Protokoll der Sitzung vom 29.09.2005

[Liebich (Linkspartei.PDS): Samsung ist doch kein Museum mehr! ]

Was ist zu tun? – Wir haben in Deutschland weit über Berlin hinausgehende Strukturprobleme. Erstens: Wir brauchen dringend eine Reform des Arbeitsrechts, eine Liberalisierung des Arbeitsrechts. Zweitens: Aktivierende Sozialhilfe. Drittens: Endlich eine Steuerreform insbesondere der Unternehmensteuern und nicht blödsinnige Steuererhöhungen wie bei der Tabaksteuer.

[Liebich (Linkspartei.PDS): Die Unternehmensteuer ist doch dauernd gesenkt worden. Hat doch zu nichts geführt!]

Viertens: Eine Reform und deutliches Absenken der Lohnnebenkosten. – Das sind die Bundesaufgaben. Da werden wir sehen, was in den nächsten vier Jahren passiert.

Dann kommen wir zu den Landeszuständigkeiten. Das Haupthemmnis für wirtschaftliche Entwicklung ist die elende Bürokratie, ist die Überregulierung, die wir vor allem in dieser Stadt haben. Damit wir uns klar verstehen, worüber bei Bürokratie oder Bürokratieabbau ich rede: Da reden wir nicht über die Neugestaltung irgendeines Antragsformulars. Da reden wir auch nicht über die Fusion von zwei, drei Ämtern – One-Stop-Agency und so lächerliches Zeug. Da reden wir darüber, wie Mittelständler, wie Kleinunternehmen drangsaliert werden. Sie müssen sich nur einmal mit denen unterhalten.

Ich war neulich in einem Fleischereibetrieb in Wilmersdorf. Das war ein prosperierendes Unternehmen; Schlangen da drin, Handwerksbetrieb – beide, Mann und Frau, standen da drin. Die haben neulich dicht gemacht. Ich habe sie gefragt: Warum machen Sie denn dicht? Da waren doch Schlangen bis zur Tür raus. Das Ordnungsamt konnte da die Parker in der 2. Reihe abkassieren, so ging es da zu. – Da sagt die: Stellen Sie sich vor, ich sitze und stehe mit meinem Mann den ganzen Tag da drin bis spät am Abend und fülle in irgendwelche Kladden die Verwertung einzelner Leberkäsescheiben und so etwas ein. – Das ist das, worunter die leiden. Da kommt der Mann vom Amt: Hier eine Feuertür! Hier einen neuen Aufzug! Hier doppelte Handläufe im Keller! Hier separates Raucherzimmer! Dort eine Trennwand! – Ruckzuck mehrere 100 000 €, die da fällig werden. Das schaffen die kleinen Unternehmen nicht.

[Frau Michels (Linkspartei.PDS): Aber Samsung ist doch kein kleines Unternehmen!]

Das ist die Hauptursache, warum keine selbst tragende Wirtschaft in Berlin entsteht.

[Liebich (Linkspartei.PDS): Jetzt wieder zum Thema reden!]

Das Thema sind Arbeitsplätze. Und die meisten Arbeitsplätze, Herr Schlaumeier Zwischenrufer, entstehen bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen und

nicht in der Großindustrie. Das sollten sogar Sie von der Linkspartei allmählich mal begriffen haben.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Bei den großen Unternehmen kommen neben diesen Schikanen, die ich aufgezählt habe, noch andere schöne Sachen dazu: Hier freigestellte Betriebsräte in uferloser Größe, dann für jeden Mist einen eigenen Beauftragten mit Sekretärin, Besprechungsraum für die IG-MetallSekretäre und, und, und. Mit diesen Auswüchsen muss Schluss sein in Deutschland, sonst können wir nie nach oben kommen mit Beschäftigung und Arbeit in Deutschland und Berlin.

[Beifall bei der FDP Vereinzelter Beifall bei der CDU – Liebich (Linkspartei.PDS): Das war doch wirklich nicht das Problem!]

Sechstes Thema – Berufsausbildung: Der Präsident der IHK berichtet, dass 40 % eines jeden Jahrgangs in Berlin nicht ausbildungsfähig sind. 40 %! Sie nehmen denen die Zukunftschancen, und Sie nehmen den Unternehmen die Möglichkeit, qualifizierte Arbeitskräfte einzustellen.

Siebtens: Fördermittelkonzentration. Zukunftsbranchen müssen gefördert werden. Medien- und Gesundheitswirtschaft, Biotechnologie, Genforschung – alles festgestellt, alles in der Enquetekommission besprochen worden. Existenzgründer und nicht Dauersubventionen, und natürlich Zukunftstechnologien! Man muss sich anschauen, was man da fördert. Ist es eine Zukunftstechnologie oder eine Technologie von gestern, die das deutsche Steuergeld verschlingt?

Letzter Punkt sind die Branchenbedingungen. Wir haben gerade über allgemeine Standortbedingungen geredet. Da haben wir Ihnen Vorschläge in diesen Zukunftsfeldern gemacht, in der Musikwirtschaft beispielsweise zu einer Stärkung des Urheberschutzes zu kommen. Das haben Sie abgelehnt. In einer der letzten Sitzungen haben wir Ihnen einen Vorschlag gemacht, wie sich Berlin für die Stammzellenforschung starkmachen kann.

[Zuruf des Abg. Liebich (Linkspartei.PDS)]

Das haben Sie in einer pseudomoralischen Hybris abgelehnt. Sie tun auch nichts für den Standort.

[Zuruf des Abg. Pewestorff (Linkspartei.PDS)]

Diese acht Punkte lassen sich zusammenfassen: Unternehmen und Unternehmer brauchen in Berlin wieder eine Chance, ihr Glück zu machen, Gewinne zu machen, profitabel zu sein.

[Liebich (Linkspartei.PDS): Die haben hier Gewinne gemacht!]

Sie können mir doch nicht erzählen, dass ein Unternehmen einen Standort aufgibt, der profitabel ist. Die sind doch keine Idioten.

[Zurufe von der Linkspartei.PDS]

Es ist doch die Grundvoraussetzung, dass ein Unternehmer, und zwar auch ein kleines Unternehmen, hier wieder profitabel arbeiten kann. Dann wird es einstellen. Dann wird es arbeiten. Wenn die Fleischerin in Wilmersdorf eine Chance gehabt hätte, dass ihr Verdienst über das Maß hinausgeht, was man durchschnittlich im öffentlichen Dienst verdient – das hat sie mir erzählt, sie hat gesagt: Wir verdienen hier beide etwa so viel wie ein mittlerer Beamter in Berlin.

Herr Dr. Lindner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein! – Aber dafür stehen wir doch nicht um 6 Uhr morgens auf und gehen um 10 Uhr abends ins Bett. Dafür haften wir doch nicht mit unserem Privatvermögen für die Kredite, um so eine schmale Rendite herauszubekommen. – Der Laden ist geschlossen. Das ist die Wahrheit, und das müssen wir umdrehen. Wir müssen den Leuten eine Chance auf Gewinn und Profite geben, dann entstehen Arbeitsplätze.

[Zurufe von der Linkspartei.PDS]

Die FDP wird sich im Unterschied zu diesem Senat nicht mit einer Arbeitslosenquote von 15 bis 17 % in Berlin abfinden.

[Zurufe von der Linkspartei.PDS]

Die FDP kämpft für Wirtschaft und Arbeit in Deutschland und in Berlin. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP und der CDU – Pewestorff (Linkspartei.PDS): Das ist eine Drohung!]

Danke schön, Herr Kollege Dr. Lindner! – Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt Herr Kollege Nolte. – Bitte schön!

Herr Kollege Lindner! Ich glaube, es war ein Fehler, dass Sie letzten Donnerstag nicht am Roten Rathaus waren, wo die Beschäftigten von Samsung beim Regierenden Bürgermeister waren und für ihre Arbeitsplätze demonstriert haben. Es waren vier Parteien anwesend, die heute auch die Entschließung einbringen.

[Beifall bei der SPD, der Linkspartei.PDS und den Grünen]

Eine Partei war nicht anwesend. Das war die FDP, für die Sie eben besonders auf den Busch geklopft haben. Wären Sie am letzten Donnerstag dagewesen, dann hätten Sie hören können, wie die Beschäftigten dort vorgetragen haben, was sie während der Zeit gemacht haben, in der sie beim Werk für Fernsehelektronik beschäftigt waren, wie sie dort gearbeitet haben, wie sie – jedenfalls für DDRVerhältnisse – ein modernes Werk hatten, was sie nach der Wende getan haben, als Samsung das Werk 1993 übernommen hat, um dieses rentabel zu machen. Und sie haben auch weltmarktfähige Produkte hergestellt. Dass dieses Werk geschlossen wird, heute der PDS als Partei vorzuwerfen oder den Beschäftigten vorzuwerfen, dass sie möglicherweise für das Unternehmen nicht genug ge

tan hätten, um das Werk am Leben zu halten, das halte ich für ziemlich daneben.

[Beifall bei der SPD und der Linkspartei.PDS – Pewestorff (Linkspartei.PDS): Unanständig!]

Danke schön, Herr Kollege Nolte! – Herr Dr. Lindner erwidert. – Bitte schön!

Unanständig war es von Ihnen, mir so das Wort im Mund umzudrehen.

[Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der SPD und der Linkspartei.PDS]

Selbstverständlich! Kein Mensch hat davon geredet, dass die Mitarbeiter bei Samsung schuld sind.

[Zurufe von der SPD und der Linkspartei.PDS]

Ich habe klar gesagt, dieser Senat hat hier bei den Standortbedingungen total versagt.

[Zurufe von der SPD und der Linkspartei.PDS]

Sie fragen, wo wir auf Demonstrationen waren. Es ist das Recht der Bürger, gegen den Staat, gegen die Regierung zu demonstrieren, und nicht Aufgabe von Politikern, sich auf die Straße zu stellen. Unsere Aufgabe ist es, Konzeptionen zu entwickeln. Wir sind im Parlament und in der Regierung, um zu handeln, und nicht, um zu schwatzen. Das müssen Sie endlich begreifen.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD und der Linkspartei.PDS – Gaebler (SPD): Was machen Sie denn hier den ganzen Tag?]

Es ist das Versagen Ihrer rot-grünen Bundesregierung, es ist das Versagen des rot-roten Senats und nicht von Mitarbeitern. Die haben dort fleißig gearbeitet. Die haben sich aber auch darauf verlassen, dass der Staat, der das fördert, in der Lage ist, auch zu kontrollieren, was er fördert, und nicht einfach das Geld, das andere Bürger dieses Landes hart verdienen und als Steuern abführen, für eine Produktion ausgegeben wird, die offensichtlich nicht zur Profitabilität dieses Standorts geführt hat. Sie können mir doch nicht erzählen, dass die Koreaner böswillig sind und etwas schließen, was an sich profitabel ist. Das ist vollkommener Unsinn. Sie verkennen die wirtschaftspolitische Realität in Deutschland.

[Zurufe von der SPD]

Sie sind völlig blind und fixiert auf Ihr übliches linkes Einmaleins, Ihre Ersatzhandlungen, Ihr Gerede, aber nichts Vernünftiges kommt dabei heraus.