Protokoll der Sitzung vom 29.09.2005

[Zuruf der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

Einerseits halten wir die Lehrerinnen und Lehrer in Berlin und geben ihnen eine Zukunftsperspektive. Andererseits haben diese Lehrerinnen und Lehrer, die dann in den Kitas eingesetzt werden, die Möglichkeit, bereits im Vorfeld des Einsatzes in der Schule in Kitas zu arbeiten. Diese

Erfahrungen, die sie dann mit Erzieherinnen und Erziehern in der Kita machen, ist perspektivisch für die angestrebte Kooperation zwischen Kitas und Grundschule gut, weil sie die Zusammenarbeit erleichtern und förderlich für beide Seiten sind. Deshalb appelliere ich nochmals an Ihre Vernunft: Springen Sie über Ihren Schatten! Hören Sie auf mit diesem Spiel Opposition gegen Regierungsfraktionen!

[Beifall der Abgn. Frau Dr. Tesch (SPD) und Frau Radziwill (SPD)]

Handeln Sie im Interesse der Berliner Schülerinnen und Schüler, der Berliner Kitas und Schulen und insbesondere im Interesse der Berliner Lehrerinnen und Lehrer! Geben Sie ihnen eine Chance! – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Danke schön! – Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Harant das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Mutlu! Grundsätzlich habe ich Sympathie für den Antrag, weil er in einer Art Patentlösung mehrere Probleme gleichzeitig zu lösen versucht. Nur mit Unterrichtsausfall hat er überhaupt nichts zu tun. Denn wir haben momentan das Problem, dass wir zu viele Lehrkräfte haben, die wir gar nicht im Staatsdienst unterbringen, nicht dass wir zu wenige haben und deswegen der Unterricht ausfällt.

[Mutlu (Grüne): Gehen Sie einmal in die Schulen!]

Bitte, vermischen wir hier nicht alles, sondern bleiben bei dem einen Punkt, den Sie hier ansprechen. Sie sagen, die Sprachförderung in der Kita müsse noch verbessert werden. Sie machen den Vorschlag, dies dadurch zu tun, dass arbeitslose Grundschullehrer in den Kitas Sprachförderkurse geben – analog zu den Sprachförderkursen für Kinder, die nicht in der Kita sind, bei denen Sprachdefizite festgestellt wurden und die ein halbes Jahr vor der Einschulung jeweils für zwei Stunden pro Tag Sprachunterricht bekommen. Sie tun so, als fände dergleichen in der Kita nicht statt.

[Frau Senftleben (FDP): Genau!]

Sie unterstellen, dass die Kitakinder benachteiligt seien, weil sie keine Sprachförderkurse verordnet bekommen. Sie werden „nur“ in der Kita gefördert, und dies auch „nur“ von Erzieherinnen und Erziehern.

Diese Benachteiligung kann ich nicht erkennen. Im Gegenteil. Wir haben in der Kita gerade in den letzten Jahren nach langen Diskussionen – auch mit ihrer Fraktion – die Sprachförderung als zentrales Anliegen festgelegt. Die Förderung der Sprachentwicklung –

Frau Abgeordnete! Gestatten Sie Zwischenfragen?

– ist ein wesentlicher Teil des Bildungsprogramms geworden.

Gestatten Sie Zwischenfragen?

Am Schluss gern! – Wir haben eine mehrjährige Förderung, denn die Kinder sind in der Regel mehrere Jahre in der Kita, wir haben eine gezielte und kontrollierte Förderung bis zum Schuleintritt. Dass noch nicht alles perfekt funktioniert, gebe ich Ihnen zu. Aber ganz bewusst ist nicht der Ansatz der Schule gewählt worden, sondern ein altersgerechter, der für die Kinder von den Erzieherinnen und Erziehern vor Ort zu leisten ist, in der Kindergruppe – im Übrigen mit ganz ähnlichen Materialien wie für die Kinder, die in der Schule den halbjährigen Kurs absolvieren.

Das Ergebnis dieser Förderung muss dokumentiert werden – hier bin ich Ihrer Meinung. Es muss kontrolliert werden, es muss dargestellt werden, dass zielgerichtet gearbeitet wird. Dies geschieht in den so genannten Sprachlerntagebüchern, die jetzt eingeführt sind. Dass die Erzieherinnen und Erzieher das leisten können – daran wird momentan offenbar gezweifelt –, wird dadurch gewährleistet, dass wir allein im Jahr 2004 100 Fortbildungsangebote hatten, die von fast 4 000 Erzieherinnen und Erziehern wahrgenommen worden sind. Fast 20 % der Berliner Erzieherinnen und Erzieher haben solch eine Fortbildung besucht. Die Qualifizierung ist in vollem Gang. Ich hoffe, dass sie auch die entsprechenden Ergebnisse zeitigt. Vom Ergebnis dieser Qualifizierung, die wir auch den Grundschullehrern angedeihen lassen müssten, profitieren dann auch schon die 2-, 3- und 4-Jährigen. Sie profitieren davon dauerhaft und nicht nur kurzzeitig, wenn die Grundschullehrer befristet für ein, zwei oder drei Jahre – ich weiß nicht, was genau Sie sich vorstellen – in der Kita arbeiten.

Einige Probleme sehe ich übrigens dadurch entstehen, dass Sie Grundschullehrer damit locken wollen, befristet eine angesichts ihrer Ausbildung unterbezahlte Tätigkeit auszuüben, und ihnen eine Zusage machen, dass sie anschließend sicher in den Schuldienst eingestellt werden.

[Zuruf der Frau Abg. Senftleben (FDP)]

Genau das ist der Punkt. Andere, die diese Tätigkeit nicht vorweisen können, werden dadurch womöglich benachteiligt. Dann jedoch haben wir ganz schnell Klagen auf dem Tisch. Hier müsste genau festgelegt werden, wie das zu handhaben wäre. Lehrertätigkeit zum Erziehergehalt ist ein Problem – fragen Sie einmal die Gewerkschaften, was die davon halten – und dann ist es die Frage, ob es fair ist, Menschen mit einem gewissen Druck dazu zu zwingen und dadurch die jetzt geltenden Auswahlkriterien zu verändern.

Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen!

Letzter Satz: Der Vorschlag klingt zunächst ganz kreativ und sympathisch, wir würden damit einige Probleme lösen können, bei näherem Hinsehen erscheint er mir aber doch problematisch,

[Mutlu (Grüne): Machen Sie ihn doch besser!]

und deshalb werden wir ihn ablehnen.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Danke schön! – Für die CDU-Fraktion hat die Frau Abgeordnete Schultze-Berndt jetzt das Wort!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die neuesten PISA-Ergebnisse zeigen, dass Berlin im bundesweiten Vergleich leider wiederum im letzten Drittel liegt. Eine der ersten Erklärungen unseres Schulsenators dafür lautete, dass Berlin eine so hohe Zahl Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache habe. Bei PISA werden 14-Jährige getestet, Jugendliche, die seit neun Jahren in unserer Schule sind, und offensichtlich die deutsche Sprache immer noch nicht ausreichend beherrschen, um entsprechend gut bei PISA abzuschneiden. Deshalb, Herr Böger, ist Ihr Erklärungsversuch in meinen Augen das Eingeständnis des Scheitern unserer Kitas und Schulen. Es ist ein Scheitern mit Ansage, wenn man bedenkt, dass die Ergebnisse des Tests „Bärenstark“ bereits seit langem auf diese Problematik hingewiesen haben. „Bärenstark“ ist dann durch den Schwellentest ersetzt worden, bei dem die Ergebnisse zwar ein bisschen besser ausfielen, gleichwohl besteht massiver Förderbedarf bezüglich der Spracherziehung.

Von den 34 700 getesteten Kindern des nächsten Schuljahres, sollen lediglich 1,8 % in den Genuss einer Förderung kommen, nämlich nur diejenigen, die nicht bereits eine Kindertagesstätte besuchen und bei denen Förderbedarf festgestellt worden ist. Diese sollen 17 Wochen zwei Stunden am Tag mit deutscher Betreuung versehen. Damit ist die Hoffnung verbunden, dadurch werde sich alles bessern. Immerhin mehr als ein Viertel der getesteten Kinder spricht nicht ausreichend gut Deutsch. Man meint aber, das werde der Kindergarten im letzten Jahr regeln, obwohl diese Kinder bereits zuvor den Kindergarten besucht haben und das Ergebnis der dortigen Erziehung die schlechten Sprachkenntnisse sind. Das heißt: In unseren Kindergärten gelingt es nicht, den Kindern ausreichend Deutsch beizubringen.

Wir sehen dringenden Handlungsbedarf für alle Kinder, die nicht gut genug Deutsch sprechen, damit wir nicht erst bei 14-Jährigen mit Erschrecken feststellen, wie wenig Deutsch sie beherrschen. Wenig Deutsch zu beherrschen, bedeutet immer, dass man dem Unterricht nicht ausreichend folgen kann, der in Deutsch unterrichtet wird. Die Ergebnisse zum mittleren Schulabschluss unterstützen diese Aussage. Dort wird augenfällig, dass insbesondere Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache auffallend schlechte Ergebnisse zeigen.

Wir fordern seit langem, alle 4-jährigen Kinder im Rahmen einer verpflichtenden Untersuchung auf ihren Sprachentwicklungsstand zu untersuchen.

[Beifall des Abg. Steuer (CDU)]

Kinder mit Förderbedarf wollen wir bereits ein Jahr vor Schulbeginn verpflichtend in einer Art Vorklasse in Deutsch unterrichtet sehen. Deshalb begrüßen wir den Antrag der Grünen, dafür entsprechend ausgebildete Pädagogen einzusetzen. Wenn bei Schulbeginn immer noch Sprachdefizite bestehen, wollen wir, dass die Kinder ein weiteres Jahr in einer Förderklasse bleiben, damit sie anschließend so gut Deutsch sprechen, dass sie Chancen in einer Regelklasse in der Schule haben. Wenn die fundamentalen Sprachkenntnisse, die offenbar so vielen Kindern fehlen, unterrichtsbegleitend vermittelt werden sollen, besteht immer das Problem, dass die Kinder eine Menge Vokabeln nicht verstehen und deshalb eine Menge von Unterrichtsinhalten verpassen. Dann muss es uns nicht wundern, wenn Schulleiter mit Bedauern feststellen, sie müssten Sechstklässler mit unzureichenden Sprachkenntnissen an die Oberschulen weitergeben.

Vergleichbare Bildungschancen, die hier im Haus immer so intensiv gefordert werden, können wir nur dann erreichen, wenn wir es von vornherein schaffen, den Kindern die Schlüsselqualifikation Sprachkompetenz zu vermitteln. Wir unterstützen deshalb den Antrag der Grünen. Die Förderung, die die Kitas bislang leistet, reicht nicht aus, vor allem nicht bei den Problemfällen. Ich verweise auf die aktuelle Diskussion über die Ein-Euro-Kräfte. Auch eine derartige Förderung ist keine Lösung. Es werden Lehrer eingesetzt, die teuer und lange vom Land Berlin ausgebildet worden sind. Unsere Wertschätzung dieser Ausbildung besteht dann darin, dass wir verlangen, für 1 € pro Stunde den Kindern die deutsche Sprache beizubringen. Das ist weder besonders motivierend noch das, was wir für unsere Kinder wollen.

Zur Unterstützung der Reformmaßnahmen für eine bessere Qualität hat die CDU-Fraktion die Einstellung von 300 zusätzlichen Lehrkräften gefordert. Neue Lehrkräfte wollen wir haben, mit dem neuesten Ausbildungsstand, das heißt nicht ältere Lehrkräfte, niemanden aus Brandenburg, sondern diejenigen, die von der Uni kommen, die aus dem Referendariat kommen – genau, wie es in diesem Antrag gefordert wird.

Für uns hat der Bildungsbereich Priorität, und wir wollen die beste Förderung für die Kinder. Darum wollen wir früh beginnen, um allen Kindern vergleichbare Bildungschancen zu eröffnen. Wir wollen bei der Sprachförderung und damit in der Bildung von Anfang an nicht kleckern, sondern klotzen. Wir fordern qualifizierte Lehrer für die Sprachförderung ab vier Jahren. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön! – Und nun für die Linkspartei.PDS die Abgeordnete Frau Dr. Barth. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben den Antrag zu „Sprachförderkurse auch Kitakindern anbieten und hier ausgebildete Grundschullehrer in Berlin halten“ im Fachausschuss gründlich beraten und abgelehnt. Warum? – Weil der Antrag an den Realitäten vorbeigeht. Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, gehen von der Prämisse aus, dass eine spezielle Sprachförderung in der Kita bisher nicht stattfindet. Das hat die Kollegin Harant eigentlich schon widerlegt.

[Frau Senftleben (FDP): Nein, das hat sie genau nicht widerlegt. Das kann sie gar nicht widerlegen!]

Frau Abgeordnete! Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Mutlu?

Nein! – Deshalb sollen zusätzliche Kräfte für die Sprachförderung in den Kitas eingestellt werden. Das sollen nach den Vorstellungen der Antragsteller 250 arbeitlose Grundschullehrerinnen sein, die zu einem Erzieherinnengehalt und mit einer Einstellungszusage für den öffentlichen Dienst in der Schule in den Kitas wirken sollen. Ich glaube, meine Damen und Herren von den Grünen, an Ihnen ist eine ganze Reihe wichtiger Entscheidungen und Entwicklungen in unserem Land vorbeigegangen. Sprachförderung ist längst eine wesentliche Aufgabe der Kitas. Mit dem neuen Schulgesetz und der Einführung des Bildungsprogramms in den Kindertagesstätten wurde die Sprachförderung sogar zu einer zentralen Aufgabe dieser Bildungseinrichtungen.

In diesem Sinn hat der Senat in den letzten Jahren und Monaten eine ganze Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht. Sicherlich stimmen Sie mir zu, Dr. Augstin, dass sich das nicht von heute auf morgen konkret niederschlägt. Aber Sie haben hoffentlich nicht vergessen, welche Maßnahmen das waren. Ich will einige benennen. Dazu zählen die Sprachstandsmessungen, verbindliche Sprachförderkurse vor dem Schuleintritt, die Sprachlerntagebücher, die Mütterkurse, Fortbildungsmaßnahmen für Erzieherinnen, eine völlig neue Erzieherinnenausbildung auf Fachhochschulniveau, die Vorstellung und Diskussion verschiedener Sprachförderkonzepte auf Fachtagungen, in Fachgesprächen auf allen möglichen Ebenen, die Einführung einer flexiblen Schulanfangsphase, wo auch das eine Rolle spielt, aber nicht letztlich das Integrationskonzept, das wir vor wenigen Wochen hier vorgestellt haben.

Ohne Frage, bei allem Fortschritt kann man natürlich immer noch mehr machen. Da stimme ich Ihnen zu. Doch die Finanzen geben einen Rahmen vor und setzen Grenzen. Aber vernünftig ist, das Begonnene zunächst solide einzuführen und auf seine Wirksamkeit hin zu prüfen. Neue und machbare Vorschläge zur Verbesserung sind dann immer willkommen.

[Frau Senftleben (FDP): Dann prüft mal!]

Ein solcher Vorschlag liegt aber nach unserer Prüfung mit diesem Antrag leider nicht vor.

Ich möchte noch einmal feststellen: Die Sprachförderung gehört zu den wesentlichen Aufgaben der Erzieherinnen. Dafür werden sie ausgebildet und qualifiziert.

[Frau Senftleben (FDP): Nein, eben nicht!]

Zweitens halten wir es für tarifpolitisch in höchstem Maße bedenklich, Billiglehrer zu beschäftigen.

[Frau Senftleben (FDP): Ach, ja! Drittens sind Sie von den Grünen uns wieder einmal eine Erklärung schuldig, aus welchen Töpfen Sie diese zusätz- lichen Grundschullehrerinnen dann im Schuldienst finan- zieren wollen. Nun fragen wir uns, warum Sie diese Be- schlussempfehlung heute noch mal zur Diskussion stellen. Ist es etwa die Tatsache, dass arbeitslose Akademikerin- nen als Ein-Euro-Jobber in Berliner Bezirken bei der Sprachförderung eingesetzt werden bzw. zum Einsatz kommen sollen? – Ich kann Ihnen versichern, dass meine Fraktion diese Entscheidung für höchst bedenklich hält. [Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Andererseits hat die Linkspartei.PDS diese unbezahlten Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung nicht erfunden. Da waren bekanntlich Ihre grünen Kollegen auf Bundesebene eifrig dabei. Auch wenn Sie noch so sehr nach Transparenz und Positivlisten und was weiß ich noch rufen, der Kern des Übels in den von Ihnen mitverantworteten Hartz-IV-Gesetzen ist nun mal unbestritten. Aus dieser Verantwortung kann man Sie auch nicht heraushalten. Deswegen haben wir den Antrag von Ihnen abgelehnt.