Bei dieser Liste nur einiger besonders ins Auge fallender sozialer Grausamkeiten ist klar, dass diese alle Bürger treffen und insbesondere diejenigen, die auf staatliche Hilfen angewiesen sind.
Die Kürzungen gehen bedauerlicherweise auch mit der Zerschlagung bewährter Hilfestrukturen einher. Das kann das Land Berlin noch teuer zu stehen kommen, wenn man an die Folgekosten denkt, die sich dadurch in einigen Jahren ergeben werden. Gespart werden muss, aber das mit einem Konzept und einer Abschätzung der langfristigen Folgen und nicht mit einer Kürzungspolitik à la Sarrazin. Denken Sie an die Volksweisheit: Wer arm lebt, lebt auf die Dauer teuer. Das kann sich das Land Berlin jetzt und für die Zukunft wirklich nicht leisten, weshalb wir dringend eine Veränderung der Politik in Berlin brauchen. – Vielen Dank!
[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Brauer (Linkspartei.PDS): Sie können ja zu uns kommen! – Hoffmann (CDU): Sie kenn’ ich doch! Sie tun sowieso nichts! – Schruoffeneger (Grüne): Den könnt ihr sowieso nicht mehr links überholen!]
Wenn ich die Aufmerksamkeit der CDU-Fraktion auch erlangen könnte, würde ich gerne mit meiner Rede beginnen. – Die polemische Fragestellung der Großen Anfrage „Wie lange kann sich das Land Berlin Armut noch leisten?“ macht deutlich, dass es weder der FDP-Fraktion noch der CDU-Fraktion in ihren Diskussionsbeiträgen darum gegangen ist, sich ernsthaft und seriös mit dieser Fragestellung auseinander zu setzen.
Herr Lehmann, Sie sind von Ihrem Fraktionsvorsitzenden in seiner Rede heute Mittag eigentlich in den Hintern getreten worden, ich sage es schlicht so, weil das, was Herr Lindner wollte, das Gegenteil von dem ist, was Sie hier vorgetragen haben.
Herr Hoffmann, die gesamte Problematik der Armut, der Armutsvergrößerung und der Ursachen von Armut auf das Thema Geld und Einsparungen zu reduzieren, ist einfach zu kurz gegriffen. Ich glaube, Sie wissen das auch. Wenn Sie es nicht wissen, dann hören Sie jetzt einmal zu.
Feststellung, dass Armut in erster Linie durch ein Kehrtwende in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik verhindert werden könne. Glückwunsch, Herr Lehmann, zu dieser tiefgreifenden Feststellung! Alles andere, was Sie in Ihrer Großen Anfrage fragen, kann im Wesentlichen nachgelesen werden im Armutsbericht von Bund und Land, im Sozialstrukturatlas, im Kinder- und Gesundheitsbericht des Landes, in den DIW-Gutachten, die dazu vorliegen, und auch in den Ergebnissen der Enquetekommissionen. Außer dem Verweis auf die Notwendigkeit eines größeren Wirtschaftswachstums und von Investitionen und dem Zurückdrängen der Staatsquote – zumindest das, was Sie darunter verstehen – fehlt jeder Hinweis auf eine eigene Handschrift bei der Begründung der Notwendigkeit der Diskussion des Themas Armut. Es gipfelt aus meiner Sicht in der Frage 17 an den Senat, warum trotz permanenter Steuererhöhungen und weiterer Umverteilungsmaßnahmen das Armutsrisiko gestiegen sei. Auch dazu Glückwunsch!
Wer die Armutsbekämpfung ernst nehmen und die Analysen zu den Ursachen steigender Armut zu den Grundlagen seiner politischen Programmatik machen will, muss sich mit den Zusammenhängen von Ursache und Wirkung von Armut auseinander setzen. Dabei möchte ich auf jegliche Polemik verzichten und Ihnen nur einmal einige Indikatoren nennen, die die Situation beschreiben, und zwar bundesweit, Herr Lehmann. Da liegt Berlin leider im Trend, aber Berlin hat im Vergleich zu anderen Bundesländern eine eigene Handschrift entwickelt, um Armut in dieser Stadt zu bekämpfen.
Nehmen wir den Indikator Vermögensverteilung in Deutschland. Wir haben ein immer weiteres Auseinanderklaffen von Einkommen und Vermögen. Die Armen werden mehr und noch ärmer, und die Reichen werden reicher. Das gesamte Nettovermögen in Deutschland ist zwischen 1998 und 2003 um knapp 20 % gestiegen. Davor, bei 16-jähriger Regierungsbeteiligung Ihrer Fraktion, der FDP, im Übrigen auch. An sich könnte man sich darüber freuen, der Knackpunkt ist nur, dass die Mehrheit der Bevölkerung von diesem Wachstum nichts abbekommen hat. Ihr Anteil am Gesamtvermögen ist gefallen. 1993 besaßen die reichsten 10 % aller Haushalte 45 % des gesamten Nettovermögens, 2003 sind es 47 %. Auch nach 16 Jahren Regierungsbeteiligung der FDP kann man feststellen, dass dieser Zuwachs bei den Reichen auf Kosten der Armen gegangen ist. Die ärmsten 10 % der Haushalte hatten bereits 1993 kein Vermögen und waren in Höhe von 0,2 % des gesamten Nettovermögens verschuldet. Insgesamt kann man bis heute eine Verdreifachung dieser Zahlen feststellen. Man kann auch feststellen, dass die Reichsten inzwischen 50 %, nämlich 96 % des Nettogesamtvermögens in Deutschland, besitzen und die unteren 50 % mit 4,1 % daran beteiligt sind, also fast nichts besitzen.
Es ist sicherlich peinlich zuzugeben, dass im 21. Jahrhundert – und hier unterscheiden sich unsere politischen Positionen gravierend – noch immer eine Klassen- und
Schichtenzugehörigkeit fundamental den sozialen Lebensweg prägt, nämlich vom Schulbesuch bis zur Gesundheitsvorsorge. Da hilft es auch nicht weiter, wenn Sie und die Leute Ihrer Partei und die CDU-Fraktion immer weiter auf Chancen und Risiken der Individualisierungsgesellschaft verweisen. Es ist in dieser Gesellschaft noch immer so, dass manche mehr Optionen haben, aber viele – und es werden immer mehr – die Risiken dieser Gesellschaft zu tragen haben. Arm ist, wer sich ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben nicht leisten kann. Die Senatorin hat die Armutsdefinition noch einmal vorgetragen.
Der zweite Indikator, der wichtig ist, ist die Bildung. Die letzte DIW-Studie zum Einfluss der sozialen Herkunft und des Einkommens der Eltern auf die Bildungschancen der Kinder
dass Deutschland dabei an der Spitze steht. In den CDU- und FDP-regierten Bundesländern ist das nicht anders. Der soziale Einfluss, die soziale Herkunft der Eltern wirkt sich entscheidend auf den Bildungsweg der Kinder aus.
Gestiegene Armut, vor allem bei Kindern: Gemessen am laufenden Einkommen ist Armut in den letzten 30 Jahren in der Bundesrepublik kontinuierlich angestiegen. Die Armutsquote in Ostdeutschland beträgt derzeit 12 %, in Westdeutschland 19 %. Das ist ein Anstieg in einer Größenordnung, der bedenklich stimmen müsste. Da stimme ich mit Ihnen wieder überein, Herr Lehmann.
Arbeitslosigkeit macht arm: Einen gravierenden Anstieg von Armut gibt es bei den Erwerbslosen. Auch hier, denke ich, gibt es eine Übereinstimmung. Schon 1989 war ein Drittel aller Erwerbslosen arm. Der Anteil ist prozentual weiter angestiegen. Die erheblichen Einschnitte der Hartz-IV-Reformen – und deren Ergebnisse sind im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung noch nicht verzeichnet – werden hier noch einen deutlichen Niederschlag zeigen. Die Auswirkung fehlender Beschäftigungsverhältnisse auf die Armut ist Ihnen auch bekannt. Sie wissen sicherlich auch, dass die momentanen Sicherungssysteme, so wie sie vorliegen, Armut in Gänze nicht verhindern können, aber zumindest dazu beitragen, dass die relative Armut in Teilbereichen abgefedert werden kann, aber eben nicht ausreichend und genügend. Deshalb sind wir der Meinung, dass auf Bundesebene mehr getan werden muss, als bisher getan wird, um steigende Armut künftig einzudämmen.
Hören Sie doch einmal zu! – Besserverdienende und Unternehmen müssen wieder stärker an der Finanzierung
Herr Lindner, dazu gehört, die staatsbürgerliche Verantwortung nicht nur bei den Armen einzuklagen, sondern Wirtschaftsbosse und andere Eliten auch an der Wiedereinführung einer Vermögensteuer zu beteiligen,
an der Erhöhung einer Erbschaftsteuer. Gewinnstarke Unternehmen müssen auch höhere Einkommen zahlen, und die Steuersysteme müssen vereinfacht werden. Das ist auch eine Frage von bürgerschaftlicher Verantwortung, die in dieser Gesellschaft neu diskutiert werden muss.
Fehlendes Wachstum, verzögerter Strukturwandel und auch wachsende Arbeitslosigkeit sind zentrale Fragen, aber sie sind auch nur Symptome und können nicht allein mit Mitteln der Ökonomie und der Wirtschaftspolitik beseitigt werden. Hier ist ein Umdenken in der Gesellschaft notwendig, wenn wir über die Armutsentwicklung hinaus konstatieren, dass die Lebensbereiche und die Lebenswirklichkeiten der Klassen und Schichten in dieser Gesellschaft – auch wenn Ihnen dieser Begriff nicht gefällt – zunehmend auseinander driften und dass wir es mit einer sozialen Exklusion von Klassen und Schichten zu tun haben, die sich in der Tat für eine gemeinsame Entwicklung des Gemeinwesens problematisch darstellt.
Berlin hat eine Menge getan, um seine Handlungsmöglichkeiten und Optionen in der Armutsbekämpfung auszureizen. Die Strategien der Stadt zur Armutsbekämpfung gehen in die richtige Richtung. Man sollte aber auch die Grenzen dieser Strategien im Blick haben und daran denken, dass es ein Land in Haushaltsnotlage ist. Ein Land in Haushaltsnotlage muss Potentiale nutzen und Projekte in Gang bringen, die Armutsbekämpfung real möglich machen.
Ich komme sofort zum Ende. – Die Ansätze, die die Senatorin hier vorgestellt hat, gehen in die richtige Richtung. Sie dienen einer wirksamen Armutsbekämpfung. Und das, Herr Lindner, was Sie hier heute vorgestellt haben und was wir schon oft im Ausschuss diskutiert haben, dient nicht einer Armutsbekämpfung, es dient dazu, die Polarisierung in dieser Gesellschaft weiter voranzutreiben. Ich kann Ihnen nur eine gute Reise wünschen, das Bürgerinnen und Bürgern in dieser Stadt klarmachen zu wollen. – Danke schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Das Thema Armut ist bekanntlich nicht der Schwerpunkt der FDP. Deshalb war ich etwas verwundert, als ich diese Große Anfrage zum ersten Mal gesehen habe. Der Verfasser, Herr Lehmann,
hat mit seinem in der FDP einsamen Engagement für das Soziale bei mir erst mal ein gutes Ansehen. Deshalb ging ich an das Lesen zunächst noch offen heran. Nun muss ich aber sagen, diese Große Anfrage ist eine Frechheit; nach Ihrer Rede, Herr Lehmann, denke ich, fast ungewollt, aber das macht die Sache auch nicht besser. Sie missbraucht die Not vieler Menschen in unserem Land. Sie missbraucht ein Thema, das insbesondere in Berlin extrem wichtig ist.
Während die Große Anfrage noch am Anfang Fragen enthält, die überflüssig, aber harmlos sind, weil sie in Studien oder Bestandsaufnahmen bereits mehrfach beantwortet wurden, konzentrieren sich die Fragen dann ausschließlich auf die Bundesebene und benützen Armut der Menschen nur als Werkzeug für ihr Ziel, die Bundesregierung zu beschimpfen. Am Ende dann lässt die FDP endgültig die Katze aus dem Sack und versucht, ihre Ideologien zu verbreiten, die alles andere als Armutsbekämpfung sind:
Weg mit der Debatte um Mindestlohn, Abbau von Steuern und anderen Abgaben usw. Der Armut in unserer Stadt widmet die FDP ganze 3 von 21 Fragen, wenn man die abzieht, die bereits in anderen Berichten längst beantwortet sind. Von diesen drei ist eine die rhetorische Frage:
Glaubt der Senat, dass sich in den nächsten Jahren Armut bzw. das Armutsrisiko noch weiter erhöhen wird?
Tolle Frage! – Die FDP zeigt, dass sie kein wirkliches Interesse für die Armut der Menschen hat und dass es ihr dabei nur um Parteiinteressen geht. Die FDP fordert sonst die Abschaffung von Subventionen und steuerlichen Vergünstigungen. Wenn es aber um sie, um die FDP selbst, geht, sieht es ganz anders aus.
Denn während der FDP-Finanzpolitiker Solms die Steuermoral predigt, organisiert er mit trickreichen, dunklen, wenn auch legalen Schiebereien den Verkauf der ehemaligen Bonner Parteizentrale, durch die am Ende der Staatskasse, die unsere sozialen Systeme finanziert, 13 Millionen € fehlen.
FDP-Fraktion, mit 13 Millionen € kann man eine Menge gegen Armut tun! Sie haben Ihre Parteisanierung höher als das Interesse der Gesellschaft gestellt, sie auf Kosten des Allgemeinwohls durchgeführt. Das ist ein trauriges Niveau der Politik, das keine weiteren Kommentare benötigt.
Nun zum Thema Armut. Trotz Wirtschaftskrise und Ebbe in den öffentlichen Kassen – Deutschland gehört nach wie vor zu den wohlhabenden Ländern der Welt. Wenn wir von Armut sprechen, müssen wir schon klarstellen, welche Gesichter der Armut wir meinen. Mit existentieller Armut, unter der Menschen in vielen anderen