PISA hat nämlich genau das unter Beweis gestellt: Länger gemeinsam lernen, länger gemeinsam unterrichtet werden und individuelle Förderung sind die Zauberwörter der erfolgreichen PISA-Länder.
Allerdings ist keiner der genannten Punkte denkbar ohne die sprachliche und kulturelle Integration von jungen Menschen mit Migrationshintergrund. Das fängt mit der intensiven Sprachförderung in der Kita an und setzt sich bei der Erziehung zu gegenseitigem Respekt und sozialer Kompetenz in der Schule fort. Deshalb sind wir der Meinung, dass Schulen in problematischen Quartieren und so genannten sozialen Brennpunkten besonderer Unterstützung und Mittelausstattung bedürfen. Reformen gibt es nicht zum Nulltarif.
Ob die in Berlin angestoßenen Reformen tatsächlich zu einer Verbesserung führen, bleibt abzuwarten. Frühere Einschulung, flexible Eingangsphase, der Ausbau der Ganztagsschulen und die Verlagerung der Horte an die Schulen – diese richtigen Reformschritte hat die Senatsverwaltung leider durch ihre handwerklichen Fehler nahezu zunichte gemacht.
Ich bin der Meinung, dass es eine der wichtigsten Aufgaben für Berlin ist und bleibt, die Chancen von Kindern aus sozial benachteiligten Elternhäusern und Kindern mit Migrationshintergrund wesentlich zu verbessern. Der stärkere Ausbau von Ganztagsangeboten, die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugendhilfe, eine Bildungsoffensive für Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache, die Abschaffung des Sitzenbleibens, die Reduzierung der Klassenfrequenzen und die Sicherung der gemeinsamen Erziehung sind Ansätze, die verstärkter finanzieller Unterstützung und Sicherung bedürfen. Ich appelliere an Sie und Ihre Vernunft, in den Haushaltsberatungen die entsprechenden Weichen zu stellen.
Unser Nachbarland Frankreich muss in diesen Tagen schmerzhaft lernen, was es bedeutet, wenn man Schlüsselfelder der Bildungs- und Integrationspolitik über Jahrzehnte hinaus vernachlässigt. Wir müssen unsere eigenen Lehren daraus ziehen, bevor Katastrophen passieren und sich Fehlentwicklungen einschleichen, die uns zum Handeln zwingen.
Bildungspolitik ist Integrationspolitik. Deshalb ist es an der Zeit umzudenken, nämlich jetzt. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Glück hört die Diskussion um die Bildungspolitik nicht auf, und deshalb bin ich den Grünen dankbar, dass sie dieses Thema erneut für die Aktuelle Stunde vorgeschlagen haben. Wenn Frau Klotz und Herr Mutlu die Pariser Vorfälle anführen, gehe ich allerdings nicht mit.
Ich kann mich auch mit dem ersten Teil der Überschrift „Stagnation ist kein Erfolg“ nicht anfreunden.
Wir erinnern uns an die erste deutschlandweite PISAStudie, die wegen der Besorgnis erregenden Ergebnisse große Betroffenheit in unserem Land hervorrief und an die erste PISA-E-Studie, die die einzelnen Bundesländer miteinander verglich. Nun liegt eine weitere PISA-EStudie vor, die nicht nur wiederum einen Vergleich zwischen den Bundesländern beinhaltet, sondern auf die einzelnen Schulformen heruntergebrochen wurde. Die KMK hat einhellig, sowohl die A- als auch die B-Länder, erklärt, dass ein Vergleich der Sekundarschulformen – außer den Gymnasien – sinnlos ist, da es zu große Differenzen in den einzelnen Bundesländern gibt. So gibt es Haupt-, Real- und Gesamtschulen, aber auch die verbundene Haupt- und Realschule, die wir erstmalig im Schulgesetz festgeschrieben haben, und auch einheitliche Se
kundarschulen. Ich bin zudem der Meinung, dass auch ein Vergleich der Gymnasien untereinander problematisch ist. Darauf werde ich später noch eingehen.
Zunächst zu den Fakten: In Berlin wurden bei dieser PISA-Untersuchung etwa 4 500 15-jährige Schülerinnen und Schüler in 114 Schulen getestet. Insgesamt ist Berlin dabei immerhin Spitzenreiter unter den Stadtstaaten. Von einer Stagnation kann demnach nicht gesprochen werden, liebe Fraktion der Grünen. Allerdings können wir die Augen nicht davor verschließen, dass unsere Gymnasiasten schlechter abschneiden. Besonders auffällig sind die schlechteren Ergebnisse in den Bereichen Mathematik und Lesekompetenz, wobei in der Mathematik die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund besser abschneiden als ihre Schulkameradinnen und Schulkameraden in anderen Bundesländern. Auch dies ist kein Ruhmesblatt, aber es belegt, dass wir mit unserer Bildungspolitik in Berlin auf dem richtigen Weg sind. Besser liegt Berlin insgesamt in den Naturwissenschaften, sogar oberhalb des OECD-Durchschnitts. Das trifft auch für die Problemlösekompetenz zu.
Allerdings muss ich nun auf meine eingangs dargestellten Bedenken gegenüber einem gymnasialen Vergleich eingehen: Das Ergebnis Bayerns, das fast überall an der Spitze steht, wundert mich überhaupt nicht. In Bayern besuchen viel weniger Kinder als in Berlin das Gymnasium, nämlich 26,3 %, von denen wiederum nur ca. 20 % das Abitur machen. In Berlin sind es hingegen 34,5 %. Außerdem kommen noch die Gesamtschülerinnen und -schüler hinzu, die nach der 10. Klasse auf die gymnasiale Oberstufe wechseln. Berlin kommt demnach der allgemeinen Forderung, dass mehr deutsche Schülerinnen und Schüler das Abitur erlangen sollen, eher nach als Bayern. Wollte man einen objektiven Vergleich anstellen, dann dürfte man lediglich die obersten 20 % der Berliner Gymnasiasten mit den bayerischen Gymnasiasten vergleichen.
Zum zweiten Teil Ihrer Überschrift „Alle Begabungen fördern und Chancengleichheit herstellen“: Der Förderung aller Begabungen wird in Berlin bereits durch die Bereitstellung der unterschiedlichsten Schulprofile Rechnung getragen. Wir haben eine Vielzahl von musikbetonten, sportbetonten, bilingualen und mathematischnaturwissenschaftlich orientierten Schulen, um nur einige Profile zu nennen, die nach dem neuen Schulgesetz durch die Schulkonferenz in einem Schulprogramm festgeschrieben und evaluiert werden müssen.
Chancengleichheit: Obwohl hier deutschlandweit noch viel getan werden muss, kann sich Berlin ausnahmsweise freuen. Das schrieb der „Tagesspiegel“ am 1. November 2005. Ich würde das Wort „ausnahmsweise“ natürlich streichen. Im Vergleich zu den anderen Bundesländern haben es Kinder aus Facharbeiterfamilien in Berlin wesentlich leichter, zum Abitur zu gelangen. In Berlin liegt die Chance der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler aus der Oberschicht um das 2,6fache – nicht um das 4fache,
Herr Mutlu – höher als die der gleichaltrigen Schülerinnen und Schüler aus einer Facharbeiterfamilie. In Bayern hingegen liegt dieses Verhältnis bei 6,7, auch in Nordrhein Westfalen bei 4,4.
Wir dürfen uns aber auch nicht zurücklehnen, denn bei uns hapert es an der Qualität. Dem werden wir mit Bildungsstandards, Vergleichsarbeiten sowie internen und externen Evaluationen entgegentreten.
Zum ersten Mal, liebe Fraktion der FDP, stellt sich die Berliner Schule solch einem Vergleich. Ich finde das mutig und richtig.
Die hier getesteten Schülerinnen und Schüler – das habe ich Ihnen gerade draußen bei tv.B gesagt – sind Mitte der 90er Jahre eingeschult worden. Was erwarten Sie? Die neuen Schulreformen können da doch noch gar nicht in vollem Umfang greifen.
Lassen Sie mich noch etwas zur Sprachförderung anmerken. Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache haben es deutlich schwerer als deutschsprachige Schülerinnen und Schüler. Aber auch dies ist eine verkürzte Problemdarstellung, weil wir erwiesenermaßen in Berlin auch deutsche Schülerinnen und Schüler haben, die die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen. Es handelt sich hier also um ein soziales Problem.
Ich habe das schon sehr oft gesagt, Herr Mutlu. Ich glaube, in diesem Punkt sind wir uns einig. – Um diesem Problem zu begegnen, haben wir nicht nur einen verpflichtenden Sprachkurs eingeführt, den die Schülerinnen und Schüler besuchen müssen, die bei der Anmeldung zur Einschulung durch einen Sprachtest erkennen lassen, dass sie über unzureichende Deutschkenntnisse verfügen, sondern wir haben auch die so genannten Mütterkurse aufgestockt,
damit die Kinder sich auch im familiären Umfeld der deutschen Sprache bedienen können, ohne ihre Identität zu verlieren.
Wir sind uns alle einig, dass wir, um bessere Ergebnisse zu erreichen, vor allem dort beginnen müssen, wo die Basis für die Schulkarriere gelegt wird: in den Kitas und Grundschulen. So ist in Berlin ein Bildungsprogramm für die vorschulische Erziehung implementiert
worden, das überall gelobt wird, und wir haben auch die Erzieherinnen- und Erzieherausbildung aufgewertet.
Zwar ist die Kita keine Vorschule, aber sie setzt verstärkt auf vorschulische Bildung. So führen die Erzieherinnen ein Sprachlerntagebuch, in dem die sprachlichen Fortschritte jedes einzelnen Kindes verzeichnet werden und an das die Grundschullehrerinnen später anknüpfen können.
Durch das neue Ganztagsschulprogramm, das in Berlin vorrangig an den Grundschulen verwirklicht wird, gelingt es uns, gerade Kinder aus bildungsfernen Schichten besonders zu fördern. Schließlich freue ich mich, dass es uns in den gerade stattfindenden Haushaltsberatungen gelingen wird, das letzte Kitajahr beitragsfrei zu stellen, wodurch niemand daran gehindert sein dürfte, sein Kind in der Kita vor der Einschulung angemessen vorbereiten zu lassen.
[Beifall bei der SPD – Beifall der Frau Abg. Schaub (Linkspartei.PDS) – Frau Senftleben (FDP): Trotzdem reicht es nicht!]
Gestatten Sie zum Abschluss noch auf einen für mich wichtigen Punkt einzugehen. Ich halte es für völlig verfehlt, anhand dieser PISA-E-Ergebnisse die Strukturdebatte im deutschen Bildungssystem erneut zu entfachen.
Dies ist in doppelter Hinsicht falsch. Den Befürwortern, die eine frühere Selektion favorisieren, sei eindrücklich gesagt: Eine Separierung bereits nach der 4. Klasse bringt keine Verbesserung mit sich, denn dann hätte Hamburg in allen Bereichen besser abgeschnitten als Berlin, was definitiv nicht der Fall ist. Die Koalition ist sich deshalb einig, dass wir weiterhin an der sechsjährigen Grundschule festhalten.
Andererseits bringt aber auch der Ruf nach einer so genannten Einheitsschule nichts. Die PISA-E-Ergebnisse belegen in keiner Weise, dass eine Änderung des Schulsystems per se bessere Ergebnisse erzielen kann.
Natürlich haben wir auf unserem Landesparteitag am 9. April beschlossen, Herr Kollege Mutlu, dass wir eine längere gemeinsame Lernzeit für alle Schülerinnen und Schüler fordern. Ich habe aber nicht gesagt, dass wir die Einheitsschule jetzt und sofort wollen. Dies ist mit den Ergebnissen dieser Studie auch nicht zu belegen.
Viel wichtiger ist es, dass wir endlich auf Qualität in der Berliner Schule setzen und auf ihre Überprüfung.
Ich habe kein Wort über die mit der Aktuellen Stunde verbundenen Anträge gesagt, weil darauf in der zweiten Rederunde meine Kollegin Harant eingehen wird. – Ich danke Ihnen!