Protokoll der Sitzung vom 18.08.2005

Gesetz zum Staatsvertrag über die Auflösung der von Berlin und Brandenburg getragenen Akademie der Künste

Vorlage – zur Beschlussfassung – Drs 15/4141

Auf eine Beratung wurde inzwischen verzichtet. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung der Vorlage an den Kulturausschuss. – Dazu höre ich keinen Widerspruch und es wird so verfahren.

Die lfd. Nrn. 10 und 11 sind durch die Konsensliste erledigt.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 12:

Große Anfrage

Wie lange kann sich das Land Berlin Armut noch leisten?

Große Anfrage der FDP Drs 15/3748

Für die Begründung der Großen Anfrage hat nun mit einer Redezeit mit bis zu fünf Minuten die Fraktion der FDP das Wort. Herr Lehmann hat das Wort. – Bitte schön, Herr Lehmann!

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Präsident hat die Überschrift bereits genannt, sie lautet: Wie lange kann sich das Land Berlin Armut noch leisten? – Die Entwicklung in Berlin seit dem Fall der Mauer macht eine Begründung überflüssig. Jeder von uns, der mit offenen Augen durch die Stadt läuft, kann erkennen, dass die Stadt ohne Zweifel sexy ist, aber arm, im Bundesvergleich sogar bitterarm. Die Bertelsmannstudie zum Ländervergleich stellt Berlin ein schlechtes Zeugnis aus. Wir brauchen deshalb eine ausgiebige Diskussion über dieses Thema. Letzter Beweis ist der kurze Bericht des Statistischen Landesamtes über die Haushalte, die in Berlin derzeit Sozialhilfe beziehen. Dies sind immer mehr Haushalte. Die Sozialausgaben in der Stadt steigen ständig an. Die Erwerbsquote sinkt hingegen. Wenn wir es gemeinsam nicht schaffen, diese negative Entwicklung schnell und effizient aufzuhalten, stehen unsere Grundwerte über kurz oder lang auf dem Spiel. Der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält, besteht auch daraus, sein Leben eigenständig gestalten zu können, abseits von staatlicher Unterstützung.

Herr Kollege Lehmann! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Liebich?

Dann fahren Sie fort.

[Gaebler (SPD): Die Fraktion, die die Zwischenfragen immer will, lehnt sie jetzt ab!]

Ach, Herr Gaebler, an meinem Geburtstag kann ich das doch entscheiden, wie ich das handhaben möchte.

Herr Lehmann! Sonst auch, darin sind Sie frei.

Meine Ausführungen mögen zwar einigen Abgeordneten suspekt erscheinen. Die Selbstverständlichkeit, dass man abseits von jeder Unterstützung selbst handeln kann, muss leider immer wieder betont werden.

Wir werden unsere Staatsfinanzen nicht konsolidieren können, wenn dieser Negativtrend anhält. Viele Menschen in Deutschland scheinen vergessen zu haben, dass ein Sozialstaat nur dann aufrecht erhalten werden kann, wenn er wirtschaftlich stark ist.

[Beifall bei der FDP]

Ich möchte kurz auf die Verbindung von Migration und Armut aufmerksam machen. Wenn ca. 40 % der Migrantinnen und Migranten keiner regulären Arbeit nachgehen, dann ist langfristig jede Integrationspolitik erfolglos. Gleiches gilt für die Verbindung von Armut und Bildung. Von Armut sind zumeist diejenigen Menschen betroffen, die einen geringeren Bildungsgrad haben. Deshalb bin ich auf die Antwort des Senats besonders gespannt. Ich erwarte von der Sozialsenatorin, dass sie die Lage in Berlin schonungslos darstellt und nicht irgendwelche Pseudoerfolge ins Rampenlicht rückt. Die Herausgabe des Sozialstrukturatlasses oder die Aufstockung des Quartiersmanagements ist lediglich Stückwerk. Wir brauchen vielmehr eine umfassende Strategie, wie man mit dieser vielleicht größten Herausforderung in Zukunft umgehen kann. Einerseits muss der Senat sich in der Sozialpolitik für einen bislang nicht gekannten Kahlschlag verantworten. Angesichts der Haushaltslage ist ihm auch gar nichts anderes übrig geblieben. Allerdings muss man dazu auch anmerken, dass der Staat sich durch die Haushaltskonsolidierung zurückzieht. Dies haben PDS und SPD uns Liberalen immer wieder vorgeworfen. Andererseits gibt es unter diesem Senat keine strukturellen Veränderungen, um Menschen aus der Sozialhilfe oder dem Arbeitslosengeld II herauszuholen. Dies werfe ich der Exekutive vor.

Der Senat hat sich geweigert, diese Anfrage schriftlich zu beantworten. Das ist bedauerlich und scheint ein Symptom dafür zu sein, wie ernst in dieser Legislaturperiode die Bekämpfung von Armut in Berlin genommen hat.

Präsident Momper

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Mit Lippenbekenntnissen können wir Armut nicht bekämpfen. Ich befürchte, dass sich daran auch in der nächsten Zeit nichts ändern wird. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Danke schön, Herr Kollege Lehmann! – Das Wort zur Beantwortung hat nunmehr die Senatorin für Soziales, Frau Dr. Knake-Werner. – Bitte schön, Frau Dr. Knake-Werner!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Lehmann! Ich möchte es an dieser Stelle noch einmal sagen: Der Senat beantwortet Große Anfragen nur in Ausnahmefällen schriftlich. Ansonsten sind sie dafür da, um hier gemeinsam die Diskussion zu führen. So haben wir uns verständigt. Ich werde Ihnen heute dennoch konkrete Zahlen zur Verfügung stellen, weil ich schon im Blick auf die Zeit darauf verzichten werde, jetzt hier sehr detailliert auf einzelnen Fragen einzugehen.

[Frau Senftleben (FDP): Schade eigentlich!]

Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen: Wir alle wissen zwar noch nicht, ob am 18. September die Bundestagswahl stattfinden wird, aber der heutige Tag hat bereits sehr deutlich gezeigt, dass der Wahlkampf im Berliner Abgeordnetenhaus angekommen ist. Hier passt sich die Große Anfrage der FDP-Fraktion nahtlos ein. Ich unterstelle Ihnen das nicht persönlich, Herr Lehmann, aber ich sage sehr deutlich: Man spürt die Absicht und ist verstimmt.

[Heiterkeit bei der FDP]

Sie haben zwar Ihre Fragen bereits im März formuliert,

[Frau Senftleben (FDP): Eben!]

aber sie sollten einem einzigen Ziel dienen, nämlich die rot-grüne Bundesregierung vorzuführen. Wie wäre es sonst zu erklären, dass nur acht der insgesamt 21 Fragen überhaupt einen Bezug zum Land Berlin und zur Berliner Landespolitik haben?

[Ritzmann (FDP): Vielleicht, weil es vor allem um Bundesrecht geht!]

Nein, meine sehr geehrten Damen und Herren von der FDP! Trotz mancher Kritik, die ich an rot-grüner Politik habe, muss ich doch betonen: Bei der Armutsfrage sind Sie von der FDP wirklich die Letzten, um mich gegen Rot-Grün in Stellung zu bringen.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Armut ist kein lokales Problem, und weder Berlin noch Deutschland kann es sich leisten, dass Menschen – und dabei zunehmend Kinder und Jugendliche – in Armutsverhältnissen leben. Deshalb gibt es auch keine spezielle Berliner Armutsdefinition, wie Sie das erwarten, sondern im Armutsbericht meiner Verwaltung, aber auch in dem der Bundesregierung gilt die Definition der EU.

Danach gilt als arm, wer nur über 50 % bzw. 60 % des so genannten nationalen Äquivalenzeinkommens verfügt.

[Abg. Dr. Lindner (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Knicken Sie es sich! Ich beantworte Ihre Zwischenfrage jetzt nicht. –

[Beifall bei der Linkspartei.PDS – Liebich (Linkspartei.PDS): Sehr gut! Das haben Sie verdient!]

Es geht hierbei also ausschließlich um Einkommensarmut. In Berlin lag der betreffende Wert 2002 bei 1 213 €. Die Armutsgrenze – bezogen auf 50 % – betrug danach 606 € für alleinstehende Erwachsene.

Nun wissen wir alle, dass insbesondere bei einem kürzerem Zeitraum die Tatsache, wenig Geld zu haben, nicht unbedingt das Empfinden hervorruft, dass man arm ist. Aber wir wissen auch, dass Armut viel mehr bedeutet, als zu wenig Geld in der Haushaltskasse zu haben. Für die meisten ist Armut verbunden mit schlechten Bildungschancen, einer unzureichenden gesundheitlichen Versorgung, weniger kulturellen Angeboten, sozialer Ausgrenzung und fehlender Zukunftsperspektive. Das kann sich allerdings kein Land leisten, und deshalb muss die Bekämpfung der Armut in der Regierungspolitik einen zentralen Platz einnehmen. Wir in Berlin nehmen genau das ernst.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD – Dr. Lindner (FDP): Ihr verwaltet Armut! Das verwechselt ihr!]

Armut ist zudem kein Thema für schnelle Antworten. Herr Lindner! Sie sind übrigens auch kein besonders guter Kronzeuge für die Bekämpfung von Armut.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD – Dr. Lindner (FDP): Warum auch?]

Patentrezepte gibt es nämlich nicht. Aber selbstverständlich gibt es über die vergangenen zwei Jahrzehnte falsche politische Weichenstellungen, die das Armutsrisiko größerer Bevölkerungsgruppen erhöht haben.

[Frau Senftleben (FDP): Vorher war das anders – oder wie? ]

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der FDP! Die Suche nach Ursachen für diese Entwicklung z. B. nur auf die rot-grüne Bundesregierung oder auf das Land Berlin zu beschränken, das ist zwar wahlkampftechnisch nachvollziehbar, aber schlicht unredlich. Ich möchte Sie gern daran erinnern, dass sämtliche Deregulierungs- und Privatisierungsmaßnahmen wie auch der Abbau sozialer Leistungen und der Rückzug des Staates aus seiner sozialen Verantwortung in diesem Land – etwas, das Sie heute immer noch fordern – eine gemeinsame Geburtsurkunde haben, nämlich das Lambsdorff-Papier von 1982. Diese Agenda Ihres Ehrenvorsitzenden stand für die neoliberale Politik, wie sie in den 16 Jahren der Kohl-Regierung unter aktiver Mittäterschaft der FDP umgesetzt wurde –

Lehmann