An die Parteien gerichtet, die mit der Forderung in den Wahlkampf gegangen sind, man müsse den Kündigungsschutz schleifen,
In den Verhandlungen mit BASF wurden Bedingungen ausgehandelt, die eine internationale Entscheidung für den Aufbau der europäischen Servicezentrale mit 500 bis 600 Arbeitsplätzen in Berlin – im Ostteil der Stadt – möglich machten. Das war nur möglich, weil die IG Chemie initiativ geworden ist. Herr Lindner! Auch hier zeigt sich, dass es gut ist, dass wir aktionsfähige Gewerkschaften haben, die auch Politik für den Standort machen.
Herr Senator! Sie haben uns leider auf der Reise des Wirtschaftsausschusses nach Bratislava nicht begleitet.
Aber hat Ihnen nicht Ihr Staatssekretär berichtet, was uns dort geboten wurde? Dort haben wir das VW-Werk besucht, und vielleicht hat er Ihnen etwas darüber erzählt. Dort sind ähnliche Verhältnisse wie bei Samsung, denn Samsung ist ja auch in der Slowakei. Hat er Ihnen erzählt, dass dort 2 500 Arbeiter beschäftigt sind und dass dort 24 Stunden in drei Schichten gearbeitet wird – sieben Tage die Woche? Hat er Ihnen berichtet, dass dort der Durchschnittsverdienst 5 € beträgt? Wie stehen Sie dazu?
[Doering (Linkspartei.PDS): Sind Sie überhaupt in Bratislava gewesen? – Liebich (Linkspartei.PDS): Das ist neu! - Weitere Zurufe von der Linkspartei.PDS – Unruhe]
Herr von Lüdeke! Dass es in der Welt Niedriglohnstandorte gibt, war mir schon vorher bekannt. Dazu müsste ich nicht nach Bratislava fahren.
Herr von Lüdeke! Wir können auch gern einmal gemeinsam nach China fahren. Da arbeiten die Leute für noch weniger Geld.
Oder wir können einmal gemeinsam nach Indien fahren. Da arbeiten die Leute für noch weit weniger Geld. Aber das ist keine Perspektive für den Standort Berlin, für ein Land, das in Innovationen investieren muss und das nur dadurch international wettbewerbsfähig sein kann.
Das ist auch der Weg, den wir bei der Bewältigung des schwierigen Strukturwandels in Berlin gehen wollen.
Wir sagen ganz klar: Wir brauchen Industrie am Standort Berlin. Aber wir brauchen Unternehmen, die in Produktinnovationen und neue Technologien und vor allen Dingen in Zukunftsmärkte investieren. Damit können wir im internationalen Wettbewerb bestehen. Deshalb habe ich mit der Industrie- und Handelskammer, dem Unternehmerverband Berlin-Brandenburg und dem DGB verabredet, einen Industriedialog zu beginnen. Wir werden in den einzelnen Branchen darüber diskutieren, wo die Probleme liegen, wo wir besser werden können. Das machen wir gemeinsam mit den Gewerkschaften und Unternehmen. Meine Damen und Herren von der FDP, das ist ein Beispiel dafür, dass in Berlin Wirtschaftspolitik nicht durch Ideologisieren gemacht wird, sondern dadurch, dass sich die unterschiedlichen Akteure zusammensetzen und gemeinsam versuchen, die Rahmen- und Standortbedingungen zu verbessern, damit wir wieder mehr Wachstum und Beschäftigung haben. Das bekommt man nicht durch Wahlkampfreden, sondern durch kontinuierliche Arbeit am Gegenstand.
Wir müssen die Stärken, die wir in den Bereichen Wissenschaft, Forschung, Entwicklung, Kreativität und Kultur haben, nutzen, um die Zukunftsmärkte durch Innovation aufzubauen. In der Enquetekommission wurde diskutiert, wo diese Zukunftsfelder liegen. Es gibt eine erfreulich breite Einigkeit hinsichtlich der Chancen, die Berlin in den Bereichen Gesundheitswirtschaft, Lifescience, Medizin- und Biotechnik, Informations- und Kommunikationstechnik hat. Weitere Themen sind Informatik, Kommunikation, Medien und Kultur, Verkehr und Mobilität – u. a. zusammen mit Brandenburg im Sektor Luft- und Raumfahrt.
Eine gute Nachricht: Der Weltkonzern Bombardier hat vor einiger Zeit, ohne dass dies großes Aufsehen verursacht hat, beschlossen, seine Weltzentrale für die Schienenverkehrstechnik nach Berlin zu verlegen und hier mit seinem Vorstand präsent zu sein. Das ist ein Zeichen dafür, dass Berlin im Bereich der Verkehrstechnik ein Potential hat. Das ist eine positive Entscheidung, die den Standort stärkt.
Wir richten alle Instrumente der Wirtschaftsförderung auf diese Strategie aus, sowohl die monetäre Wirtschaftsförderung als auch die Instrumente der Investitionsbank, die Ansiedlungspolitik von BerlinPartner und die Innovationsstrategie der Technologiestiftung. Es gibt in den Kompetenzfeldern durchaus Erfolge zu verzeichnen.
Im Bereich Biotechnologie ist Berlin als Standort die Nummer 1 in der Bundesrepublik und kann sich im europäischen Vergleich gut sehen lassen. Die Deutsche Bank prognostiziert in ihrem DB-Research – Herr Lindner, das ist kein linkssozialistisches Pamphlet, sondern von der Forschungsabteilung eines unabhängigen Geldinstituts – bis zum Jahr 2010 in diesem Sektor für Berlin 10 % Wachstum. Im Bereich Medizintechnik wird vom Jahr 2000 bis ins Jahr 2004 8 % Wachstum vorhergesagt. Das Umsatzwachstum bei Informations- und Kommunikationstechnologien hat vom Jahr 2003 bis ins Jahr 2004 8 % betragen. Das sind einzelne Zahlen, die noch keinen Überblick über den Gesamtstandort geben. Aber in den Zukunftsmärkten haben wir eine positive Entwicklung.
Wir haben in Berlin im Strukturwandel die schwierige Situation, dass das Alte häufig schneller vom Standort verschwunden ist, als das Neue nachwachsen konnte. Aber ich glaube, dass wir gute Perspektiven in der Wirtschaftspolitik haben, wenn wir mit unserer Strategie in konzertierter Aktion mit allen Akteuren unsere Potentiale in den Bereichen Wissenschaft und Forschung und die der jungen innovativen Unternehmen nutzen. Wir haben die staatlichen Instrumente in der Wirtschaftspolitik, sowohl die institutionelle Wirtschaftsförderung als auch die monetären Instrumente, so aufgestellt, dass wir deutliche Verbesserungen erzielt haben. Wir haben in den letzten drei Jahren eine erhebliche Arbeit geleistet, wenn ich den Zustand der Wirtschaftspolitik, des Standortmarketings und -managements anschaue.
Diese Strategie kann nur mittelfristig greifen. Es kommt darauf an, dass wir im Abgeordnetenhaus und in der Politik zwei Dinge miteinander kombinieren: Wir müssen die Strategie, auf die wir uns über Parteigrenzen hinweg auf breiter Ebene verständigt haben, durchhalten und positiv nach außen kommunizieren. Wir dürfen nicht versuchen, aus Schwierigkeiten, die an jedem Standort auftreten können, politisches Kapital zu schlagen. Gleichzeitig müssen wir dort, wo es Probleme gibt, an einem Strang ziehen. Die Kolleginnen und Kollegen haben diese Solidarität verdient. Sie haben verdient, dass wir von Seiten des Abgeordnetenhauses, des Senats und der politisch Verantwortlichen deutlich machen, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, um ihre Arbeitsplätze zu erhalten und damit ein positives Zeichen für den Industrie- und Wirtschaftsstandort Berlin zu setzen. Viele Unternehmen zeigen, dass es möglich ist, hier wettbewerbsfähig und erfolgreich zu produzieren und Arbeitsplätze zu schaffen, statt sie abzubauen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Danke schön, Herr Senator Wolf! – Wir kommen zur zweiten Rederunde. Die SPDFraktion beginnt. Der Kollege Nolte hat das Wort. – Bitte!
Der Kollege Krug hat mir nur drei Minuten gelassen, weswegen ich mich auf drei Aspekte beschränken werde. – Wir haben in der zweiten Rederunde – Senator Wolf hat sich das gewünscht – die Chance, darzustellen, was uns eint. Ich glaube nicht, dass die Mitarbeiter von Samsung, die befürchten müssen, in drei Monaten arbeitslos zu sein, hergekommen sind, um sich Parteiengezänk anzuhören.
Ich glaube, sie wollen von uns hören, was wir gemeinsam zu ihrer Unterstützung tun können, auch wenn es leider wenig ist.
Es ist gut, dass sich die vier Parteien SPD, Linkspartei, Grüne und CDU auf eine Entschließung verständigt haben, in der die Schließungsabsicht von Samsung scharf kritisiert und die Rücknahme der Entscheidung gefordert wird. Die vier Parteien unterstützen die Mitarbeiter, den Betriebsrat und die Gewerkschaften in ihrem Bemühen, dass Samsung den Traditionsstandort in Oberschöneweide erhält. Der Senat befindet sich diesbezüglich in einer Linie mit den Beschäftigten und dem Betriebsrat.
denn Samsung in Oberschöneweide ist das falsche Beispiel, um vom Senat eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik zu fordern und ihm eine verfehlte Wirtschaftspolitik in Berlin vorzuwerfen.
Der zweite Punkt, den wir beachten müssen, wenn wir über Schuldfragen diskutieren, ist, dass die Mitarbeiter alles getan haben, um den Betrieb in Oberschöneweide rentabel zu machen. Wenn man in der Zeitung liest, dass der Betrieb eine Rendite von 10 % hat, dann ist das rentabel. Dass die Mitarbeiter seit April 2005 auf 12 % ihres Lohns verzichtet haben, um ihre Arbeitsplätze zu erhalten und den Betrieb rentabel zu halten, ist ein deutliches Zeichen für das Bemühen der Beschäftigen gemeinsam mit den Gewerkschaften.
Dem Senat kann man hier auch keinen Vorwurf machen, weder diesem noch den vergangenen Senaten. Wenn in ein Unternehmen 30 Millionen € Fördermittel fließen, um einen Betrieb zu erhalten, dann sind Vorwürfe fehl am Platz. Wenn man staatlicherseits über 100 Millionen € investiert, um die Fachhochschule für Technik und Wirtschaft teilweise nach Oberschöneweide zu verlagern, um dort Investitionsbedingungen zu schaffen und Wirtschaft, Wissenschaft und Technik zu verzahnen, dann ist auch hier der Schuldige nicht zu suchen. Beschäftigte und staatliche Stellen haben alle Voraussetzungen für ein günstiges Investitionsklima geschaffen.
Wenn man jemanden kritisieren will und muss, dann das Unternehmen. Managementfehler sind das eine. Jeder, der durch einen Elektronikmarkt geht, sieht, wohin der Trend geht: von der Bildröhre hin zu den Flachbildschirmen. Deshalb bin ich der Auffassung, dass es eine Fehleinschätzung der Geschäftsleitung gewesen ist, zu sagen, dass an diesem Standort noch fünf bis sieben Jahre lang Bildröhren produziert werden könnten. Darauf haben sich die Mitarbeiter aber verlassen.
Man kann die Samsung-Konzernzentrale auch nicht ungeschoren davonkommen lassen. Der Verdacht liegt schon nahe, dass sie kein Interesse an dem Werk in Oberschöneweide hat, wenn sie genau zu dem Zeitpunkt – Herr Wolf hat bereits darauf hingewiesen –, an dem die Bindungsfrist für die Fördermittel ausläuft, das Werk schließen will. In den vergangenen Jahren hat man es versäumt, dort eine zukunftsfähige Produktionslinie zu errichten, obwohl die Beschäftigten und der Betriebsrat genau das gefordert haben. Ob es nur Zufall ist mit dem Aufbau des Bildröhrenwerks in Ungarn oder ob von Samsung nicht ein Verhalten an den Tag gelegt wird, das mit unseren Vorstellungen von sozialer Marktwirtschaft nicht vereinbar ist, das sei dahingestellt. Ich glaube jedenfalls, das Unternehmen hat den Standort Oberschöneweide nicht so gefördert, wie es notwendig gewesen wäre. Deshalb sage ich auch, das Unternehmen will diesen Standort gar nicht mehr.
Zur FDP möchte ich noch sagen: Herr Lindner! Ich glaube, Sie waren 1972 mit den Freiburger Thesen auch schon einmal weiter. Da hatten Sie den demokratischen und sozialen Liberalismus gefordert. Da
hätten Sie ein Unternehmen wie Samsung auch kritisiert. Wirtschaftsliberalismus ist ein Schritt rückwärts.
Lassen Sie mich mit einem dritten Punkt abschließen, Herr Präsident: Soziale Marktwirtschaft – bei der CDU heißt es oft „Rheinischer Kapitalismus“ – beruht darauf, dass Mitarbeiter, Unternehmen und staatliche Stellen trotz mancher Gegensätze im Interesse des Gemeinwohls kooperieren. Das ist ein Teil der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Sozialstaat ist ein Erfolg der Arbeiterbewegung in Europa. Ich bin der Auffassung, dass man sich parteiübergreifend bemühen muss, dass in Deutschland und im gesamten Europa auch im Zeichen von Globalisierung, demographischem Wandel und Umbau der Industriegesellschaft Grundprinzipien von Sozialstaat und sozialer Marktwirtschaft erhalten bleiben müssen und nicht eines kurzfristigen politischen Effekts wegen über Bord geworfen werden dürfen.
Danke schön, Herr Kollege Nolte! – Es folgt die CDU. Das Wort hat der Kollege Herr Dietmann. – Bitte sehr!