Ich habe kein Wort über die mit der Aktuellen Stunde verbundenen Anträge gesagt, weil darauf in der zweiten Rederunde meine Kollegin Harant eingehen wird. – Ich danke Ihnen!
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Tesch! – Die Fraktion der CDU ist an der Reihe. Frau Kollegin Schultze-Berndt hat das Wort. – Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der schiefe Turm von Pisa, ein treffendes Bild für die Situation der Schulbildung in Deutschland, aber leider noch viel mehr in Berlin.
Das Nord-Süd-Gefälle ist auch in der jüngsten Studie als schiefer Turm erkennbar, auch wenn es nicht weiter kippt, wird ein bloßes Stoppen im internationalen Vergleich schnell zum gefährlichen Kippen.
Betrachten wir drei zentrale Aussagen der Studie: Erstens ist es auffällig, dass die Berliner Gymnasiasten im bundesweiten Vergleich das Schlusslicht sind. Sind die Berliner demnach dümmer? – Ein Vergleich der Schülerschaft an den Gymnasien zeigt, dass mit 34,5 % in Berlin besonders viele Schüler das Gymnasium besuchen. Gleichzeitig erlangen sie aber im Bundesvergleich die schlechtesten Ergebnisse. Fazit: Die Schülerschaft wird hier nicht optimal gefördert. Schon die besondere Form längeren gemeinsamen Lernens in Berlin und Brandenburg, die sechsjährige Grundschule, führt zu den bekannten schlechten Ergebnissen der Berliner und Brandenburger im bundesweiten Vergleich.
Damit stehen die Eltern bei der Schulwahl für ihre Kinder vor Problemen. Häufig entscheiden sie sich deshalb gegen die Bildungsgangempfehlung der Grundschule für das immer noch beste Angebot in Berlin – das Gymnasium. Die Eltern haben Angst davor, dass ihr Kind nach dem Besuch der Haupt- oder Realschule keine oder nur schlechte Berufsaussichten hat. Lieber soll es sich über die Jahre durchbeißen, als dass es in der Haupt- oder Realschule verblödet, so denken die Eltern. Das bedeutet im Ergebnis für die Gymnasien, dass sich das Niveau der Schüler über eine immer breitere Spannbreite erstreckt und deshalb absinkt.
In einem Rutschbahneffekt ist die Schülerschaft in der Realschule schwächer, als es nach der Empfehlung der Grundschule der Fall wäre. An der Hauptschule finden sich in Deutschland, in Berlin besonders, wenige und vor allem nur noch die allerschwächsten Schüler. Bündnis 90/Die Grünen haben dafür die Lösung: Wir schaffen die Hauptschule einfach ab, so Frau Dr. Klotz.
Rot-Rot weiß: Wir führen die Einheitsschule ein, und alle Unterschiede im Schulsystem werden platt gemacht. Wenn alle Kinder in eine Schule gehen, müssen sie wohl auch alle gleich sein.
Mitnichten! Die deutsche Form der Einheitsschule, die Gesamtschule, die der OECD-Fachmann Schleicher mit dem Prädikat „nicht empfehlenswert“ versehen hat, bietet nach der festen Überzeugung der CDU keine Lösung.
Seien Sie beruhigt, Frau Klotz, ich befinde mich hier in vollem Einklang der schulpolitischen Sprecher aus allen Bundesländern. Es gibt allenfalls demographische Gründe, die es geraten sein lassen, keine eigene Hauptschule zu führen.
Die Gesamtschule erreicht ein Niveau, das noch knapp hinter dem der Realschule liegt, und das, obwohl diese Schulform materiell besonders gut ausgestattet ist und auch personell hervorragende Bedingungen hat, so dass sich hier die besten Ergebnisse zeigen müssten. Die Schülerschaft der Hauptschule bleibt auch in diesen Schulen schwach. Allein die Zuordnung zu einer anderen Schulart kann nicht die Schülerleistungen verbessern.
Wenn wir unseren Schülern helfen wollen, müssen wir in allen Schularten das Niveau steigern. Ohne konsequent höhere Leistungsanforderungen kommen die Leistungen der Schüler nicht aus dem internationalen Mittelfeld heraus. Nur mit einer differenzierten Förderung der Schwachen und der Starken werden wir den Jugendlichen mit ihren individuellen Fähigkeiten gerecht. Gesellschaftlich müssen alle Bildungswege in ihrer eigenen Ausgestaltung gleichermaßen anerkannt werden. Das Abitur ist nicht der allein glückselig machende Weg, so wie es von der Linken so gern vorgespiegelt wird.
Keiner ist ein schlechterer Mensch, weil er kein Abitur hat. Viele erfolgreiche Berufskarrieren gibt es auch heute ohne Abitur. Deshalb muss unser Ziel eine Chancengerechtigkeit sein.
Jeder muss aus seinen Anlagen und Fähigkeiten das Beste herausholen können. Dass es von Haus aus Unterschiede durch Bildungsstand und Engagement der Eltern und durch das soziale Umfeld und die Wohngegend gibt, kann die Schule allenfalls relativieren, beheben kann sie es leider nicht. Sie muss die Unterschiede erkennen, um mit ihnen umzugehen. Sie muss die Eltern einbeziehen und sie bei ihrer Verantwortung packen. Eine Chancengleichheit, wie sie immer wieder gefordert wird, ist vor dem Hintergrund der individuellen Anlagen und Prägun
gen eines Menschen überhaupt nicht realisierbar. Ich wäre nie eine nobelpreisverdächtige Chemikerin geworden oder ein Basketballstar.
Trotz noch so vieler Mühe stößt man an Grenzen, liebe Frau Dr. Tesch, die individuell bei jedem anders sind. Die Schülerin, die mit ihren Eltern gerade den Urlaub in den USA verbracht hat, wird in Erdkunde und Geschichte einen ganz anderen Zugang zur Lage der Vereinigten Staaten haben als der Schüler, der den Urlaub in Spanien oder der Türkei verbracht hat. Chancengleichheit zu fordern bedeutet deshalb, die Menschen in ihrer Individualität zu leugnen. Gleichmacherei gelingt allenfalls auf niedrigem Niveau. Das lehnen wir ab!
Wir fordern ein profiliertes gegliedertes Schulsystem, in dem die Haupt- und Realschüler nicht immer nur die Schüler sind, die weniger leisten als die Gymnasiasten, die eben schlechter sind. Sie müssen auch anderes lernen, das, was ihre Begabung aufgreift. Es kann im Berufsleben für diese Schüler unwichtig sein, ob man eine Differentialgleichung lösen kann. Wichtig ist es aber oftmals, dass man weiß, wie man ein Werkstück erstellt und welche Arbeitsgeräte dafür benötigt werden.
Die CDU will das, was auch die PISA-Studie als Konsequenz fordert: Wir wollen die Schwächsten unterstützen. Wir wollen, dass die Hauptschule optimal auf das Berufsleben vorbereitet und bereits im 9. und 10. Schuljahr Inhalte beruflicher Bildung aufgreift. Der Hauptschulabsolvent, der sich bereits im Tischlern versucht hat, der Grundlagen der Maler- und Tapezierarbeiten gelernt hat – dieses hoffentlich in Kooperation mit Betrieben –, hat auf dem Arbeitsmarkt mehr Chancen als der Abiturient oder Realschüler, der mit einem schlechten Schulabschluss irgendeinen Ausbildungsplatz sucht, in welchem Beruf auch immer.
Mit dem gegliederten System und einer profilierten Hauptschule kann es gelingen, die Hauptschule aus ihrem Stigma zu befreien, nur den gescheiterten Realschülern Platz zu bieten. So kann auch die Akzeptanz der Hauptschule erhöht werden, damit auch die Qualität, wenn mehr und andere Schüler auch die Hauptschule wieder akzeptieren und aufsuchen. Selbstverständlich muss die Durchlässigkeit zwischen den Schularten dabei erhalten bleiben.
Das gegliederte Schulsystem ist innerhalb Deutschlands der PISA-Sieger. Ich nenne als Beispiel nur Bayern, liebe Frau Dr. Tesch! Es ermöglicht in besonderer Weise die individuelle Förderung auf der Ebene dreier unterschiedlicher Leistungsstufen. Hier wird nicht ausgesondert und nicht separiert, auch nicht abgeschoben. Die CDU will, dass differenziert gefördert wird. Auch Schwächere erhalten so endlich die Chance, einmal die Besten und nicht immer nur Klassenletzter zu sein. Das sind meine Ausführungen zur Schulform.
Nun komme ich zum Unterricht: Die PISA-Studie zeigt, das Schüler gute Kompetenzen bei der Problemlösung haben. In der Mathematik gelingt es leider nicht, dieses umzusetzen und die bei den Schülern vorhandenen Potentiale auszuschöpfen. Senator Böger ist hier Meister der Zahlen. Er hat Vergleichsarbeiten und eine Unterrichtsausfallstatistiken. Es gibt kaum ein Ergebnis, das in den letzten Jahren nicht erhoben, keine Statistik, die nicht veröffentlicht wurde. Doch die Diagnose reicht uns nicht. Wo bleibt die Medizin? Wo bleiben die jungen Lehrer, die wir so dringend brauchen? Es muss dringend gehandelt werden, um die Unterrichtsqualität zu entwickeln. Der Leistungswille der Schüler muss gefördert werden. Der Unterricht muss weiter entwickelt werden, indem Lehrer durch Beratung und Supervision, durch gegenseitige Unterrichtsbesuche unterstützt werden. Die Lehrer müssen aber auch mehr Zeit erhalten, wieder das zu tun, was sie gelernt haben und am Besten können, den Schülern Wissen zu vermitteln. Stattdessen sind sie mit Gesprächen beschäftigt, irritierten Eltern das Reformwirrwarr zu erklären, das Schulprogramm zu entwickeln und Verwaltungsaufgaben wahrzunehmen. Diese Tätigkeiten müssen dann auch noch auf die Arbeitszeit angerechnet werden. Wir müssen mit den begonnenen Formen der Qualitätsverbesserung energisch weitermachen. Dabei kommt es vor allem auf die Maßnahmen an, die den Unterricht erreichen.
Welche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen müssen wir darüber hinaus verändern? – In Berlin ist das PISA-Ergebnis so schlecht, weil wir so viele Migranten haben, so sagt es der Schulsenator. Seit über 20 Jahren betreiben wir Sprachförderung mit hohem finanziellen und personellem Einsatz. Trotzdem werden die Ergebnisse von 15-Jährigen, die seit 9 Jahren Berliner Schulen besuchen, damit erklärt, dass sie so schlecht deutsch sprechen. Das bedeutet ein Scheitern der Integrationspolitik im Allgemeinen. Im Besonderen bedeutet es aber eine Bankrotterklärung für die Sprachförderung der letzten Jahre und Jahrzehnte.
Dass Sprachprobleme nach 9-jährigem Schulbesuch noch feststellbar sind, ist für die CDU inakzeptabel. Wir fordern umgehend Abhilfe. Wir wollen, dass die Kinder frühzeitig im Alter von 4 Jahren hinsichtlich ihrer Sprachkenntnisse getestet werden und bei Mängeln verpflichtend eine Vorklasse ein Jahr vor Schuleintritt besuchen. Sind bei Schuleintritt die Sprachkenntnisse immer noch lückenhaft, wollen wir, dass sie in Förderklassen weitergefördert werden. Wenn Deutsch nebenher im Regelunterricht vermittelt wird, entgehen den Kindern über Jahre viele Inhalte, die ihnen die anderen Kinder voraus haben. Mit Chancengerechtigkeit – Chancengleichheit gibt es nicht – hat das nichts mehr zu tun.
Wir wollen, dass Migranten sowie auch deutschsprachige Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern gerechte Chancen haben, Erfolge in der Schule zu erzielen. Wir wollen, dass die Eltern stärker einbezogen werden. Sie müssen ein Bewusstsein entwickeln, wie wichtig ihre Un
terstützung für die Kinder ist. Speziell im Migrantenbereich haben wir die Forderung, endlich ausreichend viele Mütterkurse einzurichten. Es ist zu erkennen, dass viele Türkinnen bereit sind, Mütterkurse zu besuchen, in denen sie die deutsche Sprache lernen. Bisher war der Staat nicht in der Lage, ausreichend Kapazitäten zur Verfügung zu stellen. Auch das ist inakzeptabel.
Als Konsequenz aus den Erkenntnissen der PISAStudie fordert die CDU vom Senat, die Verantwortung für die schlechten Deutschkenntnisse nicht länger den Kitas zuzuschieben, die für diese Aufgaben noch nicht vorbereitet sind. Schaffen Sie endlich optimale Voraussetzungen zum Schulstart mit guten Deutschkenntnissen! Lassen Sie die Lehrer endlich das tun, wofür sie ausgebildet sind: den Kindern etwas beizubringen! Verzichten Sie auf eine neue Strukturdebatte! Entsprechen Sie den Wünschen der Eltern nach früherer Einschulung, früherem Schulwechsel in die Oberschule und Abschlüsse mit hohem Niveau! Erkennen Sie endlich die Individualität der Kinder an, und fördern Sie sie in einem profilierten gegliederten System, das jedem Kind optimale Förderung all seiner Fähigkeiten garantiert!
Vielen Dank, Frau Kollegin Schultze-Berndt! – Es folgt die Linkspartei. PDS. Frau Kollegin Schaub hat das Wort. – Bitte sehr!
Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Wir haben eben eine Sternstunde konservativer Bildungspolitik erlebt!
Wenn ich mich aber recht an den Astronomieunterricht erinnere, hat das All nicht nur Sterne, sondern auch schwarze Löcher zu bieten. Vielleicht war es das.
Am Ende der Legislaturperiode stand der PISASchock. Ende 2001 lagen die Ergebnisse im ersten internationalen Vergleich vor und bescheinigten der Bundesrepublik miserable Ergebnisse und eine Schlusslichtposition. Das wollte ich zur Erinnerung noch einmal aufrufen. Jetzt liegt uns die sogenannte PISA-E-Studie für das Jahr 2003 vor. Für diejenigen, die das E nicht gleich verstehen, erkläre ich, dass das E für „Erweiterung“ des internationalen Ländervergleichs mit einem Vergleich der Bundesländer steht. Bei PISA-E 2000 war Berlin nicht dabei. Insofern hat der Titel „Stagnation ist kein Erfolg“, so, wie ihn die Fraktion der Grünen gewählt hat, keine Grundlage im Ländervergleich. Im zweiten des Titels gehen wir bezüglich Ihrer Titelwahl mit.
Ich gehe davon aus, Herr Mutlu, dass ich am Ende noch etwas Zeit haben werde. Dann kommen Sie selbstverständlich zu Wort! – Rot-Rot hat in knapp vier Jahren Regierungszeit mehr im Berliner Bildungswesen bewegt als die große Koalition in drei Legislaturperioden zuvor, wenn sie überhaupt etwas bewegt hat. Sie musste sich zudem noch mit dem Erbe dieser großen Koalition auseinandersetzen.
Wir sind dabei, die Grundschule gründlich zu verändern und eine Lernkultur zu entwickeln, die am Kind ansetzt, die die Kinder ernst nimmt, sie in ihrer Unterschiedlichkeit akzeptiert und daraus eine neue und höhere Qualität schulischer Bildung gewinnt. Dazu zählen insbesondere die frühere Einschulung und der Verzicht auf die Feststellung einer Schuleignung vor der Einschulung. Zum ersten Mal wurden in diesem Jahr 5 ½-jährige Kinder in die erste Klasse eingeschult. Kinder werden früher und innerhalb der Schule gefördert. Dies erfordert ein Umdenken. Nicht die Kinder müssen für die Schule reif sein, sondern die Schule muss sich auf die Kinder einstellen. Sprachentwicklung in der Grundschule als Fortsetzung der Frühförderung im Kindergarten bleibt die zentrale Aufgabe. Der Ausbau der ganztägigen Bildung und Betreuung an den Grundschulen sei hier erwähnt. Mit Beginn des Schuljahres 2005/2006 ist darüber hinaus die Verantwortung für die Hortbetreuung in die Grundschulen übergegangen. Unterricht und Betreuung bilden nunmehr eine stärkere pädagogische Einheit, ermöglichen Rhythmisierung des Schultages, also einen Wechsel zwischen Unterricht und anderen Lernformen und Entspannungsphasen.
Da ist die flexible Schulanfangsphase. Für die in diesem Schuljahr eingeschulten Kinder bilden die ersten beiden Jahrgänge eine Einheit, die sie in der Regel in zwei Jahren, aber auch mit Stärken und Schwächen in einem Jahr oder drei Jahren durchlaufen können. Ab dem nächsten Schuljahr hält dann noch jahrgangsübergreifendes Lernen in den ersten beiden Jahrgängen flächendeckend Einzug, womit das Mit- und Voneinanderlernen der Kinder einen stärkeren Impuls erhält. Einige Schulen erweitern dies freiwillig auf die dritte Klasse und auch auf die Jahrgänge 4 bis 6.