Mich lehrt ein Blick in den Berliner Haushalt, dass dort kein Raum mehr ist, um die erforderlichen Zukunftsinvestitionen in die Bildung unserer Kinder und Jugendlichen in erforderlichen Höhe durch Umschichtungen aufzubringen. Deshalb bin ich damit voll einverstanden, dass unsere Fraktion klar und deutlich Folgendes erklärt hat:
Erstens, wir werden die Mehreinnahmen von mindestens 300 Millionen €, hochwachsend auf über 600 Millionen €, die Berlin infolge des Regierungsprogramms der neuen Bundesregierung erhalten wird, nicht zurückweisen.
Zweitens, wir schlagen vor, im Rahmen fortgesetzter Haushaltskonsolidierung 20 % dieser Mehreinnahmen für den quantitativen Ausbau und die qualitative Verbesserung unserer Bildungsinstitutionen zu verwenden, damit unsere Stadt wieder eine Zukunft hat.
Berlin ist nämlich auf einigen der zukunftsträchtigen Wirtschaftsfeldern durchaus gut aufgestellt. Die stärkste so genannte Clusterbildung – Sie kennen das – mit der größten Wachstumsdynamik und internationalen Ausstrahlung finden Sie bei der Kommunikations-, Medien- und Kulturwirtschaft. Das zweite herausragende Potential weist die Berliner Gesundheitswirtschaft auf. Drittens muss Berlin auch die Chance nutzen, in der deutschen Vorzeigebranche, der Umwelttechnik, eine größere Rolle zu spielen.
Wir werden diese Chancen aber nur nutzen können, wenn uns die Vernetzung der identifizierten innovativen Branchen mit den jeweils relevanten Bereichen von Kultur oder Wissenschaft gelingt. Wir fordern damit nicht mehr und nicht weniger, als die Politik der Stadt konsequent am Leitbild einer Stadt des Wissens und der Kreativität auszurichten. Wir glauben, wie ich finde mit gutem Grund, dass eine solche politische Grundlinie, wie ich sie eben skizziert habe, der von der FDP propagierten Politik „Steuern senken, bis es kracht“ ebenso überlegen ist wie der Regierungslinie von SPD und PDS, die bekanntlich lautet „Sparen, bis es quietscht“. – Danke!
Danke schön! – Jetzt habe ich eine Wortmeldung von Senator Sarrazin. – Bitte sehr, dann haben Sie das Wort!
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Herr Lindner! Ich habe es schon geahnt, was Sie sagen würden. Ich muss Ihnen einmal Folgendes sagen: Ihre Beiträge zu diesen Themen sind immer dadurch nicht ganz einfach zu beantworten, weil sie einige wenige Halbwahrheiten enthalten, die man nicht wegwischen kann, und ganz viele Falschheiten. Andererseits machen Sie es relativ undifferenziert, so dass man die beiden Dinge auch nicht vernünftig auseinander ziehen kann.
Die Fakten sind leider so, dass wir in den vergangenen Jahren – leider, weil es am Ende nicht die erhofften Wirkungen hatte – für 3,5 Prozentpunkte am BIP auf staatli
che Abgaben in der Sozialversicherung, in der Steuer – unterschiedliche Quellen, darunter auch die Einkommensteuerreform – verzichteten. 3,5 Prozentpunkte sind 83 Milliarden € bezogen auf das Jahr 2005. Das haben wir als Staat – über alle Ebenen – aufgegeben. Wenn man dies auf die Ausgabenseite bezieht, so haben wir außerdem noch unsere Ausgaben anteilig um 30 Milliarden € im Verhältnis zu unserer Leistungskraft insgesamt abgesenkt. Das heißt, wir haben sowohl auf der Abgabenseite nachgegeben wie auf der Ausgabenseite.
Was hat es gebracht? – Wir wissen nicht, was es gebracht hat. Wenn jemand sagt, ohne das wäre alles noch um einiges übler gekommen, kann man dem nicht widersprechen. Ich kann nur am Ende feststellen – das stellen alle fest und sind ratlos –, dass wir in den letzten fünf Jahren mit durchschnittlich unter 1 % das in Deutschland niedrigste Wirtschaftswachstum seit dem Jahr 1948 haben. Wir haben einen dramatischen Abbau von Vollzeitarbeitsplätzen,
2,5 % in diesem fünf Jahren, 1,1 Millionen Vollzeitarbeitsplätze, die dauerhaft verschwunden sind. Wir gewinnen international Kostenvorteile, bloß sehen wir daraus intern keine Erträge. Dies ist so, wie es ist. Jetzt sind wir als Staat da, wo wir sind, und müssen von hier aus weitergehen. In Einem gebe ich Ihnen Recht, gebe ich auch allen anderen Recht: Die Einkommensteuerreform rückabzuwickeln wäre grundfalsch. Es war richtig, die direkte Abgabenbelastung zu senken. Es war richtig, um im internationalen Bereich wettbewerbsfähiger zu werden. Aber wir sehen, es wirkt offenbar nicht in dem Umfang auf die Verhaltensweisen ein, wie wir es immer gedacht hatten.
Jetzt aber fehlt uns das Geld. Da bin ich bei Ihnen und bei jedem, auch als jemand, der seit 30 Jahren – von ganz unten bis zu meiner jetzigen Position – öffentliche Haushalte betreut: Wo immer man hingeht, es ist immer noch etwas zu holen. Das ist ganz klar.
Ob bei den Opern, den Theatern, den Schulen, den Universitäten, überall ist etwas zu holen, auch bei Ihnen in der FPD-Fraktion!
Bei Ihrem Etat bin ich mir sicher, dass ich da rangehen und sagen würde: Herr Lindner, wir haben jetzt 20 % weniger Geld und sind 30 % effektiver.
[Beifall und Heiterkeit bei der CDU, den Grünen und der FDP – Frau Dr. Klotz (Grüne): Im Koalitionsgeflecht ist auch etwas zu finden!]
Gleichzeitig hat es aber auch seine Grenzen. Wenn man sagt, man könne aus einem Haushalt X. immer noch einen Betrag Y. herausholen, dann sage ich Ihnen – und wir wissen das alle beim Berliner Landeshaushalt –: Wir holen hier bei den Eckwerten, die wir uns selbst gesetzt haben, keine 20 % mehr heraus, jedenfalls nicht unmittelbar, auch keine 10 %. Ähnlich ist dies beim Bund. Man kann beim Bund sagen: Okay, die Bundesbeamten können auch auf ihr Weihnachtsgeld verzichten, genau wie unsere Landesbeamten. – Das finde ich richtig. Da waren sie zu wenig mutig. Wir könnten sagen: Die Bundeswehr braucht nicht 100 000 Zivilbedienstete. – Das finde ich auch richtig, da muss man allmählich heruntergehen. Wir können dies tun, wir können sagen: Im Auswärtigen Dienst brauchen sie nicht so viele Zulagen. Ich habe es einmal aus der Perspektive „wenn ich dort Verantwortung hätte“ überschlagen: Man kann vielleicht auf der Ausgabenseite auf Sicht 5 bis 8 Milliarden € herausholen bei 250 Milliarden € Bundeshaushalt. Mehr ist nicht drin.
Das ist wichtig, und das muss geschehen. Dann bleibt aber das Problem, dass wir insgesamt eine staatliche Neuverschuldung von jährlich 80 Milliarden € haben, 3,7 % des BIP. Bezogen auf die unmittelbare Notwendigkeit Maastricht müssen wir runter um etwa 40 bis 50 Milliarden €. Bezogen auf das, was eigentlich notwendig ist, müssen wir bundesweit runter um ca. 60 Milliarden €. Da die Haushalte von Ländern und Gemeinden ziemlich weit unten angekommen sind, bedeutet dies: Dieser Bedarf wird mindestens zu zwei Dritteln auf der Bundesebene einzulösen sein. Es funktioniert nicht anders.
Nun schauen Sie sich den Bundeshaushalt an. Es ist eben bereits von einigen Rednern angesprochen worden. Ich habe wieder andere Zahlen vorbereitet. Man kann es so oder so sehen. Nehmen wir nur den Beitrag zur Rentenversicherung mit 80 Milliarden €, Arbeitslosengeld-II-/ Hartz-IV-Empfänger, AB-Maßnahmen 45 Milliarden €, Zinsausgaben 40 Milliarden €, dann ist schon mehr als der halbe Bundeshaushalt weg. Ziehen Sie noch den Auswärtigen Dienst ab, das Innenministerium, BGS, eine abgemagerte Bundeswehr ab, Autobahnen, die auf einem notdürftigen Mindeststandard erhalten werden,
dann bleiben im Bundeshaushalt 30 Milliarden € übrig. Das sind die 30 Milliarden €, die wir für Forschung, Bildung, Wirtschaftsförderung brauchen. Maximal 30 Milliarden € sind es, von denen wiederum 70 % mit Altlasten belegt sind, die man dort erst einmal ausräumen muss. Das sind die Strukturen.
Es ist ganz klar: Wir können uns auch international – in Brüssel oder sonst wo – nicht mehr sehen lassen, wenn wir unser Haushaltsthema nicht beherrschen und in den Griff bekommen. Dies bedeutet: Bei einer Gesamtnotwendigkeit, mittelfristig Lücken von 60 Milliarden € zu decken, ist es notwendig, auf der Einnahmeseite etwa 40 Milliarden € zu holen. Das ist exakt das, was jetzt geschehen ist. Das Paket wächst – abzüglich anderer Maß
nahmen der Wirtschaftsförderung – bis zum Jahr 2010 zu Mehreinnahmen von 41 Milliarden € im Jahr auf – im nächsten Jahr keine, im ersten Jahr danach 29 Milliarden €. Dieser Umfang ist auch unverzichtbar.
Ich will Ihnen zeigen, wie man es anders hätte machen können – ganz einfach: Wir haben einen Rentenzuschuss von 80 Milliarden €. Wir haben Rentenausgaben in dreifacher Höhe, also 240 Milliarden €. Wenn wir jetzt gesagt hätten – das war wohl Ihre Antwort, Herr Lindner –, wir holen 40 Milliarden € beim Rentenzuschuss – ich sage das mal ganz einfach, damit man das auch sehen kann –, dann bedeutet das 20 % Rentenkürzung, 15 bis 18 % Rentenkürzung, um es genau zu sagen. Das sind die Alternativen. Entweder greifen Sie in diesem Umfang in Sozialausgaben ein, dann müssen Sie auch sagen, dass Sie das richtig finden. Ich habe eben gesehen: Als das von Herrn Eßer gesagt wurde, haben Sie unmerklich mit dem Kopf genickt. Das ist Ihnen so herausgerutscht. Möglicherweise finden Sie das auch richtig. Dann muss man darüber reden. Man kann auch sagen: Wir machen es nicht alles bei den Renten, da machen wir 10 %, aber das Arbeitslosengeld II kürzen wir von 330 € auf 200 € im Monat. Das bringt auch 10 Milliarden. – Man kann es unterschiedlich kombinieren, aber man muss es dann auch ansprechen. Man kann nicht so tun, als ob man dieses Geld bekäme, indem man im Staat konventionell vor sich hin spart. Das funktioniert nicht.
In einem Punkt gebe ich Ihnen abschließend Recht: Es war ungut, wenn man schon 41 Milliarden € bewegt, 23 Milliarden € davon über die Umsatzsteuer zu bewegen. Ich persönlich hätte mir auch vorstellen können, dass man mehr beim steuerlichen Subventionsabbau macht. Da wären in der Summe auch 40 Milliarden € drin gewesen, aber mit Maßnahmen, die zu einem Teil dann eben auch politisch nicht einigungsfähig waren. Dies ist in der Tat richtig. Aber nachdem dieses so nicht umsetzbar war – es wäre in der SPD nicht umsetzbar gewesen, bei der CDU nicht und bei Ihren Leuten am Ende auch nicht –, haben wir mit diesem Paket jetzt einen aus meiner Sicht akzeptablen Kompromiss gefunden.
Wir haben ein Risiko, da gebe ich allen Recht, die dieses angesprochen haben: Wenn man auf längere Sicht 41 Milliarden € bei den Einkommen der Bürger herausnimmt, so kann dies nicht ohne Folgen bleiben. Es sinken die Ausgabemöglichkeiten, und es steigen auch die Preise. Natürlich steigen die Preise, denn das Geld geht doch von den Bürgern zum Staat. Man kann das Geld immer nur herüberziehen, indem man es entweder auf die Güter drauflegt – dann steigen die Güterpreise – oder vom Einkommen abzieht. In dem Umfang, in dem wir Anpassungen bei der Umsatzsteuer vornehmen, hat der Bürger immer am Ende weniger in der Tasche, und das ist auch beabsichtigt, denn anders kommt das Geld nicht zum Staat.
Dies kann kurzfristig Auswirkungen auf Wachstum, Beschäftigung und Konjunktur haben. Wir müssen hier einfach abwägen: Was ist dauerhaft schädlicher, das ge
wisse Risiko, das wir hier in der Gestalt einer denkbaren Wachstumsdelle haben, oder die dauerhafte Lähmung, die auch auf die Wirtschaft durchschlägt, wenn sie den Eindruck hat, dass der Staat seine Aufgaben nicht mehr ordentlich erfüllen kann? – Vielen Dank!
Danke schön! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, so dass wir sofort zu den Abstimmungen kommen.
Zum Antrag der FDP-Fraktion Drucksache 15/4307 – Aus den Fällen Samsung und Reemtsma lernen: Wirtschaftspolitik neu ausrichten! – empfiehlt der Fachausschuss mehrheitlich gegen die Stimmen der Antragsteller die Ablehnung. Wer dennoch dem Antrag seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die FDP-Fraktion. Die Gegenprobe! – Das sind alle anderen. Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag abgelehnt.
Zum FDP-Antrag Drucksache 15/4400 – Tabaksteuererhöhung rückgängig machen – wird die Überweisung an den Hauptausschuss gewünscht. Hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
Zum dringlichen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 15/4492 – Eine Zukunft für Samsung in Berlin – liegt ein Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen Drucksache 15/4492-1 vor. Ich lasse demzufolge erst über diesen Änderungsantrag abstimmen. Wer dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön! Das sind Linkspartei.PDS, Grüne und SPD. Die Gegenprobe! – Die FDP. Enthaltung? – Das ist die CDU. Damit ist dieser Änderungsantrag angenommen. Wer nun mit den soeben beschlossenen Änderungen dem Antrag Drucksache 15/4492 insgesamt seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Danke! Das sind die Linkspartei.PDS, die Grünen und die SPD. Die Gegenprobe! – Das ist die FDP. Bei Stimmenthaltung der CDU ist dieser Antrag mit den beschlossenen Änderungen angenommen.