Protokoll der Sitzung vom 10.11.2005

[Beifall bei der Linkspartei.PDS und der SPD]

Danke schön, Frau Kollegin Schaub! – Jetzt folgt die FDP. Das Wort hat die Frau Kollegin Senftleben. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Herren! Meine Damen! Bereits vier Tage vor Veröffentlichung der Studie – Kollege Mutlu hat eben darauf hingewiesen – kam die Vorabmeldung einer Presseagentur, das deutsche Schulsystem produziere immer mehr Ungerechtigkeit. Sonst war nichts zu hören. Und über die bösen Buben aus Bayern wurde ausgiebig berich

tet. Wir hatten vier Tage eine Debatte, die sich ausschließlich mit diesem Thema befasste.

[Frau Seelig (Linkspartei.PDS): Ist auch richtig!]

Diese Fokussierung – genau das ist nicht richtig, verehrte Frau Kollegin Dr. Hiller,

[Frau Dr. Hiller (Linkspartei.PDS): Ich war’s nicht!]

pardon, Frau Seelig – führt zur Verdummung der Menschen und verführt zu völlig falschen Reaktionen. Das nenne ich zwar auch eine journalistische Meisterleistung, aber in einem völlig anderen Sinn als der Kollege Mutlu.

Was sagt uns nun diese Studie? – Wir haben es eben vier Mal gehört, diverse Sternstunden hier im Parlament, ich möchte es auch versuchen.

[Mutlu (Grüne): Keine schwarzen Löcher!]

Die Studie zeigt den Zusammenhang zwischen sozialdemokratischer Regierungstätigkeit und negativer Bildungsleistung.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Herr Müntefering müsste jetzt eigentlich sagen: Bildung kann SPD nicht, Rot-Rot in Berlin schon gar nicht.

[Zuruf des Abg. Gaebler (SPD)]

Wider besseres Wissen rücken Sie den Gleichheitsgrundsatz – das hohe Lied darauf haben wir eben von Frau Schaub gehört – in den Vordergrund. Dem hat sich die Bildungsleistung unterzuordnen.

[Brauer (Linkspartei.PDS): Von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit haben Sie sich schon lange verabschiedet!]

Ich habe übrigens von keinem meiner Vorredner – Frau Schultze-Berndt ausgenommen – das Wort „Leistung“ gehört.

[Zurufe von links]

Doch, ich habe genau zugehört! – Wenn wir über Bildung und diese PISA-E-Studie diskutieren, dann muss der Begriff „Leistung“ im Vordergrund stehen!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Gebetsmühlenartig wird dagegen von Rot-Rot und den Grünen die Gliedrigkeit des Schulsystems als grundlegendes Übel kritisiert, das es zu überwinden gilt. Sie klammern sich daran fest, Sie verhindern damit auch jegliche andere Diskussion. Das ist fatal. Für dieses Ziel wird so manches geopfert. Da bleibt manches auf der Strecke, z. B. die Kompetenz und die Leistungsfähigkeit der Schüler und Schülerinnen. Das wird achselzuckend einfach nur zur Kenntnis genommen.

Ich nenne Fakten: Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen setzte verstärkt auf Gesamtschulen. Das Resultat war ein Absinken der Leistung bei steigender Tendenz zur sozialen Ausgrenzung, nachzulesen in PISA-E. Das heißt auf

Deutsch: Rot-Grün hat dafür gesorgt, dass sich erstens die Bildungsleistung in NRW verschlechtert hat und es zweitens weniger Chancengerechtigkeit in NRW gibt. Das nenne ich Misserfolg auf der ganzen Linie.

[Beifall bei der FDP – Mutlu (Grüne): Wir sind in Berlin, Frau Kollegin!]

Nun zu den PISA-Siegern. Dort, insbesondere in Bayern, das sage ich ganz klar, ist wahrlich nicht alles Gold, was glänzt, auch wenn der FDP-Fraktionsvorsitzende jetzt etwas anderes von mir erwartet hätte. Die Quote der Abiturienten ist mit 23 % zu niedrig. Die Zahl der Hauptschüler ist, zumindest aus unserer Berliner Sicht, erstaunlich hoch. Allerdings erreichen Bayern, Sachsen und Thüringen – ich zitiere aus der Studie –:

eine günstige Kombination von hohem Kompetenzniveau und einer niedrigen Koppelung mit der sozialen Herkunft.

Das heißt auf Deutsch: In Bayern, Sachsen und Thüringen erzielen die Schülerinnen und Schüler unabhängig von der Herkunft gute Resultate. Das ist ein Fakt.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Frau Dr. Tesch (SPD): Doch etwas Wichtiges?]

Ich zitiere weiter:

Problematisch ist die Kombination eines niedrigen Kompetenzniveaus mit einer engen Koppelung von Leistung und sozialer Herkunft.

In diesem Feld liegt Berlin. So haben wir den SuperGAU: schlechte Leistung gepaart mit hoher sozialer Ungerechtigkeit.

[Dr. Lindner (FDP): Hört, hört!]

Nun suchen wir alle verzweifelt nach Gründen: soziale Schichten, Migranten, soziale Struktur unserer Stadt. Auch wenn es uns nicht so richtig passt – schade, Frau Dr. Klotz ist nicht hier, auch Kollege Mutlu hat es vorhin erwähnt –, zeigt die Studie, dass Berlin, wenn die sozialen und soziokulturellen Faktoren herausgerechnet werden, noch einen Platz weiter unten landet. Das hilft uns also nicht so richtig weiter. Nein, wir müssen bei der Suche nach Gründen weitergehen. Es ist eben nicht die breite Aufstellung des Gymnasiums, die Existenz der Hauptschule, noch nicht einmal die kränkelnde Berliner Gesamtschule. Die Wahrheit liegt darin, dass in Berlin über Jahre hinweg Leistungsstandards für Schulen und Schüler als falsch abgetan und abgelehnt wurden.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Leistung wurde negativ assoziiert.

Hinzu kommt, dass wir offensichtlich ein großes Problem mit der Disziplin und dem Umgang miteinander haben. Das beginnt beim Zuspätkommen im Unterricht und gipfelt in der körperlichen Gewaltanwendung durch Schüler. Leistungsfeindlichkeit und das Wegbrechen sozialer Verhaltensregelung sind schlechte Voraussetzungen.

Das nächste Stichwort: Die Überprüfung der Schulen und der Schülerleistungen gab es jahrelang nicht. Die hohe Schulabbrecherquote wurde zur Kenntnis genommen, aber etwas dagegen getan wurde nicht – insbesondere bei den Migranten. Jeder machte in den Schulen, was und wie er es wollte. Kritik von Unternehmern, Ausbildern und Professoren über den schlechten Ausbildungsstand der Schülerinnen und Schüler wurde nonchalant nach dem Motto: „Was kümmert mich das Geschwätz der Arbeitgeber, Ausbilder und Professoren?“ abgetan, „wir sind nämlich wir“. Hier, das gebe ich zu, Herr Senator, sind wir besser geworden. Wir sind einen ersten Schritt gegangen, aber der Schritt muss mutiger werden.

Ein weiterer Punkt ist, dass Schulen resignieren. Sie haben „keinen Bock“ mehr, fühlen sich überfordert, fühlen sich gegängelt und sind sehr passiv, das ist ein ganz neues Wort in der Studie.

[Mutlu (Grüne): Maulkorb!]

Wenn wir lesen, dass sich nur 38 % der Berliner Schulen aktiv mit den vorhandenen Problemen auseinander setzen, so ist dies ein Armutszeugnis, insbesondere für Ihre Verwaltung, Herr Böger. Der Anteil der aktiven Schulen in den neuen Bundesländern, und zwar unabhängig von der jeweiligen Regierung, ist bundesweit am höchsten, in Thüringen genau doppelt so hoch verglichen mit dem Anteil hier in Berlin. Offensichtlich sind die neuen Bundesländer in der Lage, schneller auf anstehende Probleme zu reagieren und vor allen Dingen die anstehenden Probleme auch schneller zu lösen. Vielleicht sollten wir uns daran ein Beispiel nehmen.

[Zuruf]

Ja, seit 1990! Die Ergebnisse in Thüringen usw. im Jahr 2000 waren schlecht, miserabel. Sie sind jetzt wesentlich besser geworden, Frau Dr. Hiller! Lesen Sie einfach mal die Studie! Versuchen Sie es auch mal ideologiefrei!

[Beifall bei der FDP]

Was ist also zu tun? Ich habe vieles schon in anderen Reden gesagt und will mich hier auf vier Punkte beschränken. Erstens – mehr Transparenz. Da sind die ersten zaghaften Schritte eingeleitet worden. Wir begrüßen ausdrücklich die Durchführung von Vergleichsarbeiten und das Zentralabitur. Allein: Die Einführung reicht nicht. Wir haben einen Antrag eingebracht, die Schulleistungen zu veröffentlichen. Da heißt es lapidar: Es ist zu früh. – Mit anderen Worten: Die Berliner Eltern und Schüler dürfen nicht erfahren, wie ihre Schule im Vergleich abschneidet. Warum eigentlich nicht? Wir sehen doch gerade, dass auf nationaler und internationaler Ebene die Transparenz dazu führt, dass wir diskutieren und Probleme erkennen. Es gibt sogar einige Länder, die diese Probleme lösen können. Warum gibt es also hier nicht mehr Transparenz auch innerhalb dieser Stadt? – Denn das ist genau das, was wir jetzt brauchen

[Beifall bei der FDP]

Eine Veröffentlichung der Ergebnisse erzeugt Druck – richtig! Druck erzeugt mehr Anstrengung, und das ist genau das, was wir brauchen.

[Beifall bei der FDP]

Zweitens – mehr Eigenverantwortung. Wir begrüßen die Stärkung der Schulen vor Ort. Eigenständigkeit ist das Zauberwort, Losungswort, aber angesichts von 38 % aktiver Schulen müssten sämtliche Alarmglocken schrillen, insbesondere beim Senat mit seiner offensichtlich überbordenden Bürokratie. Die Schulen müssen viel stärker in ihrer Eigenständigkeit gefördert werden. Sie brauchen Budget- und Personalverantwortung. Schulangelegenheiten müssen vor Ort in der Schule entschieden werden, weder von den Personalräten in dem Amtszimmern noch von Gewerkschaftsfunktionären und auch nicht von einer gängelnden Schulverwaltung.

[Beifall bei der FDP]

Drittens – das ist mir sehr wichtig, und das wird immer wichtiger –: Wir müssen das Recht auf Unterricht durchsetzen. Wenn richtigerweise Instrumente eingeführt werden, um Leistungen zu vergleichen und zentrale Abschlüsse durchzuführen, so ist es nur zwingend, den Unterrichtsausfall auf ein Minimum zu reduzieren. Mit welcher Arroganz wird hier in dieser Stadt eigentlich von dem „gefühlten“ Unterrichtsausfall gesprochen? Lehrer, Eltern und Schüler wissen viel besser, wann und wo der Unterricht in dieser Stadt ausfällt, und das ist zu viel.

[Mutlu (Grüne): Die fühlen das nur!]