Protokoll der Sitzung vom 29.09.2005

Es ist von Nokia, das Handy, um das gleich klarzustellen. Es ist nicht von Samsung!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letzte Woche war keine gute Woche für Arbeitsplätze: Siemens, Daimler-Chrysler, Sony, die Telekom, sie alle kündigten an, in den kommenden Jahren insgesamt mehrere Zehntausend Arbeitsplätze in Deutschland abzubauen, davon mit Sicherheit auch etliche, Herr Doering, in Berlin. Aber damit nicht genug. Herlitz will womöglich 500 Beschäftigte in Tegel entlassen, Reemtsma hat angekündigt, 200 Arbeitsplätze in Berlin abzubauen, auch Phillip Morris hat gleich prophylaktisch angekündigt, die Zukunft des Berliner Standorts sei ungewiss. Dann kam noch die kategorische Mitteilung von Samsung in der vergangenen Woche, das Werk in Oberschöneweide binnen vierer Monate faktisch zu schließen.

Auch wir von Bündnis 90/Die Grünen sagen, dass es in einer solchen Situation nicht nur angemessen, sondern auch unsere verdammte Pflicht ist, gemeinsam mit den Beschäftigten, ihren Familien und den Menschen vor Ort für diese Arbeitsplätze zu kämpfen.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linkspartei.PDS – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Dr. Lindner (FDP): Aber verdammt noch einmal wie?]

Das gilt insbesondere für den Jobkiller Samsung. Deswegen haben wir zu Samsung eine fraktionsübergreifende

Entschließung initiiert, denn Samsung ist ein ganz besonderes Beispiel für unternehmerische Dreistigkeit. Da finden sich auf der einen Seite wohlklingende Worte auf der Website von Samsung, die ich für Sie aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt habe. Da heißt es:

So wie ein Fisch nicht ohne Wasser existieren kann, so kann ein Unternehmen nicht ohne Gesellschaft existieren. So nimmt Samsung seine Rolle als guter Bürger sehr ernst und steht fest hinter seinem Versprechen, einen bleibenden sozialen Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten.

Schöne Worte! Sie klingen aber leider sehr schal, denn sie haben mit dem realen Handeln nichts, aber auch gar nichts zu tun. Samsung hat 30 Millionen € für fünf Jahre Arbeitsplatzsicherung kassiert, bekommt vom Land eine ganze Fachhochschule an die Seite gestellt und hält es dann nicht einmal einen Tag länger aus als vertraglich unbedingt notwendig. Erst Subventionen kassieren und sich dann vom Acker machen, das sollten nicht nur wir und die Beschäftigten nicht hinnehmen, sondern wir von Bündnis 90/Die Grünen sagen, da sollten auch alle Verbraucherinnen und Verbraucher über Berlin hinaus klarmachen, dass sie es nicht in Ordnung finden, wie ein Unternehmen sich aus seiner sozialen Verantwortung für eine Region stiehlt.

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD – Beifall des Abg. Wansner (CDU)]

Bündnis 90/Die Grünen hat heute mit einer Protestaktion am Charlottenburger Tor auf das unsägliche Verhalten der Firma Samsung aufmerksam gemacht.

[Zuruf des Abg. Pewestorff (Linkspartei.PDS)]

Wir fordern alle Verbraucher und Verbraucherinnen auf, Samsung-Produkte zu boykottieren,

[Frau Michels (Linkspartei.PDS): Das ist falsch!]

solange Samsung daran festhält, die Produktion zum 31. Dezember 2005 beziehungsweise 1. Januar 2006 einzustellen.

Die berechtigte Kritik an der Geschäftsleitung von Samsung kann und darf nicht darüber hinweg täuschen, dass etwas dramatisch schief läuft in der Berliner Wirtschaftspolitik. Die Diskrepanz zwischen dem, was gemacht wird, und dem, was man machen müsste, könnte tatsächlich größer nicht sein. Herr Doering! Zwar wurde tatsächlich das alte Westberliner Relikt Berliner AbsatzOrganisation mit der Wirtschaftsförderung fusioniert und das Ganze One-Stop-Agency genannt, obwohl es immer noch eine Reihe weiterer Wirtschafsförderinstitutionen im Land gibt, die weiterhin mitmischen, es wurden neue Mitzeichnungsregeln in der Verwaltung kreiert, eine Abteilung wurde umgebaut und ebenfalls One-Stop-Agency genannt und als Durchbruch gefeiert, Senator Wolf gefiel sich darin, sich mit der IHK, der Handwerkskammer, dem Unternehmerverband sowie dem Bauindustrieverband gegenseitig auf die Schulter zu klopfen, weil sie gemeinsam ein Positionspapier mit dem Namen „Wachstumsinitiative Berlin 2004 – 2014“ verfasst haben, die Gewerkschaften

jedoch sind außen vor geblieben. Das kreiden Ihnen nicht nur die Genossinnen und Genossen an, sondern auch wir, weil wir glauben, dass es nicht zukunftsfähig ist, wenn man solch eine Initiative nicht gemeinsam auf den Weg bringt.

[Beifall bei den Grünen]

Trotz dieses Papiers gibt es kein Wachstum, geschweige denn nachhaltiges Wachstum in Berlin. Im Gegenteil: Die Erwerbslosigkeit verharrt mit 19 % auf einem sehr hohen Niveau. Dafür tragen sehr wohl Sie vom rot-roten Senat die Verantwortung.

[Dr. Lindner (FDP): So ist es!]

Nun pflegt insbesondere die Linkspartei.PDS die Schuld für die schlechte wirtschaftliche Situation in Berlin allein auf die rot-grüne Bundesregierung zu schieben. Das war schon immer eine billige Ausrede,

[Brauer (Linkspartei.PDS): Die ist abgewählt!]

wie ein Blick auf die blanken wirtschaftlichen Zahlen zeigt. Berlin liegt nicht im bundesdeutschen Trend, sondern Berlin ist in Deutschland absolut einzigartig, allerdings im Hinblick auf Negativrekorde.

[Brauer (Linkspartei.PDS): Das ist nicht wahr, Frau Paus!]

Entgegen dem Bundestrend ist in Berlin das Bruttoinlandsprodukt im ersten Halbjahr erneut gefallen, und zwar um 0,6 %. Besonders dramatisch zeigt sich das Versagen des Senats im Bereich der Industrie. Ohne Samsung und die anderen ist in Berlin im 1. Halbjahr 2005 als einzigem Bundesland der Umsatz im verarbeitenden Gewerbe eingebrochen. Wir verzeichnen hier ein Minus von 1,4 %, und das, wo sich die Zahlen in allen Bundesländern nicht nur weniger schlecht, sondern positiv entwickelt haben. In Westdeutschland gibt es ein Plus von 3 % – gut –, im gesamten Osten sind es 6,2 % – sehr gut. Um noch ein östliches Bundesland besonders hervorzuheben: In Mecklenburg-Vorpommern wurde im 1. Halbjahr ein Plus von 9,2 % verzeichnet. Nur noch einmal zum Vergleich: minus 1,4 % in Berlin.

[Frau Michels (Linkspartei.PDS): Was ist denn da für eine Regierung? – Zuruf des Abg. Brauer (Linkspartei.PDS) – Weitere Zurufe von der Linkspartei.PDS]

Trotzdem, es geht hier um die Berliner Wirtschaftspolitik, um das, was Sie hier geleistet haben. Meinetwegen können Sie in Mecklenburg-Vorpommern positive Dinge bewegen. Wir stellen aber fest: In Berlin schaffen Sie das nicht!

[Beifall bei den Grünen und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Ein Blick auf die anderen Stadtstaaten Bremen und Hamburg – falls man argumentiert, das liege am Stadtstaatenproblem – zeigt ebenfalls: Die katastrophalen Zahlen im verarbeitenden Gewerbe sind hausgemacht. Dafür tragen Herr Wolf, Herr Sarrazin und Herr Wowereit die Verantwortung. Solch schlechte Zahlen gibt es sonst nirgendwo

in der Republik. Dies belegt, das Samsung leider nur die Spitze des Trümmerberges ist, für den genau Sie verantwortlich sind.

[Beifall bei den Grünen und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Gaebler (SPD)]

Nichts bringt das Missverhältnis zwischen dem, was passiert, und dem, was passieren müsste, besser auf den Punkt als der Umgang mit der Firma Samsung. Für das Controlling ist es erfasst worden – Herr Strauch hat es am Montag noch einmal gesagt –: Es hat 18 Gespräche

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Kontakte!]

in den letzten drei Jahren zwischen Beteiligten des Senats und der Firma Samsung gegeben. Schön und gut! Es scheint aber so zu sein, dass ein entscheidendes Gespräch nicht stattgefunden hat.

[Liebich (Linkspartei.PDS): Das 19.!]

Weder der Regierende Bürgermeister noch ein Senator, nicht einmal ein Staatssekretär, fanden Zeit, um sich mit der koreanischen Geschäftsführung von Samsung zu treffen.

[Liebich (Linkspartei.PDS): Sie glauben doch selbst nicht, dass es an diesem einen Gespräch liegt!]

Das ist deshalb so desaströs, weil in Berlin mehr Anstrengungen nötig sind und nicht weniger, um Firmen in die Stadt zu holen.

[Zurufe von der Linkspartei.PDS]

Der Regierende Bürgermeister hat gesagt, er könne für den vergangenen August keinen Termin in seinem Kalender finden. Er hat aber nicht gesagt, was sich im vergangen Jahr im August zugetragen hat, und konnte es nicht klar dementieren. Es ist nicht ausgeräumt. Es ist nicht widerlegt.

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP – Stadtkewitz (SPD): Nun ist er sprachlos, der Herr Wowereit!]

Es ist seit mehreren Jahren so, dass Berlin das einzige Bundesland in Ostdeutschland ist, das nicht in der Lage ist, seine Fördermittel an ansiedlungswillige Unternehmen auszuzahlen. Summen in zweistelliger Millionenhöhe verfallen jährlich.

[Liebich (Linkspartei.PDS): Mehr Geld in die Wirtschaftsförderung!]

Das ist einzigartig in der Republik, auch das musste Senator Wolf am Montag im Wirtschaftsausschuss noch einmal einräumen. Berlin ist auch das Bundesland in Deutschland mit der niedrigsten Wirtschaftsförderung pro Einwohner.

Nun wissen wir – auch das hat das Fall Samsung noch einmal in aller Deutlichkeit gezeigt –, insbesondere die Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur hat Kriterien, die weder für Berlin

passen noch nachhaltig sind. Wir beklagen das nicht erst seit gestern.

[Liebich (Linkspartei.PDS): Ihr hättet es ändern müssen!]

Der rot-rote Senat hätte längst initiativ werden müssen, um das zu korrigieren und zu versuchen, die Förderstrukturen auf die Berliner Bedürfnisse auszurichten.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

In Zeiten, in denen Produktionsentscheidungen von global agierenden Unternehmen für maximal fünf bis zehn Jahre getroffen werden, ist eine Wirtschaftsförderung, deren Vergabekriterien seit den 50er Jahren praktisch nicht verändert worden sind, irrwitzig.

[Dr. Lindner (FDP): Das ist der Punkt!]

Die Vorstellung, man reise um die Welt, kaufe mittels GA ansiedlungsfähige Unternehmen zusammen und dann seien sie hier und blieben hier, ist im wahrsten Sinne des Wortes aus dem letzten Jahrhundert.