Protokoll der Sitzung vom 29.09.2005

Das Unternehmen Samsung hat in den letzten Jahren satte Gewinne gemacht, hohe Summen Fördergelder bekommen, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben beträchtliche Einschnitte hingenommen. Jetzt plötzlich die Aussage: Es geht nicht mehr – und das, obwohl es viele Gespräche gegeben hat, die Produktion zu modernisieren und Investitionen vorzunehmen. Nein! Wir fordern von dieser Stelle die Verantwortlichen von Samsung auf, den Beschluss zu revidieren.

[Beifall bei der SPD, der Linkspartei.PDS, der CDU und den Grünen]

Ich möchte auch die Kolleginnen und Kollegen von Samsung direkt ansprechen. Sie waren schon zu Sitzungen des Wirtschaftsausschusses bei uns, und wir sagten Ihnen zu: Wir unterstützen Sie in Ihrem Kampf! Dieser wichtige Produktionsstandort muss für Berlin erhalten bleiben, und es ist gut, dass vier Parteien diesen gemeinsamen Antrag gestellt haben.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS, der CDU und den Grünen]

Vor ein paar Monaten sprach ich hier im Rahmen der so genannten Heuschreckendebatte über die Verantwortung von Investoren für ihre Beschäftigten und Werke. Ich wiederhole: Wir als Sozialdemokraten wollen nicht zulassen, dass Menschen immer mehr zu Objekten in dem großen globalen Wirtschaftsspiel werden.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Wir wollen eine soziale Marktwirtschaft, und d. h., die Wirtschaft ist für die Menschen da, nicht umgekehrt.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Soziale Marktwirtschaft heißt, die Teilhabe der Menschen am Produktionsprozess zu garantieren, die sozialen Errungenschaften wie Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die gesetzlich verankerte Stellung der Gewerkschaften sind Bestandteile der sozialen Marktwirtschaft, und das ist gut so!

[Zuruf des Abg. Dr. Lindner (FDP)]

Und das ist der Vorteil unseres Standorts, Herr Dr. Lindner!

[Beifall bei der SPD, der Linkspartei.PDS und den Grünen – Dr. Lindner (FDP): Das ist doch der Grund dafür, dass hier abgebaut wird!]

Herr Dr. Lindner, Sie haben einen wunderschönen Antrag gestellt. Lassen Sie uns nachher darüber reden. Sie haben auch in dieser Heuschreckendebatte – wenn ich daran erinnern darf – darüber diskutiert, wer hier Verräter von Arbeiterinteressen ist. Es ist ungeheuerlich, was Sie sich hier immer wieder leisten.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Wir als Wirtschaftler wissen, dass Unternehmer erfolgreich, wettbewerbsfähig, innovativ und nachhaltig sein müssen. Unternehmen brauchen Gewinne, um bestehen zu können und am Standort zu investieren, zu modernisieren und zu expandieren. Unsere Politik des sozialen Fortschritts hat beides im Blick. Deswegen wurde vor allem der Mittelstand entlastet und wurden die Unternehmenssteuern gesenkt, um im Wettbewerb – auch im globalen – besser dazustehen.

[Dr. Lindner (FDP): Die Tabaksteuer!]

Ich komme gleich darauf! – Wir wissen, dass es den gewünschten Königsweg nicht gibt. Den haben Sie auch nicht! Aber die Menschen haben klar entschieden, dass es auch keinen Kirchhofweg gibt.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Wir müssen soziale Marktwirtschaft durch sozial gerechtere Formen an die Bedingungen einer globalisierten Wirtschaft anpassen. Das ist unser Problem. Wir haben hier in Berlin sehr spezifische Probleme. Von den Industriearbeitsplätzen – einst auf beiden Seiten hoch subventioniert – sind zwei Drittel weggebrochen.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn von Lüdeke?

Ach, Herr von Lüdeke, wollen wir es nachher machen? – Ich will es erst einmal insgesamt abarbeiten.

[Dr. Lindner (FDP): Sie müssen erst mal ablesen, ist klar!]

Wir haben insgesamt – und das wissen Sie alle – nur noch 97 000 Beschäftigte im industriellen Bereich bei einem Umsatz von 30 Milliarden €. Wir haben 326 000 arbeitslose Mitbürgerinnen und Mitbürger – das ist eine schwere Bürde. Der Senat ist ein zuverlässiger Partner der Wirtschaft, damit diese Probleme gelöst werden.

[Oh! von der CDU und der FDP – Jawohl! von der SPD]

Ja, Sie sehen das nicht so, und ich habe das auch bei Ihrem Antrag festgestellt, Herr Lindner, dass Sie das offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

Wir haben immer im Blick, die Investoren nach Berlin zu holen, und die Ansiedlungserfolge zeigen, dass wir da auf dem richtigen Weg sind. Berlin ist ein wichtiger Standort, er ist gut für die Industrie und die gewerbliche Wirtschaft, für Dienstleistungen, Medien, für Messen, Konferenzen, für die Wissenschaft, die Forschung, für die Musikindustrie – das alles haben wir sehr intensiv miteinander diskutiert. Berlin hat zudem große Potentiale im Ost-West-Know-how. Die dringende Aufgabe besteht nun darin, all diese Potentiale tatsächlich zu nutzen, neue Produktionen nach Berlin zu bekommen und aus dem vorhandenen Wissen marktfähige Produkte zu machen. Wir können nicht Forschung und Entwicklung mit hohen Summen fördern und dann zulassen, dass die hier entwickelten Produkte woanders gebaut werden. Das ist eine wichtige Forderung, um Arbeitsplätze hier zu sichern.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Wir müssen Unternehmen, die das können, nach Berlin ziehen und natürlich auch eng mit den Berliner Betrieben zusammenarbeiten. Wir brauchen die industrielle Produktion auch deshalb, weil sie dazu beitragen, die vielen mittelständischen Betriebe in Lohn und Arbeit zu bringen.

[Beifall bei der SPD]

Dies ist auch eine wichtige Arbeit für unsere OneStop-Agency, nunmehr Berlin Partner, aber auch für alle Bereiche unserer Wirtschaft. Nur mit Innovationen sichert man die Zukunft der Produktion – wenn man das ignoriert, und das zeigt der Fall Samsung, hat man im Wettbewerb schlechte Karten.

Das Thema lässt die Frage zu: „Gibt es eine Krise des Standortes Berlin?“ – Ich sage nein, das ist keine sachliche Diskussion.

[Zuruf des Abg. von Lüdeke (FDP)]

Da ist die Gefahr des Schlechtredens. Stattdessen müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir viele Probleme erfolgreich gelöst haben. Es gibt die Belebung der Wirtschaft, es gibt sie im Einzelhandel, Sie müssen sie nur mal wahrnehmen und sich die Zahlen anschauen. Die Haushaltsberatungen haben gezeigt, dass wir neue Möglichkeiten haben, die Rahmenbedingungen noch besser und zielgerichteter zu nutzen. Da geht es nicht nur um die GA-Mittel und die EFRE-Mittel – ein riesiges Problem –, da geht es vor allen Dingen um die Finanzierung des Mittelstandes, um gezieltes Coaching bei Neugründungen, einfache Darlehensvergabe, Mikrolanding, Potentialberatung der Berliner Betriebe.

[von Lüdeke (FDP): Toll, wunderbar!]

Wir können stolz darauf sein, dass wir gemeinsam mit den Gewerkschaften eine Aktion starten, um Probleme im Vorfeld zu erkennen und zu besprechen.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Wir müssen natürlich auch intensiv nachhaken, ob all diese Mittel für das ausgegeben werden, wofür wir sie vorgesehen haben. Wir müssen auch bei der Vergabe von Fördermitteln darüber nachdenken, ob die langfristige Bindung geförderter Unternehmen nicht ein verbindliches Kriterium für die Vergabe sein muss. Das ist es, was Samsung uns lehrt. In diesem Sinne sollten wir für den Standort weiter intensiv kämpfen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS – von Lüdeke (FDP): Das hat Ihnen keiner der Mitarbeiter geglaubt!]

Danke schön, Herr Kollege Krug! – Es folgt Herr Kollege Zimmer für die Fraktion der CDU. – Bitte schön, Sie haben das Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen aus Oberschöneweide! In den vergangenen Wochen haben die Standortschließungen und Massenentlassungen in Berlin einen erneuten Höhepunkt erreicht. Täglich müssen wir alarmierende Hiobsbotschaften vernehmen: 750 Arbeitsplätze weniger bei Samsung, 800 Arbeitsplätze weniger bei Siemens, 200 Arbeitsplätze weniger bei Reemtsma und heute, ganz aktuell, 100 Arbeitsplätze weniger bei Mercedes in Marienfelde. Diese Unternehmen haben innerhalb von wenigen Tagen angekündigt, insgesamt mehr als 2 000 Arbeitsplätze in der Hauptstadt abzubauen. Das sind 2 000 Familienschicksale, über die wir heute reden. Es sind Väter und Mütter, die Tränen in den Augen haben, weil sie nicht mehr wissen, wie es weitergehen soll.

Auch andere haben Tränen in den Augen, aber es sind Krokodilstränen, die Sie von SPD und Linkspartei.PDS hier vergießen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Es ist das Ergebnis Ihrer Politik, dass jährlich rund 2 000 Betriebe Pleite gehen, abwandern oder ihre Werke schließen. SPD und Linkspartei.PDS haben die Arbeitslosen

quote von rund 20 % in unserer Stadt zu verantworten. Fast jeder fünfte Erwerbsfähige, dem Sie in unseren Straßen begegnen, teilt das Schicksal, keiner festen Arbeit nachgehen zu können. Von denen, die noch Arbeit haben, hat jeder Dritte Angst um seine Zukunft, Angst davor, seinen Job zu verlieren, seine Familie nicht mehr versorgen zu können, seine Miete nicht mehr bezahlen zu können, keine Aufgabe mehr zu haben und sein Ansehen in unserer Gesellschaft einzubüßen.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pewestorff?

Nein! – Was ist Ihre Antwort? – Der Senat meint, dass wir uns mit einer verfestigten Arbeitslosenquote von 15 bis 17 % abfinden müssen. Das ist die Prognose des Finanzsenators Thilo Sarrazin für die Berliner Zukunft, die er bei den Wirtschaftsgesprächen zum Besten gegeben hat.

[Hoffmann (CDU): Pfui!]

Ich sage Ihnen, Herr Sarrazin, das ist in höchstem Maße unverantwortlich und zynisch!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Es ist einfach unerträglich, wie Sie vor der Arbeitslosigkeit ganz offensichtlich kapitulieren und Ihre Hände in den Schoß legen wollen. Wir alle als politisch Verantwortliche haben die Pflicht, das Problem ernst zu nehmen, nach Lösungen zu suchen und entsprechend zu handeln. Insbesondere die Berliner Regierung, Herr Wowereit, Herr Wolf und wie Sie alle hier sitzen, Sie haben die Verantwortung und müssen endlich Ihren Job erledigen und der Arbeitslosigkeit den Kampf ansagen, statt zu resignieren. Ihre Haltung zu dieser Frage ist einfach ungeheuerlich.

[Beifall bei der CDU und der FDP]