Das Haushaltsgesetz wurde bereits – mit Ausnahme des Petitionsausschusses und des Ausschusses für Verfas
sungsschutz – vorab an alle Fachausschüsse überwiesen, wozu ich Ihre nachträgliche Zustimmung feststelle. Für den Verfassungsschutzausschuss soll die Überweisung nun ebenfalls erfolgen. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch, dann verfahren wir so.
Wir kommen damit zu dem Tagesordnungspunkt Prioritäten. Ich rufe als Priorität der Fraktion der FDP auf
Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu 5 Minuten zur Verfügung. Es beginnen die Antragsteller. Das Wort für die FDP hat der Kollege Ritzmann. – Bitte schön!
Vielen Dank, Herr Präsident! – Freiheit sichern – Terrorismus rechtsstaatlich bekämpfen, darum geht es jetzt. Das viel bemühte Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit ist für Liberale ganz klar entschieden: Sicherheit ist notwendig, allerdings ist Freiheit das Ziel. Das heißt, Sicherheit ist das Mittel, um ein möglichst freies und selbstbestimmtes Leben zu führen.
Deswegen ist für Liberale auch klar, wer Maßnahmen einführen möchte, die Freiheitsrechte einschränken, muss nachweisen, dass diese zwingend notwendig sind und es dazu keine Alternative gibt. Wenn dies nicht der Fall ist, werden wir diese wie bisher ablehnen, denn für Liberale gilt auch: im Zweifel für die Freiheit.
Der islamistische Terror möchte – und tut es leider auch – mit möglichst brutaler Gewalt gegen die Zivilbevölkerung vorgehen, um dort Angst und Schrecken mit dem Ziel zu erzeugen, dass Regierungen ihr politisches Handeln ändern. Das ist kein neues Phänomen, gerade in Europa mit der IRA in Irland, der ETA in Spanien und der RAF in Deutschland – sicher nicht vollständig vergleichbar, aber es sind ähnliche Herangehensweisen, auch mit dem Ziel, durch Terror, Angst und Schrecken politische Ziele zu erreichen. Diese Terrorphänomene sind weitgehend überwunden. Es hat Jahrzehnte gedauert, und ich befürchte, das ist auch der Zeitrahmen, den wir beim islamistischen Terrorismus ansetzen müssen.
Feind des islamistischen Terroristen sind Demokratie, der Rechtsstaat, die Menschen- und Bürgerrechte. Die Vision der islamistischen Terroristen ist der totalitäre Gottesstaat – so viel zum Gegner. Maßnahmen gegen diesen Gegner gibt es aus meiner Sicht in drei Kategorien: geeignete und notwendige, ungeeignete und populistische und hysterische Überreaktionen, die sich gegen den Rechtsstaat selbst richten.
Ich fange mit der letzten Kategorie an. Dazu gehört die Sicherungshaft. Dahinter verbirgt sich die Idee mancher konservativer Politiker, man könne einen Menschen ohne konkreten Verdacht auf unbestimmte Zeit wegsperren. Ein anderes Beispiel ist der Abschuss von Passagierflugzeugen, der durch das von Rot-Grün beschlossene Luftsicherheitsgesetz möglich wird. Man stelle sich vor, ein Passagierflugzeug mit 200 Passagieren fliegt auf die Berliner Innenstadt zu. Es gibt keinen Funkkontakt, man glaubt an eine mögliche Entführung durch Terroristen. Eine Jägerstaffel der Bundeswehr steht zur Verfügung und schießt dieses Flugzeug ab, weil das avisierte Ziel mit 500 Leben – beispielsweise der Reichstag – gegen die 200 Passagiere abgewogen wird. Es werden also 200 Geiseln, die Passagiere, gegen 500 mögliche Opfer abgewogen. Der Staat erklärt die 200 Geiseln für tot und erschießt sie anschließend, um die 500 möglichen Opfer zu schützen. Das ist nicht Science Fiction, sondern Gesetzeslage und zeigt, in welche Richtung wir gehen. Die Richtung heißt Kriegsrecht ohne Krieg. Das aber ist verfassungswidrig.
Ein besonders dramatisches Beispiel ist der Tod des brasilianischen Bürgers in London. Neue Berichte zeigen, dass es keineswegs so war, dass er vor der Polizei geflüchtet ist. Es ist weder weggelaufen, noch hat er sich gewehrt oder trug eine dicke Winterjacke. Er wurde einfach verwechselt. Die Polizei dachte, es handele sich um einen Terrorverdächtigen. Er trug eine dünne Jeansjacke, dennoch wurde die Shoot-to-kill-Vorgehensweise angewandt, die vollständige Zerstörung des Gehirns in kürzestmöglicher Zeit, in diesem Fall mit sieben Kopfschüssen. Dieser tragische Fall zeigt, dass wir uns in Richtung Ausnahmezustand, in Richtung Kriegsrecht bewegen. Die Saat der Terroristen geht damit auf. Das ist die Spirale der Angst. Das ist genau das Ziel der Terroristen. Wir sind in Deutschland hinsichtlich dieser Maßnahmen nicht so weit wie in Großbritannien. Genau deshalb muss es hier aber heißen: Wehret den Anfängen.
Zu den populistischen Überreaktionen gehört die angebliche Wunderwaffe Videoüberwachung. Videoüberwachung soll angeblich vom Scheibenkratzer bis zum Selbstmordterroristen gegen alles helfen. Bei der BVG wird sie jetzt eingeführt, ein Unternehmen, das 550 Millionen € jährlich vom Land Berlin und jetzt noch Millioneninvestitionen für Kameras erhält. Aber das ist ein eigenes Thema.
Dann gibt es im Repertoire noch das Flugverbot für Attentäter. Dabei handelt es sich um ein völlig bizarres Stück der Volksverdummung. Der Sicherheitswert dieses Flugverbots ist vielleicht vergleichbar mit der Absicht, durch Parkverbotszonen vor Banken Bankräuber daran zu hindern, eine Bank auszurauben.
Das wird aber noch weiter getrieben. Vertreter von SPD und CDU fordern die Jägerstaffel in Tempelhof, die im Luftkampf über der Friedrichstraße innere Sicherheit gewährleistet. Kampfflugzeuge über Berlin werden gefordert von SPD und CDU. Ich frage mich, wann Kampfpanzer vor den Reichstag kommen, weil es auch dort eine Bedrohung gibt, ob diese abstrakt oder konkret besteht, ist mittlerweile ohnehin völlig egal.
De facto brauchen wir aber einige Änderungen bei der inneren Sicherheit. Wir brauchen eine Anti-TerrorIndexdatei. Eine Indexdatei deshalb, weil eine Volltextdatei zwischen Polizei und Verfassungsschützern dazu führt, dass der Verfassungsschutz keine relevanten Daten einstellt. Das kann man sich zwar wünschen, aus Quellen- und Geheimschutzgründen wird der Verfassungsschutz dort aber nichts einstellen. Wenn beispielsweise ein Islamist durch den Verfassungsschutz dabei beobachtet wird, wie er regelmäßig in Kaufhäusern einbricht und Elektroteile stiehlt, überlegt der Verfassungsschutz, ob es Hintermänner gibt und ein Anschlag folgen könnte.
Ich komme dann gleich zum Schluss, Herr Präsident! – Das Problem besteht darin, wenn die Information bei der Polizei landet, dass die vom Verfassungsschutz beobachtete Person Straftaten begeht, diese einschreiten und die Person festnehmen muss. Deshalb brauchen wir die Indexdatei. Sie ist schneller verfügbar und schließt eine Sicherheitslücke.
Herr Kollege! Ich bitte dringlich darum, zum Schluss zu kommen. Sie haben Ihre Redezeit um mehrere Minuten überzogen.
Na ja, die gefühlte Zeit, Herr Henkel, ist bei Ihnen deutlich länger, das kann ich nachvollziehen. – Ich komme zum Schluss: Das Grundgesetz hat sich bewährt. Es ist keine Schönwetterveranstaltung, woran man in stürmischen Zeiten einfach die Axt anlegen kann. Es ist die Lehre aus der Terrorherrschaft der Nationalsozialisten. Wir sind 60 Jahre sehr gut damit gefahren. Der Terrorismus lässt sich nur mit dem Rechtsstaat und nicht gegen ihn bekämpfen.
Wir sind verpflichtet fair miteinander umzugehen. Wenn die Fraktionen es so aushandeln – es spricht nichts dagegen zehn Minuten Redezeit auszuhandeln –, es sind fünf Minuten.
Herr Präsident! Ich habe mich von der sehr liberalen Handhabung der Redezeit meiner Vorredner bei dem vorherigen Tagesordnungspunkt inspirieren lassen. Aber ich komme jetzt wirklich zum Schluss, Sie haben völlig Recht.
Der Innensenator braucht Unterstützung, weil er leider immer wieder umfällt. Die wird er von uns bekommen. Deshalb ist auch Druck notwendig, den wird er von uns erhalten. – Vielen Dank!
Es spricht als nächstes für die Fraktion der SPD die Frau Kollegin Hertel. – Bitte schön, Sie haben das Wort!
Na, die Redezeit ist jetzt lang genug. Ich vermute einmal mindestens acht, wenn nicht gar neun Minuten.
Herr Ritzmann, obwohl wir häufig einer Meinung sind, bin ich während Ihres Redebeitrags leicht in Panik geraten, ob ich mich zum falschen Tagesordnungspunkt vorbereitet habe.
Ich gehe doch recht in der Annahme, dass wir uns über Ihren Antrag mit der Drucksachennummer 15/4168 über die Einrichtung einer Anti-Terror-Indexdatei befassen. Sie haben von Flugverboten und Videoüberwachung gesprochen, da war irgendwie alles mit jedem vermischt.
Ich will aber gern auf einen Punkt eingehen, den Sie nur so nebenbei erwähnt haben. Ich erinnere mich doch recht, dass es Herr Stadler, Mitglied der FDP, gewesen ist, der zum einen das Flugverbot über Tempelhof für ein Unding hält und entsprechende Unterschriftenlisten unterschrieben hat, der aber gleichzeitig nach dem Absturz des Leichtflugzeugs vor dem Reichstag gefordert hat, diese Sicherheitslücke im Berliner Luftraum sofort zu schließen. Erkennen Sie in diesen Äußerungen nicht eine gewisse Diskrepanz?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verrate Ihnen vermutlich nichts Neues, wenn ich feststelle, dass wir nach den Anschlägen in New York, Madrid und erst vor wenigen Wochen in London eine terroristische Bedrohung haben, die weltweit – lassen Sie es mich so dramatisch ausdrücken – eine neue Dimension erreicht hat. Ich werde jetzt nicht, Herr Ritzmann, in Panikmache verfallen oder in blindem Aktionismus, dem Pawlowschen Reflex folgend nach mehr und strengeren Gesetzen rufen. Ich werde auch keine Bundeswehrpatrouillen auf den U-Bahnhöfen fordern. Doch die genannten, leider zur Ausführung gelangten Anschläge, aber auch und gerade die nicht zur Ausübung gelangten, weil im Vorfeld erkannten und deshalb verhinderten Anschläge machen deutlich, wie außerordentlich wichtig vor allem die präventive Arbeit aller Sicherheitsbehörden bei der Bekämpfung von Terrorismus ist.