einer neoliberalen Revolution gesprochen hat, wenn aber die Linken etwas gemacht haben, von Veränderungen gesprochen hat. Das bedeutet: Möglicherweise gibt es auf Seiten der Linken eine größere Akzeptanz dafür, dass bestimmte Veränderungen mehr Zeit brauchen. Wir haben das bei der Bundesstaatskommission gesehen. Die Sozialwissenschaft kennt dafür den Begriff der Pfadabhängigkeit. Das sind Entscheidungen, die dadurch charakterisiert sind, dass Strukturen, die in einer eigentümlichen historischen Situation entstanden sind, in der Folge dazu dienen, sich bst zu reproduzieren. sel
[Beifall bei der PDS – Oh! von der CDU – Rabbach (CDU): Oberlehrer! – Zuruf des Abg. Hoffmann (CDU)]
Meine Herren von der CDU! Können Sie einmal ein wenig ruhiger sein? Wenn ich mich selbst nicht mehr höre, sind Sie einfach zu laut.
Das Problem besteht darin, dass Sie auf das, was Sie an Herrn Dr. Sarrazin kritisiert haben – Reden, Fordern, Handeln – in einer Koalition unter einer Kanzlerin Merkel selbst stoßen werden, weil ein absoluter Systembruch insbesondere in einem föderalen Bundesstaat nicht durchsetzbar ist. Dieses Problem habe ich auf der systematischen Ebene mit den Steuervorstellungen der FDP, die Sie heute präsentiert haben.
Das Dritte sind die ordnungspolitisch unterschiedlichen Vorstellungen. Dabei greife ich auf eine Rede zurück, die ich hier im Haus Anfang letzten Jahres gehalten habe. Darin habe ich – das mache ich fast immer, weil sich darin die unterschiedlichen Staatsvorstellungen manifestieren – den Verfassungsrechtler Hans Peter Bull zitiert, der bereits 1996 zutreffend festgestellt hat:
Die Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat, zu dem einerseits der verfassungsrechtliche Schutz der wirtschaftlichen Individualrechte
andererseits aber auch die Sozialbindung des Eigentums und für bestimmte Bereiche sogar die Befugnisse zur Vergesellschaftung gehört, stellte den historischen Kompromiss zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland dar.
und der rot-grünen Steuerpolitik. Gewinne aus Unternehmensveräußerungen sind freigestellt worden, der Satz der Körperschaftsgewinne ist auf 25 % gesenkt worden, für Unternehmen lag er zuvor bei 40 %, der Spitzensteuersatz auf Einkommen ist schrittweise von 51 % auf 42 % gesenkt worden, wobei einkommensteuerpflichtige Unternehmer von Ihrer Einkommensteuer nun auch noch ihre Gewerbesteuerzahlung weitgehend abziehen können. Diese Steuerreform, Herr Zackenfels, wurde ausschließlich von Rot-Grün beschlossen, weil Schwarz-Gelb noch viel weiter gehen wollte und dem nicht zugestimmt hat. Dann
wurde auch noch – das kann man Rot-Grün nur bedingt zum Vorwurf machen, darauf haben Sie vorhin auch abgehoben – der Eingangssteuersatz von 23,9 auf 15 % herabgesetzt. Das hätte eigentlich dazu dienen können, die Binnennachfrage anzukurbeln ist aber auf Grund des 11. Septembers und den nachfolgenden wirtschaftlichen Problemen nicht geschehen. Das Problem, dass diese Eingangssteuersatzsenkung wirtschaftlich nichts gebracht hat, kann man nicht damit toppen, dass man jetzt an dieser Stelle noch weiter gehen will. Dem ökonomischen Problem, dass auf Grund der Steuerreform der vergangenen Jahre immer weniger im Einkommenssäckel der Länder und Gemeinden übrig geblieben ist, begegnet man nicht dadurch, dass man auf einem Weg, der sich möglicherweise als falsch erwiesen hat, noch einen riesigen Schritt weitergeht. Das ist eine falsche Analogie.
Herr Dr. Lindner! Ein Satz noch zur Mehrwertsteuer, womit Sie heute ziemlich gut in der Presse standen– soweit ich es gesehen habe, hat Ihr Generalsekretär Niebel Ihnen zugestimmt, zumindest hat das „Spiegel-online“ danach so gebracht –: Die zentrale Auseinandersetzung besteht darin, jetzt über eine Anhebung der Mehrwertsteuer unter bestimmten Voraussetzungen zu sprechen, kann Ihnen zwar möglicherweise helfen – wie Herr Niebel sagt – bessere Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene zu führen, es ist aber gleichzeitig Gift für die Binnenkonjunktur. Das richtet sich als Kritik auch an Sie, Herr Dr. Sarrazin. – In diesem Fall haben wir wirklich unterschiedliche Vorstellungen davon, wie ein Staat ökonomisch voran zu bringen ist. Unserer Meinung nach muss es um die Erweiterung und nicht das Abwürgen der Binnenkonjunktur gehen. Eine voraussetzungslose Mehrwertsteuererhöhung kurbelt den Motor nicht an, sondern würgt ihn erst recht ab. Der Subventionsabbau, den Herr Dr. Lindner als Ergänzung für die Mehrwertsteuererhöhung vorschlägt, wird, auch wenn er zwei Jahre später kommt – das ist der Vorschlag, den Sie im Kern machen – aus unserer Sicht auf Grund der Problemlage bei der Steuerreform der vergangenen Jahre nicht dazu führen, dass wir in eine Situation kommen, dass eine Mehrwertsteuererhöhung die Binnenkonjunktur nicht abwürgt. Deshalb ist eine Mehrwertsteuererhöhung zurzeit lediglich eine theoretische Diskussion, die verbunden werden müsste mit einer Absenkung von steuerfinanzierten Sozialleistungen. Aber das ist ein völlig anderes Thema. Deshalb sage ich – und das sollten alle Fraktionen nicht nur hier, sondern als Parteien im Bundestagswahlkampf machen –: Nehmen Sie die Hände weg von der Mehrwertsteuererhöhung. Das ist Gift für die Konjunktur. Darum geht es für jeden, der wirtschafts- und finanzpolitisch zukunftsfähig denken will. – Vielen Dank!
Von diesem Kompromiss verabschieden Sie sich, was Sie auch zugeben. Der Punkt ist, dass die seinerzeit von allen gesellschaftlichen Gruppen getragene Entscheidung für den sozialen Staat für Sie in Frage gestellt ist und statt dessen der Vorstellung angehangen wird, Eigentum sei die eigentliche Quelle individueller Freiheit und Eigentumsschutz sei die eigentliche Form von Freiheitsschutz,
ich zitiere gerade –, zuviel Sozialpflichtigkeit des Eigentums könnten wir uns nicht mehr leisten. Uns unterscheidet es ordnungspolitisch, dass die Eigentumslosen in dieser Perspektive verloren gehen. – Andere Parteien nennen das aktivierenden Staat. – In diesem Modell wird sozusagen nur noch auf Freiheit als Eigentumsschutz abgestellt. Aber Freiheit und Sozialbindung und damit auch gesellschaftliche Verpflichtungen als Schutz für Eigentumslose kommt in diesem Modell nicht mehr vor. Darin spiegeln sich unsere unterschiedlichen ordnungspolitischen Vorstellungen wider. Mit Blick auf Herrn Wegner sage ich: Ich halte mehr davor 719 464 Steuerhinterzieher zwischen 1993 und 2002 gesellschaftlich zu isolieren, als diejenigen, die sich über mehr Staatseinnahmen durch Steuerpolitik Gedanken machen.
Ich komme damit zur Auseinandersetzung mit Ihrem Modell und hoffe, dass ich es auch noch schaffe, zwei Punkte zur Mehrwertsteuer zu sagen. – Im vergangenen Jahr war in der Stadt die Bruttowertschöpfung um über 1,5 Milliarden € höher als im Jahr 2000. Berlin hat dennoch 680 Millionen €, also fast 8 %, weniger Steuern eingenommen. Das ist das Problem der Steuerpolitik. Herr Dr. Lindner! Ich habe das Gefühl, dass Sie mit positivem Bezug auf das Sarrazinsche Steuerkonzept einen wesentlichen Aspekt nicht im Blick gehabt haben. Bei aller Kritik an den Steuervorschlägen, die Herr Dr. Sarrazin unterbreitet hat, ist ein Aspekt wesentlich, nämlich der, die Steuereinnahmen zu erweitern und sich nicht nur Gedanken darüber zu machen, wie man Steuern absenken kann, sondern vor allem die Bemessungsbreite zu erhöhen. Wenn wir uns ansehen, weshalb Berlin im Jahr 2000 zwar eine um 1,5 Milliarden € höhere Bruttowertschöpfung hatte, aber 680 Millionen € weniger Steuereinnahmen, dann liegt das Problem auch an der Steuerreform – Herr Zackenfels! Obwohl ansonsten zwischen uns kein Löschblatt passt, wie im Haus bekannt ist –
Wichtig ist, und deswegen sind wir beim Thema Binnenkonjunktur, dass es eingebettet ist in eine große Steuerreform und dass die Nachteile einer Mehrwertsteuererhöhung nicht den Vorteilen der Senkung von direkten Steuern vorgreifen. Das Problem hätten sie, wenn sie es nicht nachlagern. Das ist doch klar: Die Steuererklärung machen sie erst danach, dann kommen sie erst in die Genüsse der Absenkung der direkten Steuer in ein, zwei Jahren. Gleichzeitig hätten sie aber, wenn die indirekten Steuern sofort erhöht würden, unmittelbar die Nachteile einer Verbrauchssteuererhöhung. Deswegen müssen sie nachgelagert werden.
Das tut mir herzlich leid mit dem Fußballspiel. Aber jetzt folgt die Sommerpause mit vielen Fußballspielen.
Herr Hoff! Ganz kurz etwas zu dreien Ihrer Punkte. Sie stellen in Abrede, dass ein Systembruch in der Einkommensteuer heute möglich ist. Ich sage Ihnen: Umgekehrt ist es unmöglich. Sie können dieses System nicht mehr reformieren. Ein System mit einer Regel und 400 Ausnahmevorschriften ist nicht mehr reformierbar.
Sie haben hohe Sätze und merken als Staat – und das seit Jahrzehnten –, dass dieses System nicht funktioniert. Nun sind Sie dabei, im Einzelfall für Entlastung zu sorgen. Das ist auch der Punkt, an dem meine Partei, egal auf welcher Ebene immer mitgemacht hat und mitmacht, im Einzelfall für Entlastungen zu sorgen: bei einem Schiffsverkauf, bei Häuslebauern, bei Versicherungen und bei Ähnlichem.
Es wird nicht anders gehen. Deswegen kann man alle diese Dinge nicht zur Disposition stellen, solange nicht eine Komplettrevision erfolgt ist. Deswegen, Herr Hoff, ist es, um all das gleichzeitig abzuschaffen, unerlässlich, hier in einer Komplettrevision dieses System zu ändern. Es wird anders nicht funktionieren. Sie kriegen sonst immer wieder Debatten. Sie entlasten auf der einen Seite, indem sie z. B. die Versicherungsprivilegien abschaffen, dann schreit aber auf der anderen Seite natürlich sofort ein anderer Wirtschaftszweig: Aber warum bei uns nicht? Es geht nur Tabula rasa.
2. Schutz für Eigentumslose, Herr Hoff, haben Sie gesagt, käme bei uns zu kurz. Nach dem FDP-Steuerreformmodell mit einer Gesamtentlastung von 14,5 Milliarden € würde eine vierköpfige Familie mit einem Einkommen bis 37 000 € keine Steuern bezahlen, aber Millionäre, die über Jahrzehnte hier in diesem Land über alle legalen – ich betone: legalen – Schlupflöcher niemals Steuern gezahlt haben oder nur in ganz geringem Umfang,